Aktuelle Dermatologie 2020; 46(08/09): 375-378
DOI: 10.1055/a-1148-3867
Eine Klinik im Blickpunkt

Genetisch bedingte Hauterkrankungen – Xeroderma pigmentosum und das CEDNIK-Syndrom

Genetic Skin Disorders – Xeroderma pigmentosum and CEDNIK Syndrome
M. C. Martens
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie, Universitätsmedizin Rostock
,
L. Boeckmann
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie, Universitätsmedizin Rostock
,
S. Emmert
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie, Universitätsmedizin Rostock
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Die Rostocker Hautklinik ist Europäisches Referenznetzwerkzentrum für seltene Hauterkrankungen mit den besonderen Schwerpunkten Xeroderma pigmentosum und Ichthyosen. Diese Themen vertreten wir auch in der medizinischen Grundlagenforschung.

Xeroderma pigmentosum (XP) ist eine seltene, autosomal-rezessive Erkrankung, die entsprechend der Gendefekte in 7 Komplementationsgruppen – XP-A bis XP-G sowie die sog. XP-Variante (XP-V) – eingeteilt wird. XP ist ein Nukleotid-Exzisions-Reparatur-Defektsyndrom und äußert sich v. a. durch vorzeitige Hautalterung und frühzeitige Entwicklung von Hauttumoren.

Das seltene, neurokutane CEDNIK-Syndrom ist eine autosomal-rezessive Erkrankung, der eine Loss-of-Function-Mutation in SNAP29 zugrunde liegt. SNAP29 ist ein SNARE-Protein und an intrazellulären Membranfusionen beteiligt. CEDNIK ist ein Akronym für den mit dem Syndrom assoziierten Symptomkomplex aus zerebraler Dysgenese, Neuropathie, Ichthyose und Palmoplantarkeratosen. CEDNIK-Patienten weisen neben der Ichthyose zudem Gedeihstörungen, eine psychomotorische Retardierung und faziale Dysmorphien auf.


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Abstract

The Clinic and Policlinic for Dermatology and Venerology Rostock is part of the European Reference Network for rare skin diseases. We specialize in xeroderma pigmentosum and ichthyoses. Those topics are also part of our basic research focusses.

Xeroderma pigmentosum (XP) is a rare, autosomal-recessive disease. The gene defects correspond with the seven complementation groups: XP-A to XP-G and the so-called XP variant (XP-V).

XP is a nucleotide excision repair defect syndrome that shows premature skin aging and an early onset of skin tumor development in childhood.

The rare neurocutaneous CEDNIK syndrome is an autosomal-recessive disease. The underlying mutation is a loss-of-function mutation in SNAP29 which encodes a SNARE protein implicated in intracellular membrane fusion. CEDNIK is an acronym for cerebral dysgenesis, neuropathy, ichthyosis and palmoplantar keratoderma. CEDNIK patients show a failure to thrive, a psychomotor retardation and facial dysmorphia besides ichthyosis.


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Einleitung

Mit den Schwerpunkten Ichthyosen und Xeroderma pigmentosum ist die Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie in Rostock am Europäischen Referenznetzwerkzentrum für seltene Hauterkrankungen (ERNskin) beteiligt [1]. Diese Schwerpunkte vertreten wir nicht nur klinisch, sondern auch in der Grundlagenforschung. Im Bereich der Ichthyosen haben wir uns auf das seltene, autosomal-rezessive CEDNIK-Syndrom (OMIM: # 609528) fokussiert. Im Bereich Xeroderma pigmentosum können wir auf eine langjährige Forschungsarbeit zu Splicevarianten und Genfunktionen der bekannten XP-Gene zurückblicken.


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Xeroderma pigmentosum – Mondscheinkinder und DNA-Reparatur

Xeroderma pigmentosum (XP) ist eine seltene, autosomal-rezessive genetische Erkrankung mit einer weltweiten Prävalenz von 1:1 000 000, die in einigen geografischen Regionen, u. a. bedingt durch kulturelle Einflüsse und Isolation, höher ist [2] [3]. XP wird in sog. Komplementationsgruppen unterteilt, die nach dem zugrunde liegenden Gendefekt benannt sind. Derzeit existieren 7 Komplementationsgruppen (XP-A bis XP-G) und eine XP-Variante (XPV), die durch eine Mutation im Gen der transläsionalen Polymerase η (POLH) bedingt ist [4] [5].

Der Pathomechanismus erklärt sich durch eine Akkumulation von UV-induzierten zellulären DNA-Mutationen aufgrund defekter DNA-Reparatur oder der fehlerfreien transläsionalen Synthese. Die Genprodukte von XPA bis XPG erfüllen ihre Funktion in der Nukleotid-Exzisions-Reparatur, das Genprodukt von XPV katalysiert fehlerfreie transläsionale DNA-Synthese [4] [6]. Eine ausführliche Übersicht über die Nukleotid-Exzisions-Reparatur und die Funktion der XP-Gene bietet der Übersichtsartikel von Marteijn et al. [7]. Um die Funktion von XPF besser untersuchen zu können, erzeugten wir mithilfe der CRSIPR/Cas9-Technologie erfolgreich eine humane XPF-Knockout-Fibroblastenzelllinie [8].

Mindestens 6 verschiedene klinische Syndrome weisen Veränderungen in den XP-Genen auf: Xeroderma pigmentosum (XP), XP mit neurologischen Symptomen, XP/Cockayne-Syndrom (CS)-Komplex, eine photosensitive Form der Trichothiodystrophie (TTD), XP/TTD-Komplex und das Zerebro-okulo-fazio-skelettale-Syndrom (COFS) [9]. Erhöhte Sonnensensitivität tritt nicht bei allen XP-Patienten auf. Nur etwa 60 % aller XP-Patienten weisen in den ersten Lebenswochen als erstes Symptom eine schwerwiegende Dermatitis solaris nach geringer UV-Exposition auf. Dennoch entwickeln alle XP-Patienten eine frühe Hyperpigmentation an sonnenexponierten Arealen sowie Zeichen einer verfrühten Hautalterung und poikilodermatischer Haut ab dem Alter von 3 – 5 Jahren. XP-Patienten bekommen bereits früh Hautkrebs mit einem medianen Alter von 9 Jahren bei Plattenepithelkarzinomen und Basalzellkarzinomen bzw. einem medianen Erkrankungsalter von 22 Jahren für kutane Melanome [10]. In der Durchschnittsbevölkerung liegt das mediane Erkrankungsalter für UV-induzierte Neoplasien bei etwa 60 Jahren. Das Risiko für Basalzellkarzinome und Plattenepithelkarzinome ist bei XP-Patienten 10 000-mal höher; das Risiko für die Entwicklung von Melanomen ist 2000-mal höher [11]. Des Weiteren können ophthalmologische Veränderungen im Sinne einer Konjunktivitis, eines Katarakts, einer Pterygiumbildung oder einer Entwicklung seltener Tumoren [12] sowie neurologische Symptome in unterschiedlich starker Ausprägung auftreten. Es können Reflexe ausfallen, es kann zu einem progredienten Gehörverlust und Sprachverlust sowie einer kognitiven Verschlechterung kommen. XP-Patienten mit neurologischen Symptomen haben eine höhere Mortalität und sterben bereits mit einem medianen Alter von 29 Jahren im Vergleich zu XP-Patienten ohne neurologische Symptome, die im medianen Alter von 37 Jahren sterben [10] [13]. Die Diagnose XP wird im Allgemeinen klinisch gestellt, bestenfalls durch eine interdisziplinäre Begutachtung durch Dermatologen, Neurologen, Ophthalmologen und HNO-Fachkräfte in Zusammenschau mit humangenetischen Analysen [(Abb. 1]) [14].

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Abb. 1 Interdisziplinäre Diagnosestellung von Xeroderma pigmentosum [2].

Bis heute gibt es keine kurative Therapie für XP. Eine frühe Diagnose ist essenziell, damit adäquate UV-Schutzmaßnahmen, die Sonnenschutzcreme, langärmlige Kleidung, breitkrempige Hüte, Sonnenbrillen, Gesichtsschutz, UV-Folien und UV-Meter umfassen, eingeleitet werden und regelmäßige, vierteljährliche dermatologische Hautkrebskontrollen durchgeführt werden können [9]. Prämaligne und maligne Läsionen sollten nach den Standardtherapierichtlinien behandelt werden, die Kryotherapie, Kürettage und topische Behandlung mit 5-Fluorouracil umfassen [5]. Chirurgische Exzision ist die erste Wahl bei der Behandlung invasiver Hautkrebse, die aufgrund der Häufigkeit der benötigten Eingriffe so klein wie möglich erfolgen sollte [2]. Weitere Behandlungsmöglichkeiten beinhalten die topische Applikation von 5 %-iger Imiquimod-Creme, die ein schweres Erythem und Erosionen hervorrufen kann [15] [16] [17] [18] [19] [20] [21] [22] [23], Cremes mit xenogenen Reparaturenzymen (Photolyase oder T4-Endonuklease) [24] [25] [26], SMO-Inhibitoren [27] [28], PD-1-Antikörper [29] [30] und orale Retinoide [31] [32].


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CEDNIK-Syndrom

Das seltene, autosomal-rezessive, neurokutane CEDNIK-Syndrom (OMIM: 609528) beruht auf einer Loss-of-Function-Mutation im SNAP29-Gen und wurde 2005 von der Arbeitsgruppe um Eli Sprecher zum ersten Mal beschrieben. CEDNIK ist ein deskriptives Akronym für den bei der Erkrankung bestehenden Symptomkomplex: zerebrale Dysgenese (CErebral Dygenesis), Neuropathie (Neuropathy), Ichthyose (Ichthyosis) und Palmoplantarkeratosen (Keratoderma). Die Erkrankungsfälle traten in 2 blutsverwandten israelischen Familien bei insgesamt 7 Individuen auf. Durch genaue humangenetische Untersuchungen konnte die zugrunde liegende genetische Mutation ermittelt werden. Die Deletion eines Guanins im SNAP29-Gen auf Chromosom 22 bedingt diese Loss-of-Function-Mutation [33]. Seit der Erstbeschreibung ist die Fallzahl auf 12 Patienten gestiegen [34], wobei von 2 weiteren Mutationen – c.486insA [35] und c.85C > T [34] – berichtet wurde. Untersuchungen an Patienten mit dem 22q11.2-Deletionssyndrom ergaben 4 weitere Mutationen in SNAP29, die durch eine Hemizygotie demaskiert wurden und somit das klinische Bild des Deletionssyndroms um das klinische Bild eines CEDNIK-Syndroms erweiterten: c.388_389insGA, c.28_32delCCGTT, c.265G > A und c.268C > T [36].

Klinisch waren die Patienten bei Geburt unauffällig, entwickelten in den ersten 4 Lebensmonaten jedoch bereits Symptome wie Gedeihstörungen, progrediente Mikrozephalie und einen fazialen Dysmorphismus. Ab dem 5. – 11. Lebensmonat zeigte sich eine palmoplantare Keratose und eine sich progredient verschlechternde generalisierte Ichthyose. Des Weiteren konnte eine psychomotorische Retardierung nachgewiesen werden. Während 3 männliche Patienten im Alter zwischen 5 und 12 Jahren an Aspirationspneumonien verstarben, lebten die anderen Patienten im Alter zwischen 5 und 13 Jahren zum damaligen Zeitpunkt mit schweren psychomotorischen Retardierungen, Ichthyose und palmoplantarer Keratose [33].

SNAP29 ist ein SNARE (Soluble N-ethylmaleimide-sensitive fusion attachment proteins [SNAP] receptors)-Protein, das an intrazellulären Membranfusionen beteiligt ist [37]. Die Interaktion von SNAP29 mit EHD1 (Eps15 homology domain-containing protein 1) indiziert eine Beteiligung von SNAP29 an der Endozytose [38]. Eine Beteiligung von SNAP29 an Endozytose und Zellmotilität [37], Reifung und Sekretion lamellärer Granula [33] [35], Bildung primärer Zilien [39], Kinetochorbildung [40] und Autophagie [41] konnte nachgewiesen werden.

Unsere Arbeitsgruppe konnte bereits 2 Mausmodelle für das CEDNIK-Syndrom etablieren, die einen ähnlichen Hautphänotyp wie die CEDNIK-Patienten aufwiesen [42]. Um weitere Genfunktionen untersuchen zu können, haben wir mithilfe der lentiviralen Transduktion und der innovativen CRISPR/Cas9-Technologie eine humane SNAP29-Knockout-Fibroblastenzelllinie generiert.

Diese Zelllinie und die etablierten Techniken werden als Basis von nun weiteren Forschungsarbeiten zum CEDNIK-Syndrom und zur Identifikation der zellulären Funktionen von SNAP29 dienen.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Marie Christine Martens, B. Sc.
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie der Universitätsmedizin Rostock
Strempelstraße 13
18057 Rostock

Publication History

Article published online:
20 August 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York


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Abb. 1 Interdisziplinäre Diagnosestellung von Xeroderma pigmentosum [2].