Psychiatr Prax 2020; 47(03): 167-168
DOI: 10.1055/a-1140-9401
Mitteilungen DGGPP
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie e. V.

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Publication Date:
02 April 2020 (online)

 

Stellungnahme zum Referentenentwurf zur „Reform der Notfallversorgung“ des BMG

Die DGGPP begrüßt die Neuordnung der Notfallversorgung und die Anerkennung der Notwendigkeit der Berücksichtigung der Besonderheiten von psychiatrischen Notfällen. Im Folgenden nehmen wir mit Bezug zur Notfallversorgung psychisch erkrankter älterer Menschen Stellung.

Psychisch kranke ältere Menschen sind aufgrund einer Vielzahl von Einschränkungen kognitiver, emotionaler und sozialer Funktionen und insbesondere auch angesichts begleitender körperlicher Erkrankungen besonders vulnerabel für akute sowohl somatische als auch psychiatrische Notfallsituationen und haben hier einen besonderen Hilfebedarf, der ihre pflegenden Angehörigen und das Pflegepersonal in der stationären Altenhilfe mit umfasst.


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Eine bedarfsgerechte Notfallversorgung für ältere Menschen mit psychischen Erkrankungen bzw. psychischen Krisen ist aktuell nicht ausreichend vorhanden. Sie ist nicht flächendeckend und zu jeder Tageszeit sichergestellt. Dies führt zu Fehlsteuerung und vermeidbaren Folgeschäden bis hin zu Todesfällen (Suizide, Unfälle, erhöhte Mortalität bei unerkanntem Delir) sowohl bei gerontopsychiatrischen Patienten im häuslichen Bereich, aber auch in Einrichtungen der stationären Altenhilfe.

In den künftigen Notfallversorgungsstrukturen müssen deshalb die dringend notwendigen gerontopsychiatriespezifischen Krisenhilfen und Notfallbehandlungsangebote ausdrücklich mitgedacht werden. Erforderlich ist eine spezifische gerontopsychiatrische Krisenhilfe in Kombination mit einer gerontopsychiatrisch geschulten, effektiven somatischen Notfallversorgung.

Häufig kommt es bei Notfällen bei gerontopsychiatrische Patienten zu Fehlsteuerungen, da sowohl Angehörige als auch geschultes Pflegepersonal Notfallsituationen nicht erkennen oder als Verhaltenssymptome zum Beispiel im Rahmen einer Demenzerkrankung ätiologisch fehldeuten. Delirien bei schweren somatischen Erkrankungen mit einhergehender erhöhter Mortalität bleiben so oft unerkannt und ihre somatischen Ursachen unbehandelt.

Gleichzeitig mangelt es an ambulanten, aufsuchenden Krisenhilfen, die vermeidbare Rettungsstellenaufenthalte und stationäre Einweisungen verhindern helfen könnten. Die sozialpsychiatrischen Dienste können die hier vorliegenden spezifischen gerontopsychiatrischen Bedarfe qualitativ wie quantitativ nicht bedienen. Hier sind aus fachlicher Sicht mobile multiprofessionelle gerontopsychiatrische Krisendienste erforderlich, die sowohl somatische Ursachen als auch psychiatrische Krisen vor Ort erkennen und behandeln können. Im Großbritannien sind solche Teams, deren Wirksamkeit und Effektivität in zahlreichen Versorgungsstudien evidenzbasiert belegt sind, seit Jahrzehnten erfolgreich implementiert.

Angesichts der vorhandenen, wenn auch personalintensiven Alternativen zur derzeitigen mangelhaften Notfallversorgung gerontopsychiatrischer Patienten fordert die DGGPP deshalb die Festschreibung ambulanter multiprofessioneller gerontopsychiatrischer Krisenhilfen im SGB V.

Berlin, 04.02.2020
Prof. Dr. med. Dr. phil. Michael Rapp
Präsident
Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie e. V. (DGGPP)

„Zwang und Gewalt bei der Betreuung, Pflege und Behandlung alter Menschen“

Die Deutsche Akademie für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie e. V. führt am Dienstag, 16. Juni 2020 in Essen eine Fachveranstaltung zu diesem Thema durch. Diese Veranstaltung richtet sich an alle Berufsgruppen im Gesundheitswesen.

Im Umgang mit alten Menschen werden auch Zwangsmaßnahmen eingesetzt. Es gibt akute eigen- oder fremdgefährdende Situationen, die Zwangsmaßnahmen unumgänglich machen. Zu beachten und einzuhalten sind natürlich rechtliche Vorgaben. Doch diese sind lediglich der Rahmen, um „abgesichert“ zu sein, ersetzen aber nicht die eigene Auseinandersetzung über deren Erfordernis. Grundsätzlich – einzelfall- und situationsbezogen – ist vor deren Einsatz erforderlich, innezuhalten und zu überdenken, ob diese wirklich notwendig und ethisch vertretbar sind. Meist sind Alternativen möglich, die genauso zum Erfolg führen können wie Zwangsmaßnahmen, allerdings ohne emotionalen oder physischen Schaden der Beteiligten. Zeitdruck, Personalmangel oder zu enge Auslegung von Vorschriften sind Argumente, die keiner professionellen Umgangsweise entsprechen. Nicht zu unterschätzende Einflussfaktoren bei der Entscheidung, ob eine Zwangsmaßnahme durchgeführt werden muss, sind: Angst, Unsicherheit, Hilflosigkeit, falsch verstandene Fürsorge, Unkenntnis und Gedankenlosigkeit, aber auch Macht- und Durchsetzungswillen. Aus zahlreichen Untersuchungen geht hervor, dass bei ausreichender Schulung, menschenfreundlichem Milieu, Beziehungsarbeit, Kenntnis der Biografie und kreativer Umgangsweise mit kritischen Situationen Zwangsmaßnahmen nur in Ausnahmefällen erforderlich sind. Zudem ist das damit einhergehende Leid und die vermehrte Hilflosigkeit des alten Menschen keine Basis für eine vertrauensvolle Beziehung in Betreuung, Pflege und Behandlung.

Gewaltmaßnahmen sind im Umgang mit alten Menschen – auch wenn sie immer wieder vorkommen – grundsätzlich abzulehnen und zu ächten. Sie sind rechtswidrig und entsprechen keiner professionellen Umgangsweise. Gewalt ist keine Alternative! Institutionen sind allerdings per se gefährdet, Gewaltmaßnahmen einzusetzen. Diese zu erkennen, zu hinterfragen, zu reflektieren und abzustellen ist Grundlage eines würdevollen und professionellen Umgangs. Dies ist für alte Menschen sowie auch für alle beteiligten direkten (Mitarbeiter von Einrichtungen) und indirekten (Träger und Leiter von Einrichtungen) Akteure von entscheidender Bedeutung.

In der Fachveranstaltung werden diese Themenbereiche von kompetenten Referentinnen und Referenten unter verschiedenen Aspekten aufgegriffen, dargestellt und problematisiert. Anschließend werden unterschiedliche Lösungsansätze präsentiert und zur Diskussion gestellt. Um Zwangs- und Gewaltmaßnahmen bei alten Menschen zu verringern bzw. abzustellen bedarf es der Zusammenarbeit aller Berufsgruppen unter Einbeziehung von Angehörigen und verantwortlichen Entscheidungsträgern. Wir hoffen, dass die Veranstaltung dazu beiträgt und motiviert, problembewusster und kreativer diese Maßnahmen zu hinterfragen und leidverringernde Lösungen zu finden. Information und Anmeldung: www.dagpp.de


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