Pneumologie 2020; 74(07): 467-469
DOI: 10.1055/a-1195-7449
Mitteilungen des DZK

Mitteilungsseiten des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK)

 

SARS-CoV-2 und die Tuberkulose-Impfung BCG

In den letzten Wochen erreichte uns häufig die Frage: Kann ich mich vor einer Coronavirus-Infektion mit SARS-CoV-2 schützen?


Keine Empfehlung für BCG bei SARS-CoV-2-Infektion

Ein möglicher heterologischer Schutz-Effekt der BCG-Impfung wird diskutiert und in verschiedenen Ländern in Studien geprüft. Bis Studienergebnisse vorliegen, die einen Nutzen für die BCG-Impfung bei SARS-CoV-2-Infektionen belegen, wird der Einsatz der BCG-Impfung zum Schutz vor SARS-CoV-2-Infektionen oder schweren Verläufen von COVID-19 von der WHO [1] ebenso wie von der International Union Against Tuberculosis and Lung Disease [2] ausdrücklich nicht empfohlen. Die BCG-Impfung soll ausschließlich indikationsgerecht bei Neugeborenen in Tuberkulose-Hochinzidenzländern eingesetzt werden. Eine zusätzliche Verknappung der weltweit vorhandenen Impfdosen kann die Kindersterblichkeit in vielen Ländern erhöhen und muss unbedingt vermieden werden [3] [4] Dieser Empfehlung schließt sich das DZK an. In Deutschland wird eine BCG-Impfung seit 1998 grundsätzlich von der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut nicht mehr empfohlen.


Datengrundlage für die Hypothese

Die Vermutung einer möglichen Schutzwirkung wurde aufgrund der Beobachtung aufgestellt, dass nach der weltweiten Einführung der BCG-Impfung in einigen Ländern eine Verringerung der Sterblichkeit von Kindern gesehen wurde und dieser Effekt über den Schutz gegen Tuberkulose hinaus ging. Experimentelle und klinische Daten zeigten, dass eine BCG-Impfung zumindest für einen begrenzten Zeitraum unspezifische Effekte auf das Immunsystem hat, die die Abwehr von viralen und möglicherweise von bakteriellen Erregern verbessern können [5]. Die Annahme, dass die BCG-Impfung bei SARS-CoV-2-Infektionen schützt, beruht bislang nur auf epidemiologischen Daten. Die Autoren einer Studie vermuteten einen positiven Einfluss der BCG-Impfung auf die Mortalität und Morbidität von SARS-CoV-2-Infektionen im Rahmen der aktuellen Coronavirus-Pandemie [6]. Andere Studien lieferten widersprüchliche epidemiologische Daten zu dieser Hypothese [7].


Wenig Evidenz zur BCG-Impfung und SARS-CoV-2

Die epidemiologischen Studiendaten liefern allerdings keine ausreichende Evidenz, um einen Zusammenhang zwischen der BCG-Impfung und einer Reduktion der COVID-19-bedingten Mortalität zu belegen. Zudem werden einige Schwächen im Studiendesign diskutiert [8]. Dennoch wurde eine Hypothese geschaffen, die in Wissenschaft und Medien intensiv diskutiert wird [9] [10] [11]. Die experimentellen und klinischen Hinweise für unspezifische Effekte der BCG-Impfung auf das Immunsystem führten dazu, dass größere Placebo-kontrollierte Studien an Mitarbeitern im Gesundheitssystem, die einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind, in den Niederlanden, Australien und Südafrika begonnen wurden (www.clinicaltrials.gov). Diese sollen innerhalb eines Jahres Antworten zu den Fragen generieren, ob die BCG-Impfung einen Einfluss auf die Häufigkeit von COVID-19 oder den Krankheitsverlauf hat. Mehrere weitere Studien wurden in verschiedenen anderen Ländern angemeldet (www.clinicaltrials.gov). Auch Phase-III-Studien mit einer am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin entwickelten genetisch modifizierten Variante des BCG-Impfstoffs (VPM1002) werden an verschiedenen deutschen Kliniken getestet. Impfdosen von VPM1002 wären kurzfristig in großer Stückzahl herstellbar [12], da sie nicht in Kulturen gewonnen werden müssen, sondern in Bioreaktoren mit hohem Durchsatz hergestellt werden können. Im Falle einer Wirksamkeit dieses Ansatzes könnte damit eine zusätzliche Verknappung der weltweit verfügbaren BCG-Impfdosen vermieden werden.


BCG-Impfung in Deutschland

Die BCG-Impfung ist ein attenuierter Lebendimpfstoff, der 1921 erstmals beim Menschen angewendet wurde. In der BRD wurde die Impfung mit BCG generell für alle Neugeborenen auf freiwilliger Basis bis 1975 empfohlen, danach folgten Risiko-bezogene Einschränkungen der Impfindikation. In der DDR wurde die BCG-Impfung in den frühen 1950er-Jahren als Pflichtimpfung bei Kindern eingeführt, die später auf Neugeborene ausgeweitet wurde. Nach der Wiedervereinigung 1990 wurden die Empfehlungen der BRD übernommen. Seit 1998 wird die BCG-Impfung in Deutschland generell nicht mehr empfohlen. Indikationsgerecht werden speziell aufbereitete BCG-Impfstämme in Deutschland nur bei der Immuntherapie des Harnblasenkarzinoms als Blaseninstillation eingesetzt. Im März 2020 erschien ein Rote-Hand-Brief, der auf das auf Risiko einer systemischen BCG-Infektion nach Blaseninstillation hinweist.


BCG-Impfung weltweit

Weltweit wird die BCG-Impfung in Regionen mit hoher Tuberkuloseinzidenz (hier definiert als 40 Fälle/100 000 Einwohner pro Jahr) für Neugeborene empfohlen [13]. Sie bietet Schutz gegen besonders schwere Verlaufsformen wie die Miliartuberkulose und die tuberkulöse Meningitis, vor allem in den drei ersten Lebensjahren [14]. Die BCG-Impfung ist mit derzeit knapp 130 Millionen Impfdosen pro Jahr wichtiger Bestandteil nationaler Impfstrategien in Hochinzidenzländern und kann zur Senkung der Kindersterblichkeit beitragen. In den letzten Jahren ist es zu weltweiten Lieferengpässen für den BCG-Impfstoff gekommen [15]. Negative Auswirkungen auf die Kindersterblichkeit in den betroffenen Ländern müssen angenommen werden [1] [2] [14] [16]. In Südafrika zeigte sich einer Studie zufolge bereits ein signifikanter Anstieg der Fallzahlen für tuberkulöse Meningitis im Jahr 2017, der den Studiendaten zufolge auf einen Rückgang der BCG-Impfungen um 6 % zurückzuführen ist [17]. Der Einsatz von BCG zum Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion außerhalb von Studien ist wissenschaftlich zum jetzigen Zeitpunkt nicht gerechtfertigt. Er könnte aber zu einer weiteren Verknappung des BCG Impfstoffes führen und weltweit erhöhte Mortalität durch schwere Tuberkulosefälle bei Kindern zur Folge haben [1] [2] [3] [4].


Aktualisierung und weitere Informationen

Da es sich bei SARS-CoV-2 um einen neuen Erreger handelt, erweitert sich das Wissen dazu rasch. Sollten sich neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu dieser Thematik in Zusammenhang mit Tuberkulose ergeben, werden wir diese aufgreifen.

Auf unserer Webseite stehen Ihnen darüber hinaus nun auch viele Informationen zu Tuberkulose für Patienten und medizinisches Personal auch in englischer Sprache zur Verfügung. Besuchen Sie uns gern auf unserer Webseite unter www.dzk-tuberkulose.de.


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Neue Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation zur präventiven Therapie bei latenter Infektion mit Tuberkulose (LTBI)

Zum Welttuberkulosetag 2020 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das 1. Modul ihrer konsolidierten Empfehlungen veröffentlicht. Das 1. Thema ist die Prävention und präventive Therapie bei latenter Infektion mit Tuberkulose (LTBI). Diese überarbeiteten Empfehlungen zur Prävention werden ergänzt durch ein neues operatives Handbuch sowie eine digitale Plattform mit verschiedenen Hilfsmitteln wie einer App, Videos und Patientenaufklärungen zur LTBI.


Hintergrund

Die WHO geht davon aus, dass ein Viertel der Weltbevölkerung mit dem Tuberkulosebakterium infiziert ist, 5 –10 % dieser Infizierten erkranken im Laufe ihres Lebens an Tuberkulose. Ein wichtiger Baustein der END-TB-Strategie ist deshalb die präventive Therapie der LTBI. Auf der UN-Vollversammlung zu Tuberkulose 2018 wurde von den Mitgliedsstaaten deshalb das Ziel bis 2022 formuliert, mindestens 30 Millionen Menschen eine präventive Therapie bei LTBI anzubieten.


Kernaussagen der Empfehlung [18]

  • Ein systematisches LTBI-Management wird insbesondere für Hochrisikogruppen für Tuberkulose empfohlen. Hochrisikogruppen sollten immer auf eine latente Tuberkulose getestet und bei Nachweis einer LTBI präventiv behandelt werden. Dazu zählen Menschen mit HIV sowie enge Kontaktpersonen von Patienten mit ansteckender Tuberkulose. Weitere Risikogruppen sind Patienten vor einer Therapie mit TNF-Alpha-Inhibitoren oder vor Transplantation sowie laut WHO Dialysepatienten und Patienten mit Silikose. Für andere Risikogruppen wird nur eine schwächere Empfehlung für ein systematisches LTBI-Management ausgesprochen.

  • Die präventive Therapie sollte in Maßnahmen zur aktiven Tuberkulosefallfindung eingebunden werden, insbesondere bei der Umgebungsuntersuchung.

  • Als Testverfahren für LTBI werden weiterhin IGRA (Interferon-Gamma-Release-Assay) oder THT (Tuberkulin-Hauttest) empfohlen.

  • Folgende präventive Therapiemöglichkeiten stehen zur Verfügung: Isoniazid täglich für 6 oder 9 Monate, Isoniazid und Rifampicin täglich für 3 Monate oder Isoniazid und Rifapentin einmal wöchentlich für 3 Monate. Daneben kann auch eine präventive Therapie mit Rifampicin täglich für 4 Monate oder eine einmonatige tägliche präventive Therapie mit Isoniazid und Rifapentin erwogen werden.

Das operative Handbuch [19]

In dem operativen Handbuch werden praktische Hinweise und Empfehlungen für ein programmatisches LTBI-Management im Rahmen eines nationalen Tuberkuloseprogrammes gegeben. Dabei sollten die präventiven Maßnahmen an den jeweiligen lokalen Kontext angepasst werden, wobei das Handbuch als Leitfaden dienen soll.

Dazu wurde auch eine digitale Plattform mit App entwickelt, die eine elektronische Erfassung aller relevanten Parameter und eine Evaluation der präventiven Maßnahmen und des systematischen LTBI-Management-Programms ermöglicht.


Empfehlungen für LTBI und präventive Therapie in Deutschland

Die Empfehlungen der WHO sollten an den jeweiligen lokalen Kontext angepasst werden. Derzeit gibt es in Deutschland folgende Empfehlungen zur Prävention bei LTBI:

  • Die Leitlinie Tuberkulose in Deutschland enthält ein Kapitel zu LTBI und präventiver Therapie. Für die Leitlinie einschließlich dieses Kapitels ist 2020/21 ein Update geplant.

  • In den Empfehlungen zur Umgebungsuntersuchung bei Tuberkulose des DZK werden die WHO-Empfehlungen bereits umgesetzt.

  • Rifapentin ist derzeit in Deutschland noch nicht zugelassen.


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Ausschreibung des DZK-Tuberkulosepreises

Das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK e. V.) schreibt den mit 2.500 Euro dotierten Preis für die beste wissenschaftliche oder mediale Arbeit aus dem Themengebiet der Tuberkulose aus. Ausgezeichnet werden Veröffentlichungen, die wesentlich zum Verständnis der Entstehung oder Bekämpfung der Tuberkulose beitragen. Eingereicht werden können Arbeiten aus den Jahren 2019 und 2020, die bereits veröffentlicht oder zur Veröffentlichung eingereicht sind. Bewerber werden gebeten ihre Arbeit bis zum 31. Dezember 2020 entweder per Email an info@dzk-tuberkulose.de oder in 4-facher Ausfertigung postalisch an das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose, Walterhöferstraße 11, Haus Q, 14165 Berlin, einzureichen. Für Rückfragen stehen wir unter 0 30/81 49 09 22 zur Verfügung.

KONTAKT

DZK e. V.
Geschäftsstelle
Prof. Dr. Torsten Bauer
Walterhöferstraße 11
14165 Berlin

www.dzk-tuberkulose.de
Tel.: 030-814 909 22
E-Mail: info@dzk-tuberkulose.de


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DZK e. V. – Geschäftsstelle
Walterhöferstraße 11
14165 Berlin

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
16. Juli 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York