Pneumologie 2020; 74(08): 490-492
DOI: 10.1055/a-1199-7558
Pneumo-Fokus

COVID-19: Aktuelle Prognosemodelle für praktischen Einsatz ungeeignet

Wynants L. et al.
Prediction models for diagnosis and prognosis of covid-19 infection: systematic review and critical appraisal.

BMJ 2020;
369: m1328
 

Die aktuell grassierende COVID-19-Pandemie bringt die Gesundheitssysteme weltweit an ihre Grenzen. Es besteht ein dringender Bedarf an Möglichkeiten für eine frühe Diagnosestellung und Prognose im Fall von bereits identifizierten COVID-19-Patienten. Wynants et al. haben nun im Rahmen einer Literaturrecherche entsprechende Prognosemodelle identifiziert und kritisch bewertet.


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Die Recherche erfolgte unter Nutzung von PubMed und Embase. Studien, die bis zum 24. März 2020 publiziert worden waren, kamen hier infrage. Im Fokus standen Studien, die multivariable Prognosemodelle für COVID-19 entwickelt oder validiert hatten. Mindestens 2 Autoren führten unabhängig eine Datenextraktion durch, dies geschah unter Berücksichtigung der CHARMS (critical appraisal and data extraction for systematic reviews of prediction modelling studies)-Checkliste. Die Modelle wurden kritisch untersucht und jeweils das Biasrisiko (mittels PROBAST; prediction model risk of bias assessment tool) innerhalb der Studien ermittelt.

Ergebnisse

Zunächst wurden 2696 Titel identifiziert und gescreent. 27 Studien erfüllten die Aufnahmekriterien und gingen in die Analyse ein. Diese beschrieben 31 Prognosemodelle. 25 Studien basierten auf COVID-19-Daten aus China, eine Studie nutzte Daten aus Italien und eine Studie internationale Daten (u. a. aus den USA, dem Vereinigten Königreich und China). Multiple Studien verwendeten Daten von bestimmten Zentren in China. Für die Vorhersage von Krankenhausaufnahmen aufgrund von Pneumonien und anderen Ereignissen innerhalb der Normalbevölkerung (als Stellvertreter-Outcomes für eine COVID-19-Pneumonie) wurden 3 Prognosemodelle identifiziert. Bei 18 Modellen handelte es sich um Diagnosemodelle für COVID-19-Infektionen, und 10 Modelle prognostizierten das Mortalitätsrisiko, die Progression in Richtung einer schweren Erkrankung und die Länge des Krankenhausaufenthaltes. Das Alter, die Körpertemperatur sowie Anzeichen und Symptome erwiesen sich als die häufigsten COVID-19-Prädiktoren unter Patienten mit Verdacht auf eine Infektion. Ein schwerer Krankheitsverlauf unter Infizierten wurde am häufigsten durch das Alter, das Geschlecht, Merkmale von CT-Scans, das C-reaktive Protein, die Lactatdehydrogenase sowie die Lymphozytenzahl vorhergesagt. Die Unterscheidungsfähigkeit eines Modells kann mithilfe des C-Index quantifiziert werden (C-Index 1 = beste Diskrimination, C-Index 0,5 = Diskrimination auf Zufallsniveau). Angewendet auf Prognosemodelle für die Allgemeinbevölkerung lag die Streubreite des C-Index zwischen 0,73 und 0,81 (berichtet für alle 3 Modelle), auf Diagnosemodelle zwischen 0,81 und mehr als 0,99 (berichtet für 13 der 18 Modelle) und auf Prognosemodelle zwischen 0,85 und 0,98 (berichtet für 6 der 10 Modelle). Im Fall aller berücksichtigten Studien bestand ein hohes Biasrisiko. Dies war vorwiegend auf eine nicht repräsentative Auswahl von Kontrollen, auf einen Ausschluss von Patienten ohne aufgetretene Ereignisse bis Studienende sowie ein hohes Risiko für Überanpassung der Modelle zurückzuführen. Hinsichtlich der Berichtsqualität ermittelten die Autoren eine hohe Varianz zwischen den Studien.

Fazit

Laut Studienergebnis ist die Berichterstattung hinsichtlich der existierenden Prognosemodelle im Zusammenhang mit COVID-19 schlecht, zudem weisen diese ein hohes Biasrisiko auf. Nach Meinung der Autoren führen die mit diesen Modellen erstellten Prognosen in die Irre, und sie sind zum aktuellen Zeitpunkt für den praktischen Einsatz ungeeignet. Weitere Studien sollten sich dieser Probleme annehmen, so die Autoren weiter.

Dr. Frank Lichert, Weilburg


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
21. August 2020

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