Systematik
Fallbeispiel
Unfallhergang
Der Vater berichtet, er habe im Wohnzimmer für sein B2-Zertifikat lernen wollen. Die
Prüfung war für den nächsten Tag vorgesehen. Seine Tochter Jolene sei auf einen Holzstuhl
gestiegen und dann seitlich auf den Fliesenboden gefallen. Das Kind habe geschrien,
er habe es aufgenommen und seine Frau verständigt, die sich zu diesem Zeitpunkt im
Badezimmer aufhielt. Den Unfall ist zwischen 19.00 – 20:30 Uhr passiert (genaue Uhrzeit
nicht erinnerlich). Auf dem Arm habe er das Kind so wahrgenommen, als ob es schlafen
wolle. Es sei schlaff gewesen und habe die Augen zugemacht. Er habe das Kind an seine
Frau übergeben und den Notarzt gerufen (ca. 2 Minuten nach Sturz), der RTW war nach
ca. 10 Minuten vor Ort und der Notarzt wurde nachgefordert. Das Kind habe am Kopf
nicht geblutet, wohl aber etwas aus dem Mund. In der Familie gebe es keine Blutgerinnungsstörungsstörungen.
Ein Schädel-Hirn-Trauma ist Folge einer Gewalteinwirkung, die zu einer Funktionsstörung und/oder Verletzung
des Gehirns geführt hat.
Eine Verletzung des Kopfes ohne Hirnfunktionsstörung oder Verletzung des Gehirns bezeichnet
man als Schädelprellung. Man unterscheidet zwei Schädigungstypen:
-
Kontakttraumen durch den Impakt (Fraktur, epidurale Blutung, Kontusionsblutung),
-
Schertraumen durch Beschleunigung des Gehirns (subdurales Hämatom, diffuse neuroaxonale
Schädigungen).
Epidurale Blutungen verschlechtern sich oft sehr rasch. Meist reißt ein Ast der A. meningea
media über der Konvexität ab. Epidurale Blutungen treten häufiger jenseits des Kleinkindesalters
auf.
Kontusionsblutungen treten bei kleinen Kindern unter einer Schädelfraktur auf, bei
Säuglingen sogar ohne Fraktur (Elastizität des Schädels), bei größeren Kinder durch
Kontakt des Gehirns beim Impakt an der Kalotte („Coup“, „Contrecoup“).
Subdurale Blutungen sind am häufigsten und entstehen durch Scherkräfte mit Überdehnung
und Abriss von Brückenvenen. Ein relevanter Impakt ist nicht erforderlich, lediglich
entsprechende Beschleunigungskräfte sind ausreichend.
Diffuse axonale Schäden (DAI) werden ebenfalls durch Beschleunigung verursacht und
entstehen aufgrund unterschiedlicher viskoelastischer Eigenschaften des Gehirns („Pudding“)
vor allem an den Grenzflächen des Marklagers. DAI haben einen wesentlichen Anteil
an den Spätschäden eines SHT. Sie sind nur in der kraniellen Magnetresonanztomografie
(MRT) voll erfassbar und beeinträchtigen die kortikale Konnektivität. Nach initialer
Erholung verlangsamt sich nach einem DAI die Entwicklungsgeschwindigkeit psychomotorischer
Fähigkeiten („Knick“).
Kontusionen im Frontalhirn machen sich bei jungen Kindern oft nicht bemerkbar, da
die Funktionen des Frontalhirns erst über die Pubertät ausreifen. Störungen exekutiver
Funktionen, des Sozialverhaltens oder der Emotionalität manifestieren sich daher nicht
selten nach einem jahrelangen stummen Intervall.
Die bei einem Trauma wirkenden Beschleunigungskräfte hängen physikalisch von der Geschwindigkeit
des Kopfes (Fallhöhe) und der Bremsstrecke (Untergrund) ab. Wenn die Parameter bekannt
sind, kann das Risiko leicht abgeschätzt werden. Beim Schütteltrauma des Säuglings
sind die Beschleunigungen des Kopfes 10 × geringer, dafür wiederholt (20 – 40 ×) und
länger als beim Impakt-Trauma (> 20 ms) und führen häufig durch Abriss der Brückenvenen
zu subduralen Blutungen. Die Blutungen beim Schütteltrauma stellen sich in der MRT
oft zwei- oder mehrzeitig dar.
Zusatzinfo
Einteilung des Schädel-Hirn-Traumas
Mildes oder leichtes SHT
Moderates oder mittelschweres SHT
-
Bewusstlosigkeit von mehr als 30 Minuten, aber weniger als 24 Stunden
-
posttraumatische Amnesie mehr als 24 Stunden, weniger als 7 Tage
oder
Schweres SHT
oder
Vorgehen
Fallbeispiel
Primärversorgung
Jolene wurde im Elternhaus durch den Rettungsdienst bewusstlos vorgefunden. Es bestand
eine Anisokorie. Der Notarzt führte eine Intubation durch und brachte das Kind in
unsere Zentrale Notaufnahme. Im CCT zeigte sich ein offenes Schädel-Hirn-Trauma mit
einem akuten rechtshemispärischen Subduralhämatom und drohender Einklemmung. Es wurde
umgehend eine Bohrlochtrepanation, Hämatomausräumung und ICP-Sondenanlage durchgeführt.
In der Sonografie des Abdomens wurde freie Flüssigkeit gefunden.
Bildgebung
-
CT Schädel und HWS nativ: offenes Schädel-Hirn-Trauma mit gering dislozierter rechtsseitiger
Kalottenfraktur und Felsenbeinquerfraktur. Akutes Subduralhämatom der rechten Hemisphäre.
Deutliche raumfordernde Wirkung mit Mittellinienverlagerung, Kompression des rechten
Seitenventrikels und beginnender subfalziner/unkaler Hernierung. Leicht erweitertes
linkes Temporalhorn links als Zeichen einer beginnenden Liquorzirkulationsstörung
und drohenden Einklemmung. Teils flaue Rinden-Mark-Differenzierung der rechten Hemisphäre,
DD im Rahmen des Ödems. Kein eindeutiger Frakturnachweis an der HWS.
-
CT von Tag 1 postoperativ: nach operativer Entlastung eines rechtshemisphärischen
Subduralhämatoms wieder nahezu mittelständiger Interhemisphärenspalt und seitengleiche,
schlanke Darstellung der Seitenventrikel. Keine raumfordernde Nachblutung. Bekannte
Kalottenfraktur mit Einstrahlen in das rechte Felsenbein, bei zusätzlicher Einstrahlung
in den rechten Sinus sigmoideus; ggf. ergänzende Sinusdarstellung im Rahmen der Verlaufskontrolle
(venöse MRA bzw. CTA).
Das Vorgehen beim SHT hängt stark vom Schweregrad, dem Unfallmechanismus, der Frage
Polytrauma und anderen Faktoren ab. Wie schon ausgeführt, sind Erfassung und Dokumentation
relevanter Parameter unverzichtbar:
-
Vigilanz (Somnolenz, Sopor, Koma) ([Tab. 1]),
-
Pupillenfunktion, zervikookulärer Reflex,
-
motorische Funktionen der Extremitäten seitengetrennt an Arm und Bein. Sofern keine
Willkürbewegungen möglich sind, muss die Reaktion auf Schmerzreiz erfasst werden.
Das Vorliegen von Beuge- oder Strecksynergismen bedeutet höchste Gefahr.
-
Liegt keine Bewusstlosigkeit vor, sind zusätzlich Orientierung, Koordination und Sprachfunktion
zu erfassen.
Tab. 1 Grade der Bewusstseinsstörung.
Grad
|
Beschreibung
|
wach
|
Augen spontan geöffnet, Blickfixierung des Untersuchers
|
Somnolenz („Schläfrigkeit“)
|
promptes Öffnen der Augen auf Ansprache, bei fehlenden externen Stimuli jedoch schlafend
|
Sopor
|
kurzzeitig durch Schmerzreize erweckbar
|
Koma
|
auch durch starke Schmerzreize nicht erweckbar
|
Bewusstseinsverschiebung (affektiv, kognitiv, psychomotorisch)
Delir
|
wesensverändert, „unkooperativ“, rastlos, „verrückt, wunderlich“
|
Diese neurologischen Befunde, mit Uhrzeit und Handzeichen dokumentiert, sind entscheidend
für den Ablauf der weiteren Behandlung („Neurobogen“). Die GCS ([Tab. 2]) ist gut geeignet zum zeitlichen Monitoring (Dokumentation!), aber ungeeignet, drohende
Verschlechterungen vorherzusagen.
Tab. 2 Glasgow Coma Scale (GCS).
Punkte
|
Augenöffnung
|
verbale Antwort
|
Motorik
|
6
|
|
|
gezielte Motorik auf Ansprache
|
5
|
|
Produktion von Sätzen, orientiert
|
gezielte Motorik auf Schmerz
|
4
|
spontane Augenöffnung
|
Produktion von Sätzen, desorientiert
|
ungezielte Motorik auf Schmerz
|
3
|
Augenöffnung auf Ansprache
|
einzelne Worte
|
Beugesynergismen auf Schmerz
|
2
|
Augenöffnung auf Schmerz
|
Laute
|
Strecksynergismen auf Schmerz
|
1
|
keine Augenöffnung
|
keine Sprachproduktion
|
keine Motorik
|
Kurzfristige Kontrollen des neurologischen Befunds zur Erkennung einer Verschlechterung
sind anzuraten. Der wichtigste nächste Schritt ist die Entscheidung: Bildgebung ja
oder nein und welche Technik (siehe auch oben).
Die Indikation zur Bildgebung wird sehr unterschiedlich empfohlen. Zum Teil wird nur
die Frage „Risiko einer interventionspflichtigen Läsion“ diskutiert und nicht die
des grundsätzlichen Nachweises einer intrakraniellen Läsion. In großen Statistiken
zeigen nur 5 – 10% aller im Rahmen von SHT bei Kindern durchgeführten CCT intrakranielle
Läsionen. Anderseits haben 10 – 20% der Kinder mit pathologischer CCT eine GCS von
14 oder 15. 50% der Kinder mit intrakraniellen Läsionen in der CCT unter 2 Jahren
sind klinisch asymptomatisch! Die Indikation zur zerebralen Bildgebung ist also ein
Dilemma. Äußerliche Hämatome, besonders nicht frontale, haben eine hohe Sensitivität
für Schädelfrakturen und intrakranielle Läsionen; sie belegen einen relevanten Impakt.
Zusatzinfo
Indikationen zur notfallmäßigen Bildgebung (CCT, MRT)
-
anhaltende primäre Bewusstlosigkeit oder sekundär erniedrigte GCS < 12
-
intubierter Patient, vor allem, wenn GCS vorher erniedrigt
-
fokal-neurologische Zeichen
-
Meningismus mit/ohne Fieber
-
relevante Schädelverletzungen
Cave
Die Untersuchung der Halswirbelsäule darf beim SHT nicht vergessen werden. Immobilisation
und Klärung durch klinischen Verlauf oder HWS-CT müssen bei jedem relevanten SHT oder
Verdacht auf HWS-Trauma erfolgen.
Erste Therapieschritte vor Ort
Fallbeispiel
Postoperativ
Übernahme der Patientin in der OP-Schleuse intubiert, sediert, kontrolliert beatmet
mit FIO2 0,5, SO2 99%, kreislaufunterstützt mit Noradrenalin 0,08 mcg/kg/min, MAD 55 mmHg, RCT prompt.
Pupillen bds. träge und isokor lichtreagibel. Komplikationslose operative und anästhesiologische
Notfallversorgung. Hautkolorit blass, peripher kühl, KFZ 1 – 2 s. Pulmo frei und beidseits
belüftet. Cor rein und rhythmisch. Abdomen weich, sehr spärliche Peristaltik, Milz
nicht tastbar, Leber deutlich vergrößert tastbar (ca. 7 cm unter dem Rippenbogen).
Periphere Pulse an allen vier Extremitäten kräftig tastbar. ICP-Sonde einliegend,
ZVK rechte V. femoralis, Arterienkatheter linke A. femoralis. Pupillen isokor, beidseits
mittelweit und nicht lichtreagibel.
Neurochirurgische Konsile
-
Tag 1 postoperativ: Notfallindikation zur Hämatomentlastung gestellt und unmittelbar
erfolgt. Intraoperativ aktive Blutung aus kortikalen lazerierten Venen unter der Kalottenfraktur.
Postoperativ Anisokorie rückläufig. Prozedere: Analgosedierung fortsetzen, Hirndrucktherapie,
morgen früh Re-CCT und WV, ggf. EPs. Gehörgangtamponade rechts durch HNO, antibiotische
Abdeckung mit Unacid, wenn keine KI, für 7 Tage. Fäden ex in 7 Tagen. Subtemporale
Redon ex in 2 Tagen.
-
Tag 15 postoperativ: noch ein Faden von der ICP-Sonde, Narbenverhältnisse reizlos.
-
Blutstillung: Erstmaßnahmen, falls erforderlich, sind Kompression, Druckverband und
evtl. Anlegen eines Tourniquets zur Vermeidung weiterer Blutverluste durch äußere
Blutungen.
-
Venöser Zugang: Zugang der Wahl ist eine großlumige periphere Vene; falls dieser Zugang
nicht möglich ist, dann sollte ein intraossärer Zugang gewählt werden.
-
Immobilisation und Lagerung: Zur Stabilisierung der Halswirbelsäule sollte ein Immobilisationskragen
angelegt werden. Der Patient sollte auf einer Trage mit Vakuummatratze gelagert werden.
Die Ergebnisse von Reanimationsbemühungen bei Patienten mit Trauma sind nur in Ausnahmefällen
erfolgreich. Bei Patienten mit vor Ort unstillbarer Massivblutung ist ein möglichst
rascher Transport in ein Traumazentrum anzustreben.
Labordiagnostik
Der wichtigste präklinische Parameter ist die Blutglukose. Initial wird ansonsten
routinemäßig bestimmt:
-
Blutgase,
-
Blutbild, Elektrolyte, CRP,
-
Laktat, Ammoniak,
-
Transaminasen, Harnstoff,
-
Gerinnung,
-
Kreuzblut.
Erweiterte Labordiagnostik zielt auf Intoxikationen – auch infolge spät manifester
Stoffwechselerkrankungen (Blut, Urin asservieren; z. B. Trockenblutkarte).
Bildgebung
Fast immer ist bei neurologischen Notfällen eine Bildgebung erforderlich. Ausnahmen
sind selbstlimitierende oder diagnostisch und prognostisch klar einzuschätzende Zustände.
Die Frage ist oft mehr, wie schnell bzw. wann im Rahmen der Notfallversorgung und
welche Art von Bildgebung (Sonografie, CCT oder MRT)?
In den meisten Kliniken ist die CCT die Bildgebung der ersten Wahl. Das beruht in
erster Linie auf der Schnelligkeit und Verfügbarkeit dieser Technik. Die MRT erfordert
gerade bei kleinen Kindern oft eine zusätzliche Sedierung, dauert deutlich länger
als die CCT und erschwert die Überwachung des Kindes. Trotz dieser Nachteile hat die
MRT entscheidende Vorteile. Außer in der Evaluation von knöchernen Verletzungen ist
die Aussagekraft der MRT in allen Aspekten überlegen. Die CCT bringt zudem eine Belastung
mit ionisierenden Strahlen mit sich.
Die beste diagnostische Entscheidung hängt von verschiedenen Faktoren ab:
-
Alter des Kindes (aussagekräftige Sonografie möglich?),
-
Gesundheitszustand des Kindes (CCT geht einfacher und schneller!),
-
Uhrzeit (MRT verfügbar?),
-
Fragestellung (Ischämie, axonaler Schaden, Entzündung, Gefäße, Auge, Ohr → MRT).
Merke
Schädelröntgen bei SHT ist obsolet. Bei Verdacht auf Fraktur und intrakranielle Verletzung
immer CCT oder MRT.
Zusatzinfo
Indikation zur Bildgebung beim SHT
Dringliche Indikationen: CCT binnen einer Stunde
-
GCS kleiner 13 zu irgendeinem Zeitpunkt seit Trauma
-
GCS gleich 13 oder 14 zwei Stunden nach Trauma
-
Verdacht auf offenes SHT oder Impressionsfraktur
-
Zeichen einer Schädelbasisfraktur (Hämotympanon, „Panda“-Augen, Liquorrhö, Battleʼs
Zeichen)
-
posttraumatischer epileptischer Anfall
-
fokal-neurologisches Defizit
-
mehr als einer Episode von Erbrechen (bei Kindern unter 13 Jahren klinisches Augenmaß!)
-
Amnesie für mehr als 30 Minuten vor dem Ereignis (bei kleinen Kindern häufig nicht beurteilbar!)
Erweiterte Indikationen: Notfall-CCT auch in folgenden Situationen mit Bewusstseinsverlust
und/oder Amnesie nach dem Trauma
-
gefährlicher Unfallmechanismus (vom Auto angefahren, aus dem Auto geschleudert oder
freier Fall aus mehr als 1 m Höhe bzw. Treppensturz mehr als 5 Stufen). Bei Kindern
unter 5 Jahren geringere Fallhöhe ansetzen (z. B. Tischhöhe/Wickelkommode, „Gehfrei“)
-
Gerinnungsstörung
-
Verdacht auf Misshandlung
Strukturierter Ablauf der körperlichen Untersuchung
Zusatzinfo
Immobilisation durch Stiff-Neck und/oder Lagerungshilfen (z. B. Vakuummatratze)
-
GCS < 15 zu irgendeinem Zeitpunkt seit Trauma
-
Nackenschmerzen oder -steifigkeit
-
fokal-neurologisches Defizit,
-
Parästhesie in Armen oder Beinen
-
anderer Verdacht auf Halswirbelsäulentrauma
Zusatzinfo
Nicht akzidentelles SHT
-
Retinablutung
-
andere Verletzungen
-
multiple komplexe, bilaterale Kalottenfrakturen
-
bilaterale Subduralblutungen
-
Mehrzeitigkeit (Schädel-MRT)
-
dubiöse Angaben der Beteiligten (z. B. zu geringe Fallhöhe)
Fallbeispiel
Ausschluss nicht akzidentelles Trauma
Bei divergierenden Aussagen zum Unfallhergang wurde bereits das zuständige Jugendamt
kontaktiert, das die Familie kennt und über einen liebevollen familiären Umgang berichtete.
In einem ausführlichen Gespräch mit Dolmetscher wurde der genaue Unfallhergang noch
einmal ausführlich mit den Eltern rekonstruiert. Hierbei ergab sich, dass Jolene auf
einen Stuhl geklettert und von diesem aus dem Stand gestürzt war. Es ergaben sich
auch bei der rechtsmedizinischen Untersuchung keine Hinweise auf weitere Verletzungen.
Bei schlüssigem Unfallhergang sowie fehlenden Hinweisen auf Kindesmisshandlung besteht
zum jetzigen Zeitpunkt kein Anhalt für ein nicht akzidentelles Trauma.
Zusatzinfo
Stationäre Aufnahme beim SHT?
-
immer: nachgewiesene intrakranielle Verletzung oder V. a. nicht akzidentelles SHT
-
meistens: wenn Diagnostik notwendig
-
empfohlen: leichtes SHT und zusätzliches Risiko (z. B. unklarer Unfallhergang, persistierender
Kopfschmerz, Alkohol- oder Drogenintoxikation)
-
optional: Beobachtung nicht gewährleistet
Die Eltern sollten bei der Untersuchung in Kontakt zum Kind bleiben, gegebenenfalls
kann die Untersuchung auf dem Schoß der Begleitperson erfolgen. Die Stabilisierung
der Vitalfunktionen hat Vorrang. Der Ablauf muss der Situation angepasst werden (nicht
unbedingt „Kopf bis Fuß“). Für den neurologischen Teil wird nur eine geeignete Lampe,
ein Holzspatel und evtl. ein Tupfer benötigt. Die Untersuchung des bewusstlosen Kindes
dauert etwa 1 – 2 Minuten:
-
Prüfung der Vigilanz: Öffnen der Augen auf laute Ansprache (Somnolenz), bei fehlender Reaktion wird ein
zentraler Schmerzreiz gesetzt (forcierter Druck auf Austritt N. trigeminus an Augenbraue
oder Mastoid):
-
Motorik: Spontanbewegungen sollten schon vor dem Setzen von Schmerzreizen erfasst und hinsichtlich
einer Seitenbetonung beurteilt werden. Auf periphere Schmerzreize (Druck auf Zehen-
oder Fingernägel) können Flucht- oder Abwehrbewegungen der entsprechenden Extremität
ausgelöst werden:
-
Abwehrbewegungen (gezielt, ungezielt, keine),
-
Beuge- oder Strecksynergismen (Cave: Beuge- oder Strecksynergismen nicht mit epileptischem
Anfall verwechseln!),
-
Muskeltonus (reduziert, normal, erhöht),
-
Asymmetrien des Muskeltonus, von Spontanbewegungen oder asymmetrische Reaktion auf
seitengleiche Reize (fokale Läsion).
-
Nackensteifigkeit: Der Kopf wird mit beiden Händen gefasst und in Richtung des Brustbeins bewegt. Dabei
wird auf einen erhöhten Tonus der Nackenmuskulatur sowie Anzeichen für Schmerzen geachtet.
Bei ausgeprägtem Meningismus lässt sich der Hals nicht beugen und es kommt zu einem
Anheben des Oberkörpers (Cave: Nicht durchführen, solange der Verdacht einer HWS-Verletzung
besteht!).
-
Bulbusstellung: Nach dem Anheben der Augenlider wird die Stellung der Bulbi erfasst. Die Bulbi sollten
mittig stehen und die Sehachsen nicht voneinander abweichen (konjugierte Bulbusstellung).
Eine konjugierte Blickdeviation (beide Bulbi weichen zu einer Seite ab) ist hinweisend
auf:
-
ipsilaterale supratentorielle Läsion mit Einbeziehung des frontalen Augenfelds,
-
epileptisches Geschehen, meist kontralateral.
-
Pupillen: Bei gleichzeitiger Betrachtung beider Pupillen sind sie isokor (rechts = links) oder
deutlich anisokor (rechts > links, rechts < links)? Im Anschluss nacheinander Vergleich
der direkten Pupillenlichtreaktionen:
-
rechts deutliche – schwache – keine Reaktion?
-
links deutliche – schwache – keine Reaktion?
-
seitengleich? rechts besser? links besser?
-
Okulozephaler Reflex (OCR): In der Ausgangsstellung befindet sich der Kopf in Mittelstellung und beide
Augenlider werden angehoben. Anschließend wird der Kopf ruckartig zu einer Seite gedreht.
Im Normalfall bewegen sich beide Bulbi rasch entgegen der Kopfdrehung und blicken
weiterhin in Richtung Ausgangsstellung. Bei Ausfall des OCR erfolgt keine Rückstellbewegung
der Bulbi („Puppenaugen“-Phänomen). Der OCR wird für die Drehung nach rechts und links
getrennt angegeben.
-
Kornealreflex (KR): Zur Prüfung des KR wird jeweils ein Augenlid angehoben und die Hornhaut vorsichtig
mit der Ecke eines Tupfers berührt. Bei intaktem KR kommt es zu einer Kontraktion
des M. orbicularis oculi (teilweiser Augenschluss). Cave: Augenlid nicht zu stark
anheben; Sedativa und Opiate vermindern KR!
-
Würgereflex: Zur Untersuchung des Würgereflexes wird ein Absaugkatheter bzw. ein Holzspatel in
den geöffneten Mund eingeführt und die Rachenhinterwand bestrichen. Im positiven Fall
kommt es zu einem Husten und Würgen des Patienten. Cave: Provokation von Erbrechen
möglich, nur bei gesicherten Atemwegen!
-
Pathologische Reflexe (Babinski-Zeichen): Die Zehen befinden sich zunächst in der Neutralposition. Nach
Bestreichen der Fußaußenkante mit der Kante eines Holzspatels kommt es im Normalfall
zu einer Beugung aller Zehen. Beim Babinski-Zeichen sieht man neben der Dorsalstreckung
der Großzehe eine Beugung und Spreizung der 2. – 5. Zehe.
Prognostisch ungünstig sind spontane Pendelbewegungen der Bulbi in vertikaler oder
horizontaler Richtung („ocular bobbing“). Die Pupillenlichtreaktion kann durch zahlreiche
Faktoren beeinflusst werden:
-
Bulbustrauma,
-
Augenvorerkrankungen,
-
Medikamente,
-
Intoxikation,
-
metabolisches Koma.
Weitere Verletzungen: vital bedrohliche Verletzungen erkennen. Dazu zählen:
-
(instabile) Wirbelsäulenverletzungen mit Neurologie,
-
Verletzungen des Brustkorbs mit (Spannungs-)Pneumothorax,
-
Beckenverletzungen,
-
Frakturen der großen Röhrenknochen.
Deutliche Fehlstellungen an großen Röhrenknochen und/oder Gelenken sind zu beheben.
Zusatzinfo
Motorische Muster im Koma
-
Hemisphärensyndrom rechts: Halbseitensymptomatik links, Babinski links, Kopf- und
Blickwendung nach rechts
-
Mittelhirnsyndrom: Beugesynergismen der Arme, Strecksynergismen der Beine
-
mesenzephalopontines Syndrom: Strecksynergismen Arme und Beine
-
Bulbärhirnsyndrom: Arme und Beine schlaff
Neuromonitoring
Neben dem üblichen kardiorespiratorischen Monitoring werden inzwischen auch auf pädiatrischen
Intensivstationen verschiedene Methoden des Ganzhirnmonitorings sowie des regionalen
Hirnmonitorings angewandt ([Tab. 3]).
Tab. 3 Neuromonitoring.
Ganzhirnmonitoring
|
regionales Hirnmonitoring
|
intrakranielle Druckmessung (ICP)
|
transkranielle Doppler-Ultrasonografie
|
Elektroenzephalografie (aEEG, EEG)
|
Nah-Infrarot-Spektroskopie (NIRS)
|
Bulbus-jugularis-Oxymetrie (SjvO2)
|
Gewebesonden (pO2, pCO2, pH), Mikrodialyse
|
evozierte Potenziale
|
|
Die einfachste Form des Neuromonitorings ist die wiederholte neurologische Untersuchung,
wenn nötig in kurzen Intervallen durch Pflegekräfte und Ärzte. Solche „Neurochecks“
werden aber eingeschränkt durch eine tiefe Sedierung, Kühlung oder gar Relaxierung.
Verschiedene Zustände können allerdings, begründet in der Natur des Problems, nicht
ausreichend früh klinisch detektiert werden: nicht konvulsiver Status epilepticus,
Vasospasmen bei Blutung oder beginnender erhöhter Hirndruck. Zudem ist die Verfügbarkeit
und Qualität der neurologischen Untersuchung sehr personenabhängig.
Eine optimale Überwachung und Therapie bewusstseinsgestörter oder hirnverletzter Patienten
setzt ein fundiertes Wissen der Physiologie des zerebralen Blutflusses (CBF), des
Metabolismus und der Entstehung des Hirndrucks voraus.
Merke
Wenigstens eine Methode des Neuromonitorings sollte verlässlich implementiert und
ständig verfügbar sein.
Das Gehirn macht zwar nur wenige Prozent des Körpergewichts aus, beansprucht aber
15 – 25% des Herzminutenvolumens. Das Gehirn hat einen hohen metabolischen Umsatz
für Sauerstoff (CMRO2) und nutzt hauptsächlich Glukose als Energiesubstrat. 50% der gesamten Energie werden
zur Aufrechterhaltung von Ionengradienten und 25% für Substrattransport, synaptische
Transmission und andere Prozesse verwendet. Weitere 10% verbrauchen die Gliazellen.
Der normale CBF beträgt mehr als 50 ml/100 g Hirngewebe pro Minute. Irreversible Schäden
treten bei Abfall unter 15 ml/100 g/min auf. Da das Gehirn über keine relevanten Energiespeicher
verfügt, sind CMRO2, CBF und Sauerstoffextraktion (AVDO2) eng gekoppelt. Nach der Fick-Gleichung gilt:
CMRO2 = CBF × AVDO2
Unter Normalbedingungen wird die AVDO2 bei Änderungen von CMRO2, CBF, Blutviskosität u. a. durch Kaliberregulation der Hirnarteriolen konstant gehalten
(Autoregulation). Der arterielle CO2-Partialdruck (paCO2) und die Temperatur üben einen großen Einfluss aus: 4% CBF pro 1 mmHg paCO2-Änderung, 6 – 7% CMRO2 pro 1 °C Temperaturänderung.
Für den Zusammenhang zwischen CBF und intrakraniellem Druck (ICP) kann der Schädelinhalt
als 3-Kompartiment-Modell vereinfacht werden:
-
Hirngewebe (80%),
-
Liquor (10%),
-
Blut (10%).
Alle drei Kompartimente sind weitgehend inkompressibel. Der zerebrale Perfusionsdruck
(CPP) kann als mittlerer arterieller Blutdruck (MAP) minus ICP berechnet werden und
ist bei Gesunden relativ konstant. Im Krankheitsfalle, z. B. bei intrakranieller Raumforderung,
werden initial kleine zusätzliche Volumina verkraftet, z. B. durch Verschiebung von
Liquor in den Spinalkanal. Die Ausschöpfung dieser Reservekapazitäten führt im Weiteren
aber zu exponentiellen Anstiegen des ICP, mit entsprechender Reduktion des CPP und
damit auch des CBF. Therapeutische Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des CBF können
daher beim ICP mit großen Effekten sowie in Grenzen beim MAP ansetzen.
Wünschenswert wäre ein kontinuierliches Monitoring des CBF bei Intensivpatienten,
welches aber im Gegensatz zur Messung des ICP schwierig ist.
Serielle neurologische Untersuchungen werden häufig als einfache indirekte Methode
zur CBF-Überwachung eingesetzt. Eine Veränderung der Vigilanz oder der Beginn von
fokalen neurologischen Defiziten zeigt an, dass der CBF unter eine kritische Grenze
zur Entwicklung eines permanenten neuronalen Defizits gefallen ist. Leider ist dies
– wie auch aus gleichen Gründen die GCS – als Frühwarnzeichen ungeeignet. Es reicht
nur zur Dokumentation ex post.
Der zerebrale Metabolismus wird im Wesentlichen bestimmt durch die Energie, die für
die Aufrechterhaltung der zellulären Integrität und für die Generierung der elektrophysiologischen
Signale benötigt wird. Das Gehirn verbraucht 20% des gesamten Sauerstoffs und 25%
der gesamten Glukose im Körper. Zur Energieproduktion kann das Gehirn eine ganze Reihe
von Substraten verwenden:
-
Glukose,
-
Laktat,
-
Ketone,
-
Glycerol,
-
Fettsäuren,
-
Aminosäuren.
Auf Organebene ist das Gehirn fast vollständig vom aeroben Verbrauch von Glukose abhängig,
andere Substrate machen im Normalfall nur 1% aus. Glukose wird vor allem über aktive
Mechanismen (GLUT1) in die Hirnzellen transportiert, nur 4% über einfache Diffusion.
Wie oben erwähnt, sind zerebraler Blutfluss und oxidativer Metabolismus (CBF und CMRO2) normalerweise effektiv gemeinsam gesteuert. Schädel-Hirn-Traumen können aber die
zerebrale Autoregulation aufheben und so den CBF vom Metabolismus entkoppeln.
Typisch ist ein Verlauf von 3 Phasen:
-
Hypoperfusion (Tag 0),
-
Hyperperfusion („Luxusperfusion“, Tag 1 – 3),
-
wieder Hypoperfusion durch Vasospasmen bis zur Vigilanzbesserung (Tag 4 – 15).
Die für den metabolischen Bedarf unangemessen hohe Perfusion in Phase 2 trägt möglicherweise
zur Entwicklung des Hirnödems und zur ICP-Erhöhung bei.
Neue technische Entwicklungen haben die Möglichkeiten eines physiologischen und biochemischen
Neuromonitorings deutlich erweitert. Davor waren die Messung des CBF und der arteriovenösen
Differenz von Substraten wie O2, Glukose oder Laktat dafür erforderlich.
Das Monitoring der jugulär-venösen O2-Sättigung (SjvO2) liefert eine kontinuierliche Information über die globale Situation von CBF in Relation
zum metabolischen Bedarf des Hirnes. Dieses Monitoring ist relativ einfach, zumindest
bei größeren Kindern, und nicht sehr invasiv. Hauptlimitation ist die globale Natur
der Information. Infarkte können entstehen ohne wesentliche Änderung der SjvO2.
Invasiv lässt sich die metabolische Situation des Gehirns mit intraparenchymatösen
Sonden, z. B. für pO2, überwachen.
Bewertung des Unfallhergangs
Das „adäquate Trauma“, welches geeignet ist, ein SHT zu verursachen, ist letztlich
eine Frage der kinetischen Energie und der Weg, auf dem sie umgewandelt wird. Es spielt
keine Rolle, ob der Kopf beschleunigt (z. B. Auto-Kollision) oder abgebremst wird
(z. B. Sturz aus Höhe). Die Geschwindigkeit ist äquivalent zur kinetischen Energie
des Kopfes. Geschwindigkeit und Sturzhöhe lassen sich umrechnen (s. Box Zusatzinfo).
Die Beschleunigungs- bzw. Bremsstrecke ist der zweite wichtige Faktor für das Risiko
des Auftretens einer Hirnschädigung. Experimentell werden Beschleunigungen bis 50 g
meist toleriert, ab 200 g sind schwere Schäden die Regel.
Aus der Unfallbeschreibung kann vielfach eine gute Worst-Case-Abschätzung des Schadenrisikos
abgeleitet werden. Dies ist auch in Fällen nützlich, in denen die Angaben zum Ablauf
nicht mit der Schwere des Schadens kompatibel sind (bewusst falsche Anamnese, nicht
akzidentelles Trauma), z. B. die Angabe, das Kind sei vom Sofa auf Teppichboden gefallen.
Derart geringe Fallhöhen reichen im Sinne des „adäquaten Traumas“ nicht aus.
Typische Unfallhergänge, die zu Schäden führen können:
-
alle Arten von Fußgänger-Fahrzeug-Kollisionen,
-
Sturz aus mehr als 1,5 m Höhe; Kopf auf unelastische Fläche wie Beton,
-
bei Säuglingen eher 1 m ansetzen (Wickeltisch),
-
Rotations- und Schütteltraumen treten schon bei geringeren Beschleunigungen auf,
-
zusätzlicher Risikofaktor Gerinnungsstörung.
Zusatzinfo
Physik des Schädel-Hirn-Traumas
-
Newtonʼscher Fall: v2 = 2 × g × h (v: Geschwindigkeit, g: Erdbeschleunigung (= 9,81 m/s2), h: Höhe)
-
Beschleunigung: a = (h/d) × g (d: Bremsstrecke, ≈ 0,3 – 1 cm bei hartem Untergrund
je nach Schädelelastizität)
-
Beispiele:
-
Fall aus 1 m Höhe ≈ 16 km/h bei Aufprall
-
Aufprall auf Auto mit 50 km/h ≈ Fall aus 10 m Höhe
-
Beschleunigung bei Fall aus 2 m Höhe und 1 cm Bremsweg ≈ 200 × g
Therapie
Fallbeispiel
Verlauf nach 12 Monaten
In der ambulanten Nachkontrolle zeigte das Kind einen unauffälligen klinisch-neurologischen
und elektroenzephalografischen Befund. Der Familie wurde geraten, zusammen mit dem
Kinderarzt den weiteren Entwicklungsverlauf zu beobachten und ggf. eine erneute Evaluation
mit kognitiver Testung z. B. bei Einschulung vornehmen zu lassen.
Bewertung und Stabilisierung der Vitalfunktionen
Die Sicherung der Vitalfunktionen (ERC-Leitlinien) hat oberste Priorität.
Eine präklinische Intubation wird bei Kindern weniger häufig durchgeführt als bei
Erwachsenen. Hypoxie und Hyperkapnie sind wichtige, sekundär schädigende Faktoren,
die klinisch bei eingetrübten Kindern schwierig zu erfassen sind. Dies kann zur verzögerten
Stabilisierung der Atemfunktion und zu dramatischen Fehlern führen. Eine frühe Intubation
muss bei allen Kindern mit GCS von 8 oder weniger durchgeführt werden. Die kontrollierte
Beatmung beseitigt die Hypoxie und Hyperkapnie. Eine kontinuierliche Analgosedierung
minimiert den stressbedingten Sauerstoffbedarf, und das Risiko von plötzlichem Hirndruckanstieg
durch Schmerzreiz wird geringer.
Bei Kindern mit erhöhtem ICP muss ein ausreichender MAP aufrechterhalten werden, da
der CCP hiervon kritisch abhängt. Eine Hypovolämie ist häufig, aber schwierig zu erkennen,
da Kinder einen niedrigen MAP durch Vasokonstriktion und Tachykardie kompensieren.
Ein akut erhöhter MAP mit Bradykardie als Adaptation bei drohender Einklemmung ([Tab. 4]) muss toleriert werden, bis eine operative Dekompression durchgeführt ist. Die Wahl
des Volumenersatzes ist situationsabhängig: Keinesfalls dürfen hypoosmolare Lösungen
wegen des Risikos eines Hirnödems verwendet werden.
Tab. 4 Herniations- oder Einklemmungssyndrome.
Lokalisation
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Beschreibung
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laterale transtentorielle Herniation
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Raumforderung im Temporallappen oder im temporoparietalen Übergang. Typisch sind die
ipsilateralen okulomotorischen Symptome (initial kurzfristige Reizmiose, dann Mydriasis
mit afferenter Störung der Lichtreaktion, im Verlauf komplette N.-III-Parese mit lichtstarrer
Pupille, Ptose und Bulbusabweichung nach unten-außen) sowie die ipsilaterale Hemiparese
durch Kompression des kontralateralen Pedunculus
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zentrale transtentorielle Herniation
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diffuse bilaterale Hirnschwellung mit Einklemmung mediobasaler Anteile des Temporallappens
im Tentoriumschlitz („dienzephales Syndrom“)
progrediente Vigilanzminderung, Verhaltensstörung
Horner-Syndrom, ein- oder beidseitig
Bulbusdivergenz, schwimmende Bulbi, Enthemmung des okulozephalen Reflexes
Atemmusterveränderung, evtl. Cheyne-Stokes-Atmung
spontane Massenbewegungen, ungezielte Abwehr auf Schmerzreiz
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pontomedulläre Herniation
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Herniation durch Foramen magnum führt unter Beteiligung der Kleinhirntonsillen zur
Kompression der Medulla und damit zur Dysfunktion, später Kollaps der respiratorischen
und kardiovaskulären Steuerung
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subfalzine Herniation
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Verhaltensstörung, milde kontralaterale Hemiparese, später Anterior-Infarkt
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umgekehrte transtentorielle Herniation
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bei akuten Raumforderungen in der hinteren Schädelgrube
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Abduzensparese
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kein Herniationssyndrom im eigentlichen Sinne, aber bei erhöhtem ICP ist der N. VI
aufgrund kaudalwärtiger Verschiebung des Hirnstamms oder direktem Druck im Nervenverlauf
häufig einseitig oder beidseitig betroffen
Meist sieht man die Abduzensparese bei der zentralen transtentoriellen Herniation,
aber auch isoliert oder bei anderen Herniationssyndromen.
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Beim Monitoring stellen Pulsoxymetrie, Messung des exspiratorischen pCO2 und des arteriellen Blutdrucks Mindestanforderungen dar. Ein multimodales Hirnmonitoring
(EEG, transkranieller Doppler u. a.) ist hilfreich, impliziert aber große personelle
Anforderungen. Nach der initialen Bildgebung ist bei manifest oder drohend erhöhtem
Hirndruck ([Tab. 5]) zumindest ein ICP-Monitoring – möglichst ergänzt um eine SjvO2 – notwendig.
Tab. 5 Hirndruckzeichen bei Säuglingen und Kindern.
Zeichen bei Säuglingen
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Zeichen bei Kindern
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allgemeine Zeichen
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Irritabilität
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Kopfschmerzen
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Vigilanzminderung
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vorgewölbte, pulsierende Fontanelle
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Doppelbilder
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rezidivierendes Erbrechen
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weite Schädelnähte
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Stauungspapille
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Nackensteifigkeit
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Zunahme Kopfumfang
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Cushing-Triade
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Sonnenuntergangs-Phänomen
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Strabismus
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Prinzipien des Hirndruckmanagements
Mit Entstehen der neurologischen Läsion beginnt der Wettlauf, sekundäre, sich selbst
verschlechternde Hirnschädigungen zu vermeiden. Erhöhter intrakranieller Druck und
Störungen der Blut-Hirn-Schranke sind die beiden Hauptgegner.
Der CPP hängt im Wesentlichen vom MAP und dem ICP ab:
CPP ≈ MAP – ICP
Um den CPP zu stabilisieren, sollte der ICP so gering wie möglich gehalten werden.
Steigender Hirndruck sollte bereits ab einem ICP von 20 mmHg therapeutisch angegangen
werden. Der Oberkörper sollte etwa 20 – 30° angehoben, der Kopf möglichst gerade positioniert
werden, um einen venösen Abflussstau zu vermeiden. Der MAP sollte in einem altersabhängig
hochnormalen Bereich gehalten werden, um einen ausreichenden CPP zu erzielen, denn
die zerebrale Autoregulation ist bei Hirndruck hin zu höheren Werten verschoben.
Eine Strategie gegen das drohende progrediente Hirnödem und Anstieg des Hirndrucks
ist die forcierte Hyperventilation und die Gabe von Mannitol. Der Wassergehalt und
der CBF sinken und das Volumen des Gehirns wird vermindert. Die Gefahr dieser druckgesteuerten
Therapie ist, dass mit der geringeren Perfusion der regionale metabolische Bedarf
im Läsionsbereich unterschritten wird und dadurch ischämische Läsionen vergrößert
werden. Beim Hirnödem besteht nicht nur ein erhöhter Wassergehalt, sondern häufig
auch eine Aufhebung der Autoregulation durch Vasoplegie und ein erhöhtes zerebrales
Blutvolumen durch die sekundären metabolischen Störungen (Reperfusionsschaden, „second
hit“). Die Hyperventilation sollte nicht ohne permanente Kontrolle der regionalen
Perfusion (Doppler, SjvO2, NIRS) zur Senkung des ICP durchführt werden, um ischämische Läsionen nicht zu verschlimmern.
Die Kunst besteht darin, den CBF dem metabolischen Bedarf anzupassen, indem der CPP
so optimiert wird, dass die zerebrale Autoregulation funktioniert. Hierfür ist häufig
ein weiteres Anheben des CPP über die eigentliche Ischämieschwelle erforderlich. Der
hohe CPP schadet nicht, vorausgesetzt die Autoregulation funktioniert noch. Eine anhaltend
aufgehobene zerebrale Autoregulation ist in der Regel mit schlechter Prognose verbunden.
Leider reagiert das geschädigte Gehirn nicht immer gleichförmig, und eine verminderte
zerebrale Sauerstoffextraktion (SjvO2 hoch) bedeutet nicht immer eine gefährliche kortikale Ischämie, sodass therapeutische
Entscheidungen schwierig sind.
Eine allgemeine Strategie, die sich ändernden Situationen angepasst werden muss, ist
in [Tab. 6] aufgeführt.
Tab. 6 Management des Hirnödems und des erhöhten Hirndrucks.
Schritt
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therapeutische Maßnahme
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Monitoring
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CCT: kranielle Computertomografie, CEO2: zerebrale O2-Extraktion, CPP: zerebraler Perfusionsdruck, ZVD: zentralvenöser Druck, ICP: intrakranieller
Druck, MAP: mittlerer arterieller Druck, PetCO2: endexspiratorischer Kohlendioxidpartialdruck, SjvO2: jugulär-venöse O2-Sättigung, NIRS: Nahinfrarotspektroskopie
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1
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Rückenlage, stabiler MAP
tiefe Analgosedierung
Normokapnie (PetCO2 30 – 36)
ausgeglichene Flüssigkeitsbilanz
Hyperglykämie, Hyperthermie vermeiden
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ICP+ MAP + CPP + ZVD
Doppler
Autoregulation prüfen
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2
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CCT checken, ob Liquordrainage sinnvoll
MAP optimieren,
Osmolalität > 300 mOsm
Mannitol oder hypertone NaCl-Lösung
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3
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Ventilation und CEO2 optimieren
CCT-Kontrolle
Autoregulation anstreben
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SjvO2, NIRS
Doppler
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4
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Thiopental
vasokonstriktive Therapie
Hypothermie?
Steroide?
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5
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dekompressive Kraniektomie
Lobektomie
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Neurologische Frührehabilitation
Die neurologische Frührehabilitation sollte den Patienten von der Akutphase an nahtlos
begleiten. Die Unterstützung der spontanen Erholung, die Minderung der Früh- und Spätkomplikationen
sowie die bessere Nutzung der verbliebenen Plastizität des Gehirns sind Ziele der
Frührehabilitation. Neben der intensivmedizinischen Therapie sind eine korrekte Lagerung,
rasche Mobilisierung, Kontraktur-, Dekubitus-, und Thromboseprophylaxe sowie eine
Therapie von Schluckstörungen erforderlich (Phase A, [Tab. 7]). Die Zustandsdokumentation sollte standardisiert sein und regelmäßig durchgeführt
werden (z. B. Koma-Remissions-Scale, KRS; Barthel-Index; Functional Independence Measure,
FIM; ICF-Checklist).
Tab. 7 Phasenmodell der Frührehabilitation.
Phase
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Beschreibung
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A
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Akutbehandlung, Intensivmedizin
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B
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Frührehabilitation, Barthel-Index < 25
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C
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weiterführende Rehabilitation (weitgehend pflegebedürftig, Barthel-Index 30 – 65)
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D
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Anschlussheilbehandlung (AHB; weitgehend selbstständig, Barthel-Index 70 – 100)
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E
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Nachsorge und schulische/berufliche Rehabilitation
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F
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aktivierende (Langzeit-)Behandlungspflege, ambulant oder stationär
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Nach der Akutbehandlung ist die Verlegung in eine spezialisierte Institution sinnvoll
(Phase B). Mit der Besserung der Bewusstseinslage erfolgen stufenweise die weitere
Mobilisierung sowie die altersangemessene Förderung der Selbstständigkeit in den Alltagsfertigkeiten.
Die weitere Integration und Verbesserung der Teilhabe (Phasen E und F) findet wohnortnah
ambulant statt.
Besonders nach moderaten und schweren SHT stellen sich häufig als Folgen langfristige
Veränderungen des Lern- und Leistungsverhaltens, der emotionalen Regulation oder des
sozialen Verhaltens ein. Diese Veränderungen bleiben nicht selten zunächst unbemerkt,
da die Betroffenen noch von den Fertigkeiten und von dem Lernstand vor dem SHT zehren,
und die komplexen neuronalen Störungen behindern gerne das Neu-Lernen über die Exekutiv-
und Gedächtnisfunktionen. Erst nach und nach geht eine Schere zwischen Leistungsanforderungen
und -fähigkeiten auf. Hier sind Informationen, Augenmaß der Beteiligten (Patient,
Familie, Schule), neuropsychologische Diagnostik in der Nachsorge, Anpassungsmaßnahmen,
Lerntraining, ggf. auch Lernassistenz gefragt.