CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2020; 80(05): 533-538
DOI: 10.1055/a-1140-2933
GebFra Science
Leserbrief
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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Kay Neumann
1   Sektion für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck; Universitäres Kinderwunschzentrum Lübeck und Manhagen & PID Zentrum Lübeck
,
Georg Griesinger
2   Sektion für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck; Universitäres Kinderwunschzentrum Lübeck und Manhagen & PID Zentrum Lübeck
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. M. Sc. Georg Griesinger
Sektion für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Campus Lübeck
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck

Publication History

Publication Date:
18 May 2020 (online)

 

Wir bedanken uns für das Interesse von Baukloh et al. an unserer Kostenanalyse zur Aneuploidieuntersuchung von Eizellen mittels Polkörperdiagnostik (PKD) im Kontext der assistierten Reproduktion.

In Ihrem Leserbrief bemängeln Baukloh et al., dass in unserer Kostenanalyse [1], welche u. a. auf den Ergebnissen einer multizentrischen randomisierten klinischen Studie beruht [2], eine zu hohe Rate an Eizellen ohne verwertbares Ergebnis der genetischen Testung Eingang gefunden hat. Diese „Ausfallrate“ liegt in der ESTEEM-Studie [2] bei 8% „inconclusive results“ und 13% „no evaluation possible“, was in der Summe einem in der Tat augenscheinlich recht hohen Anteil von 21% der biopsierten Eizellen entspricht. In der nicht randomisierten Pilotarbeit zur ESTEEM-Studie, durchgeführt in 2 Zentren (Bonn und Bologna), war die Ausfallrate mit 14% etwas niedriger [3]. Die Grundlage einer Kosten-Nutzen-Betrachtung sollte jedoch nicht auf Daten einzelner Zentren oder auf einzelnen retrospektiven Analysen mit hohem Risiko einer Selektionsverzerrung beruhen, sondern klinische Ergebnisse aus einer lebensnahen Versorgungswirklichkeit mit breiter externer Validität abbilden [4].

Hierzu ist anzuführen, dass in der pragmatischen ESTEEM-Studie ausschließlich Zentren teilgenommen haben, die bereits über Erfahrungen in einer Aneuploidieuntersuchung von Eizellen verfügten. Jedes teilnehmende Zentrum musste vor Freigabe der Patientenrekrutierung die notwendige Expertise in der PKD im Rahmen eines Audits nachweisen. Alle Patienten wurden prospektiv erfasst und den Behandlungsarmen durch Randomisierung zugeteilt. Schließlich ist erwähnenswert, dass rund 30% der in die ESTEEM-Studie rekrutierten Patienten in einem der beiden Zentren der Pilotstudie behandelt wurden (Bonn und Bologna). Weitere 25% der rekrutierten Patienten wurden im Zentrum für Reproduktionsmedizin der Universität Brüssel behandelt. Hinlänglich Erfahrung und Kompetenz in der PKD und den dazugehörigen genetischen Analysen ist diesen Zentren allein schon ausweislich der wissenschaftlichen Publikationen zur Thematik zu unterstellen. Die Daten der ESTEEM-Studie sind aus unserer Sicht deshalb gut geeignet, um als Grundlage für eine extern valide, theoretische Kosten-Nutzen-Betrachtung zur Versorgungswirklichkeit mit PKD in der Reproduktionsmedizin zu fungieren.

Diskussionswürdig bleibt, inwieweit die Ausfallsrate der Testergebnisse die klinischen Resultate der ESTEEM-Studie im Besonderen und die Ergebnisse der PKD im Allgemeinen beeinflusst.

Eine detaillierte Betrachtung der klinischen Kennzahlen der ESTEEM-Studie ermöglicht keine verlässliche Berechnung der Kosten-Nutzen-Implikationen einer niedrigeren Ausfallrate der genetischen Testung. Der Einfluss der Ausfallrate auf die klinischen Ergebnisse scheint aber gering:

57 Embryonenübertragungen wurden in der ESTEEM-Studie im PKD-Studienarm ohne vorliegendes Ergebnis eines Aneuploidiescreenings durchgeführt. Unter der Prämisse einer 65%-Aneuploidierate wären hypothetisch 37 Übertragungen von aneuploiden Embryonen durchgeführt worden. Folglich dürfte die hohe Rate an Eizellen ohne verwertbares Ergebnis hauptsächlich zu einer etwas höheren Anzahl an Embryonenübertragungen in der Studiengruppe geführt haben. Die „Politik“ einer nachrangigen Übertragung von Embryonen ohne Ergebnis im Aneuploidiescreening dürfte einem signifikanten Einfluss der hohen Rate an Eizellen ohne Ergebnis auf die Lebendgeburtenrate entgegengewirkt haben. Die Tatsache einer gleichwertigen Lebendgeburtenrate (24%) in beiden Studienarmen scheint diese Annahme zu bestätigen.

Ferner sollte eine geringere Rate an Eizellen ohne Ergebnis im Aneuploidiescreening auch zu einer weiteren Reduktion der Abortrate führen, was zu etwas geringeren Kosten zur Vermeidung eines Aborts führen würde. Insgesamt ist aus unserer Sicht ein Unterschied von 15% (Pilotstudie) zu 21% (ESTEEM-Studie) Ausfallsrate mit marginalen Kosteneffizienz-Implikationen verbunden.

Des Weiteren postulieren Baukloh et al., dass einer Polkörperbiopsie nicht zwangsläufig eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) vorausgehen müsse, sondern dass auch das weniger aufwendige Verfahren einer In-vitro-Fertilisation (IVF) mit einer PKD kombiniert werden könne. Hierzu konstatieren die Best Practice Guidelines der ESHRE „ICSI is ‚recommended‘ for all PCR cases to reduce the chance of paternal contamination from extraneous sperm …“ [5]. Diese Empfehlung dürfte auch die Amplifizierung der Polkörper-DNA vor Array-Diagnostik einschließen. Darüber hinaus ist die Kombination einer PKD mit ICSI vorteilhaft, da bei simultaner Polkörperentnahme die korrekte Identifizierung von Polkörper 1 und Polkörper 2 einfacher erfolgen kann (in der ESTEEM-Studie findet sich dazu folgendes Statement: „In addition, PB1 morphology was carefully recorded at the time of ICSI.“). In der ESTEEM-Studie wurde deshalb sowohl in der Studiengruppe mit PKD als auch in der Kontrollgruppe ohne PKD stets zur Fertilisation der Eizellen eine ICSI durchgeführt. Würde in unserer Kostenanalyse eine kostengünstigere IVF anstatt einer kostenintensiveren ICSI bei einem Teil der Patienten durchgeführt, hätte dies eine weitere, relative Verschärfung der an sich schon insuffizienten Kosteneffizienz der PKD zur Folge.

Schließlich verweisen Baukloh et al. auf die Verringerung der Abortrate von 14 auf 7% (Intention-to-treat-Auswertung) durch ein Aneuploidiescreening per PKD in der ESTEEM-Studie. Im Hinblick auf Kosten und Effizienz sollte allerdings betont werden, dass eine Patientin im fortgeschrittenen reproduktiven Alter erst durch IVF oder ICSI mit einer PKD schwanger werden muss, um dann von einer Verringerung des Abortrisikos profitieren zu können. Da allerdings die Mehrzahl der Patientinnen im fortgeschrittenen reproduktiven Alter gar nicht erst einen positiven Schwangerschaftstest nach Embryoübertragung erreicht (rd. 66% der Embryoübertragungen in der Kontrollgruppe der ESTEEM-Studie führen nicht zu einem positiven Schwangerschaftstest), diese Patientinnen aber trotzdem für das Verfahren einer genetischen Testung in Deutschland regelhaft selbst die finanziellen Kosten tragen müssen, entstehen folglich, wie in unserer Arbeit demonstriert, für eine Abortprävention unvertretbar hohe Kosten.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass unsere Kostenanalyse keine Unzulässigkeit des Verfahrens der Aneuploidietestung von Eizellen implizieren soll. Im Gegenteil, ein verlässliches Verfahren zur Negativselektion von sicher nicht entwicklungsfähigen Eizellen (ergo Embryonen) im Kontext der assistierten Reproduktion ist aus Sicht von Arzt und Patientin hochgradig wünschenswert. Jedoch sollten die Kosten der Aneuploidieuntersuchung erst drastisch reduziert werden, um, aus unserer Sicht, mit den Patientinnen überhaupt in eine Abstimmung über eine Zahlungsbereitschaft für die beschriebenen positiven Effekte gehen zu können.

Publikationshinweis

Leserbriefe stellen nicht unbedingt die Meinung von Herausgebern oder Verlag dar. Herausgeber und Verlag behalten sich vor, Leserbriefe nicht, gekürzt oder in Auszügen zu veröffentlichen.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


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Prof. Dr. med. M. Sc. Georg Griesinger
Sektion für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin
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Campus Lübeck
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck