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DOI: 10.1055/a-1163-4712
Intravenöse Lyse-Therapie beim ischämischen Schlaganfall – Schritt für Schritt
- Grundlagen
- Praxistipp: Relative Kontraindikationen
- Checkliste: Management
- National Institute of Health Stroke Score (Punktzahl in Klammern)
- Praxistipp
- Überwachung und Komplikationen
- Schritt 1
- Schritt 2
- Schritt 3
- Schritt 4
- Schritt 5
- Schritt 6
- Schritt 7
- Schritt 8
- Literatur
Seit ihrer Einführung vor 25 Jahren ist die intravenöse Lyse-Therapie Standard bei der Behandlung des ischämischen Schlaganfalls [1]. In diesem Zeitraum hat sich hinsichtlich Indikationen und Kontraindikationen, Zeitfenster und Bildgebung vieles verändert. Eines hat Bestand: Richtig angewendet, ist die intravenöse Lyse-Therapie durch das Auflösen des Blutgerinnsels eine effektive Behandlung des ischämischen Schlaganfalls.
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Grundlagen
Indikation
Die intravenöse Lyse-Therapie mit Alteplase (rekombinanter Gewebeplasminogenaktivator) ist indiziert beim klinischen Syndrom eines akuten Schlaganfalls mit behinderndem neurologischem Defizit, das sich nicht spontan zurückbildet. Als Bildgebung ist eine unauffällige native kraniale Computertomografie ausreichend. Frühzeichen in der nativen Bildgebung sind keine absolute Kontraindikation, jedoch ist bei ausgedehnten Frühzeichen eine Risikoabwägung notwendig. Nach intravenöser Gabe bindet Alteplase an Fibrin und aktiviert das dort gebundene Plasminogen zu Plasmin. Durch Plasmin löst sich das Fibringerinnsel auf. Die intravenöse Thrombolyse ist zugelassen für eine Behandlung innerhalb des Zeitfensters von 4,5 h nach Symptombeginn.
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Kontraindikationen
Die wichtigsten absoluten Kontraindikationen, die gegen die Durchführung der intravenösen Lyse-Therapie sprechen:
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intrakranielle Blutung
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unkontrollierter Bluthochdruck (systolischer Blutdruck > 185 mmHg trotz intravenöser Antihypertensiva)
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größere Operation oder schwere systemische Blutung in der direkten Vorgeschichte (z. B. gastrointestinale Blutung)
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entgleister Blutzucker (> 400 oder < 50 mg/dl)
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Einnahme von Vitamin-K-Antagonisten (VKA) und INR > 1,3 bzw. direkten oralen Antikoagulanz (NOAK) innerhalb von 48 h ohne verfügbares Antidot
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Praxistipp: Relative Kontraindikationen
Einige der formalen Kontraindikationen stammen aus der Zulassungsstudie und sind nicht evidenzbasiert. Einzelne wurden im Verlauf der Zeit relativiert:
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Eine obere Altersgrenze existiert nicht mehr
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Nach aktuellen Studiendaten kann in bestimmten Situationen und passender Bildgebung die intravenöse Lyse-Therapie bei unbekanntem Zeitfenster (z. B. „Wake-up-Schlaganfall“ [2]) oder im erweiterten Zeitfenster bis 9 h nach Symptombeginn [3] erfolgen. Hierzu ist die Bildgebung mittels MRT („DWI-FLAIR-Mismatch“ oder Nachweis von Risikogewebe mit Diffusions-Perfusions-Mismatch) oder Perfusions-CT (Nachweis von Risikogewebe) zu erweitern
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Patienten mit geringem neurologischen Defizit (National Institutes of Health Stroke Scale [NIHSS] < 4) profitieren ebenfalls von der Lyse-Therapie. Hierbei sollte aber eine relevante funktionelle Beeinträchtigung bestehen. Bei nicht behinderndem Symptom, z. B. isolierte Sensibilitätsstörung, ist die Lyse-Therapie nicht generell empfohlen
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Auch bei ausgeprägtem neurologischen Defizit (NIHSS > 25) ist die Lyse-Therapie sinnvoll [4]
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Bei Schlaganfall und Diabetes in der Anamnese, größerer Operation in den letzten 3 Monaten oder einem epileptischen Anfall ist das Risiko gegen den Nutzen abzuwägen
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Ein off-label Gebrauch ist bei VKA-Einnahme und einem INR 1,3 – 1,7 möglich [3]. Bei Einnahme eines NOAKs kann bei einer Pause > 48 h, normalem spezifischem Gerinnungstest oder bei Dabigatran nach Gabe des Antidots (Idarucizumab) die intravenöse Lyse-Therapie erfolgen. Idarucizumab ist ein humanisiertes monoklonales Antikörperfragment (Fab), das mit 300-fach höherer Affinitiät an Dabigatran bindet, als Dabigatran an Thrombin. Die empfohlene Dosis von Idarucizumab beträgt 5 g, diese wird intravenös als zwei aufeinanderfolgende Kurzinfusionen (2 × 2,5 g) oder als Bolusinjektion verabreicht. Nach Anwendung von Idarucizumab kann jederzeit mit der intravenösen Lysetherapie begonnen werden. Relevante Gerinnungsparameter sind die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT), die quantitative Bestimmung der Thrombinzeit in verdünnten Plasmaproben (dTT) und die Ecarin Clotting Time (ECT). Ein Wert im Normalbereich nach Anwendung von Idarucizumab gibt an, dass ein Patient nicht mehr antikoaguliert ist.
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Checkliste: Management
Um die Indikation zur Lyse-Therapie zu stellen, müssen Einschlusskriterien erfüllt und Kontraindikationen ausgeschlossen sein. Sinnvoll ist es, einen strukturierten Plan einzuhalten:
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Übergabe durch Rettungswesen
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Anamnese
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Klinisch neurologische Untersuchung (standardisierte neurologische Untersuchung und Befunddokumentation anhand der NIHSS; [Tab. 1])
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Vitalparameter, Blutentnahme (v. a. Blutgasanalyse, INR)
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Kraniale Bildgebung (cCT/cMRT zum Nachweis möglicher früher Ischämiezeichen (z. B. verstrichene Mark-Rinden-Grenze) und Ausschluss Blutung oder anderer Kontraindikationen)
Abkürzung: UN = „untestable“ (nicht untersuchbar)
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National Institute of Health Stroke Score (Punktzahl in Klammern)
siehe ([Tab. 1])
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Praxistipp
Die Dosis beträgt 0,9 mg/kg Körpergewicht, maximal 90 mg Gesamtdosis. Hiervon werden zu Beginn 10 % als Bolus verabreicht, die restlichen 90 % über 60 Minuten.
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Überwachung und Komplikationen
Durch die intravenöse Lyse-Therapie können Komplikationen auftreten, die häufigsten sind Blutung (v. a. kranial, gastrointestinal) sowie das allergische Angioödem (v. a. bei Einnahme von ACE-Hemmern). Bei einer Komplikation unter laufender Infusion wird die Therapie abgebrochen und geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen. Nach der Lyse-Therapie muss die Überwachung mit Kontrolle des neurologischen Status (NIHSS), der Vigilanz und der Pupillen alle 4 h und ein kontinuierliches Monitoring (u. a. EKG, Herzfrequenz, Blutdruck) auf einer zertifizierten Stroke Unit stattfinden. Da intrazerebrale Blutungen nach Thrombolyse mit erhöhtem Blutdruck assoziiert sind, ist eine strenge Blutdruckkontrolle und Vermeiden hypertensiver Entgleisungen wichtig. Der systolische Blutdruck sollte in den 24 h nach Thrombolyse < 185 mmHg, besser < 160 mmHg, liegen.
Eingriffe sollten wegen des Blutungsrisikos nach frühestens 6 h erfolgen, die Thrombozytenaggregationshemmung erst nach 24 h und Ausschluss einer intrakraniellen Blutung in der Kontrollbildgebung.
In der Praxis hat sich ein „Lyserucksack“ bewährt. Dieser enthält das gesamte Material, welches für eine schnelle Vorbereitung einer intravenösen Lyse-Therapie notwendig ist.
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Schritt 1
Suchen Sie einen festen Untergrund für die Durchstechflaschen mit dem Alteplase-Pulver und dem Wasser für Injektionszwecke. Arbeiten Sie mit Handschuhen. Entfernen Sie die Schutzkappen beider Durchstechflaschen und desinfizieren Sie die Oberflächen.
Unterstützung ist immer sinnvoll! Lassen Sie sich bei der Vorbereitung für die intravenöse Lyse-Therapie durch eine Pflegekraft, bestenfalls eine „Lyse-Nurse“, helfen.
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Schritt 2
Packen Sie die sterile Überleitkanüle aus und entfernen Sie die Schutzkappe eines beliebigen Dorns. Vorsicht: Die Überleitkanüle ist zwar noch steril, darf an dieser Stelle aber nicht mehr berührt werden. Durchstechen Sie mit dem Dorn den sterilen Gummistopfen der Durchstechflasche mit Wasser für Injektionszwecke.
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Schritt 3
Entfernen Sie nun die Schutzkappe des anderen Dorns der Überleitkanüle. Vorsicht: Auch dieser Dorn ist noch steril und darf nun nicht mehr berührt werden. Platzieren Sie die Durchstechflasche mit dem Alteplase-Pulver über dem Dorn der Überleitkanüle. Durchstechen Sie vorsichtig, aber gezielt, den Gummistopfen der Flasche mit dem Alteplase-Pulver.
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Schritt 4
Drehen Sie nun die verbundenen Flaschen um 180°, sodass das Wasser in die Flasche mit Alteplase-Pulver fließen kann. Verwenden Sie zum Auflösen des Alteplase-Pulvers das gesamte Wasser. Schwenken Sie die Flasche, damit sich alles Alteplase-Pulver auflöst. Das Alteplase-Pulver befindet sich nun in einer Konzentration von 1 mg/ml und sollte sofort verwendet werden.
Nicht schütteln! Achten Sie darauf, dass sich kein Schaum bildet. Ansonsten lassen Sie die Lösung für einige Minuten ruhen, damit sich die Luftblasen auflösen.
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Schritt 5
Sofern bislang nicht erfolgt, bedarf es jetzt eines sicheren intravenösen Zugangs. Wichtig ist die Anlage des intravenösen Zugangs auf der nicht betroffenen Körperseite, sodass ein Paravasat patienten- und ärztlicherseits schnell entdeckt wird. Bewährt hat sich ein Zugang mit großem Lumen (18 Gauge oder niedriger).
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Schritt 6
Ziehen Sie nun mit einer 10ml-Einmalspritze das Volumen des Bolus gemäß des Patientengewichts auf (10 % der Gesamtdosis, maximal 9 mg). Entweder im Anschluss oder zeitgleich, beispielsweise durch die unterstützende Pflegekraft, erfolgt das Aufziehen der Perfusorspritzen.
Ab einem Patientengewicht von 56 kg sind zwei Perfusorspritzen zu verwenden, da handelsübliche Perfusorspritzen ein maximales Volumen von 50 ml aufweisen.
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Schritt 7
Vergewissern Sie sich durch Gabe einer isotonischen Kochsalzlösung, dass der intravenöse Zugang korrekt liegt. Verabreichen Sie nun den Bolus an aufgelöster Alteplase. Die intravenöse Lyse-Therapie sollte hierbei durch die Bildgebung nicht verzögert werden.
„Time ist brain“. Deshalb sollte die Zeit zwischen Eintreffen des Patienten/der Patientin mit Schlaganfall und Beginn der intravenösen Lyse-Therapie nicht über 30 Minuten betragen („door-to-needle-time“).
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Schritt 8
Nach der Bolusgabe erfolgt die Alteplaseinfusion (90 % der Gesamtdosis, maximal 81 mg). Bedenken Sie, dass eventuell zwei Perfusorspritzen notwendig sind und vergessen Sie nicht den Spritzenwechsel. Die gesamte restliche Alteplasedosis muss innerhalb von 60 Minuten verabreicht sein.
Nach Start der Alteplaseinfusion sollte die Darstellung der hirnversorgenden Gefäße erfolgen.
Bei einem Großgefäßverschluss ist mit den Kollegen der Neuroradiologie die Indikation zur mechanischen Thrombektomie zu diskutieren.
Korrekt angewendet, ist die intravenöse Lyse-Therapie seit 25 Jahren ein wichtiger Teil der Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls. Sofern ein Großgefäßverschluss vorliegt, ist die mechanische Thrombektomie eine sinnvolle Ergänzung. Außerdem wird weiterhin an der akuten Schlaganfalltherapie geforscht: dank den WAKE-UP-/EXTEND-Studien kann bei entsprechendem Bildbefund das Zeitfenster ausgeweitet werden und mit Tenecteplase steht womöglich bald ein Lysemedikament der nächsten Generation bereit [2] [3] [6].
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Autorinnen/Autoren
Maximilian Schell
Maximilian Schell, 2010-2018 Studium der Humanmedizin an der ALU Freiburg und UCM in Madrid. Seit 2019 Facharztausbildung für Neurologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Prof. Dr. med. Götz Thomalla
Götz Thomalla ist Professor für bildgebungsgestützte klinische Schlaganfallforschung in der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Medizinstudium in Bonn, Wien und Hamburg.
Interessenkonflikte
Götz Thomalla hat Honorare erhalten für Vortragstätigkeiten oder als Berater von Acanadis, Bayer, Boehringer Ingelheim, BristolMyersSquibb/Pfizer, Daiichi Sankyo, Portola, Stryker.
Maximilian Schell gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
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Literatur
- 1 National Institute of Neurological Disorders and Stroke rt-PA Stroke Study Group. Tissue plasminogen activator for acute ischemic stroke. N Engl J Med 1995; 333: 1581-1587
- 2 Thomalla G, Simonsen CZ, Boutitie F. et al. MRI-Guided Thrombolysis for Stroke with Unknown Time of Onset. N Engl J Med 2018; 379: 611-622
- 3 Ma H, Campbell BCV, Parsons MW. et al. Thrombolysis Guided by Perfusion Imaging up to 9 Hours after Onset of Stroke. N Engl J Med 2019; 380: 1795-1803
- 4 Emberson J, Lees KR, Lyden P. et al. Effect of treatment delay, age, and stroke severity on the effects of intravenous thrombolysis with alteplase for acute ischaemic stroke: a meta-analysis of individual patient data from randomised trials. Lancet 2014; 384: 1929-1935
- 5 Xian Y, Liang L, Smith EE. et al. Risks of intracranial hemorrhage among patients with acute ischemic stroke receiving warfarin and treated with intravenous tissue plasminogen activator. JAMA 2012; 307: 2600-2608
- 6 Parsons M, Spratt N, Bivard A. et al. A randomized trial of tenecteplase versus alteplase for acute ischemic stroke. N Engl J Med 2012; 366: 1099-1107
Korrespondenzadresse
Publication History
Article published online:
09 November 2020
© 2021. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 National Institute of Neurological Disorders and Stroke rt-PA Stroke Study Group. Tissue plasminogen activator for acute ischemic stroke. N Engl J Med 1995; 333: 1581-1587
- 2 Thomalla G, Simonsen CZ, Boutitie F. et al. MRI-Guided Thrombolysis for Stroke with Unknown Time of Onset. N Engl J Med 2018; 379: 611-622
- 3 Ma H, Campbell BCV, Parsons MW. et al. Thrombolysis Guided by Perfusion Imaging up to 9 Hours after Onset of Stroke. N Engl J Med 2019; 380: 1795-1803
- 4 Emberson J, Lees KR, Lyden P. et al. Effect of treatment delay, age, and stroke severity on the effects of intravenous thrombolysis with alteplase for acute ischaemic stroke: a meta-analysis of individual patient data from randomised trials. Lancet 2014; 384: 1929-1935
- 5 Xian Y, Liang L, Smith EE. et al. Risks of intracranial hemorrhage among patients with acute ischemic stroke receiving warfarin and treated with intravenous tissue plasminogen activator. JAMA 2012; 307: 2600-2608
- 6 Parsons M, Spratt N, Bivard A. et al. A randomized trial of tenecteplase versus alteplase for acute ischemic stroke. N Engl J Med 2012; 366: 1099-1107