Schlüsselwörter
Contact tracing - digital - COVID-19 - SARS-CoV-2
Key words
Contact tracing - Digital - COVID-19 - SARS-CoV-2
Einleitung
Die Übertragung von SARS-CoV-2 kann bisher nur durch allgemeine
Hygieneschutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Kontaktreduzierung in der
Bevölkerung vermindert werden. Die frühe Identifikation und
Isolation von infizierten Personen und die Ermittlung und Nachverfolgung von
Kontaktpersonen spielen eine wesentliche Rolle. Die konventionelle
Kontaktnachverfolgung ist zeit- und personalintensiv und beruht darauf, dass sich
infizierte Personen daran erinnern mit wem sie Kontakt hatten.
Um einen erneuten Anstieg der Infektionszahlen im Zuge der schrittweisen
Rückkehr des öffentlichen Lebens möglichst gering zu halten,
kommen daher neben der konventionellen Kontaktpersonenermittlung auch sogenannte
Contact-Tracing-Apps (auch „Proximity-Tracing-Apps“)
unterstützend zum Einsatz [1]. Diese
Apps informieren die Nutzer/innen, wenn sie Kontakt mit einer infizierten
Person hatten, um weitere Maßnahmen zu ermöglichen. In
Österreich wird eine solche Contact-Tracing-App bereits eingesetzt [2], ebenso in weiteren Ländern, wie
z. B. Australien [3] oder Singapur
[4]. Für Deutschland und die
Schweiz werden Contact-Tracing-Apps derzeit entwickelt. Bisher liegen allerdings
auch international keine unmittelbar empirischen Daten zur Wirksamkeit von
Contact-Tracing-Apps im Kontext von COVID-19 vor. Ziel dieses Beitrags ist es, den
möglichen Public-Health-Nutzen sowie technische, soziale, rechtliche und
ethische Aspekte einer Contact-Tracing-App zur Kontaktpersonennachverfolgung im
Rahmen der COVID-19-Pandemie zu betrachten. Weiterhin werden Bedingungen für
eine möglichst breite Nutzung der App aufgezeigt und Hinweise zum
Forschungsbedarf gegeben.
Methoden
Dieser Beitrag basiert auf einer selektiven, nicht-systematischen Literaturrecherche,
zu den Voraussetzungen und wissenschaftlichen Belegen für die Wirksamkeit
von Contact-Tracing-Apps, die zwischen dem 20. April 2020 und dem 12. Mai 2020
durchgeführt wurde. Aufgrund der Neuartigkeit der digitalen
Kontaktnachverfolgung gibt es nur eine sehr begrenzte Menge an wissenschaftlichen
Arbeiten zu Contact-Tracing Apps. Es wurden daher sowohl wissenschaftliche Arbeiten
aus Fachzeitschriften als auch Nachrichtenmagazine und webbasierte Inhalte
aufbereitet. Die Recherche erfolgte in der elektronischen Fachdatenbank PubMed und
in Google Scholar. Zudem wurden Presseberichte sowie Stellungnahmen von
Nicht-Regierungsorganisationen berücksichtigt, die im Rahmen einer
Internetrecherche durch Google identifiziert wurden. Die inhaltliche Gestaltung
erfolgte nach ausführlicher Diskussion und Konsensfindung zwischen den
Autor/innen.
Zentrale Gesichtspunkte von Contact-Tracing-Apps
Technische Voraussetzungen
International sind derzeit Bluetooth- und GPS-basierte Systeme für
Smartphones im Einsatz und in Entwicklung. Die Datenverarbeitung kann zentral
oder dezentral erfolgen [5]. In
Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich die Regierungen auf
eine dezentrale Lösung auf der Basis von Bluetooth Low Energy (BLE)
festgelegt. BLE ist ein energiesparender Modus der Bluetooth-Technologie,
welcher seit 2010 auf dem Markt und in den meisten Smartphones verfügbar
ist. Gründe für die Entscheidung für eine dezentralen
Ansatz mit der Bluetooth-Technologie sind ein besserer Datenschutz und eine
bessere Energieeffizienz im Vergleich zu GPS-basierten und zentralen
Lösungen [6]. Contact-Tracing-Apps
müssen aus den jeweiligen App-Stores auf den Smartphones der
Benutzer/innen aktiv heruntergeladen werden.
Bei BLE werden Entfernung, Zeitpunkt und Dauer des Kontakts mit einem anderen
Smartphone über eine anonymisierte, zufällig generierte
Identifikationsnummer (ID) im eigenen Smartphone aufgezeichnet. Beim dezentralen
Modell findet die Prüfung auf einen relevanten Kontakt nur auf dem Handy
statt, nachdem ein Nutzer, der infiziert ist, die eigene ID an einen Server
übermittelt hat [7]. Sobald sich
ein/e Nutzer/in der App als infiziert identifiziert, verfolgt
die App anhand gespeicherter IDs und Zeitstempel die Kontakte zu anderen
Smartphones zurück und benachrichtigt diese. Um zu vermeiden, dass
Personen ohne positives Testergebnis – versehentlich oder absichtlich
– eine Benachrichtigung (einen „Fehlalarm“) aussenden
können, sollte eine Autorisierung z. B. durch eine TAN oder
eines QR-Codes des Gesundheitsamtes die Voraussetzung für das Aussenden
der Benachrichtigung sein [8]. Mit der
Benachrichtigung können die adressierten Personen entsprechend reagieren
(Selbstisolation, Kontaktaufnahme mit Corona-Ambulanz, Gesundheitsamt, Hausarzt
zur Abklärung und ggf. Testung). Da ein individuelles
„händisches“ Recherchieren und Kontaktieren
entfällt, könnte somit im Vergleich zum herkömmlichen
Contact-Tracing auch Zeit gewonnen werden.
Eine Reihe von Faktoren kann sich auf die technische Funktionsfähigkeit
des Systems auswirken:
-
Ist die Bluetooth-Verbindung nicht eingeschaltet oder gestört,
werden unter Umständen tatsächliche Kontakte nicht
protokolliert [9]
[10] und im Falle einer Infektion
nicht benachrichtigt.
-
Bluetooth-Signale werden durch die Umgebung beeinflusst. Der Abstand, in
dem Kontakte registriert werden, kann je nach Gerät, Einstellung
und Umgebungsbedingungen variieren [9]. Beispielsweise kann die App Gesichtsmasken oder
Plexiglasscheiben, wie sie zunehmend in Supermärkten eingesetzt
werden, nicht erkennen. Obwohl diese Kontakte mit einem geringen
Infektionsrisiko einhergehen, würde die App diese Kontakte
registrieren und im Falle einer Infektion möglicherweise
unnötig informieren.
-
Gemeinsam nutzbare Schnittstellen (Android/iOS) müssen in
der App vorhanden sein. Am 20.Mai 2020 veröffentlichten Apple
und Google daher eine Schnittstelle (API), die zum Contact-Tracing
für staatliche Gesundheitsbehörden entwickelt wurde
[6]
[11].
Epidemiologische und systemische Voraussetzungen
Eine App kann nur dann unterstützen, wenn sie möglichst viele
Verdachtsfälle korrekt erkennt (also wenige Falsch-Negative produziert)
und möglichst wenig Kontakte anzeigt, die kein Risiko darstellen (also
wenige Falsch-Positive produziert). Smartphone-Apps wurden bereits
früher im Pandemie-Management eingesetzt [12]
[13]. Ob im Zuge der Lockerungen der
Kontrollmaßnahmen ein Anstieg der Infektionszahlen mithilfe der App
nachhaltig verhindert werden kann, ist bislang jedoch nicht mit empirischen
Daten belegbar [14]
[15].
Die Effektivität einer App hängt von mehreren Faktoren ab:
-
Der Anteil der Bevölkerung, der die App korrekt nutzt [1]: Eine Modellierungsstudie aus
Großbritannien zeigt, dass nach dem Ende des Lockdowns
56% der Bevölkerung die App installieren und durchgehend
nutzen müssten, um die Weitergabe des Virus zu verringern und
gleichzeitig die Anzahl der unter Quarantäne gestellten Personen
zu minimieren [16]. Niedrigere
App-Nutzungsraten würden zu einem erneuten Anstieg der
Infektionszahlen und entsprechenden Gegenmaßnahmen
führen. Allerdings könnte auch bei geringeren
Nutzungsraten das Intervall zwischen den Lockdown-Maßnahmen
zumindest etwas vergrößert werden. Dieses Modell basiert
auf den Wachstums- und Transmissionsraten kurz nach dem Ausbruch der
Epidemie in China [1]. Weil die
Wachstumsraten global sehr unterschiedlich ausfallen und die
Infektiosität von asymptomatischen, infizierten Personen und die
der vorsymptomatischen Übertragung nicht hinreichend bekannt
ist, können die Ergebnisse dieser Modellierungsstudien nicht
direkt auf andere Situationen bzw. Regionen übertragen werden.
In Ländern, die bereits eine Contact-Tracing-App einsetzen,
bleibt die Nutzungsrate hinter den Erwartungen zurück. In
Singapur bspw. wurde die App „Trace Together“ zwischen
der Einführung Ende März bis zum 1. Mai 2020 1,1 mio.
Mal heruntergeladen, was bei einer Einwohnerzahl von 5,7 mio. nur ca.
einem Fünftel der Bevölkerung entspricht [17]. Ähnliche
Datenschutzstandards machen diese App für die
Contact-Tracing-App im deutschsprachigen Raum vergleichbar. Der
Vergleich mit Apps und anderen digitalen Technologien, die in China und
Süd-Korea eingesetzt werden, ist nur begrenzt möglich,
da die dortigen Ansätze auf gänzlich anderen
Technologien beruhen und mit einem Grad an Überwachung
(z. B. zentrale Datenspeicherung, Nutzung der App ist Pflicht)
verbunden sind, der in Deutschland, Österreich und der Schweiz
mit dem geltenden Datenschutz nicht vereinbar wäre. Der Vorteil
der höheren Datensouveränität und -sicherheit
des dezentralen Ansatzes [18]
bedeutet gleichzeitig, dass die App-Nutzer/innen ihrerseits
aktiv werden müssen, und weitere Schritte selbst initiieren
müssen (z. B. Selbstisolation oder Kontaktaufnahme mit
dem zuständigen Gesundheitsamt). Für die
Gesundheitsämter hat das Verfahren außerdem einen
Mehraufwand zur Folge. Dafür müssen ausreichende
Ressourcen zur Verfügung stehen, z. B. in Form von
Containment Scouts, die als mobile Teams den öffentlichen
Gesundheitsdienst unterstützen. Weil die App auf die korrekte
Benutzung des Smartphones und angemessene Reaktionen der Einzelnen
angewiesen ist, liegt ein Großteil der Verantwortung bei den
einzelnen Nutzer/innen: Aktivierung Bluetooth, kontinuierliches
Mitführen des Smartphones, Verhalten nach Infektion und
Benachrichtigung von Kontakten, sowie Einhalten von
Quarantäne-Maßnahmen. Deshalb ist es wichtig, dass die
Einführung einer Contact-Tracing-App durch Maßnahmen
flankiert wird, die dazu beitragen können, dass
möglichst viele Personen die App benutzen und
funktionstüchtig einrichten. Solche Interventionen
können neben den Eigeninteressen auf Empfehlungen zu Altruismus,
Solidarität und einem Appell an die individuelle Verantwortung
für öffentliche Gesundheit aufbauen [19].
-
Die Effizienz und Wirksamkeit von Apps hängen stark vom
öffentlichen Vertrauen in Wissenschaft und Politik ab. Einen
detaillierten Überblick dazu gibt es im Public Health COVID-19
Policy Brief „Contact tracing apps and public trust“ (in
Vorbereitung).
-
Es ist zu berücksichtigen, dass die Einstellung bzw.
Konfiguration der App und die Spezifizierung der nachfolgenden
Maßnahmen wesentliche Komponenten der jeweiligen digitalen
Contact-Tracing Maßnahme sind. Je nachdem, wie im
Entscheidungsalgorithmus bspw. Schwellenwerte für
Risikowahrscheinlichkeiten festgelegt werden, welche Personen in die
nachfolgenden Quarantänemaßnahmen einbezogen werden oder
wie lange die Isolationsmaßnahmen aufrecht zu erhalten sind,
ergeben sich unterschiedliche Verhältnisse zwischen der
Effektivität bezüglich der erwünschten
Verbreitungsreduzierung und den unerwünschten Nebenwirkungen
durch Isolationsmaßnahmen von nicht infizierten Personen [16]. Es ist geplant diese
Abstandsmessungen via Bluetooth in den Testphasen fortlaufend weiter zu
kalibrieren, damit die Genauigkeit verbessert werden kann [20].
-
Die Entscheidungsalgorithmen der App müssen zudem mit den
Strukturen des Gesundheitssystems kompatibel sein. Beispielsweise
müssen die Strukturen in Form von zusätzlichen
Mitarbeiter/innen (sog. Containment Scouts) in den
Gesundheitsämtern vorhanden sein, um die von der App
benachrichtigten Nutzer/innen zeitnah betreuen und ggf. testen
zu können.
Ethische Voraussetzungen
Aus ethischer Sicht schlagen wir 3 Minimalbedingungen als Voraussetzungen
für den akzeptablen Einsatz vor:
-
Die Nutzung sollte nicht verpflichtend sein (Freiwilligkeit)
Bund und Länder haben am 15. April 2020 mitgeteilt, dass die
Verwendung einer Contact-Tracing-App freiwillig sein soll [21]. Zudem schreibt die von Apple
und Google entwickelte Schnittstelle vor, dass die Nutzer/innen
aktiv um Einverständnis für das Contact-Tracing gefragt
werden müssen [11]
[22].
-
Lasten sowie Nutzen müssen möglichst fair verteilt
werden (Gerechtigkeit) Es besteht das Risiko, dass der Zugang
und die Nutzung von Contact-Tracing-Apps ungleich verteilt sein werden.
Insbesondere ältere Menschen, die einem besonders hohen
Erkrankungsrisiko ausgesetzt sind, Menschen ohne ausreichende
Sprachkenntnisse für die Installationsanleitungen und sozial
benachteiligte Bevölkerungsgruppen, die nicht
zwangsläufig ein Smartphone besitzen, werden nur erschwerten
Zugang zu einer solchen App haben [23]
[24]. Es sind Maßnahmen zu
ergreifen, um einen möglichst gerechten Zugang zu Technologien
oder Alternativen sicherzustellen. Beispielsweise könnte die App
Installationshilfen in mehreren Sprachen anbieten.
-
Die erhoffte positive Gesundheitswirkung für die
Bevölkerung müssen stets gegen mögliche
Nachteile für Individuen abgewogen werden (Nutzen) Bei
der Beurteilung der Wirksamkeit der App als
bevölkerungsbezogener Maßnahme dürfen die Folgen
für den Einzelnen nicht außer Acht gelassen werden. Die
Zahl derjenigen die zu einem Verdachtsfall werden, ohne
tatsächlich infiziert zu sein, wird mit der App zunehmen. Es ist
zu berücksichtigen, dass durch das digitale Contact-Tracing
keine Stigmatisierungs- oder Diskriminierungstendenzen sowie
Einschränkungen der Privatheit entstehen. Das
Nutzen-Schaden-Verhältnis ist durch kontinuierliche Untersuchung
der Wirksamkeit zu überprüfen. Zusätzlich muss
das Nutzen-Schaden-Verhältnis durch die Einstellungen der
Schwellenwerte der Wahrscheinlichkeiten (z. B. einer Infektion)
in der App stets optimiert und der Situation angepasst werden.
Rechtliche Voraussetzungen
Aus rechtlicher Sicht muss die Entwicklung der App die Umsetzung aller
datenschutzrechtlichen Vorgaben gewährleisten („Privacy by
Design“) und einen Missbrauch der bereitgestellten Daten verhindern
[25]. Wichtige datenschutzrelevante
Kriterien sind: dezentrale Datenverarbeitung, Anonymität,
Datensparsamkeit, Unverkettbarkeit und Nichtbeobachtbarkeit der Kommunikation
[18].
Vor Einwilligung in die Nutzung müssen Bürgerinnen und
Bürger so umfassend und transparent wie möglich über den
Zweck einer App, deren Einsatz sowie die Verarbeitung der bereitgestellten Daten
informiert werden. Neben allgemeinen rechtlichen Grundlagen bedürfen
sowohl Datenschutz als auch Datensicherheit einer besonderen Beachtung. Es muss
gewährleistet sein, dass die durch die Tracing-App gewonnenen Daten
ausschließlich zum Zweck der Kontaktrückverfolgung genutzt
werden und die Daten nach Erreichung dieses Zwecks umgehend wieder
gelöscht werden [26]. Die App darf
zudem stets nur die für die Zwecke der Rückverfolgung unbedingt
erforderlichen Daten erheben und muss so weit wie möglich mit
anonymisierten Daten arbeiten.
-
Digitales Contact-Tracing mittels Smartphone-Apps hat das Potenzial,
die Übertragungsrate von SARS-CoV-2 zu senken, indem sie die
herkömmliche Kontaktpersonennachverfolgung
unterstützen.
-
Der Nutzen der App hängt von technischen Voraussetzungen und
einer hohen Nutzungsrate in der Bevölkerung ab.
-
Voraussetzungen für eine hohe Nutzungsrate sind einfache
Handhabung, sehr hohes Vertrauen der Bevölkerung in die
Zuverlässigkeit und Wirksamkeit der App und sehr hohes
Datenschutzniveau.
-
Um die Akzeptanz zu erhöhen, müssen die
Nutzer/innen umfassend und verständlich über
den Zweck der App und die Nutzung und Verarbeitung der von ihnen
bereitgestellten Daten informiert werden. Die Datenspeicherung
erfolgt daher dezentral und der Quellcode wird
veröffentlicht.
-
Die Einrichtung eines unabhängigen Aufsichtsgremiums mit
Expert/innen aus den Bereichen Epidemiologie, Ethik, Recht,
Informatik, Public Health und Politik können das Vertrauen
erhöhen.
-
Begleitend zu der Einführung der App müssen den
Nutzer/innen Installations- und Bedienanleitung
bereitstehen: Aktivierung von Bluetooth, kontinuierliches
Mitführen des Smartphones, richtiges Verhalten nach
Infektion, Benachrichtigung von Kontakten und Einhalten von
Quarantäne-Maßnahmen.
-
Freiwilligkeit und niedrigschwelliger Zugang zu einer
Contact-Tracing-App muss für alle, speziell auch für
vulnerable Bevölkerungsgruppen, gewährleistet
sein.
-
Die App und ihre Funktionsweise müssen mit den Strukturen des
Gesundheitssystems kompatibel sein. Es müssen
zusätzliches Personal zur Verfügung stehen, das die
Gesundheitsämter bei der Ermittlung von Kontaktpersonen
unterstützt.
-
Systeme und Daten müssen komplett gelöscht werden,
sobald der Zweck der Pandemiekontrolle erreicht ist oder falls die
Wirksamkeit der App nicht nachgewiesen werden kann.
-
Zu Nutzung, Nutzen und Risiken einer App zum Contact-Tracing von
Personen mit SARS-CoV-2 liegen bisher keine empirischen Daten vor.
Bei der Einführung ist eine wissenschaftliche
interdisziplinäre Begleitforschung daher zwingend
notwendig.
Weiterhin beschloss die Bundesregierung in Deutschland am 6. Mai 2020, dass eine
Contact-Tracing-App transparent mit Quellcode bereitgestellt wird [21]. Die Offenlegung des Quellcodes erlaubt
es unabhängigen Bürgerrechts- und Forschungsorganisationen, die
Contact-Tracing-App zu prüfen. Dies stellt eine grundlegende
vertrauensbildende Maßnahme dar, die wesentlich zur Akzeptanz und
Nutzung einer solchen App führen kann.
Notwendigkeit einer unabhängigen, wissenschaftlichen
Begleitforschung
Zu Nutzung, Nutzen und Risiken einer App zum Contact-Tracing von Personen mit
SARS-CoV-2 liegen bisher keine empirischen Daten vor. Bei der Einführung der
App ist daher eine wissenschaftliche Begleitforschung zwingend notwendig.
Außerdem müssen die Effekte der App hinsichtlich Akzeptanz,
Wirksamkeit oder Gerechtigkeit (z. B. Alters-/geschlechterdifferente
Nutzung, Nutzung in Abhängigkeit des sozioökonomischen Status)
zeitnah wissenschaftlich begleitet werden, um ggf. informiert nachjustieren zu
können. Weiterhin müssen die Wirksamkeitsanforderungen für
die Contact-Tracing-App dem erwarteten Nutzen, dem potenziellen Schaden, aber auch
den Kosten (z. B. in Form einer Mehrbelastung des Öffentlichen
Gesundheitsdienstes) gegenüber angemessen sein.
Umfassende und konkrete Kriterien für eine sinnvolle Nutzenbewertung einer
Contact-Tracing-App für den deutschsprachigen Raum gibt es bislang nicht.
Allerdings gibt es bereits eine Klassifikation für die Bewertung der
Wirksamkeit und des Mehrwerts digitaler Gesundheitstechnologien für das
britische Gesundheits- und Pflegesystem [27].
Diese Klassifikation orientiert sich an den Funktionen von digitalen Angeboten im
Gesundheitsbereich und ordnet diesen Funktionen verschiedene Anforderungen an die
Nutzenbewertung zu. Für die Bewertung der Contact-Tracing-App sind bspw.
Belege für die Akzeptanz, Nutzungsraten, Gerechtigkeit und den Mehrwert
gegenüber anderen Methoden der Kontaktnachverfolgung zu erbringen. Zudem
müssen konkrete Wirksamkeitskriterien vor der Einführung der App
festgelegt und geeignete Daten kontinuierlich erhoben werden. Die
Bewertungskriterien aus diesem Katalog und die vorgeschlagene Methodik
könnten die Grundlage für die Nutzenbewertung der
Contact-Tracing-App darstellen.
Kontaktpersonennachverfolgung ist derzeit eine der wirksamsten Strategien zur
Eindämmung der SARS-CoV-2 Pandemie. In der Regel übernehmen
Mitarbeiter/innen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes die
Nachverfolgung, Ermittlung und Kontaktierung von Kontaktpersonen von infizierten
Personen. Dieses Vorgehen führt dazu, dass Personen mit Kontakt
übersehen werden können, an die sich die infizierte Person nicht
erinnert bzw. die sie nicht kennt. Weiterhin kann es zeitlichen Verzug beim
Melden eines Infektionsfalles und im Benachrichtigen von Kontaktpersonen zur
Folge haben. Als bevölkerungsbezogene Maßnahme erscheint der
Einsatz einer Contact-Tracing-App als integrativer Baustein einer
Gesamtstrategie zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie sinnvoll. Nutzen
und Schaden sind auf Basis der verfügbaren Daten jedoch aktuell noch
nicht zu beurteilen, empirische Studien für die derzeit eingesetzten
(Österreich) bzw. geplanten (Deutschland, Schweiz) Technologien liegen
nicht vor. Sicher ist, dass ein bevölkerungsweiter Nutzen nur dann
erreicht werden kann, wenn ein möglichst großer Anteil der
Bevölkerung die Apps nutzt und sich gleichzeitig an
Verhaltensempfehlungen im Fall des Kontakts mit infizierten Personen
hält. Zur Erhöhung der Akzeptanz und der Nutzung ist neben der
Sicherstellung der technischen und nicht-technischen Funktionalität und
dem allgemeinen Zugang für alle Bevölkerungsgruppen insbesondere
das öffentliche Vertrauen, die Freiwilligkeit der Nutzung und ein
transparentes Design mit dezentraler Datenspeicherung zum Schutz der
persönlichen Daten notwendig. Mögliche Maßnahmen zur
Erhöhung von Benutzungsraten müssen sich dabei in einem
akzeptablen rechtlichen und ethischen Rahmen bewegen. Eine wissenschaftliche,
interdisziplinäre Begleitforschung sowohl zur Wirksamkeit, Risiken und
Nebenwirkungen als auch zu Implementierungsprozessen (z. B. Planung und
Einbezug verschiedener Beteiligter) ist daher unerlässlich. Auch sollten
Kriterien festgelegt werden, welche über die Deaktivierung der App im
Falle einer unzureichenden Zweckerfüllung bestimmen.
Danksagung
Wir bedanken uns für die Unterstützung durch den
Leibniz-WissenschaftsCampus Digital Public Health Bremen (lsc-diph.de), der
gemeinsam von der Leibniz-Gemeinschaft (W4/2018), der Freien Hansestadt
Bremen und dem Leibniz-Institut für Präventionsforschung und
Epidemiologie - BIPS gefördert wird.