Schlüsselwörter
Burnout - Depression - Medien
Keywords
burnout - depression - media
Einleitung
Im Juni 2018 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die 11. Revision der Internationalen
Klassifikation der Krankheiten ICD-11 vorgestellt, die ab Januar 2022 in Kraft treten
soll und nun auch Störungen klassifiziert, die bislang noch nicht als solche anerkannt
wurden [1]. Schenkt man einer nicht unerheblichen Anzahl von Medien – darunter auch Onlineformate
populärer Tageszeitungen – Glauben, erkennt die WHO nun auch Burnout als Krankheit
an [2]
[3]
[4]. Dass es sich dabei um eine Fehlinterpretation und damit gleichzeitig um eine Falschmeldung
handelt, ahnen viele Leser nicht. In der ICD-11 wird Burnout als Syndrom beschrieben,
das aus chronischem Stress am Arbeitsplatz hervorgeht, der noch nicht erfolgreich
bewältigt wurde [5]. Damit gilt Burnout wie auch schon in der ICD-10 lediglich als Faktor, der den Gesundheitszustand
beeinflusst – und somit nicht als Krankheit [5].
Die Rolle, die den Massenmedien als Informationsquelle bei der Vermittlung von Wissen
und Bildung von Einstellungen zukommt, ist groß [6]
[7]. Das zeigt nicht nur das direkte Medienecho auf die Revision der ICD, sondern auch
die Tatsache, wie viele Stellungnahmen [8]
[9] und Richtigstellungen [10]
[11]
[12]
[13] zu den Falschmeldungen zu finden sind. Die Medien bilden mit ihrer Verunsicherung
auch ab, was die Wissenschaft zum Thema Burnout beschäftigt: die Suche nach Souveränität
und Konsens in Bezug auf den Umgang mit dem Phänomen Burnout. Denn bislang fehlen
sowohl eine einheitliche Definition von Burnout [14] als auch Erklärungsansätze oder geeignete Diagnoseinstrumente und -kriterien [15]
[16].
Seitdem der Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger mit einer Veröffentlichung im
Jahr 1974 den Begriff Burnout popularisierte, wurden zahlreiche Definitionsversuche
unternommen [17], aus denen Schaufeli und Enzmann [18] wesentliche Aussagen in folgender Definition zusammenfassen: „Burnout ist ein dauerhafter,
negativer, arbeitsbezogener Seelenzustand ‚normaler‘ Individuen. Er ist in erster
Linie von Erschöpfung gekennzeichnet, begleitet von Unruhe und Anspannung (distress),
einem Gefühl verringerter Effektivität, gesunkener Motivation und der Entwicklung
dysfunktionaler Einstellungen und Verhaltensweisen bei der Arbeit. Diese psychische
Verfassung entwickelt sich nach und nach, kann dem betroffenen Menschen aber lange
unbemerkt bleiben. Sie resultiert aus einer Fehlpassung von Intentionen und Berufsrealität.“
Die hier anklingenden Symptome von Burnout weisen große Ähnlichkeit zu den Leitsymptomen
einer Depression auf, die mit gedrückter Grundstimmung, Interessenverlust und Freudlosigkeit
sowie Antriebsminderung und erhöhter Ermüdbarkeit beschrieben werden [19]. Bei Burnout lässt sich jedoch sowohl in Übereinstimmung mit der WHO und der Deutschen
Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) als auch
in einem weiteren Definitionsversuch von Maslach (1982) ein starker Bezug zu Arbeitsüberforderung
erkennen. Damit korrespondieren auch Befunde von Bahlmann et al. [20]
[21] aus einer 2011 realisierten repräsentativen Bevölkerungsumfrage, in der den Befragten
eine Fallvignette vorgelegt wurde, die unter anderem eine Person mit einer depressiven
Episode beschrieb, ohne dass die Diagnose benannt wurde [22]. 10,2 % der Befragten bezeichneten den Zustand der beschriebenen Person als Burnout,
wovon ein Großteil (74 %) den Zustand auch als Krankheit im medizinischen Sinne einschätzte
[20]. Nur wenig mehr (77 %) von denjenigen Befragten, die in dem Problem eine Depression
sahen, bezeichneten diese ebenfalls als Krankheit [20]. Der Wunsch nach sozialer Distanz war bei den Befragten, die den Zustand der beschriebenen
Person als Burnout wahrnahmen, geringer als bei den Befragten, die darin eine Depression
sahen [20].
Doch wie erschließen sich Menschen ihr Bild von Burnout und Depression durch die Medien?
Einerseits fungieren Medien als Spiegel der Gesellschaft, der zeigt, wie sich psychische
Störungen darin aktuell äußern, welche Erklärungsmodelle diese Gesellschaft für ihre
Entstehung anbietet und welche Möglichkeiten sie zu ihrer Behandlung hat [23]. Andererseits bieten insbesondere Massenmedien nicht nur eine Bestandsaufnahme von
Phänomenen, sondern können auf vielfältige Weise Einfluss auf Meinungsbildungsprozesse
nehmen [24]: Sie können Wissen vermitteln, eine Agenda setzen und bestimmte Aspekte oder Interpretationen
eines Phänomens hervorheben (Framing). Indem Medien ein Meinungsklima darstellen,
können sie eine Brücke zwischen individueller und öffentlicher Meinungsbildung schlagen.
Durch die direkte und indirekte Beeinflussung der Einstellungen von Rezipienten zu
bestimmten Fragestellungen, können Medien auch eine Persuasionsfunktion einnehmen.
Am Ende einer möglichen Wirkkette der Medien stehen deren Anregungen zu konkretem
Handeln. Da psychische Krankheiten häufig unbehandelt bleiben und nach wie vor tabuisiert
werden, ist eine verantwortliche, sachlich richtige und die Inanspruchnahme von Hilfe
erleichternde Berichterstattung in den Medien notwendig. Bislang fehlen jedoch Studien,
die sich mit der Darstellung von Burnout in deutschen Printmedien vor allem im Hinblick
auf die von Bahlmann et al. [20]
[21] aufgeworfene Fragestellung zu den Krankheitsvorstellungen über Burnout und Depression
beschäftigen. Vor diesem Hintergrund verfolgt diese Arbeit das Ziel, Überschneidungen
und Differenzen zu identifizieren, die sich in der Berichterstattung über Burnout
im Hinblick auf das psychiatrische Störungsbild der Depression zeigen.
Methoden
Um sich dem Phänomen Burnout in den Medien mithilfe einer Inhaltsanalyse zu nähern,
wurden Tageszeitungen herangezogen, die nach Hasebrink [24] „das größte Potenzial für eine Meinungs- und Einstellungsbildung auf der zentralen
Verarbeitungsroute sowie für Prozesse der Themensetzung“ bieten, zumal deren Onlineformate
für eine noch breitere Streuung der Inhalte sorgen. Vor dem Hintergrund ihrer weiten
Verbreitung, hoher Verkaufszahlen [25] und der Zugänglichkeit zu ihrem archivierten Material bilden die 3 überregionalen
Tageszeitungen Bild, Süddeutsche Zeitung und Die Welt aus den Jahren 2016 und 2017 im Printformat die Stichprobe. Die Sonntagsausgaben
der Zeitungen Bild (Bild am Sonntag) und Die Welt (Welt am Sonntag) wurden genauso in die Analyse miteinbezogen wie zusätzliche Printbeilagen aller 3
Zeitungen. Zur Filterung aller Textpassagen, die sich mit dem Thema Burnout beschäftigen,
wurde das Zeitungsmaterial mithilfe des Begriffs „burn/burn*“ durchsucht. Die Trunkierung
sollte sicherstellen, bei der Archivsuche der Tageszeitungen alle möglichen Schreibweisen
des Begriffs Burnout (Burnout, Burn-out, Burn-Out, Burn out, Burn Out) abzudecken.
Ungeachtet der Treffer, die keinen Bezug zum Thema Burnout aufwiesen und aussortiert
wurden, ergaben sich insgesamt 392 zu analysierende Zeitungsartikel. Weitere 230 Treffer
ließen sich in Bildunterschriften, Inhaltsverzeichnissen, sich wiederholenden Klinikanzeigen
und im Fernsehprogramm finden, die aufgrund der begrenzten Aussagekraft in der weiterführenden
Analyse nicht berücksichtigt wurden. 75 % der Artikel enthielten den Begriff Burnout
einmal. In 17 % der Artikel kam der Begriff Burnout 2-mal vor. Zwei der insgesamt
392 Artikel wiesen den Begriff Burnout mehr als 10-mal auf.
Als Auswertungsmethode des Archivmaterials diente die qualitative Inhaltsanalyse,
welche sich durch ein systematisches, datenreduzierendes Vorgehen zur vergleichenden
Analyse von bedeutungshaltigem Material auszeichnet [26]. Mayring [27] unterscheidet hierbei 3 Grundformen des qualitativen Interpretierens, von denen
sich die Zusammenfassung als Verfahren mit einer induktiven Kategorienbildung am sinnvollsten
erwiesen hatte, um einen möglichst unvoreingenommenen Blick auf das Zeitungsmaterial
zu richten. In mehreren Schritten galt es, zunächst alle relevanten Textstellen aus
dem Material herauszufiltern und diese danach zu paraphrasieren, mit dem Ziel, den
inhaltstragenden Kern der Aussage auf einer möglichst einheitlichen Sprachebene zu
extrahieren [27]. In einem nächsten Schritt wurden die gewonnenen Paraphrasen generalisiert, sodass
Paraphrasen gleicher Aussage entstanden und nach ihrem Bedeutungsgehalt selektiert
wurden [27]. Alle verbleibenden inhaltstragenden Paraphrasen wurden in einem letzten Schritt
durch Bündelung und Integration inhaltlich zusammenhängender Paraphrasen reduziert
und bildeten in dieser Form die einzelnen Kategorien des Kategoriensystems [27]. [
Tab. 1
] zeigt einen Ausschnitt aus der zusammenfassenden Inhaltsanalyse.
Tab. 1
Ausschnitt der Zusammenfassung (OK: Oberkategorie, UK: Unterkategorie).
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Artikelausschnitt
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Paraphrase
|
Generalisierung
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Kategorie
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Aber auch individuelle Faktoren wie Perfektionismus begünstigen ein emotionales Ausbrennen.
Welt, 01.04.16 S. 142
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Perfektionismus begünstigt als individueller Faktor ein emotionales Ausbrennen.
|
Perfektionismus stellt einen Risikofaktor für Burnout dar.
|
OK 3
Risikofaktoren
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Hörsturz und Burnout seien mittlerweile die Regel an Stadttheatern.
SZ, 04.05.16 S. 5
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Hörsturz und Burnout kommen bei Schauspielern an Stadttheatern mittlerweile häufig
vor.
|
Schauspieler erkranken häufig an Burnout.
|
OK 5
Betroffene
Gruppen
|
|
Moorbaden macht glücklich
Kurkliniken besinnen sich auf das alte europäische Heilmittel und setzen es in der
Therapie von Burnout-Patienten erfolgreich ein
Welt, 17.09.16 S. 41
|
Moorbaden macht glücklich und wird in der Therapie von Burnout-Patienten erfolgreich
eingesetzt.
|
Moorbaden ist eine erfolgreiche Therapiemethode für Burnout-Patienten.
|
UK 8.4.1
Alternative
Methoden
(OK 8
Therapie)
|
|
„Ich brach 2007 mit Erschöpfung und Burnout zusammen. Schuld war vor allem eines:
Schlafmangel.
Bild, 19.07.16 S. 1,7
|
Arianna Huffington brach 2007 mit Erschöpfung und Burnout aufgrund von Schlafmangel
zusammen.
|
Schlafmangel stellt eine Ursache für Burnout dar.
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UK 4.7
Schlafmangel
(OK 4
Ursachen)
|
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Ihr letzter Arbeitgeber forderte so viele Arbeitsstunden von ihr, dass sie krank wurde.
Burnout, nach 400 Überstunden.
Welt, 16.10.17, S. 27
|
Nachdem sie bei ihrem letzten Arbeitgeber 400 Überstunden leisten musste, erkrankte
sie an Burnout.
|
Überarbeitung stellt eine Ursache für Burnout dar.
|
UK 4.1.1
Überarbeitung/Überlastung
(OK 4
Ursachen)
|
Während der Auswertung wurde das Kategoriensystem immer wieder kritisch hinterfragt
und mehrfach überarbeitet, Kategorien mit verhältnismäßig vielen Zitaten wurden so
in Unterkategorien differenziert. Ein Codierleitfaden wurde entwickelt, der das Kategoriensystem
inklusive Kategoriendefinitionen, Ankerbeispielen, also besonders typische Textstellen,
und Codierregeln enthält [27]. Insgesamt konnten 516 Zitate zum Thema Burnout aus dem Material herausgefiltert
werden. Die Anzahl der Zitate pro Oberkategorie liegt zwischen 3 und 114.
Ergebnisse
Für die Identifikation von Gemeinsamkeiten und Differenzen in der Berichterstattung
von Burnout im Hinblick auf das Störungsbild der Depression, lassen sich folgende
Kategorien heranziehen: Ursachen, Symptome, therapeutische Maßnahmen, Personen des
öffentlichen Lebens, Vergleich von Burnout und Depression und die Metaphorisierung
des Begriffs Burnout.
Ursachen
Welche Ursachen einem Burnout zugrunde liegen, wird in den ausgewählten Printmedien
vielschichtig betrachtet. Fast ein Viertel aller herausgefilterten Zeitungszitate
beschäftigt sich mit diesem Aspekt. Neben Gründen wie enttäuschte Erwartungen (4 %),
Stress (6 %), Rollenkonflikte (9 %), digitale Medien (4 %), Life Events (3 %), innere
Ursachen (10 %) sowie Schlaf- (5 %) und Bewegungsmangel (3 %) stellen Arbeit und die
fehlende Abgrenzung von Arbeit und arbeitsfreier Zeit die mit Abstand am häufigsten
thematisierten Ursachen (44 %) dar. Eine entscheidende Rolle spielt dabei vor allem
die Überarbeitung bzw. Überlastung: „Burnout gilt immer noch als Leiden, das durch
Überarbeitung entsteht […].“ (Welt am Sonntag 04.12.16, S. 18) Aber auch der meist
mit der Arbeit im Zusammenhang stehende Leistungsdruck kann laut Sven Hannawald, selbst
von einem Burnout betroffen, dazu führen: „Viele denken, sie müssen immer nur funktionieren.
[…] Wenn man immer nur funktioniert, macht es irgendwann peng.“ (SZ 23.09.16, S. 22)
Dass sich auch die fehlende Abgrenzung von Arbeit und arbeitsfreier Zeit, z. B. durch
ständige dienstliche Erreichbarkeit, zu einem Burnout kumulieren kann, illustriert
dieses Zitat: „Bis irgendwann gar nicht mehr klar war, wo der Job aufhörte und die
Freizeit anfing. Dass das gar nicht so klug war, merkten die meisten, als die ersten
Freunde mit Burnout zu kämpfen hatten.“ (SZ-Beilage Jetzt 27.03.17, S. 16) In den
meisten Fällen erweckt die mediale Darstellung den Eindruck, einem Burnout liege eine
alleinige Ursache zugrunde. Nur in einem Beitrag wird betont, dass bei der Entstehung
von Burnout mehrere Faktoren zugrunde liegen: „In der Regel führt eine Melange aus
verschiedenen Lebensumständen zum Burnout.“ (SZ-Beilage wohl fühlen 06.04.16, S. 18–19)
Keiner der Zeitungsartikel bringt biologische Faktoren im Zusammenhang mit der Entstehung
von Burnout zur Sprache. Damit kommunizieren die ausgewählten Zeitungen ein grundlegend
anderes Ursachenbild für einen Burnout als der wissenschaftliche Konsens mit einer
Kombination aus psychosozialen und neurobiologischen Einflüssen für eine Depression.
Symptome
In der Darstellung der Symptome eines Burnouts, die in den Tageszeitungen 3,9 % der
herausgefilterten Zitate ausmachen, dominieren mit Schlafstörungen, Herzbeschwerden,
Schwindel und Tinnitus vor allem psychosomatische Symptome und mit Interessenverlust
und Antriebslosigkeit Symptome, die einem Teil der Leitsymptome einer Depression entsprechen.
Weitere Symptome wie Erschöpfung, Müdigkeit und der Verlust der Fähigkeit, abzuschalten,
finden in den Zeitungen mehrfach Erwähnung, wenngleich die überwiegende Zahl von Symptomen
nur einmalig benannt wird. Dass die Grenzen zwischen Burnout und Depression in der
Mediendarstellung von Symptomen teilweise verschwimmen, illustriert auch das folgende
Zitat aus der Bild-Zeitung vom 21.07.17 (S. 6): „Erst kürzlich hatte er [Chester Bennington]
BILD gegenüber von Depressionen und Alkoholproblemen gesprochen.“ Anschließend wird
der Sänger selbst zitiert: „Das war eine echt harte Zeit. Ich hatte eine Art Burnout,
aber nicht, weil ich mich müde fühlte. Ich hatte einfach die Schnauze voll von der
Welt. Ich wollte nichts mehr machen, wollte niemanden sehen. Einmal habe ich meinem
Therapeuten gesagt, dass ich nichts mehr hören kann. Ich war sogar so weit zu sagen,
dass ich kein Mensch mehr sein wollte.“ Die Bild-Zeitung bezeichnet das Problem nach
der Symptombeschreibung des Sängers also als Depression, der Sänger selbst als „eine
Art Burnout“.
Therapeutische Maßnahmen
Therapeutische Maßnahmen finden in 8,7 % der analysierten Zitate Erwähnung. Darunter
verdeutlichen 2 Textfragmente, dass Menschen mit Burnout professionelle Unterstützung
benötigen. Zum größten Teil entstammen die dargestellten therapeutischen Mittel und
Methoden jedoch dem alternativmedizinischen Spektrum (31 %), gefolgt von Bewegung
und Sport (21 %), Ruhe und Erholung (10 %), Körperbewusstsein (10 %) und Onlinetherapie
(10 %). Bevorzugte therapeutische Optionen zur Behandlung von Depressionen wie die
Psycho- und Pharmakotherapie werden im Zusammenhang mit Burnout nur in einem Zitat
benannt, sodass sich in der Printberichterstattung ein klarer Unterschied in den mit
Burnout und Depressionen assoziierten therapeutischen Möglichkeiten zeigt.
Personen des öffentlichen Lebens
Als „Sprachrohr“ dienen Medien Personen des öffentlichen Lebens, wenn diese als Betroffene
ihre Erfahrungen mit Burnout mit der Öffentlichkeit teilen: „Die Kommunikationswissenschaftlerin
und Chefredakteurin der Wirtschaftswoche hatte 2010 ihre eigenen Burnout-Erfahrungen
öffentlich gemacht.“ (SZ 25.04.16, S. 23) Ebenso Oliver Kahn „hat offen über einen
Burnout in seiner Zeit bei Bayern München gesprochen“ (SZ 26.06.17, S. 8) und Fußballtrainer
Sascha Lewandowski, der wegen eines Burnouts zurückgetreten war, „hatte darum gebeten,
dass die Diagnose veröffentlicht wird“ (Bild 10.06.16, S. 1, 12).
Vergleich mit Depression
Dass Burnout nur in Ausnahmefällen als Tabuthema angesehen wird, könnte mit einem
von den Medien beschriebenen geringeren gesellschaftlichen Stigma von Burnout im Vergleich
zu Depressionen assoziiert sein: „Psychische Erkrankungen sind nach wie vor ein Stigma:
Man gesteht sich ja heutzutage keine Depression mehr ein, sondern nennt es Burnout.“
(SZ 27.01.16, S. 2) Etwas bildlicher pointiert diesen Unterschied ein anderer Artikel:
„Bei ‚Depression‘ mag so mancher an einen Menschen denken, der im dreckigen Unterhemd
auf dem Sofa liegt; beim ‚Burnout‘ taucht vor dem inneren Auge eher ein smarter Workaholic
auf – in einer Leistungsgesellschaft eindeutig das attraktivere Bild. Wer ein Burnout
hat, hat zu heftig gebrannt; wer depressiv ist, ist zu schwach, um je gebrannt zu
haben.“ (SZ 20.08.16, S. 49) Oftmals als „Leiden der Tüchtigen“ (Welt 01.04.16, S. 142)
bezeichnet, wird Burnout im Gegensatz zu Depressionen mit Stärke und Erfolg verknüpft.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt in einem Artikel vom 30.01.16: „Ausgebrannt zu sein
ist gesellschaftlich anerkannt, zumal in einer Leistungsgesellschaft wie der deutschen.
Wer über Dauerstress klagt, signalisiert Einsatz, Hingabe, Unentbehrlichkeit und kann
sich einer gewissen Bewunderung seiner Mitmenschen sicher sein.“ Erfolg legitimiert
also die Entwicklung eines Burnouts. In einem Interview berichtet die Autorin Iny
Klocke: „Ich fühle mich langsam total ausgebrannt!“ Darauf die Bild-Zeitung: „Verständlich,
nach 31 Romanen in 13 Jahren!“ (Bild am Sonntag 23.10.16, S. 44). Ob das „ausgebrannt
sein“ hier im pathologischen Sinn oder als Metapher begriffen wird, lässt sich nicht
sicher ausmachen.
Metaphorisierung
Häufig wird der Begriff Burnout in den analysierten Tageszeitungen in einem metaphorischen
Kontext verwendet, der weder einen medizinischen noch wissenschaftlichen Bezug erkennen
lässt. In einem Großteil der Beiträge kommt der Begriff Burnout zur Sprache, wenn
etwas nicht mehr funktioniert bzw. in einer Krise steckt: „Wäre die Mode eine Person,
würde sie sich gerade einen Aufenthalt in der Burnout-Klinik buchen.“ (SZ Magazin
Stil leben 20.10.16, S. 10–12) Einige Zitate lassen noch eine Steigerung des „Nichtfunktionierens“
erkennen: Die westlichen Demokratien befänden sich in einem „Zustand des Burnout“
(Welt 09.06.16, S. 8) und es wird davor gewarnt, dass „die Menschheit […] die Erde
in einen lebensbedrohlichen Burnout [treibt]“ (Bild 27.10.16, S. 10). Hier wird der
Begriff eher im Sinne von ‚dem Scheitern nahe‘ oder ‚zugrunde gehen‘ verwendet. In
einem Beitrag der Welt am Sonntag vom 17.01.16 über einen Film, in dem „man alles
über den Burnout einer Liebe erfährt“, wird der Begriff sogar stellvertretend für
die Wörter ‚Scheitern‘, ‚Ende‘ bzw. ‚Aus‘ gebraucht. Die vergleichsweise häufige Verwendung
des Begriffs Burnout in einem metaphorischen Kontext durch die Printmedien lässt erahnen,
dass dieser entkoppelt von Medizin und Wissenschaft Einzug in die Alltagssprache gehalten
hat und damit an Nähe gewinnt.
Diskussion
Die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse von den 3 überregionalen Tageszeitungen
Bild, Süddeutsche Zeitung und Die Welt aus den Jahren 2016 und 2017 zeigen, dass Burnout nach wie vor ein präsentes Thema
in deutschen Printmedien ist – dafür sprechen die Anzahl und die thematische Vielfalt
der herausgefilterten Zitate zum Thema. Das vielgestaltige Bild von Burnout zeigt
sich jedoch nur in der Zusammenschau verschiedener Artikel aller 3 Zeitungen. Nimmt
man an, dass für die meisten Menschen die mehr oder weniger regelmäßige Rezeption
einer einzelnen Zeitung üblich ist, bekämen diese so eine eher einseitige Sicht auf
das Phänomen Burnout. Zudem fällt in 75 % der Artikel das Wort ‚Burnout‘ nur einmalig
und zumeist eher beiläufig. Nur wenige Zeitungsartikel beschäftigen sich explizit
mit dem Thema, nur 2 Artikel der Welt vom 01.04.16 und 04.12.16 weisen unter dem Suchbegriff
‚Burnout‘ 10 oder mehr Treffer auf. Zusammen mit den inhaltlichen Befunden der Analyse
weist dies darauf hin, dass sich in wenigen Artikeln eine differenzierte, wissenschaftlich
orientierte Darstellung des Themas findet. Dieser Befund korrespondiert auch mit den
Ergebnissen einer inhaltsanalytischen Untersuchung von Hoffmann-Richter [28] zu (Vor-)Urteilen gegenüber psychiatrischen Themen in den Printmedien. Darin wird
beschrieben, dass die häufige Nennung von psychiatrischen Begriffen wie Schizophrenie,
Psychopharmaka und Psychotherapie in den Zeitungen zunächst vermuten lässt, dass das
Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Doch eine tiefergehende Analyse
offenbart, dass diese Begriffe inhaltlich meist nicht ausgeführt werden und der ausführlichen
Darstellung von wissenschaftlichen Erkenntnissen – und damit der Wissensvermittlung
– kaum Platz eingeräumt wird.
Die identifizierten Überschneidungen und Differenzen zur Depression in der Berichterstattung
von Burnout lassen Parallelen zu den Aussagen der Allgemeinbevölkerung in den Arbeiten
von Bahlmann et al. [20]
[21]
[29] erkennen. Als die mit Abstand am häufigsten in den Tageszeitungen thematisierten
Ursachen für Burnout kristallisierten sich Arbeit und die fehlende Abgrenzung von Arbeit und
arbeitsfreier Zeit heraus, während biologische Ursachen oder Korrelate nicht beschrieben
werden. Ebenso sieht die Allgemeinbevölkerung eine Depression eher als vererbt an
und bringt Burnout eher mit beruflichen Belastungen in Verbindung. Auch Golla [30] zeigt in einer qualitativen Inhaltsanalyse der Darstellung von Depression in Printmedien,
dass hier die biologischen vor den psychosozialen Ursachen deutlich dominieren. Die
Ausführungen zu Symptomen von Burnout in den Tageszeitungen offenbaren in der Zusammenschau ein eher diffuses
Bild aus einer Reihe von psychosomatischen Symptomen und einem Teil der Leitsymptome
einer Depression. Ohne sich damit fundiert auseinanderzusetzen, bilden die Medien
damit dennoch im Kleinen den wissenschaftlichen Diskurs über das Sammelsurium an Symptomen
ab. Demnach existieren zahlreiche Burnout-Skalen, die insgesamt 130 unterschiedliche
Symptome unter dem aktuellen Burnout-Konzept vereinen [17]. Die mediale Darstellung therapeutischer Maßnahmen bei Burnout zielt in großen Teilen auf Mittel und Methoden aus dem alternativmedizinischen
Spektrum sowie Bewegung und Sport ab und ist vor allem vor dem Hintergrund der sich
ähnelnden Symptomausprägung von Burnout und Depressionen als kritisch anzusehen. Bahlmann
[20] und Golla [30] zeigen, dass Depressionen sowohl in der Bevölkerung als auch in den Medien ganz
selbstverständlich mit stärkeren Empfehlungen von psychiatrischer, psychotherapeutischer
und medikamentöser Hilfe assoziiert sind. Auch die Tatsache, dass lediglich an 2 Stellen
Therapieempfehlungen für von Burnout Betroffene ausgesprochen werden, zeigt, dass
Burnout eine andere Tragweite als Depressionen hinsichtlich der Krankheitsfolgen zu
implizieren scheint.
Dass in den Tageszeitungen Personen des öffentlichen Lebens von ihren Erfahrungen als Betroffene berichten und der Begriff häufig als Metapher Verwendung findet, verdeutlicht, was die Auswertung der Kategorien Ursachen, Symptome
und therapeutische Maßnahmen bereits andeuten: Während das Störungsbild der Depression
auch aufgrund der möglichen genetischen Bedingtheit viel abstrakter und unbeeinflussbar
wirkt und deshalb mit mehr Distanz betrachtet wird, wohnt dem Phänomen Burnout eine
höhere soziale Toleranz inne [30]. Durch die Offenbarungen prominenter Betroffener, den Bezug zur Arbeit und die bildliche
Qualität des mittlerweile in den (Sprach-)Alltag eingezogenen Begriffs ist jeder fähig
sich etwas darunter vorzustellen – es entsteht Nähe. Dies kann den gesellschaftlichen
Diskurs über das Thema Burnout erleichtern und wirkt sich so möglicherweise positiv
auf das Verständnis und die Akzeptanz gegenüber Betroffenen sowie deren Hilfesuchverhalten
aus.
Mit dem Wissen um das große Wirkpotenzial der Medien im Meinungsbildungsprozess stellt
sich die Frage, ob die nahbare Schilderung des Phänomens Burnout umgekehrt die Distanz
zum Phänomen Depression vergrößert. Trendstudien zu den Einstellungen der Öffentlichkeit
gegenüber Menschen mit psychischen Krankheiten zeigen, dass insbesondere Menschen
mit schweren psychischen Störungen heute stärker abgelehnt werden als vor 20–30 Jahren
[22]. Im ungünstigsten Fall könnte eine Entstigmatisierung von Befindlichkeitsstörungen
einer stärkeren Stigmatisierung schwerer psychischer Krankheiten Vorschub leisten
[31]
[32] – eine wichtige Forschungsfrage, die beispielsweise in experimentellen Studien untersucht
werden könnte.
Stärken und Limitationen
Trotz umfangreicher Berichterstattung und Forschung zu Burnout existiert aktuell keine
Studie zur Darstellung von Burnout in deutschen Printmedien. Die vorliegende Untersuchung
reagiert mit ersten Ergebnissen, die in Bezug zum Störungsbild Depression gesetzt
werden, auf diese Forschungslücke. Eine qualitativ orientierte Untersuchung hat sich
dafür als vorteilhaft erwiesen, da eine rein quantitative Analyse anhand bloßer Begriffshäufungen
zu Verzerrungen hätte führen können. Die qualitative Analyse zeichnet ein vielschichtigeres
Bild, das auch darüber Auskunft gibt, dass Begriffen und Erläuterungen häufig die
wissenschaftliche Fundierung fehlt und die sich abzeichnende Differenzierung zwischen
Burnout und Depression Stigmatisierungsprozesse forcieren könnte – 2 Aspekte, die
verdeutlichen, wie wichtig es ist, die Darstellung von psychischen Störungen in den
Printmedien kritisch zu verfolgen und zum Gegenstand der Forschung zu machen.
Die Ergebnisse sind aufgrund der Stichprobengröße nicht generalisierbar. Zudem wurde
die mediale Darstellung von Burnout lediglich für einen engen zeitlichen Bereich untersucht
und lässt keine Rückschlüsse über Veränderungen der Darstellungsweise im zeitlichen
Verlauf zu. Die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse ist aufgrund ihrer Regelgebundenheit
für andere zwar nachvollziehbar, dennoch bietet die Auswertung des Materials stellenweise
Interpretationsspielraum.
Konsequenzen für Klinik und Praxis
-
Gemeinsamkeiten zeigen sich in der Symptomatik von Burnout, die Bezüge zu den Leitsymptomen
einer Depression aufweist.
-
Differenzen werden in Ursachen und therapeutischen Maßnahmen sichtbar. Das Phänomen
Burnout wirkt durch Offenbarungen prominenter Betroffener, den Arbeitsbezug und die
bildliche Qualität des Begriffs nahbarer als eine Depression.
-
Zukünftige Forschung könnte klären, inwiefern eine Entstigmatisierung von Befindlichkeitsstörungen
eine stärkere Stigmatisierung von schwereren psychischen Krankheiten möglicherweise
fördert.