CC BY-NC-ND 4.0 · Laryngorhinootologie 2020; 99(06): 400-406
DOI: 10.1055/a-1144-3544
Originalarbeit

Die Sensitivität und Spezifität des Mini-Audio-Tests (MAT) für unterschiedliche Hörverlustschwellen

The sensitivity and specificity of the Mini-Audio-Test (MAT) for different levels of hearing loss
Jan Löhler
1   HNO-Praxis, Bad Bramstedt, Germany
,
Martin Lehmann
2   Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Klinikum Bielefeld, Germany
,
Veronika Segler
3   HNO-Klinik, Unfallkrankenhaus Berlin, HNO-Klinik, Berlin, Germany
,
Stefan Volkenstein
4   Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Ruhr-Universität Bochum, HNO-Klinik, St.-Elisabeth-Hospital, Bochum, Germany
,
Rolf-Dieter Battmer
3   HNO-Klinik, Unfallkrankenhaus Berlin, HNO-Klinik, Berlin, Germany
,
Arneborg Ernst
3   HNO-Klinik, Unfallkrankenhaus Berlin, HNO-Klinik, Berlin, Germany
,
Frederike Gräbner
5   HNO-Klinik, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Klinik für HNO-Heilkunde, Lübeck, Germany
,
Peter Schlattmann
6   Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Dokumentation, Universitätskrankenhaus Jena, Germany
,
Rainer Schönweiler
7   Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Phoniatrie, Lübeck, Germany
,
Barbara Wollenberg
8   Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck, Germany
,
Stefan Dazert
9   HNO, Ruhr-Universität Bochum, Germany
› Author Affiliations
 

ZusaMmenfassung

Hintergrund Eine nichtbehandelte Schwerhörigkeit hat einen erheblichen Einfluss auf die Morbidität. Zur Früherkennung wurde der Mini-Audio-Test (MAT) entwickelt. Im Rahmen einer Nachuntersuchung soll untersucht werden, welche Werte sich für die Sensitivität, Spezifität und prädiktiven Werte für einen minimal zu detektierenden Hörverlust von 25, 30, 35 und 40 dB sowohl in mindestens 1 der 4 Oktavfrequenzen zwischen 0,5 und 4 kHz als auch in den über diesen Frequenzen gemittelten Hörverlust ergeben.

Methode Nachuntersucht wurden Daten, die 2016 und 2017 erhoben wurden. Bestimmt wurden die Sensitivität, Spezifität und die negativ und positiv prädiktiven Werte mittels einer logistischen Regression.

Ergebnisse Die Sensitivität des MAT stieg in beiden Altersgruppen mit zunehmendem zu detektierendem Hörverlust an, die Spezifität sank analog. Die positiv prädiktiven Werte waren für die Älteren höher als für die Jüngeren und sanken mit steigendem, minimal zu detektierendem Hörverlust. Dabei lagen die Werte für die gemittelten Frequenzen deutlich unter denen, die den Hörverlust nur in 1 Frequenz berücksichtigen. Die negativ prädiktiven Werte verhielten sich genau entgegengesetzt.

Schlussfolgerung Die Werte sind für Ältere ab dem 60. Lebensjahr deutlich schlechter als für Jüngere ab dem 50. Lebensjahr. Dies lässt es umso wichtiger erscheinen, dass bereits ein erstes Hörscreening ab dem 50. Lebensjahr durchgeführt wird, um einen individuellen Hörverlust realistisch einschätzen zu können. Nur durch eine rechtzeitige Hörrehabilitation können negative Folgen einer unbehandelten Schwerhörigkeit positiv beeinflusst werden.


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Abstract

Background An untreated hearing impairment could have a severe influence on the morbidity. The Mini-Audio-Test (MAT) has been developed for early detecting of a relevant hearing loss. This follow-up investigation should determine the sensitivity, specificity, and the predictive values for a minimum-level of detected hearing loss of 25, 30, 35, and 40 dB, both, in one octave-frequency between 0.5 and 4 kHz and the average of hearing loss for these four frequencies.

Methods This survey uses data which were collected in 2016 and 2017. 943 patients parted into two groups (aged 50 to 59 years and aged 60 years and more), were investigated using the MAT. Statistical analysis on the sensitivity, specificity, and predictive values in respect were done as proportions together with the 95 %-confidence interval by a logistic regression.

Results The sensitivity of the MAT was increasing in both groups of age by increasing the minimum of to be detected hearing loss. The specificity was decreasing as well, but less. The positive predictive values were higher for the older age-group and are decreasing by increasing of the minimum of to be detected hearing loss. In general, the values using the averaged hearing loss are noticeably lower than for the single frequency detecting. The values for the negative predictive values were contrary.

Conclusion The results for persons aged 60 years and more are worse than for the younger. Therefore, a first screening on hearing loss starting at the age of 50 years seems to be recommended urgently. Only by this, a sufficient rehabilitation of the hearing loss could be done in time so that the negative consequences of an untreated hearing impairment could be influenced positively.


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Einleitung

Nach der Global-Burden-Disease-Studie der WHO zählen Hörstörungen in den Industrieländern zu den 6 häufigsten, die Lebensqualität beeinträchtigenden Erkrankungen [1]. Weltweit wird für eine behandlungsbedürftige Schwerhörigkeit eine Prävalenz von 5,3 % der Weltbevölkerung bzw. 1 Drittel aller Erwachsenen angegeben [2], für Deutschland finden sich Angaben von 16,2 % bis 27 % der erwachsenen Bevölkerung [3], wobei das zugrunde liegende Ausmaß des Hörverlusts der Schwerhörigkeit in den Studien unterschiedlich definiert wurde.

Eine nichtbehandelte Schwerhörigkeit in der zweiten Lebenshälfte steigert die Morbidität älterer Menschen erheblich [4], wie beispielsweise das Risiko, einen kognitiven Leistungsverlust zu erleiden [5]. Ebenso korreliert eine unbehandelte Schwerhörigkeit mit der Gefahr, eine Sturzkrankheit zu erleiden. Eine Hörminderung, gemittelt über die 4 Oktavfrequenzen zwischen 0,5 und 4 kHz (PTA-4), von > 40 dB verdreifacht die Sturzgefahr [6] [7]. Bei Schwerhörigen erhöht sich das Risiko, an einer Depression zu erkranken [8], bei Männern um bis zu 43 % [9]. Bereits ein geringgradiger Hörverlust verdoppelt bei älteren Menschen das Risiko, eine Demenz zu entwickeln, eine hochgradige Hörstörung verfünffacht dieses Risiko [10]. Eine nicht ausgeglichene Schwerhörigkeit erhöht das Risiko einer Demenz um 21 % [7] [9], der Verlauf einer bestehenden Demenz ist bei nichtversorgten Schwerhörenden beschleunigt [11] [12]. Darüber hinaus erhöht eine unversorgte Hörminderung das Risiko, im Alter auf Hilfe bei der Bewältigung des Alltags angewiesen zu sein, um 28 % [9]. In der Regel wird eine Presbyakusis durch die Anpassung geeigneter Hörgeräte ausgeglichen [13]. Weitere Behandlungsmöglichkeiten sind implantierbare Hörsysteme wie aktive Mittelohrimplantate, Knochenleitungs- oder Cochlea-Implantate [14]. Es konnte gezeigt werden, dass sich kognitive Leistungsverluste bei älteren Menschen bereits 6 Monate nach einer CI-Versorgung signifikant verbesserten [15].

Um die frühzeitige Behandlung schwerhörender Patienten zu verbessern, ist eine breite Untersuchung der Bevölkerung hinsichtlich einer bisher nicht erkannten Schwerhörigkeit erforderlich. Dieses könnte – bei entsprechender Praktikabilität und Akzeptanz – mit einer möglichst einfachen und preiswerten Screening-Methode flächendeckend realisiert werden. Hierzu wurde aus einem primären Fragenpool zu 12 verschiedenen Hörsituationen der Mini-Audio-Test entwickelt [16] [17], der sich zur Früherkennung einer relevanten Schwerhörigkeit ab dem 50. Lebensjahr eignet. Es handelt sich um einen Fragebogentest, der aus 6 Fragen zum subjektiven Hörvermögen besteht, bei dem die Probanden für jede Frage angeben, ob sie in der jeweiligen Hörsituation in ihrem Hörvermögen beeinträchtigt sind ([Abb. 1]). Dieser Test erfordert kein fachärztliches Wissen, benutzt Alltagssprache und vermeidet Investitionen in aufwendige audiologische Messtechniken.

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Abb. 1 Der Mini-Audio-Test (MAT).

In einer Primärstudie wurden die jetzt verwendeten 6 Fragen zum subjektiven Hörvermögen aus einem ursprünglichen Pool von 12 ausgewählt, die am besten geeignet waren, einen Hörverlust von mindestens 25 dB in mindestens 1 der 4 Oktavfrequenzen zwischen 0,5 und 4 kHz zu ermitteln [16]. Dieser Hörverlust wurde damals im Hinblick auf die Hilfsmittel-Richtlinie gewählt, nach der u. a. ein Anspruch auf Hörgeräte bei genau diesem Hörverlust besteht [13]. In der Primärstudie wurden auch die klinische Verwendbarkeit des MAT getestet und die Sensitivität, Spezifität und prädiktiven Werte ermittelt [16]. In einer zweiten Studie zum MAT wurden die in der Primärstudie gefundenen Werte für die Sensitivität und Spezifität sowie den positiven und negativen prädiktiven Wert überprüft [17]. Der Name Mini-Audio-Test wurde in Anlehnung an lat. „audio“ – „ich höre“ gewählt.

Es ergab sich die Frage, wie sich eine Veränderung der Schwelle des minimalen Hörverlusts im MAT (z. B. mehr als 30 dB in mindestens 1 Testfrequenz oder die Verwendung von gemittelten Hörverlustkurven über mehrere Testfrequenzen) auf die genannten Werte auswirkt. In dieser Sekundäranalyse unserer im Rahmen der Zweituntersuchung erhobenen Daten [17] soll untersucht werden, welche Werte sich für die genannten Parameter für einen minimalen Hörverlust von 25, 30, 35 und 40 dB sowohl in mindestens 1 der 4 Oktavfrequenzen zwischen 0,5 und 4 kHz als auch in dem über diesen Frequenzen gemittelten Hörverlust ergeben, um zu klären, ob eine Modifikation der Detektionsschwelle des MAT tatsächlich auch zu einer Veränderung der Sensitivität und Spezifität führt. Bei der Publikation der zweiten Untersuchung wurde ein zu detektierender Hörverlust von mehr als 25 dB anstatt von mindestens 25 dB in mindestens 1 der 4 genannten Frequenzen angegeben [17]. Ob und in welchem Ausmaß dieser Fehler die Berechnungen der Spezifität und Sensitivität beeinflusst hat, soll in dieser Arbeit ebenfalls dargestellt und korrigiert werden.


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Methoden

Im Rahmen dieser Studie wurde auf die Daten zurückgegriffen, die zwischen Juni 2016 und August 2017 an 2 HNO-Kliniken (Unfallkrankenhaus Berlin und HNO-Klinik der Ruhr-Universität Bochum am St.-Elisabeth-Hospital) an 956 Patienten verschiedener Fachabteilungen ab dem 50. Lebensjahr erhoben wurden [17]. Die Probanden, die keine Ohrenerkrankungen aufweisen durften, wurden ohrmikroskopisch untersucht und der Hörverlust tonaudiometrisch für die Frequenzen 0,5, 1,0, 2,0 und 4,0 kHz seitengetrennt erfasst. Zuvor wurden die Probanden mit den 6 Fragen des MAT befragt ([Abb. 1]). Die Audiometristinnen waren gegenüber dem MAT-Ergebnis der Probanden verblindet. Zur Beantwortung des MAT sollten die Probanden auf einer 3-stufigen Skala angeben, inwiefern sie sich bei den in den Fragen beschriebenen Alltagssituationen in ihrem subjektiven Hörvermögen beeinträchtigt fühlen. Dabei standen 3 Antwortmöglichkeiten zur Auswahl, die nachfolgend Punktwerten zugeordnet wurden („stimmt“ – 2, „stimmt teilweise“ – 1 oder „stimmt nicht“ – 0). Diese Punkte wurden anschließend addiert. Die Antworten des MAT wurden papiergebunden erfasst und pseudonymisiert mit den zugehörigen Tonaudiogrammen gesammelt und mit den Angaben zu Alter und Geschlecht in eine Excel-Tabelle eingegeben. Weitere Details zur Datenerhebung und den Probanden finden sich in der Publikation zur Voruntersuchung [17].

Im Rahmen der statistischen Analyse wurden die Sensitivität, Spezifität und die negativ und positiv prädiktiven Werte als Proportionen zusammen mit einem exakten 95 %-Konfidenzintervall (KI) bestimmt. Zur Bestimmung dieser Größen wurde der MAT mit den oben genannten Schwellenwerten von 2 Punkten (unter 60 Jahre) bzw. 3 Punkten (60 Jahre und älter) kategorisiert. Die diskriminatorische Güte des Tests wurde mittels einer logistischen Regression bestimmt. Die Adjustierung erfolgte über ein Regressionsmodell mit dem dichotomisierten audiometrischen Testergebnis für den Hörverlust als abhängige Variable und Alter, Geschlecht und Klinik als unabhängige Variablen. Als zugehörige Maßzahl wurde die Fläche unter der Kurve (Area under Curve (AUC) der Receiver Operator Characteristic (ROC)-Kurve) genutzt. Bei der ROC-Analyse wurden die Schwellenwerte des MAT-Scores variiert. Für die Analyse lag ein positives Ethikvotum vor.


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Ergebnisse

Die aus insgesamt 943 Probanden bestehenden beiden Kohorten der Altersklassen 50. bis 59. Lebensjahr (AG 1; n = 421) sowie 60. bis 75. Lebensjahr (AG 2; n = 522) wurden bereits in der Vorpublikation ausführlich beschrieben [17]. In dieser Studie geht es darum, die Veränderungen der Sensitivität, Spezifität und prädiktiven Werte in Abhängigkeit eines veränderten Schwellenwertes hinsichtlich des detektierten Hörverlusts darzustellen, der zum einen als mindester Hörverlust in mindestens 1 der 4 Oktavfrequenzen zwischen 0,5 und 4 kHz, zum anderen als Mittelwert dieser Frequenzen (PTA-4) festgelegt wurde.

Detektionsschwelle Hörverlust in mindestens 1 Frequenz

Die zugehörigen Werte für Sensitivität, Spezifität und die prädiktiven Werte für die beiden Altersklassen in Abhängigkeit eines zu detektierenden minimalen Hörverlusts in mindestens 1 der 4 Oktavfrequenzen zwischen 0,5 und 4 kHz zeigen [Tab. 1] und [Abb. 2]. Die Sensitivität des MAT steigt in beiden Altersgruppen mit zunehmendem minimalem Hörverlust um etwa 10 Prozentpunkte an, ist aber für die jüngere Altersgruppe deutlich höher als für die ältere. Die Spezifität sinkt analog zum Anstieg der Sensitivität, allerdings nur geringfügig. Die positiv prädiktiven Werte sind in beiden Gruppen für die ältere Altersgruppe höher als für die jüngere und sinken mit steigendem, minimal zu detektierendem Hörverlust. Dabei liegen die Werte für die gemittelten Frequenzen deutlich unter denen, die den Hörverlust nur in 1 Frequenz berücksichtigen. Die negativ prädiktiven Werte verhalten sich genau entgegengesetzt ([Tab. 1]).

Tab. 1

Sensitivität, Spezifität, positiver (PPW) und negativer (NPW) prädiktiver Wert in Abhängigkeit vom zu detektierenden, mindesten Hörverlust in mindestens 1 Frequenz sowie untere und obere Grenzen der zugehörigen 95 %-Konfidenzintervalle (95 %-KI).

Alter in Jahren

Hörverlust

Sensitivität

95 %-KI

Spezifität

95 %-KI

PPW

NPW

< 60

≥ 25 dB

0,619

0,560

0,678

0,659

0,586

0,731

0,740

0,524

> 25 dB[*]

0,658

0,592

0,725

0,618

0,554

0,681

0,600

0,491

≥ 30 dB

0,658

0,592

0,725

0,618

0,554

0,681

0,600

0,675

≥ 35 dB

0,715

0,643

0,787

0,604

0,545

0,662

0,502

0,791

≥ 40 dB

0,718

0,636

0,799

0,569

0,513

0,625

0,391

0,840

≥ 60

≥ 25 dB

0,445

0,399

0,491

0,750

0,684

0,816

0,935

0,192

> 25dB[*]

0,470

0,422

0,519

0,801

0,729

0,873

0,893

0,301

≥ 30 dB

0,470

0,422

0,519

0,724

0,666

0,783

0,893

0,302

≥ 35 dB

0,493

0,440

0,546

0,715

0,661

0,769

0,790

0,435

≥ 40 dB

0,520

0,463

0,577

0,694

0,642

0,746

0,729

0,532

* die Angaben zu diesen Zeilen stammen aus der Vorstudie [17].


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Abb. 2 Die Sensitivität und Spezifität des MAT für die Altersgruppe 1 (AG 1, 50. bis 59. Lebensjahr) und Altersgruppe 2 (ab dem 60. Lebensjahr) in Abhängigkeit des minimal zu detektierenden Hörverlusts in mindestens einer der 4 Oktavfrequenzen zwischen 0,5 und 4 kHz. Der dunklere Farbton repräsentiert dabei die ältere Altersgruppe.

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Detektionsschwelle Hörverlust in 4 gemittelten Frequenzen

Die Ergebnisse für die untersuchten Parameter in Abhängigkeit eines zu detektierenden minimalen Hörverlusts gemittelt (PTA-4) finden sich in [Tab. 2] und [Abb. 3]. Auch hier steigt die Sensitivität in beiden Altersgruppen mit zunehmendem minimalem Hörverlust an, besonders stark in der älteren Gruppe. Für beide Gruppen werden durchweg bessere Werte als bei der Detektion eines Hörverlusts in nur 1 Frequenz ([Tab. 1] und [Abb. 2]) erzielt, besonders auffällig ist der Unterschied bei einem minimal zu detektierenden Hörverlust in der älteren Gruppe von 35 und 40 dB. Der positive prädiktive Wert liegt nur bei der älteren Gruppe und bei einem minimalen durchschnittlichen Hörverlust von 25 dB oberhalb von 0,5, der negative prädiktive Wert ist bis auf die genannte Gruppe sehr hoch.

Tab. 2

Sensitivität, Spezifität, positiver (PPW) und negativer (NPW) prädiktiver Wert in Abhängigkeit vom zu detektierenden, mindesten Hörverlust in 4 gemittelten Oktavfrequenzen (0,5 bis 4 kHz, PTA-4) sowie untere und obere Grenzen der zugehörigen 95 %-Konfidenzintervalle (95 %-KI).

Alter in Jahren

Hörverlust

Sensitivität

95 %-KI

Spezifität

95 %-KI

PPW

NPW

< 60

≥ 25 dB

0,803

0,713

0,892

0,554

0,501

0,606

0,284

0,927

≥ 30 dB

0,844

0,718

0,970

0,517

0,467

0,566

0,126

0,976

≥ 35 dB

0,882

0,729

1,000

0,505

0,456

0,554

0,070

0,990

≥ 40 dB

0,857

0,598

1,000

0,463

0,419

0,508

0,028

0,995

≥ 60

≥ 25 dB

0,567

0,503

0,631

0,715

0,663

0,767

0,612

0,675

≥ 30 dB

0,680

0,605

0,756

0,696

0,649

0,743

0,467

0,847

≥ 35 dB

0,720

0,629

0,812

0,657

0,612

0,702

0,313

0,916

≥ 40 dB

0,844

0,739

0,950

0,631

0,588

0,674

0,178

0,977

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Abb. 3 Die Sensitivität und Spezifität des MAT für die Altersgruppe 1 (AG 1, 50. bis 59. Lebensjahr) und Altersgruppe 2 (ab dem 60. Lebensjahr) in Abhängigkeit eines minimal zu detektierenden Hörverlusts, gemittelt über die 4 Oktavfrequenzen zwischen 0,5 und 4 kHz (PTA-4). Der dunklere Farbton repräsentiert dabei die ältere Altersgruppe.

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Diskussion

In dieser Studie wurde untersucht, welche Auswirkungen variable Detektionsschwellen für einen Hörverlust auf die Sensitivität und die Spezifität sowie die positiven und negativen prädiktiven Werte des MAT haben. Der genannte Parameter in der Berechnung der Vorstudie [17], in der ein Hörverlust von mehr als 25 dB anstatt mindestens 25 dB in mindestens 1 der 4 Oktavfrequenzen zwischen 0,5 und 4 kHz untersucht wurde, führte nur zu einer leichten Veränderung der zugehörigen Werte für die Sensitivität und Spezifität in beiden Altersgruppen ([Tab. 1]).

Die Werte des MAT zur Sensitivität und Spezifität sowie die positiven und negativen prädiktiven Werte für einen Hörverlust von mindestens 25 dB (diese Studie) und mehr als 25 dB [17] in mindestens 1 der 4 Oktavfrequenzen zwischen 0,5 und 4 kHz unterscheiden sich nicht wesentlich ([Tab. 1]). Die Diskussionsergebnisse der Vorstudie sind somit weiterhin gültig.

Sensitivität und Spezifität

Die Zunahme der Sensitivität des MAT in beiden Berechnungsmethoden (minimaler Hörverlust in mindestens 1 Frequenz bzw. in der gemittelten PTA-4) war zu erwarten. Die Fragen des MAT zielen auf Alltagssituationen ab; insofern ist es evident, dass umso größere Schwierigkeiten zu verstehen auftreten, je größer der tatsächliche Hörverlust der Probanden ist. Wie schon in den beiden Voruntersuchungen [16] [17], sind die Werte für die Personengruppe ab dem 60. Lebensjahr deutlich schlechter als für die Altersklasse 50 bis 59 Lebensjahre. Dieser Abstand verschwindet erst dann, wenn man den minimal zu detektierenden Hörverlust auf durchschnittlich mindestens 40 dB (PTA-4) anhebt, was nach WHO-Kriterien einem mittelgradigen Hörverlust entspricht [18], der zu erheblichen Problemen im Alltag führt. Dies ist ein Hinweis darauf, wie stark Verdrängungs- und Kompensationsmechanismen hinsichtlich eines jahrelang bestehenden Hörverlusts ab dem 7. Lebensjahrzehnt die Eigenwahrnehmung Schwerhörender beeinflussen [19]. Dies lässt es umso wichtiger erscheinen, dass bereits ein erstes Hörscreening ab dem 50. Lebensjahr durchgeführt wird, um einen individuellen Hörverlust realistisch einschätzen zu können. Denn nur durch eine rechtzeitige Hörrehabilitation, in der Regel also durch die Anpassung geeigneter Hörgeräte, können vermutlich die eingangs skizzierten, negativen Folgen einer unbehandelten Schwerhörigkeit (Demenz, Depression, Sturzrisiko, kognitiver Leistungsverlust, Hilfsbedürftigkeit) positiv beeinflusst werden [4].

Die Spezifität des MAT, also seine Fähigkeit, Gesunde nach Definition des Tests richtig als gesund zu detektieren, nimmt dagegen mit ansteigenden, zu detektierenden Hörverlustschwellen ab. Anders als bei der Sensitivität sind die Werte für die Spezifität für die ältere Altersgruppe ab dem 60. Lebensjahr in beiden Berechnungsmethoden besser als für die jüngere. Der Unterschied könnte ebenfalls mit den vorgenannten, in der älteren Altersgruppe vermehrt vorkommenden Verdrängungs- und Kompensationsmechanismen erklärt werden; so gesehen würde die für diese Gruppe höhere Spezifität kein positives Resultat bedeuten.


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Positive prädiktive Werte

Diese hängen naturgemäß von der Sensitivität, Spezifität und der Prävalenz des Merkmals in der untersuchten Gruppe ab. Höhergradig Schwerhörende waren in der von uns untersuchten Kohorte in beiden Altersklassen deutlich seltener als geringgradig schwerhörende Personen. Hierdurch lässt sich der mit ansteigend zu detektierender Hörschwelle abfallende positive prädiktive Wert erklären, der sich aus dem Verhältnis der richtig positiv getesteten Personen zur Anzahl aller positiv getesteten Personen errechnet. Da die primären Daten keine repräsentative Stichprobe der Altersgruppe darstellen, ist es schwierig, die bei uns gefundenen Häufigkeiten der verschiedenen Hörverluste vor dem Hintergrund der bekannten Prävalenzraten [3] oder der altersabhängigen Normhörkurve [20] zu diskutieren.

Bei den jüngeren Patienten kann der MAT zum Ausschluss einer Schwerhörigkeit genutzt werden; ein negatives Testergebnis schließt eine Hypakusis mit hoher Wahrscheinlichkeit aus.


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Vergleich des MAT mit anderen Inventaren

Beim ebenfalls auf Schwerhörigkeit testenden HHIE-S (Hearing Handicap Inventory for the Elderly – Screening Version, [21] [22]), einem 10 Fragen umfassenden und somit umfangreicheren Inventar als dem MAT, finden sich in der Literatur hinsichtlich der Detektion eines durchschnittlichen Hörverlusts von mindestens 25 dB in den 3 Frequenzen 0,5, 1,0 und 2,0 kHz (und weiteren Durchschnittsaudiogrammen) andere Werte, wobei in diesen Untersuchungen der korrelierte Mindesthörverlust deutlich höher war als beim MAT. Zudem wurden in der zugehörigen Studie nur Probanden ab dem 60. Lebensjahr untersucht. Die Sensitivität des HHIE-S lag unter diesen Bedingungen bei 83,3 %, die Spezifität bei 63,4 %, der positive prädiktive Wert bei 62,5 % und der negative prädiktive Wert bei 83,9 % [23]. Am ehesten lassen sich diese Werte mit einem zu detektierenden Hörverlust von mindestens 25 dB PTA-4 des MAT der zweiten Altersgruppe ab dem 60. Lebensjahr vergleichen. Interessanterweise ist die Spezifität des MAT trotz seiner schlechteren Sensitivität deutlich besser als die des HHIE-S, der positive prädiktive Wert ist nahezu identisch. Der 4 Fragen zusätzlich umfassende HHIE-S führt also nicht zu einer tatsächlichen Verbesserung hinsichtlich seiner Verwendbarkeit. Der HHIE-S ist für die deutsche Sprache nicht validiert.

Das zweite in Deutschland gebräuchliche Inventar zur Untersuchung subjektiver Schwerhörigkeit, dessen Sensitivität und Spezifität bekannt ist, ist der 24 Fragen umfassende APHAB (Abbreviated Profile of Hearing Aid Benefit) [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19] [20] [21] [22] [23] [24] [25] [26] [27]. Die genannten Werte für diesen Fragebogen liegen etwa im Bereich des HHIE-S und dienen ebenfalls zur Detektion eines Hörverlusts in mindestens 1 Oktavfrequenz von mindestens 25 dB [28]. Somit wäre der APHAB insgesamt ein empfindlicheres Instrument als der HHIE-S bzw. MAT zum Nachweis einer relevanten Schwerhörigkeit, wegen seines Umfangs und der Differenziertheit der Einzelfragen ist er jedoch als Screening-Methode für Nicht-HNO-Ärzte ungeeignet. Außerdem lag das zugrunde liegende Durchschnittsalter in der APHAB-Kohorte mit 58 Jahren deutlich höher, Altersklassen wurden in der genannten Studie nicht gebildet [28]. Angesichts der relativ geringen Sensitivität des MAT für die Altersgruppe ab dem 60. Lebensjahr wäre jedoch zu erwägen, in dieser Kohorte den APHAB durch HNO-Ärzte einzusetzen.


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Einsatz des MAT in der haus- und fachärztlichen Praxis

Angesichts der hohen Prävalenz von Schwerhörigkeit in der Bevölkerung [3] könnte sich der MAT mit den gefundenen Werten für die Sensitivität und Spezifität als Screening-Instrument zur Detektion einer abklärungsbedürftigen Schwerhörigkeit im ambulanten Bereich eignen, aber auch im stationären Sektor wäre sein Einsatz denkbar. Idealerweise sollte dies in der sechsten Lebensdekade, zwischen dem 50. und 59. Lebensjahr, erfolgen, anschließend steigt das Risiko falsch negativer Testergebnisse erheblich an, vermutlich durch zentrale Gewöhnungs-, Kompensations- und Verdrängungsprozesse; bekannt ist außerdem, dass eine Veränderung der Selbstwahrnehmung einen Einfluss auf körperliche Funktionen hat [19]. Durch ein frühzeitiges Screening auf Schwerhörigkeit könnte auch das Bewusstsein in der Bevölkerung geschärft werden, dass eine nichtbehandelte, mit einer Schwerhörigkeit einhergehende Innenohrerkrankung keineswegs eine banale Begleiterscheinung im höheren Lebensalter darstellt, sondern mit erheblichen Risiken (kognitiver Leistungsverlust, Sturz, Depression, Demenz, Verlust an Selbständigkeit) verbunden ist, die zumindest zum Teil durch eine Hörgeräteversorgung oder operative Therapie aufgehalten werden könnten.

Hinsichtlich der hohen Rate schwerhörender Erwachsener ab dem 50. Lebensjahr [3] könnte ein strukturiertes Vorgehen unter Einbeziehung des MAT zur Erfassung und dauerhaften Begleitung chronisch schwerhörender Patienten entwickelt werden. Dieses sollte zum einen die Zusammenarbeit zwischen der hausärztlichen bzw. fachärztlichen Ebene auf der einen und der HNO-ärztlichen Ebene auf der anderen Seite regeln. Nur so lassen sich die angesichts der Unterversorgung schwerhörender Patienten und aufgrund des demografischen Wandels zu erwartenden Fallzahlen sinnvoll und auch für die Kostenträger finanzierbar lenken und einer zielgerichteten Behandlung zuführen. Um dies weiter abzuklären, sollte ein Feldversuch zum Screening auf Schwerhörigkeit durch den MAT mittels einer repräsentativen Stichprobe durchgeführt werden. Ziel dieses Versuchs sollte sein, die Akzeptanz des Screenings zu ermitteln, auffällige Probanden hiernach tonaudiometrisch zu untersuchen und die hierdurch entdeckten und therapierten Schwerhörenden systematisch zu erfassen. In einer weiteren Studie könnte der MAT auch im hausärztlichen Bereich mit derselben Fragestellung eingesetzt werden. Der MAT ist mit dieser Studie das am umfangreichsten untersuchte Screening-Tool auf eine Schwerhörigkeit in deutscher Sprache, unabhängig von dessen Genese hinsichtlich der Detektion von Hörverlusten unterschiedlichen Ausmaßes und verschiedener Altersklassen.

Kernaussagen
  • Eine unbehandelte Schwerhörigkeit erhöht das Risiko für einen kognitiven Leistungsverlust, für Stürze, für Depressionen und Hilfsbedürftigkeit und kann den Verlauf einer Demenz beschleunigen.

  • Der MAT ist ein schnell durchzuführender Screening-Test auf Schwerhörigkeit, der einfach und ohne großen Personalaufwand in jeder Klinik und Praxis durchgeführt werden kann.

  • Für den MAT wurden die Sensitivität und Spezifität sowie die positiven und negativen prädiktiven Werte für verschiedene, zu detektierende Hörverlustschwellen zwischen 25 und 40 dB sowie für zwei Altersgruppen (50. bis 59. und ab dem 60. Lebensjahr) ermittelt. Die Spezifität des MAT ist deutlich besser als die des HHIE-S, der positive prädiktive Wert ist nahezu identisch, die Sensitivität schlechter. Er eignet sich insbesondere zur Anwendung bei Personen in der 6. Lebensdekade.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Priv.-Doz. Dr. Jan Löhler
HNO-Praxis
Maienbeeck 1
24576 Bad Bramstedt
Germany   
Phone: ++ 49/41 92/8 19 27 54   
Fax: ++ 49/41 92/8 19 27 56   

Publication History

Received: 29 October 2019

Accepted: 23 March 2020

Article published online:
06 April 2020

© .

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York


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Abb. 1 Der Mini-Audio-Test (MAT).
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Abb. 2 Die Sensitivität und Spezifität des MAT für die Altersgruppe 1 (AG 1, 50. bis 59. Lebensjahr) und Altersgruppe 2 (ab dem 60. Lebensjahr) in Abhängigkeit des minimal zu detektierenden Hörverlusts in mindestens einer der 4 Oktavfrequenzen zwischen 0,5 und 4 kHz. Der dunklere Farbton repräsentiert dabei die ältere Altersgruppe.
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Abb. 3 Die Sensitivität und Spezifität des MAT für die Altersgruppe 1 (AG 1, 50. bis 59. Lebensjahr) und Altersgruppe 2 (ab dem 60. Lebensjahr) in Abhängigkeit eines minimal zu detektierenden Hörverlusts, gemittelt über die 4 Oktavfrequenzen zwischen 0,5 und 4 kHz (PTA-4). Der dunklere Farbton repräsentiert dabei die ältere Altersgruppe.