Phlebologie 2020; 49(02): 115-116
DOI: 10.1055/a-1124-5079
Gesellschaftsnachrichten
Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie

Beitrag als Diskussionsgrundlage zum Thema: Fehlinformation im Internet und Konsequenzen für Patienten und uns Ärzte im täglichen Arbeitsfeld am Beispiel des Lipödems

 

Im Umgang mit dem Lipödem ist ein Wandel zu beobachten. Zuerst war die Erkrankung an sich nicht „anerkannt“ – später kam die Definition auf mit den Stadien I bis III abhängig vom Inspektionsbefund und der Optik, die heute im neuen internationalen Konsens (Bertsch et al. Lipödem Mythen und Fakten Teil 5 Phlebologie 2020; 49: 31–49) bereits überarbeitet und nach klinischen Kriterien sinnvoller eingeteilt wurde.

Diese auf der Optik basierende Einteilung des Lipödems hatte schnell zur Folge, dass alle Beindeformitäten, die der Adipositas geschuldet waren, von den Laien auch als Lipödem eingestuft wurden. Die Unzufriedenheit mit dieser Beinform und die steigende Prävalenz der Adipositas auch bei jungen Frauen ergab eine wachsende Menge an Personen, die der Meinung sind, unwiederbringlich, unbehandelbar krank zu sein – und uns Ärzte für diejenigen halten, die allein über den Schlüssel der Heilung verfügen, nämlich: Lymphdrainagebehandlung und Fettabsaugung. Ärzte, die diese Behandlungsoption kritisch hinterfragen, müssen sich Angriffen in sozialen Medien und auf Bewertungsportalen stellen.

Im Internet kursierende Aussagen wie „Bei Reduktion des Gewichts wird sich das Lipödem um keinen Zentimeter verändern“ halten die Patientinnen auch davon ab, es überhaupt zu versuchen. Natürlich bleibt die Disproportion zwischen Stamm und Beinen, aber das absolute Volumen der Beine verringert sich gewiss nach Gewichtsreduktion– dazu gibt es inzwischen ausreichend Studien und damit evidenzbasierte Belege. Es gibt noch keine Evidenz zur Sinnhaftigkeit der Liposuktion, daher hat der G-BA (Gemeinsame Bundesausschuss) auf Druck der Öffentlichkeit eine Studie initiiert. Und es gibt keine Evidenz zur Sinnhaftigkeit der manuellen Lymphdrainage bei Lipödem.

Tatsache ist aber, dass wir Ärzte von diesen Fehlinformationen als die „Bösen“ aufgebaut werden und dass wir uns mit extrem fordernden Personen konfrontiert sehen, die auf die absolute Einhaltung ihrer Wünsche bestehen, sonst werden wir in stundenlange Dispute involviert und dann auch noch in den Medien schlecht bewertet. Diese Foren stilisieren ihre Wahrheit als absolut – und warnen: Alle Ärzte, die das nicht so sehen, haben keine Ahnung.

Ich persönlich hatte gerade Einsicht in die Erwähnung meines Namens in den einschlägigen Hannoveraner Foren und konnte mich sehr freuen über folgende Aussagen: „Die hat keine Ahnung, die sollte sich mal weiterbilden, da kann man gaaar nicht hin gehen!!“ oder: „Die geht gar nicht, sagt, ich habe kein Lymphödem und will mir keine Lymphmassage verschreiben!!“

Inzwischen ist es so, dass ich mich über diese Negativempfehlungen freue. Somit kommen die Ströme der Frauen mit Adipositas, Lipohypertrophie, nicht mehr in meine Praxis und ich kann mich konzentriert und entspannt der Venenheilkunde widmen. Den armen Frauen, die aber wirklich ein schmerzendes Lipödem haben, kann ich nun aber auch nicht mehr helfen.

Leider wird diese Entwicklung unterstützt von unseriösen Informationen von einigen Kollegen, die eine Heilung der Krankheit versprechen, ohne all die multiplen Komponenten der Krankheit zu erwähnen. Diese sind:

  • Beginn mit einer korrekten Diagnosestellung, mit Differenzialdiagnose in Abgrenzung zur Lipohypertrophie, zur Adipositas und zum Adipositas-bedingten Lymphödem,

  • dann folgend die Therapie mit:

    • umfangreicher Information des Patienten,

    • einer konsequenten Ernährungsberatung,

    • einer umfangreichen Bewegungsberatung bzw. -therapie,

    • oft begleitet von einer Psychotherapie, da psychische Erkrankungen oft der Schmerzproblematik bei Fettvermehrung in den Beinen vorangeht (wie Bertsch und Erbacher in „Lipödem, Mythen und Fakten Teil I“, Phlebologie 2018; 47: 84–92),

    • bei tatsächlich vorliegendem Lipödem oder Adipositas-bedingtem Lymphödem die Verordnung von Kompression und

    • bei Nachweis eines Lymphödems die Verordnung von manueller Lymphdrainage, sollte die Kompression die Schwellung nicht ausreichend lindern.

Die Tatsache, dass der G-BA im Dezember die MLD bei Lipödem (und zwar in jedem Stadium) extrabudgetär gestellt hat, ist erstaunlich. Tatsächlich ist der Wirkmechanismus einer MLD bei Lipödem nicht nachvollziehbar, da sich keine Wassereinlagerungen vorfinden, die Wirksamkeit wurde in keiner Studie nachgewiesen. Hier dazu das Zitat aus dem internationalen Konsens zum Lipödem (Bertsch et al. Lipödem Mythen und Fakten Teil 5 Phlebologie 2020; 49: 31–49):

„Die manuelle Lymphdrainage (MLD) hat keinen Einfluss auf das Lipödem selbst, da sie nur ein Ödem und nicht die Fettverteilung und -größe der Fettzellen beeinflussen kann. Bei einem Lipödem besteht weder ein relevantes Ödem noch eine Beeinträchtigung des Lymphgefäßsystems [1, 120]. Darüber hinaus ist die Wirksamkeit von MLD beim Lipödem nicht belegt [47, 48]. Die von manchen Patientinnen wahrgenommene Schmerzreduktion durch MLD kann unter Umständen in der Anfangsphase der Behandlung hilfreich sein. Wenn man sich für diesen Ansatz entscheidet, sollten der Patientin unbedingt während der Therapie die oben dargestellten neurophysiologischen Zusammenhänge des empfundenen Schmerzes erläutert werden. Diese Art der Therapie sollte darüber hinaus auf maximal einen Monat begrenzt werden, da eine Abhängigkeit vom Therapeuten zu vermeiden ist. Die häufig in Deutschland anzutreffende Praxis der über Jahre durchgeführten regelmäßigen wöchentlichen MLD entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Grundlage und ist daher sowohl aus medizinischer als auch aus ökonomischer Perspektive mehr als fragwürdig.“

Demnach bedeutet diese Entscheidung des GBA nicht, dass alle Patientinnen mit dieser Diagnose Lipödem einein Anrecht auf dauerhafte MLD erhalten haben, sondern dass diejenigen, bei denen uns als Ärzten eine MLD (vorübergehend) asdas sinnvoll erscheint, diese auch verordnet bekommen dürfen, ohne dass dies unser Budget belastet.

Was tun?

Wir sollten vermehrt auf die sachliche Information hinweisen, die es durchaus gibt:

  • Auf unserer Webseite gibt es einen ganzen Bereich an Informationen für Patienten, bei dem das Lipödem eine eigene Sparte hat.

  • Wir bieten Ärzten zur Verteilung an die Patienten Broschüren über das Lipödem an, in denen sachliche Informationen weitergegeben werden, die über die Webseite der DGP, aber auch per Mail an oeffentlichkeitsarbeit@phlebology.de bestellt werden können.

  • Wir alle sollten vermehrt in unserem Umkreis Fortbildungen für Kollegen und Patienten anbieten, um der Mauer an Fehlinformationen Einhalt zu gebieten – insbesondere zum Wohl der vielen Betroffenen, nämlich unserer Patienten.

  • Die DGP bietet gern auch Vortragsmaterial zu diesem Zweck an (Anfragen über oeffentlichkeitsarbeit@phlebology.de).

Über Diskussionsbeiträge zu diesem Thema freue ich mich!

Erika Mendoza


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Publication History

Article published online:
14 April 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York