Schlüsselwörter
Placebo-Effekt - Schmerzmedizin - Placeboanalgesie
Key words
Placebo effect - Pain management - Placeboanalgesia
Placebos und Schmerztherapie: Ein Fallbeispiel
Placebos und Schmerztherapie: Ein Fallbeispiel
Auf einer Normalstation befindet sich eine 52-jährige Patientin, die aufgrund
einer Zunahme ihrer Fibromyalgie bedingten Schmerzen den diensthabenden Arzt der
Notaufnahme in der Nacht um Hilfe bittet. Die bestehende Schmerztherapie mit
Metamizol und Ibuprofen sei nicht ausreichend. Der Dienstarzt lässt der als
„schwierig“ wahrgenommenen Patientin eine rote Placebo-Tablette
aushändigen und bittet den Pfleger ihr zu erklären, dass diese
„Spezialmedikation“ schon jedem geholfen habe. In der Morgenvisite
berichtet sie begeistert über die gute Wirkung und wünscht das
Medikament nun auch tagsüber zu erhalten, sodass ihr weiterhin die
Placebo-Tabletten verabreicht werden. Im Entlassgespräch fragt die Patientin
dann interessiert nach dem Namen des Präparates und bittet um
Erwähnung im Arztbericht um sich das Medikament für Notfälle
besorgen zu können. Auch die gute Wirkung der Placebobehandlung und das
lange und intensive Gespräch über die Natur der wirkstofffreien
Tablette kann das gestörte Vertrauen der Patientin in das Behandlungsteam
nach der Aufklärung nicht reparieren.
Dieses hypothetische Beispiel verdeutlicht gleichsam, wie wirksam Placebos sein
können, aber auch das damit verbundene ethische Dilemma. Dieser Beitrag
fasst aktuelle Befunde zu den psychologischen und neurobiologischen Mechanismen von
Placeboeffekten und deren Einfluss auf aktive pharmakologische und andere
schmerztherapeutische Behandlungen zusammen und zeigt auf, wie Placeboeffekte sogar
ganz ohne die Anwendung von Scheinmedikamenten genutzt werden können, um die
Wirksamkeit und Verträglichkeit von schmerztherapeutischen Behandlungen zu
verbessern.
Von der Wissenschaft in die Praxis
Von der Wissenschaft in die Praxis
Als Placeboeffekte bezeichnet man positive physiologische oder psychologische
Veränderungen, die nach einer Einnahme von Medikamenten ohne spezifischen
Wirkstoff oder Scheineingriffen auftreten. Zu diesen zählen der
natürliche Verlauf einer Erkrankung, statistische Phänomene und die
sogenannte Placeboantwort. Diese beschreibt Symptomveränderungen, welche
durch die Erwartungshaltung von Patienten bezüglich der Wirkung einer
Therapie, Lernprozesse sowie die Behandler-Patienten-Kommunikation hervorgerufen
werden (zusammengefasst in [1]). Wie
Untersuchungen der letzten Jahrzehnte demonstrieren (zusammengefasst in [2]), unterliegen der Placeboantwort komplexe
neurobiologische und physiologische Vorgänge.
Essentiell für die klinische Nutzung von Placeboeffekten ist das
Verständnis, dass Placeboantworten nicht nur im Rahmen von
wissenschaftlichen Placebobehandlungen auftreten, sondern auch im Rahmen
pharmakologischer oder anderer spezifischer Behandlungen den Erfolg einer Therapie
substantiell beeinflussen können. Dieses Potenzial ist mittlerweile auch
metaanalytisch belegt [3]. Dem
gegenüber stehen sogenannte Noceboantworten, unter denen man das Auftreten
oder die Verschlimmerung von Symptomen oder unerwünschten Wirkungen
zusammenfasst, die durch eine negative Erwartung oder Vorerfahrung, aber nicht durch
die medizinische und/oder pharmakologische Behandlung selbst entstehen. Auch
hier belegen Metaanalysen, dass ein großer Anteil von Nebenwirkungen nicht
auf die pharmakologische Substanz selbst, sondern auf die damit verknüpfte
Vorerfahrung oder Erwartung zurückzuführen ist (zusammengefasst in
[4]
[5]). In den folgenden Absätzen sollen
die psychologischen und neurobiologischen Grundlagen von Placebo- und
Noceboantworten erläutert und klinische Implikationen erörtert
werden.
Die Säulen des Placeboeffektes: Erwartungs- und Lernmechanismen
Die Säulen des Placeboeffektes: Erwartungs- und Lernmechanismen
Es ist naheliegend, dass eine wirkstofffreie Substanz oder eine Scheinintervention
mit keiner direkten Wirkung zusammenhängt. Dennoch zeigen klinische und
experimentelle Studien in Kontroll-Armen häufig Placeboeffekte. Insbesondere
im Bereich der Schmerztherapie sind diese oft so groß, dass für
vielversprechende neue Substanzen oder Therapieverfahren der angestrebte
Wirksamkeitsnachweis (gegenüber Placebo) häufig nicht gelingt. Umso
wichtiger ist es, die zugrundeliegenden Mechanismen und Einflussfaktoren dieses
Phänomens besser zu verstehen.
Basierend auf intensiven Forschungsaktivitäten der letzten beiden Jahrzehnte
haben sich 2 eng verbundene psychologische Schlüsselmechanismen bei der
Entstehung von Placeboantworten identifizieren lassen: Erwartungs- und
Lernmechanismen [6].
Individuelle Behandlungserwartungen und -überzeugungen entstehen auf
vielfältige Art und Weise und können auch bewusst induziert werden.
Die wesentlichen Determinanten von Erwartungen sind Vorinformationen, die eine
Vorhersage über den Behandlungserfolg erlauben. Empirisch gut belegte
Induktoren von Behandlungserwartungen sind verbale Instruktionen (z. B.
durch den Arzt/Ärztin, Apotheker, etc.), frühere
Behandlungserfahrungen, sowie die soziale Beobachtung von
Behandlungserfolgen/-misserfolgen bei Mitpatienten oder dem sozialen Umfeld.
Die Placeboanalgesie, also die Linderung von Schmerzen durch Placeboeffekte, ist ein
besonders gut untersuchtes Phänomen, auf das wir im Folgenden näher
eingehen werden. Viele Studien belegen, dass experimentell induzierte Erwartungen
(z. B. über verbale Information) zu einer unterschiedlichen
Schmerzlinderung, erhöhten Kontrollüberzeugung und Reduktion von
Angst und Stress führen können [7]. Aber auch verschiedene kontextuelle Aspekte wie der Arztkittel, die
Gestaltung der Behandlungsumgebung [8] oder
ganz direkte Charakteristika der Behandlung (Injektion, Tablette und dessen Form und
Farbe [9]) können Placeboeffekte
beeinflussen. Während in experimentellen Studien gezielt einzelne
Wirkkomponenten der Erwartungsbildung moduliert werden, ist die individuelle
Erwartung von Patienten im klinischen Alltag häufig multifaktoriell
geprägt. Die positive Behandlungserwartung bspw. eines Patienten, der von
wirkstofffreien Präparaten im Kontext der Homöoopathie profitiert,
ist häufig durch die Überzeugungen von sozialen Peers, einer
intensiven Behandler-Patienten-Kommunikation, früheren Lernerfahrungen,
sowie den Überzeugungen des Behandlers geprägt.
Dass der Behandlungskontext – und damit auch die behandelnde Person selbst
– unmittelbar Teil des Wirkungsmechanismus einer Placeboantwort sein kann,
demonstrieren anschaulich sogenannte „Open-Hidden-Paradigmen“ ([Abb. 1]): Das Prinzip ist denkbar einfach.
Während der Infusion eines Analgetikums z. B. in der Behandlung
postoperativer Schmerzen) ist entweder ein Behandler anwesend oder ein Computer
übernimmt die Steuerung der Infusion ohne Behandler-Patientenkontakt.
Ähnliche Studien existieren auch zur Kontaktzeit des Behandlers
während (z. B. einer Sham-Akupunktur). Die Studien zeigen, dass allein die
Anwesenheit und Zuwendung, die ein Behandler dem Patienten während einer
Behandlung zuteilwerden lässt, den analgetischen Effekt signifikant steigern
und auch die Symptomschwere verschiedener Erkrankungen (z. B. Idiopathisches
Parkinson-Syndrom) lindern kann (zusammengefasst in [10]).
Abb. 1 Open-Hidden-Paradigmen. Die offene Gabe eines Analgetikums als
Infusion durch einen Arzt erzeugt einen Placeboeffekt durch Induktion einer
positiven Erwartungshaltung an die Wirkung des Medikamentes. Somit wirkt sie
stärker schmerzlindernd als die Gabe desselben Medikaments, das
computergesteuert verabreicht wird. Quelle: [Enck P, Bingel U, Schedlowski M et al. The placebo
response in medicine: minimize, maximize or personalize? Nat Rev
Drug Discov 2013; 12: 191–204. Im Internet: http://www.nature.com/articles/nrd3923]
[rerif].
Wie ausgeprägt eine solche Placeboantwort ist, hängt sowohl von der
Erfahrbarkeit der Behandlung als auch vom Symptomkomplex ab: Die
Effektstärken scheinen umso größer je subjektiver der
Zielparameter und je erfahrbarer die Verabreichung oder Scheinintervention. So ist
sie besonders groß bei subjektiv erlebten Symptomen wie Schmerz oder
Depressivität. Eine wirkstofffreie Infusion bewirkt bspw. eine deutlichere
Schmerzlinderung als eine einfache Placebo-Tablette [11]. Dennoch finden sich auch in Organsystemen, die weniger subjektiv
wahrgenommen werden, Placeboeffekte wieder. So werden bspw. Placeboantworten des
Immunsystems beobachtet, welche allerdings allein durch verbal induzierte
Erwartungsmechanismen nicht hinreichend erklärt werden können [12]. Vielmehr kommt ein weiterer
Schlüsselmechanismus für Placeboantworten zum Tragen: Die klassische
Konditionierung, oder spezifischer ausgedrückt: Die Vorerfahrung mit einem
Medikament, die auch als „pharmakologische Konditionierung“
bezeichnet wird [6].
Das Konzept der pharmakologischen Konditionierung, das in [Abb. 2] dargestellt ist, besteht aus der
wiederholten gleichzeitigen Präsentation eines neutralen Stimulus
(z. B. die Farbe oder der Geschmack einer Tablette) mit der
pharmakologischen Wirkung des Präparates (z. B. Schmerzlinderung,
entspricht dem unkonditionierten Stimulus) zu einer konditionierten Reaktion, die
– einmal erlernt – auch allein durch das wirkstofffreie
Präparat (also dem konditionierten Stimulus) ausgelöst werden kann
[6]
[13]
[14]. Eine solche konditionierte analgetische
Reaktion auf eine Placebogabe nach wiederholter Gabe des Verum-Analgetikums wurde
sowohl für Opioid- als auch für Nicht-opioid-Analgetika demonstriert
[15]
[16]. Solche pharmakologisch konditionierten
Reaktionen wurden insbesondere in den Bereichen gezeigt, in denen sich durch verbale
Instruktion allein keine Placeboanwort auslösen ließ – wie
im Immun- und endokrinen System. So gelang es bspw. sogar bei nierentransplantierten
Patienten durch klassische Konditionierung eine Immunsuppression mit Ciclosporin A
oder Tacrolimus durch intermittierend verabreichte Placebo-Kapseln aufrecht zu
erhalten und unerwünschte Arzneimittelreaktionen zu vermindern [14]. Patienten mit konditionierter
Placeboantwort zeigten innerhalb der Placebo-Kapsel-Anwendung reduzierte
Konzentrationen modulierender Zytokine (nachgewiesen durch IL-2-mRNA und
γ-IFN-mRNA) sowie eine T-Zell-Suppression. Während die Mechanismen
der Placeboanalgesie von allen Placeboantworten am besten verstanden sind, gewinnen
aktuelle Forschungsprojekte auch zunehmend ein Verständnis der
neurobiopsychologischen Korrelate von Placeboantworten in anderen
körperlichen Systemen. Hierzu werden auch peripher-physiologische Systeme
zahlreicher Organstrukturen mit einbezogen. Hierbei wird deutlich, dass
Placeboantworten als ein fast ubiquitär vorkommendes Phänomen
beschrieben werden können [1], wie
[Abb. 3] veranschaulicht.
Abb. 2 Pharmakologische Konditionierung. Ein unkonditionierter
Stimulus, z. B. ein Analgetikum führt zu einer nachweisbaren Wirkung
(unkonditionierte Reaktion). Ein neutraler Stimulus wie eine
Tablettenhülse ohne Wirkstoff führt hingegen zu keiner
Wirkung. Dennoch kann die wiederholte gleichzeitige Präsentation
eines neutralen Stimulus mit dem unkonditionierten Stimulus zu einer
konditionierten Reaktion führen, die später auch allein
durch den neutralen Stimulus (wirkstofffreies Präparat) (i. S. eines
konditionierten Stimulus) ausgelöst werden kann. Quelle: [Enck P, Bingel U, Schedlowski M et al. The placebo
response in medicine: minimize, maximize or personalize? Nat Rev
Drug Discov 2013; 12: 191–204. Im Internet: http://www.nature.com/articles/nrd3923]
[rerif].
Abb. 3 Placeboantworten als psychoneurobiologisches Phänomen.
Placeboantworten betreffen viele körpereigene Systeme. Quelle [Enck P, Bingel U, Schedlowski M et al. The placebo
response in medicine: minimize, maximize or personalize? Nat Rev
Drug Discov 2013; 12: 191–204. Im Internet: http://www.nature.com/articles/nrd3923]
[rerif].
Übertragen auf das einleitende Fallbeispiel lassen sich auch hier Faktoren
der nun bekannten Mechanismen identifizieren: Grundlage einer möglichen
Placeboantwort ist z. B. die Tatsache, dass es sich um eine rote Tablette handelt.
Die Einnahme einer roten Tablette allein führt wohlmöglich durch
eine bereits bestehende Konditionierung der Patientin zu einer schmerzlindernden
Wirkung. Die verbale Instruktion, dass es sich dabei um ein
„Spezialmedikament“ handele, das mit großem Erfolg selbst
bei medizinisch herausfordernden Fällen eingesetzt werde, kann eine
entsprechende positive Erwartungshaltung erzeugt haben. Zu guter Letzt legen die
sog. Open-Hidden-Paradigmen nahe, dass die Anwesenheit und die Bereitschaft des
Pflegenden, die Placebotablette zu erklären, eine mögliche Wirkung
induzieren kann. All diese Faktoren können über die Mechanismen der
Erwartung und Konditionierung eine Placeboanalgesie auslösen.
Neurobiologische Korrelate der Placeboanalgesie
Neurobiologische Korrelate der Placeboanalgesie
Aktuellen Modellen der Placeboanalgesie zufolge, beruht diese auf der kognitiv
getriggerten (d. h. Entwicklung einer Erwartungshaltung) Aktivierung des
deszendierenden, schmerzhemmenden Systems, wobei dem dorsolateralen prefrontalen
Kortex (DLPFC), dem rostralen anterioren Cingulum (rACC) und subkortikalen
Kerngebieten wie dem periaquäduktalen Grau (PAG) eine Schlüsselrolle
zukommen [17]. Die Aktivierung dieses
schmerzhemmenden Systems bedingt eine verminderte Aktivierung schmerzrelevanter
Areale, wie dem insulären, und somatosensorischen Kortex. Untersuchungen
mittels spinaler funktioneller MRT (fMRT) legen nahe, dass dies auf eine Modulation
der nozizeptiven Signalverarbeitung bereits auf Höhe des spinalen
Hinterhorns zurückzuführen ist [18]. Sowohl pharmakologische Interventionen mit dem Opioidantagonisten
Naloxon in Kombination mit fMRT, als auch Untersuchungen mit
Opioid-Liganden-Positronen-Emissions-Tomographie (PET, z. B.
[11C]Carfentanil-PET) belegen die substantielle Beteiligung des endogenen
Opioidsystems für die Schmerzhemmung während der Placeboanalgesie
[19]. Aktuellste Befunde deuten darauf
hin, dass unter bestimmten Umständen (wiederholte Vorbehandlung mit einem
Nicht-Opioid-Analgetikum) auch das körpereigene Cannabinoidsystem an der
Placeboanalgesie beteiligt sein kann [15].
Individuelle Unterschiede der Placeboantwort
Individuelle Unterschiede der Placeboantwort
Eine große Herausforderung bei der gezielten klinischen Anwendung von
Placeboeffekten ist ihre große interindividuelle Varianz. Diese reicht bspw.
bei der Placeboanalgesie von einer geringen Schmerzlinderung bis zur kompletten
Schmerzfreiheit selbst stark chronifizierter Schmerzsyndrome. Diese Varianz spiegelt
sich auch in den Placeboarmen der klinischen Studien wider. Ein Schwerpunkt
aktueller Forschungsbemühungen ist daher die Charakterisierung von
psychologischen, physiologischen, genetischen und anderen Prädiktoren der
individuellen Placeboantwort. Bislang ist das Wissen bzgl. potentieller
Prädiktorvariablen für eine Placeboantwort noch lückenhaft.
So scheinen psychologische Variablen wie die Ängstlichkeit von Probanden
oder Patienten, das Ausmaß an Depressivität oder Optimismus einen
Teil der Varianz in der Placeboantwort zu erklären. Auch die individuelle
genetische Ausstattung [20] und die inviduelle
Hirnanatomie beeinflussen die individuelle Placeboantwort [21]. Vor dem Hintergrund, dass Placeboeffekte
substantiell zum therapeutischen Outcome vieler Behandlungen beitragen, ist der
weitere Erkenntnisgewinn bzgl. möglicher Prädiktoren von
Placeboantworten von großer Bedeutung, sowohl für den klinischen
Alltag, als auch für eine mögliche Stratifizierung in klinischen
Studien.
Die klinische Anwendbarkeit von Placeboeffekten
Die klinische Anwendbarkeit von Placeboeffekten
Durch positive Erwartungen begünstigte Placeboantworten können auch
ganz ohne die Gabe eines Placebos auftreten und die medizinische Behandlung
beeinflussen oder über die rein pharmakologische Wirkung hinaus verbessern.
Im Kontrast dazu können allerdings auch negative Erwartungen
Medikamenteneffekte mildern oder aufheben. Dies zeigte eine Studie, in der das
potente Opioidanalgetikum Remifentanil in 3 Erwartungsbedingungen eingesetzt wurde:
Ohne Erwartung als verdeckte Infusion, mit verbundener positiver Erwartung und mit
negativer Erwartung [7]. Alle
Erwartungsinduktionen geschahen dabei über eine verbale Instruktion in
Kombination mit einer Konditionierungsphase. In dieser Studie verdoppelte sich der
analgetische Effekt allein durch das Wissen der Versuchsteilnehmer, dass sie das
Analgetikum während eines experimentellen Schmerzreizes erhielten.
Versuchsteilnehmer, denen allerdings eine negative Instruktion kommuniziert wurde
(keine Therapie, aber schmerzhafter Reiz), zeigten keinen lindernden Effekt der
pharmakologisch wirksamen Substanz, obwohl die identische Dosis des Medikamentes
verabreicht wurde. Parallele fMRT-Untersuchungen belegten die Erwartungsmodulation
der Analgesie in klassischen Schmerzarealen. Diese an gesunden Versuchsteilnehmern
durchgeführte Studie hat deutliche klinische Implikationen: Negative
Erwartungen, komorbide Angst und Depression sind insbesondere bei chronischen
Schmerzpatienten häufig und sollten im therapeutischen Kontext
berücksichtigt werden. Es liegt nahe, dass also pharmakologische
Schmerztherapien mit negativen Vorerfahrungen und Gedanken interferieren und somit
schlechter wirken.
Auch in der Behandlung episodischer Schmerzerkrankungen, wie der Migräne,
sind vergleichbare Befunde zu finden: In einer prospektiven, randomisierten,
placebo-kontrollierten Untersuchung wurden Patienten mit episodischer
Migräne rekrutiert und 6 konsekutive Migräneattacken mit einer
Studienmedikation behandelt [22]. Diese
bestand entweder aus Rizatriptan 10 mg oder Placebo, die jeweils entweder
als „Placebo“, „Placebo oder „Rizatriptan“
oder „Rizatriptan“ beschriftet war, sodass der Einfluss
unterschiedlicher Erwartungen von negativ bis positiv auf die Wirksamkeit der
Studienmedikation untersucht werden konnte. Es zeigte sich eine leicht
größere Wirkung von Rizatriptan gegenüber Placebo.
Allerdings ergab sich sowohl für Placebo als auch für Rizatriptan
eine statistisch signifikante Modulation durch die Beschriftung – mit
zunehmender Wirksamkeit bei zunehmender positiver Erwartung. Hierbei war die Wirkung
von Rizatriptan, welches als Placebo dargeboten wurde, vergleichbar mit Placebo,
welches als Rizatriptan dargeboten wurde. Bemerkenswerterweise war auch die Gabe von
Placebos, welche wahrheitsgemäß als Placebos beschriftet wurden,
wirksamer als eine Nichtbehandlung, was möglicherweise auf konditionierte
Effekte zurückzuführen ist, da die Patienten nicht naiv für
die Behandlung mit Triptanen oder anderen Analgetika waren.
Diese Studien verdeutlichen exemplarisch, dass Placebo- und Noceboeffekte, bzw. die
Effekte positiver und negativer Erwartung und Behandlungsvorerfahrung die
Wirksamkeit von aktiven pharmakologischen (und anderen) schmerzmedizinischen
Behandlungen stark beeinflussen können. Wie Untersuchungen zeigen,
können insbesondere Vorerfahrungen dabei eine bedeutende Rolle spielen und
über Placebo- und Noceboeffekte die Wirkung auch neuartiger Therapien
beeinflussen [23]. Sie geben Anlass zur
Diskussion, wie Placeboantworten im klinischen Umfeld nutzbringend eingesetzt werden
können, um die Wirksamkeit und Verträglichkeit
schmerztherapeutischer Behandlungen zu optimieren. Ein Ansatz, der mittlerweile auch
Einzug in aktuelle Behandlungsleitlinien gefunden hat [24].
Ethische und juristische Überlegungen
Ethische und juristische Überlegungen
Auch wenn Placebobehandlungen sowohl in experimentellen als auch in klinischen
Studien zu einer Symptombesserung führen können, ist die Darreichung
von reinen Placebos im praktischen Alltag aus juristischen und ethischen
Gründen höchst problematisch, wie das einleitende Fallbeispiel
zeigt. Das illustrierte Dilemma stand bislang einer einfachen Translation des
Placeboeffektes in den klinischen Alltag im Weg: Bei der
„traditionellen“ Anwendung von Placebobehandlungen galt es als
notwendig, den Patienten über das Wesen der Placebobehandlung im Unklaren zu
lassen. Eine vorsätzliche Täuschung ist nicht nur ethisch und
juristisch fragwürdig, sondern gefährdet die
Behandler-Patienten-Beziehung deutlich. Wie können diese signifikanten und
klinisch relevanten Placeboeffekte dennoch in der Schmerztherapie zur Anwendung
kommen? Hierzu führen wir 2 Möglichkeiten auf: (a) die
Verstärkung analgetischer Effekte leitliniengerechter Schmerztherapien durch
Nutzung der zugrundeliegenden Mechanismen einer Placeboantwort und (b) –
bislang noch Teil investigativer Forschung – die Anwendung sogenannter
Open-label Placebos.
Die Verstärkung der Wirkung offen verabreichter Analgetika beruht auf den
Befunden der zuvor vorgestellten Open-Hidden-Paradigmen (siehe oben) und der
Bedeutung der Behandlungserwartung für den analgetischen Effekt einer
Pharmakotherapie. Ziel ist es, dass Patienten ihre Medikamente so bewusst wie
möglich einnehmen. Je stärker die Verabreichung eines Arzneimittels
wahrgenommen wird (z. B. Sehen, Riechen, Schmecken, Berühren und
Information), desto besser kann der Placeboeffekt genutzt werden. Weiterhin kann es
förderlich sein, Patienten intensiver und gezielter über ihre
Erkrankung und Behandlungen aufzuklären, um positive Erwartungen zu wecken
und negative Erwartungen und Befürchtungen zu vermeiden. Die häufig
geteilte Ansicht, verdeckte Behandlungen kämen nur im Rahmen experimenteller
Untersuchungen vor, ist nicht haltbar. Es ist davon auszugehen, dass Patienten oft
nur ein eingeschränktes Wissen bezüglich einer Pharmakotherapie,
deren Wirkweise und der zu erwartenden Wirkung haben [25]. Daher kann bereits durch eine empathische
und fokussierte Aufklärung möglicherweise eine Placeboantwort
induziert werden. Nicht zuletzt, könnten auch Strategien des sozialen
Lernens z. B. i.R. eines sog. Peer-to-Peer Coachings genutzt werden. Weitere
praktische Ansätze, die sich aus der bestehenden Literatur ergeben fasst
[Tab. 1] zusammen. Auch wenn diese
Maßnahmen bis dato nicht in großen kontrollierten klinischen Studien
untersucht wurden, legen experimentelle und kleinere klinische Studien deren Nutzen
für den Patienten nahe.
Tab. 1 Praktische Maßnahmen zur klinischen Nutzung von
Placeboeffekten in der Schmerzmedizin.
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Erwartungsmechanismen
|
Konditionierungsprozesse
|
Allgemeines:
|
-
Komorbiditäten berücksichtigen (Depression, Angststörung) und behandeln, da diese Placebo-Effekte beeinträchtigen können
-
Empathische und authentische Arzt-Patienten-Interaktion
-
Behandlungskontext berücksichtigen und optimieren (Positionierung, Wartezimmer)
|
|
|
-
Kopplung der pharmakologischen Therapie an positive
sensorische Stimuli wie Geschmack, Geruch,
Gefühl (Berücksichtigung der
Vorinformation des Patienten)
-
Verbindung pharmakologischer Therapien mit
nicht-pharmakologischen, positiv assoziierten
Maßnahmen (z. B. Entspannungstechnik)
-
Individueller Heilversuch: Intermittierende Placebo-Gabe
zur Dosisreduktion bei Langzeittherapie
|
Vermeiden Sie:
|
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Open-Label Placebos
Eine neuartige, wenngleich aktuell mehr akademische als klinische Nutzung von
Placeboeffekten eröffnen offene Placeboanwendungen. Randomisierte,
kontrollierte Studien der letzten 5 Jahre legen nahe, dass eine Verschleierung der
Wirkstofffreiheit eines Placebos für die Ausprägung einer
Placeboantwort gar nicht notwendig sein könnte. Interessanterweise scheint
eine offen kommunizierte Gabe von wirkstofffreien Tabletten oder Kapseln,
sogenannten open-label Placebos (OLP), ebenfalls zu positiven Veränderungen
hinsichtlich der untersuchten Beschwerdebilder zu führen [26]. Die bis heute verfügbaren Studien
beruhen allerdings überwiegend auf kleineren Stichproben zwischen 20 und 120
Patienten. Sie stellen aber insgesamt einen beeindruckenden ersten Wirknachweis
für den klinischen Nutzen von Open-label Placebos dar. Die Ergebnisse weisen
auf eine signifikante Reduktion der Symptomlast bei Schmerzerkrankungen (episodische
Migräne [22] chronischer
Rückenschmerz [27]
[28], Reizdarmsyndrom [29]), neuropsychiatrischen Syndromen
(chronisches Fatigue-Syndrom bei Tumorerkrankungen [30], Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom [31], Depression [32]) und bei allergischer Rhinitis [33] hin. Die beobachteten
Effektgrößen sind dabei vergleichbar mit denen, die im Rahmen
traditioneller Placebo-Anwendungen belegt sind. Diese Studien legen nahe, dass auch
bei OLP subjektive und patientenberichtete Outcomes (wie bspw. das Schmerzempfinden)
stärker beeinflusst werden als objektive Outcomes (wie Bewegungsparameter
der Wirbelsäule, Laborparameter). Große Studien müssen
jedoch die Replizierbarkeit der Effekte in kontrollierten Settings zunächst
prüfen und die grundlegenden Wirkfaktoren systematisch untersuchen, da das
Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen derzeit noch
unvollständig ist. Vielversprechende Anwendungsbereiche sind stark
schwankende und individuell belastende Beschwerden wie gastrointestinale,
neurologische, psychosomatische und Schmerzsymptome. Ebenso erscheint die Reduktion
von Nebenwirkungen oder Absetzerscheinungen bei Pharmakotherapien sinnvoll. Ob OLPs
in die klinische Routine übertragbar sind und wie Patienten dabei optimal
aufgeklärt und an einer Behandlungsentscheidung beteiligt werden
können, bleibt zu prüfen.
Fazit
Unter einer Placeboantwort versteht man positive psychologische oder physiologische
Veränderungen, die durch Erwartungs- und Konditionierungsprozesse induziert
werden und mit messbaren neurobiologischen und peripher-physiologischen
Vorgängen einhergehen. Auch wenn Placeboantworten traditionell im
Zusammenhang mit der Einnahme von Scheinmedikamenten untersucht wurden, treten diese
auch ganz ohne die Verabreichung von Placebos auf und beeinflussen die Wirksamkeit
und Verträglichkeit jeder medizinischen Behandlung. Die Darreichung von
reinen Placebos ist im praktischen Alltag sowohl aus juristischen und ethischen
Gründen höchst problematisch, jedenfalls dann, wenn der Patient
irregeführt wird und nicht über das Wesen der Placebobehandlung
informiert wird. Die direkte klinische Nutzung von Placeboeffekten im Rahmen einer
offenen Placebo-Anwendung (sogenannte Open-label Placebos), bei der Patienten
über die Wirkstofffreiheit der Placebos informiert sind, ist derzeit
Bestandteil zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen und könnte
zukünftig Potenzial als Add-on-Therapie oder im Rahmen von Dosisreduktionen
bieten [34].
Zum jetzigen Zeitpunkt besteht die unbedingte Empfehlung, die zugrundeliegenden
Mechanismen von Placeboantworten gezielt im klinischen Alltag zu nutzen, um die
Wirksamkeit, Verträglichkeit und Compliance bestehender pharmakologischer
und anderer Therapien zum Wohle des Patienten zu optimieren. Dazu zählen
insbesondere die gezielte Modulation von Erwartungs- und Lernprozessen im Rahmen der
Behandlung, die sich durch eine patientenzentrierte Information und einen
authentisch-empathischen Kommunikationsstil erreichen lässt.