Phänomenologie des Schmerzes
Beim Schmerz handelt es sich um eine multidimensionale Sinneserfahrung, die
hinsichtlich dreier Komponenten beschrieben werden kann:
„sensorisch-diskriminativ“ (Intensität, Lokalisation,
Qualität und Dauer des Schmerzes), „affektiv-motivational“
(die Unangenehmheit des Reizes und das Bedürfnis, dieser Unangenehmheit zu
entfliehen) und „kognitiv-evaluativ“ (Kognitionen wie Ablenkung,
Bewertung und kulturelle Werte). Dies führt zu der Annahme, dass Schmerz
nicht allein durch den nozizeptiven Input, die Reizintensität und die
Unangenehmheit bestimmt wird und dass Kognitionen sowohl die sensorische als auch
die affektiv-motivationale Dimension des Schmerzes entscheidend beeinflussen
können [1]. Diese Vorstellung deckt
sich mit der neuroanatomischen Differenzierung zwischen dem lateralen und medialen
Schmerzsystem [2]. Die Terminologie des
Schmerzsystems leitet sich dabei anhand der Lokalisierung involvierter Nuclei des
Thalamus ab: Das laterale System des Thalamus weist Verbindungen zum
primären und sekundären somatosensorischen Kortex (SI & SII)
auf und wird als sensorisch-diskriminative Komponente des Schmerzes betrachtet. Die
affektiv-motivationale Komponente wird durch mediale Strukturen des Thalamus
repräsentiert, welche ihrerseits Verbindungen zu limbischen (z. B.
Anteriorer Cingulärer Kortex (ACC)) und frontalen Arealen zeigen [3].
Eine derartige Unterscheidung von Hirnarealen entsprechend der medialen und lateralen
Zweige der spinothalamischen Bahn funktioniert allerdings nicht bei allen Regionen,
die für die Verarbeitung schmerzhafter experimenteller Reize wichtig sind
– so etwa bei der Insula [3]. Die
Insula ist mit dem limbischen System vernetzt, welches wiederum Verbindungen zum ACC
aufweist [4]. Die Ergebnisse einer Vielzahl
von bildgebenden Untersuchungen legen nahe, dass sich die Schmerzverarbeitung nicht
durch die isolierte Betrachtung einzelner Hirnregionen beschreiben lässt,
sondern vielmehr auf ein Netzwerk miteinander verschalteter Strukturen
zurückzuführen ist. Hierbei handelt es sich um somatosensorische
(SI, SII, Insula), limbische (Insula, ACC) und assoziative (präfrontaler
Kortex (PFC)) Areale, die simultan Reize verschiedener nozizeptiver Signalwege
erhalten [2]. Interessanterweise scheinen sich
verschiedene chronische Schmerzsyndrome durch einzigartige funktionelle und
strukturelle Charakteristika auszuzeichnen [3]
[5]. Eine Illustration der
wichtigsten kortikalen und subkortikalen Strukturen des Schmerznetzwerks, ihrer
Interkonnektivität sowie der relevanten aufsteigenden Bahnen ist [Abb. 1] zu entnehmen.
Abb. 1 Kortikale und subkortikale Regionen des Schmerznetzwerks, ihre
Interkonnektivität und relevante aufsteigende Bahnen. Die
schmerzverarbeitenden Areale sind in unterschiedlichen Farben dargestellt.
a Die schematische Abbildung zeigt alle relevanten Strukturen,
Verbindungen und aufsteigenden Leitungsbahnen. b Alle Areale aus der
schematischen Illustration sind auch in den anatomischen MRT-Schnittbildern
farblich codiert dargestellt. Es handelt sich um Aufnahmen der koronalen
Schnittebene sowie 3 sagittale Schnittbilder, deren Koordinaten in der
koronalen Aufnahme markiert sind. Abgebildet sind der primäre und
sekundäre somatosensorische Kortex (S1, S2, rot und orange), der
anteriore cinguläre Kortex (ACC, grün), die Insula (blau),
der Thalamus (gelb), der präfrontale Kortex (PFC, violett), der
primäre motorische und supplementär-motorische Kortex (M1
und SMA), der posteriore Parietalkortex (PPC), der posteriore
cinguläre Kortex (PCC), die Basalganglien (BG, pink), der
Hypothalamus (HT), die Amygdala (AMYG), die Parabrachialis-Kerne (PB) und
das periaquäduktale Grau (PAG). Quelle: Apkarian AV et al. European
Journal of Pain 2005; 9: 463–484 mit freundlicher Genehmigung von
Wiley [rerif].
Einige Autoren postulierten, dass chronischer Schmerz mit einer verminderten
sensorischen Verarbeitung sowie einer gesteigerten emotional-kognitiven Verarbeitung
einhergeht [2]
[6]
[7]. In diesem Kontext ist darauf
hinzuweisen, dass Nozizeption und Schmerz zwar zusammenhängen, jedoch nicht
gleichzusetzen sind. Nozizeption beschreibt ausschließlich die Transduktion
nozizeptiver Signale aus der Peripherie in das zentrale Nervensystem. Beim Schmerz
handelt es sich hingegen um ein Wahrnehmungsphänomen, welches die
Integration und Modulation verschiedener neuronaler, psychologischer und kultureller
Prozesse umfasst und Bewusstsein erfordert. Entsprechend führt nozizeptiver
Input im Gehirn nicht zwangsläufig zu Schmerz und Schmerz geht nicht in
jedem Fall mit Nozizeption einher [8]
[9]. Während erfahrene
Balletttänzerinnen bspw. in Spitzenschuhen tanzen, wirken oft über
mehrere Stunden ungefähr 50 kg auf eine Hautfläche von
1 cm2. Professionellen Tänzerinnen gelingt es in
diesem Zusammenhang, nozizeptive Signale von der Schmerzwahrnehmung zu trennen [7].
Akuter, subakuter und chronischer Schmerz
Unter normalen Umständen kann akuter Schmerz gut behandelt werden und ist
auf spezifische Körperteile begrenzt. Die Funktion akuten Schmerzes
liegt in der Warnung vor unmittelbarer Gefahr und soll letztlich zu einer
adäquaten Schonhaltung der betroffenen Körperregion
führen. Im Sinne der International Association for the Study of Pain
(IASP) gilt Schmerz als chronisch, wenn er länger als 3 bzw. 6 Monate
anhält (einigen Definitionen zufolge sogar 12 Monate) bzw. die
„erwartete Heilungsdauer“ überschreitet [10]. In diesem Fall hat der Schmerz seine
Warnfunktion verloren und geht gehäuft mit psychosozialen
Veränderungen einher. Derartig dysfunktionaler Schmerz ist normalerweise
nicht auf eine spezifische auslösende oder aufrechterhaltende Ursache
zurückzuführen, sondern multikausal zu erklären. Dies
spricht dafür, in der Therapie des chronischen Schmerzes einen
umfassenden psychosozialen Ansatz zu verfolgen [11]. Subakuter Schmerz erstreckt sich über einen Zeitraum
zwischen 1 und 3–6 Monaten. Hierbei sollte jedoch beachtet werden, dass
die Zeitintervalle nicht zwangsläufig vergleichbar sind, da sie
definitionsgemäß vom Beginn der Symptomatik abhängen,
welcher nicht immer eindeutig festzulegen ist. Darüber hinaus ist auch
die „erwartete Heilungsdauer“ in aller Regel schwierig
einzugrenzen (z. B. bei Erkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis oder
Trigeminusneuralgie) [8]. Um das komplexe
Phänomen des chronischen Schmerzes einordnen zu können, haben
Flor und Turk [8] ein 2-dimensionales
Model vorgeschlagen, welches akuten und chronischen Schmerz konzeptualisieren
soll. Die Symptomatik wird dabei auf den 2 Dimensionen Zeit und physische
Belastbarkeit eingeordnet. So wäre bspw. eine Symptomatik mit kurzer
Dauer und intensivem Schmerz akut und ein lang andauernder, aber in seiner
Intensität nicht allzu intensiver Schmerz als chronisch einzustufen.
Bildgebung bei chronischen Schmerzsyndromen: Der Vergleich gesunder Kontrollen
mit chronischen Schmerzpatienten
Die Schmerzverarbeitung ist auf ein komplexes neuronales Netzwerk verteilter
Hirnareale zurückzuführen. Es ist folgerichtig von großem
Interesse, wie verschiedene chronische Schmerzsyndrome (z. B. Chronischer
Rückenschmerz, Fibromyalgie, Phantomschmerz oder CRPS) innerhalb dieses
Netzwerks verschaltet sind. Hierbei besteht große Hoffnung, durch
bildgebende Verfahren valide und sensitive Messwerte erhalten zu können, die
die subjektiven Selbstangaben in Fragebogenverfahren sinnvoll ergänzen
können [12]. Allerdings befinden sich
entsprechende Untersuchungen zu Schmerzsyndromen, die zur Diagnosefindung auf
individueller Ebene beitragen könnten, noch im Anfangsstadium. Bislang
werden v. a. zu Gruppen gepoolte Resultate von Schmerzpatienten mit denen gesunder
Kontrollprobanden verglichen, sodass zum jetzigen Zeitpunkt eine Auswertung
hinsichtlich individueller Werte (noch) nicht möglich erscheint. Neuerdings
werden verschiedene computergestützte Algorithmen erprobt, anhand derer
prognostische, diagnostische, funktionelle und bildgebende Marker individuell
ausgewertet werden könnten [13]
[14]. Zum aktuellen Zeitpunkt ist dies jedoch
noch nicht praktikabel, da bislang insbesondere im Bereich der klinisch relevanten
Schmerzsyndrome aussagekräftige Studien fehlen [13].
Chronischer Rückenschmerz
Etwa 27–40% der Bevölkerung leiden an chronischem
Rückenschmerz, wobei die Ursachen und Schmerzintensitäten stark
variieren. Zum Nachweis möglicher neuroplastischer Veränderungen
im sensomotorischen Kortex chronischer Rückenschmerzpatienten
applizierten Flor et al. [15] intrakutan
schmerzhafte und nicht-schmerzhafte elektrische Reize und maßen die
resultierende magnetische Hirnaktivität mittels Magnetoenzephalografie
(MEG). Auf diese Weise konnte gezeigt werden, dass chronischer Schmerz mit einer
kortikalen Reorganisation (mediale Verschiebung der Aktivierung) verbunden ist,
welche ihrerseits zu einer Aufrechterhaltung des Schmerzerlebens führen
könnte. In diesem Kontext korrelierte das Ausmaß der
Aktivierungsverschiebung positiv mit der Chronizität. Darüber
hinaus war innerhalb eines frühen Zeitfensters (100 ms) die
Amplitude der elektrischen Reizantwort im MEG bei Patienten mit chronischen
Schmerzen im unteren Rücken signifikant höher als bei Gesunden,
wenn der Rücken schmerzhaft stimuliert wurde. Weiterführende
Studien berichteten eine gesteigerte Schmerzsensibilisierung sowie eine
verstärkte Verarbeitung sensorisch-diskriminativer Aspekte des
Schmerzes, die anhand spezifischer Komponenten (N80) der ereigniskorrelierten
Potenziale einer Messung im Elektroenzephalografen (EEG) abgebildet werden
können [16]. Mithilfe der
funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) konnten Giesecke et al. [17] zeigen, dass eine subjektiv
gleichermaßen schmerzhafte Druckstimulation des linken Daumennagels bei
chronischen Rückenschmerzpatienten und gesunden Kontrollprobanden zu
vergleichbaren Aktivierungsmustern führten, während die
Patienten bei objektiv gleichen Druckintensitäten in schmerzrelevanten
Arealen stärkere Aktivierungen zeigten. So wurden bei objektiv gleichem
Druckniveau zwar ähnliche Areale aktiviert, jedoch zeigte die
Patientengruppe eine signifikant reduzierte Aktivierung des
periaquäduktalen Grau (PAG) sowie eine signifikant erhöhte
Aktivierung in SI, SII und im lateralen orbitofrontalen Kortex. Diese
Erkenntnisse unterstützen die Hypothese eines dysfunktionalen
inhibitorischen Systems, das durch das PAG kontrolliert wird [18]. Ähnliche Ergebnisse konnten
bei einer Stimulation 5 cm links des 4./5. lumbalen
Spinalzwischenraums gefunden werden. In diesem Fall zeigten die Patienten im
Vergleich zu einer Kontrollgruppe bei Präsentation subjektiv
vergleichbarer Reizintensitäten eine erhöhte Aktivierung der
rechten Insula, der supplementär-motorischen Rinde (supplementary motor
area, SMA) und im posterioren cingulären Kortex (PCC) [19]. Im Rahmen einer
Resting-State-fMRT-Analyse konnten fünf essenzielle
Resting-State-Netzwerke identifiziert werden, von denen lediglich das sogenannte
Ruhezustandsnetzwerk oder Default Mode Network (DMN), welches allgemein im
Wachzustand unter entspannten Ruhebedingungen aktiv ist, Abweichungen von der
gesunden Kontrollgruppe aufwies [20]. Die
Autoren berichteten demnach über eine verminderte Konnektivität
des medialen präfrontalen Kortex (PFC) mit den posterioren Strukturen
des DMN sowie eine erhöhte Konnektivität mit der Insula im
Verhältnis zur Schmerzintensität. Tagliazucchi et al. [21] berichteten ähnliche
Ergebnisse. Sie konnten zeigen, dass chronische Schmerzen die normale
Aktivität des DMN stören, selbst wenn sich das Gehirn im
Ruhezustand befindet.
Ob die beschriebenen funktionellen Veränderungen durch strukturelle
Modifikationen ausgelöst werden oder ihrerseits strukturelle
Veränderungen verursachen, ist noch nicht abschließend
geklärt. Apkarian et al. [22]
fanden für chronische Rückenschmerzpatienten
5–11% weniger Volumen der neokortikalen grauen Substanz (GM) im
Vergleich zur gesunden Vergleichsstichprobe. Das Ausmaß dieser Abnahme
entspricht dem GM-Volumen, das in 10–20 Jahren normaler Alterung
verloren gehen würde. Die Verringerung des Volumens war dabei
abhängig von der Schmerzdauer, was auf einen GM-Verlust von
1,3 cm3 für jedes Jahr chronischer Schmerzen
schließen lässt. Die Dichte der neokortikalen grauen Substanz
war beidseitig im dorsolateralen PFC sowie im rechten Thalamus verringert. Die
Reduzierung der grauen Substanz im dorsolateralen PFC konnte in 2 weiteren
Studien repliziert werden. Fritz et al. [23] fanden ein reduziertes GM-Volumen im ventrolateralen und
dorsolateralen PFC, dem ventralen und dorsalen medialen PFC und der anterioren
Insula. Außerdem zeigte sich eine schwach negative Korrelation der
Schmerzintensität mit dem GM-Volumen im linken dorsolateralen und
ventrolateralen PFC sowie im ACC [23]. Ivo
et al. [24] konnten darüber hinaus
eine verminderte GM-Dichte des dorsolateralen PFC, des Thalamus und des medialen
cingulären Gyrus (MCC) nachweisen. Ferner fanden Schmidt-Wilcke et al.
[25] eine signifikante GM-Abnahme im
Hirnstamm und in SI. Die Schmerzunangenehmheit und die Schmerzintensität
am Tag der Untersuchung korrelierten negativ mit diesen Arealen (d. h.
GM-Reduktion bei zunehmender Unangenehmheit/Intensität).
Zusätzlich wurde ein signifikanter bilateraler GM-Anstieg in den
Basalganglien und im linken Thalamus festgestellt. Zusammenfassend zeigt sich
bei chronischen Rückenschmerzpatienten auf neuronaler Ebene ein weites
Spektrum funktioneller und struktureller Veränderungen. Das
Ausmaß dieser neuroplastischen Veränderungen erscheint besonders
relevant, wenn man sich die vergleichsweise hohe Prävalenz der
„Volkskrankheit Rückenschmerz“ in der
Allgemeinbevölkerung vor Augen führt.
Fibromyalgiesyndrom (FMS)
Beim FMS handelt es sich um eine chronische Schmerzstörung, die
vorwiegend die Gelenke, Muskeln und Sehnenansatzpunkte in allen 4
Körperquadranten betrifft [26].
Unter Belastung wird der Schmerz zudem deutlich verstärkt. Weitere
Kernsymptome der Erkrankung umfassen rasche Ermüdbarkeit, reduzierte
Konzentrations- und Denkfähigkeit, Schlafstörungen, chronisches
Erschöpfungssyndrom (CFS) sowie eine eingeschränkte
körperliche sowie psychische Belastbarkeit. Die Prävalenz des
FMS liegt in der Normalbevölkerung bei 0,6–4%, wovon
85–90% weiblich sind. Die Genese des FMS ist bis heute
weitestgehend ungeklärt. So können die generalisierte
Hyperalgesie, der weit verbreitete und spontan auftretende Schmerz nicht anhand
von peripheren Veränderungen im Gewebe, z. B. im Muskel, erklärt
werden. Zusammenfassend ist die FMS eine chronische Schmerzerkrankung mit einer
sensitivierten Schmerzwahrnehmung, die nicht medizinisch erkannt oder
erklärt werden kann. Es stellt sich also die Frage, inwiefern
FMS-Patienten Schmerzsignale anders verarbeiten als gesunde
Kontrollprobanden.
Gibson et al. [27] konnten in einer
EEG-Studie zeigen, dass FMS-Patienten einen signifikanten Anstieg in der
Peak-to-Peak-Amplitude, also der Differenz zwischen dem maximalen positiven und
maximalen negativen Ausschlag des zerebralen Potenzials, aufweisen. Dies wurde
innerhalb eines Zeitfensters 207–370 ms nach einer schmerzhaften
Reizdarbietung (CO2-Laser) gemessen. De Tomaso [28] berichteten von einer Korrelation
zwischen der erhöhten laserevozierten Potenzialamplitude und einer
erhöhten subjektiven Schmerzintensität durch den Laser. Des
Weiteren kam es bei FMS-Patienten zu keiner bzw. einer geringeren Habituation
des empfundenen Schmerzes und zu einer geringeren habituationsinduzierten
Reduktion der laserevozierte Potenzialamplitude im Vergleich zu gesunden
Kontrollprobanden. Lorenz et al. [29] und
Lorenz [30] kamen zu vergleichbaren
Ergebnissen. Gemessen an der gesunden Kontrollstichprobe zeigten FMS-Patienten
eine deutlich geringere Schmerzschwelle bei Darbietung thermischer Reize sowie
eine deutlich höhere Amplitude spezifischer Komponenten der
laserevozierten Potenziale im EEG (N170 und P390) [29], welche auf eine verstärkte
nozizeptive Aktivierung und neuronale Synchronisation in SII durch den
Hitzereiz, sowie eine stärkere kognitive Beurteilung des schmerzhaften
Reizes hindeuten. In einer anderen Studie wurden niedrigere elektrische
Schmerzschwellen sowie eine höhere Amplitude der N80-Komponente des EEG
berichtet, was als Hinweis auf eine verstärkte sensorische Verarbeitung
gewertet werden kann [31].
Gracely et al. [32] berichteten für
Patienten mit FMS und gesunde Probanden bei Druckreizen von subjektiv
vergleichbarer Schmerzintensität ähnliche zerebrale
Aktivierungsmuster im fMRT. Wurden objektiv vergleichbare
Reizintensitäten gewählt, zeigten die FMS-Patienten jedoch
stärkere Aktivierungen in den schmerzverarbeitenden Arealen, was eine
übermäßige Schmerzverarbeitung im Sinne der
vorangegangenen Annahmen unterstützt. Die beschriebene Beobachtung traf
für Regionen zu, die an der sensorisch-diskriminierenden Verarbeitung
des Schmerzes beteiligt sind (wie SI und SII), sowie für Regionen, die
der affektiv-motivationalen Komponente zuzuordnen sind (wie die Insula und der
ACC). Pujol et al. [33] konnten diese
Ergebnisse ebenfalls im fMRT replizieren, Meatsu et al. [34] mittels MEG. Cook et al. [35] replizierten die genannten Ergebnisse
im fMRT mittels thermischer Reize und berichteten Unterschiede zwischen den
Gruppen insbesondere in der kontralateralen Insula. Bei Nutzung eines Schnittes
der Haut als akuter Schmerzreiz konnte gezeigt werden, dass die Stimulation bei
FMS-Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden nicht nur zu einer
Aktivierung unterschiedlicher Hirnregionen führte, sondern dass bereits
die Antizipation des Schmerzreizes unterschiedliche Regionen aktivierte [36]. Die Autoren schlossen daraus, dass
zentrale Mechanismen der Schmerzverarbeitung im medialen Schmerzsystem die
kognitiven/affektiven Faktoren bereits bei der Antizipation des
Schmerzes verändern und somit eine wichtige Rolle für die
Schmerzverarbeitung bei FMS-Patienten spielen könnten. Weitere Studien
belegen, dass es bei den Erkrankten zusätzlich zu Veränderungen
in der endogenen Schmerzverarbeitung kommt. Studien, die die absteigende
Modulation von Schmerz untersuchten, konnten die wichtige Rolle des rostralen
ACC für die Schmerzinhibition zeigen [37]
[38]
[39]
[40]. So berichteten etwa Jensen et al. [41] eine signifikant geringere Aktivierung
des rACC bei FMS-Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollen bei
unvorhersehbaren Druckschmerzreizen. Darüber hinaus zeigten die
Probanden weniger funktionelle Verbindungen zwischen dem rACC und dem
Hippocampus, der Amygdala, dem Hirnstamm und der rostralen Medulla oblongata
[42]. Die genannten Ergebnisse
unterstützen die Hypothese, dass das FMS durch eine
übermäßige kortikale Schmerzverarbeitung gekennzeichnet
ist.
Mittels Resting-State-fMRT konnte ferner eine erhöhte
Konnektivität zwischen der Insula und dem DMN gezeigt werden.
Außerdem korrelierte ein stärkerer spontaner Schmerz
während der Messung mit einer stärkeren intrinsischen
Konnektivität zwischen der Insula und dem DMN [43]. In einer weiteren Studie zeigten
Patienten mit FMS eine reduzierte Konnektivität zwischen dem Thalamus
und prämotorischen Arealen, zwischen der rechten Insula und SI, sowie
zwischen dem supramarginalen Gyrus und dem PFC [44]. Die Autoren vermuten, dass die abnormalen
Konnektivitätsmuster zwischen schmerzverarbeitenden Regionen und den
übrigen Hirnarealen im Ruhezustand die beeinträchtigten
zentralen Mechanismen der Schmerzverarbeitung bei FMS-Patienten wiederspiegeln.
Schwächere Verbindungen zwischen schmerzverarbeitenden Regionen und den
präfrontalen sowie sensomotorischen Kortexarealen könnten
demnach auf ein weniger effektives Kontrollsystem von Schmerzkreisläufen
hindeuten. Entsprechende Unterschiede der Vernetzung im Ruhezustand wurden in
einer weiteren Studie untersucht [45]. Die
Autoren berichteten, dass akute, schmerzhafte Druckreize zu einer Zunahme der
Konnektivität im Ruhezustand zwischen der Insula, dem ACC und dem
Hippocampus, im Vergleich zum Ruhezustand vor der Applikation, führten.
Weiterhin fanden die Autoren bei Patienten im Vergleich zu Kontrollen eine
erhöhte Konnektivität zwischen dem Thalamus und dem
Precuneus/PCC, als Teil des DMN. Diese Konnektivität war mit
Veränderungen im klinischen Schmerz korreliert. Die beschriebenen
Veränderungen der Aktivierungsmuster im Ruhezustand nach einer
schmerzhaften Reizung deuten darauf hin, dass akute Schmerzen Einfluss auf die
funktionelle Konnektivität des Schmerznetzwerks haben und so zur
neurophysiologischen Entwicklung-chronischen Schmerzes beitragen
können.
Bezüglich der Hypothese, dass es im Rahmen des FMS zu einer
erhöhten Vigilanz kommt, gibt es widersprüchliche Ergebnisse. So
konnten Tiemann et al. [46] keine
Hypervigilanz, gemessen als ungewöhnliche Erhöhung der
Aufmerksamkeit gegenüber externen Reizen, nachweisen. Auch
Carrillo-de-la-Pena et al. [47] konnten
hinsichtlich des sogenannten sensorischen Gatings der P50-Komponente im EEG,
welches die Unterdrückung irrelevanter Stimuli abbildet, keinen
Unterschied zwischen Patienten- und Kontrollgruppe feststellen. Ebenso fanden
Lorenz et al. [30] bei der Untersuchung
auditiv evozierter Potenziale keine Hyperreaktivität. Im Gegensatz dazu
berichteten McDermid et al. [48]
über eine verringerte Schmerztoleranz und herabgesetzte Schmerz- und
Geräuschschwellen in FMS-Patienten im Vergleich zu Personen mit
rheumatoider Arthritis sowie gesunden Kontrollprobanden. Außerdem
bevorzugten beide Patientengruppen niedrigere Level externer Stimulation.
Carrillo-de-la-Pena [49] berichteten in
einer EEG-Studie über erhöhte Amplituden der auditiv evozierten
Potentiale (N1 und P2) bei FMS-Patienten. Dies lässt vermuten, dass
Defekte im hemmenden System, welches einer Überstimulation vorbeugen
soll, eine wesentliche Rolle in der Pathophysiologie des FMS einnehmen
könnten. In einer weiteren Studie an 30 FMS-Patienten zeigte sich zudem
bei 70% eine herabgesetzte Toleranz der Geräuschschwelle [50].
Ob die beschriebenen funktionellen Veränderungen durch strukturelle
Änderungen entstehen oder diese zur Folge haben, ist auch beim FMS
weiterhin unbekannt. In einer Untersuchung bei FMS-Patienten mittels
voxelbasierter Morphometrie (VBM) wurde ein signifikant geringeres Volumen sowie
ein um das 3,3-fache erhöhter altersbedingter Verlust der grauen
Substanz gefunden [51]. Weiterhin
korrelierte die Dauer des chronischen Schmerzes mit dem Verlust der grauen
Substanz, wobei ein Jahr mit Fibromyalgie äquivalent zu 9,5 Jahren
‚normaler‘ Alterung ist. Im Rahmen einer anderen Studie konnte
auch im Thalamus ein geringeres Volumen der grauen Substanz gefunden werden,
wobei das Cerebellum und das Striatum gleichzeitig ein erhöhtes Volumen
aufwiesen [52]. Mit einer VBM-basierten
strukturellen Kovarianz-Netzwerkanalyse konnten mehr Verbindungen innerhalb des
Cerebellums bei Patienten mit FMS gefunden werden, wohingegen gesunde Kontrollen
mehr Verbindungen im Frontalhirn aufwiesen [53]. Darüber hinaus konnten dichte zerebrale Verbindungen mit
dem medialen präfrontalen/orbitofrontalen Kortex, dem medialen
Temporallappen und dem rechten inferioren Parietallappen identifiziert werden.
Das Volumen der grauen Substanz in diesen Regionen war mit der
Ausprägung der depressiven Symptome korreliert. Mithilfe der
diffusionsgewichteten Magnetresonanztherapie und der damit gewonnenen
Diffusions-Tensor-Bildgebungsdaten (DTI), welche die Diffusionsbewegung von
Wassermolekülen im Gewebe abbilden, wurden
Konnektivitätsanalysen der weißen Substanz (WM)
durchgeführt, die eine Assoziation der genannten Areale mit einer
verstärkten evozierten Schmerzhyperalgesie und einer
Beeinträchtigung durch klinischen Schmerz fanden [53]. Eine reduzierte fraktionelle
Anisotropie (FA), welche die lokale Dichte der Nervenfasern widerspiegelt, wurde
bilateral im Thalamus, den thalamokortikalen Trakten und bilateral in der Insula
berichtet [54]. Zusätzlich wurden
reduzierte GM-Volumen in schmerzverarbeitenden Arealen gefunden, welche mit
einer erhöhten FA einhergingen. Im Rahmen einer weiteren Untersuchung
konnte eine reduzierte FA im rechten Thalamus gefunden werden [55]. Die genannten strukturellen und
funktionellen Charakteristika entsprechen z. T. den Beobachtungen beim
chronischen Rückenschmerz (z. B. erhöhte
Konnektivität der Insula mit dem DMN), andere neuronale
Veränderungen sind wiederum spezifisch beim FMS (z. B. geringere
Aktivierung des rACC) oder beim chronischen Rückenschmerz (z. B.
GM-Abnahme in SI und Hirnstamm) vorzufinden.
Phantomschmerz
Nach einer Amputation oder Deafferenzierung eines Körperteils ist
normalerweise das Gefühl vorhanden, dass das fehlende Körperteil
noch immer vorhanden ist und dass es spezifische sensorische und
kinästhetische Sensationen hat [56]. Diese nicht schmerzhaften Phantomempfindungen können
eine spezifische Position, Form oder Bewegung des Phantoms, Gefühle von
Kälte oder Wärme, Kribbeln, Jucken, elektrische Empfindungen
oder andere Parästhesien beinhalten [57] und werden beinahe von allen Amputierten berichtet. Der
Phantomschmerz gehört zur Gruppe der neuropathischen Schmerzen und ist
durch Schmerzen einer amputierten, nicht mehr vorhandenen Gliedmaße oder
eines Körperteils nach teilweiser oder kompletter Denervation
charakterisiert. 60–80% aller Amputationspatienten berichten
über schmerzhafte Empfindungen im nicht mehr vorhandenen
Körperteil [58]
[59]. Dabei werden Phantomschmerzen oder
Phantomempfindungen sowohl nach Amputationen der oberen Extremität [60], der unteren Extremität [61]
[62]
[63], der Brust [64]
[65], der Zähne [66]
[67], innerer Organe [68] als auch des Penis [69]
[70] berichtet. Der Einfluss peripherer, spinaler sowie
zentralnervöser Veränderungen wurde zuvor bereits berichtet
[71]
[72]. Psychologische Faktoren scheinen hierbei nicht
ursächlich für das Auftreten zu sein, könnten jedoch zur
Aufrechterhaltung und zum Schweregrad des Phantomschmerzes beitragen [73]
[74]. Es konnte gezeigt werden, dass die SI-Region, welche zuvor
Signale der amputierten Extremität erhielt, postoperativ durch
benachbarte Regionen angesteuert wird [60]
[75]
[76]
[77]. Diese Veränderungen finden sich auch in der
primär-motorischen Rinde (MI) [78]
[79]
[80]
[81]
[82]. Interessanterweise
zeigen sich diese genannten Veränderungen jedoch nur bei Patienten, die
nach einer Amputation unter Phantomschmerzen leiden, aber nicht bei
schmerzfreien Patienten [60]. Das
lässt darauf schließen, dass der Schmerz zu den beobachteten
kortikalen Veränderungen beitragen, oder aber eine Konsequenz der
auftretenden plastischen Veränderungen sein könnte.
Verschiedene Studien an Patienten mit Amputation der obere Extremität
konnten zeigen, dass die Verschiebung der Repräsentation der Lippen in
MI und SI positiv mit der Intensität des Phantomschmerzes korrelierte
und bei Patienten ohne Phantomschmerz bzw. bei gesunden Kontrollprobanden nicht
vorhanden war [60]
[80]. Zudem führten imaginierte
Bewegungen der Phantomhand bei Patienten mit Phantomschmerz zur Aktivierung der
benachbarten Gesichtsregionen – bei schmerzfreien Patienten war dies
nicht der Fall [81]. Eine derartige
Koaktivierung geschieht wahrscheinlich aufgrund der hohen Überlappung
von Mund- und Hand- bzw. Armrepräsentationen. Weiterführende
Studien zur Verarbeitung schmerzhafter Reize bei Patienten nach Amputation
stehen noch aus. Die funktionelle Konnektivität im Ruhezustand zwischen
der Repräsentation der amputierten Hand und dem sensomotorischen
Netzwerk war bei Amputierten verringert und allgemein schwächer, je
länger die Amputation zurücklag. Niedrigere Niveaus der
funktionellen Verbindung zwischen der Repräsentation der amputierten
Hand und dem sensomotorischen Netzwerk waren auch mit einer auftretenden
Verbindung dieses Bereichs des Kortex mit dem DMN assoziiert [83].
Es gibt bislang nur wenige Studien, die strukturelle Veränderungen beim
Phantomschmerz beschreiben. Draganski et al. [84] berichten von einer Abnahme der grauen Substanz im zur
Amputationsseite kontralateralen Thalamus. Die Abnahme der grauen Substanz war
positiv korreliert mit der Zeitspanne seit der Amputation, jedoch nicht mit der
Häufigkeit und dem Ausmaß des bestehenden Phantomschmerzes. Der
Phantomschmerz war nicht mit den strukturellen Veränderungen des
Thalamus assoziiert, korrelierte jedoch positiv mit einer Abnahme der grauen
Substanz in Regionen, die für die Schmerzverarbeitung zuständig
sind. Während eine übergeordnete Bedeutung des Thalamus
für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Phantomschmerzen diskutiert
wird, bleiben die funktionellen, strukturellen und neurochemischen Eigenschaften
und Verbindungen des Areals im Detail noch zu klären. In einer
voxelbasierten DTI-Analyse des Corpus callosum fanden Simoes et al. [85] bilateral reduzierte FA-Werte bei
schmerzfreien Amputierten im Vergleich zu gesunden Probanden.
Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS)
Ähnliche Beobachtungen wie beim Phantomschmerz wurden für
Patienten mit komplexem regionalem Schmerzsyndrom (CRPS) gefunden. Bei dieser
Erkrankung kommt es nach einer äußeren Einwirkung (z. B.
Trauma, Operation, Entzündung) zu einer Dystrophie (Degeneration) und
Atrophie (Schwund) von Gewebe betroffener Körperregionen. Symptome eines
CRPS sind Durchblutungsstörungen, Ödeme,
Hautveränderungen, Schmerzen und schließlich
Funktionseinschränkungen. Das häufigste einem CRPS vorausgehende
Trauma ist die distale Radiusfraktur: Das CRPS tritt dort mit einer
Häufigkeit von 7–37% als Komplikation auf. Entsprechend
wird das CRPS allgemein häufiger an der oberen als an der unteren
Extremität berichtet. Auch bei CRPS-Patienten wurden mittels fMRT und
MEG Veränderungen des somatosensorischen Systems
überprüft, welche die beeinträchtigte Gliedmaße
repräsentieren. Es zeigte sich, dass bei CRPS-Patienten die
Repräsentation der beeinträchtigten Hand signifikant kleiner als
die der unbeeinträchtigten Hand war und die individuellen
Fingerrepräsentationen insgesamt dichter zusammenlagen [86]
[87]
[88]
[89]. Das Ausmaß pathologischer
Veränderungen der kortikalen Repräsentation korrelierte mit der
Schmerzintensität und den motorischen Beeinträchtigungen [89]
[90]
[91] und war
außerdem mit einer reduzierten Sensibilität der betroffenen Hand
verbunden. Gleichzeitig waren die Veränderungen der kortikalen
Repräsentation allerdings nicht mit einem Verlust der motorischen
Funktionen verbunden [91]. Bisher ist noch
unklar, wie sowohl eine Expansion von benachbarten Arealen als auch ein
Schrumpfen der benachbarten Areale, wie es bei Phantomschmerz und CRPS
beobachtet wurde, mit Schmerz assoziiert sein können.
Ähnlich wie beim chronischen Rückenschmerz, konnten bei
fMRT-Untersuchungen des Ruhezustands fünf aussagekräftige
Resting-State-Netzwerke isoliert werden, von denen ausschließlich das
DMN Abweichungen zu gesunden Kontrollprobanden aufwies [20]. Auch hier zeigten sich eine
verminderte Konnektivität des medialen PFC mit den hinteren
Bestandteilen des DMN, sowie eine erhöhte Konnektivität mit der
Insula im Verhältnis zur Schmerzintensität. In einer weiteren
Studie wurde bei CRPS-Patienten eine signifikant reduzierte
DMN-Konnektivität im Vergleich zu Kontrollen festgestellt [92]. Die funktionellen
Konnektivitätskarten von SI/MI und dem intraparietalen Sulcus
(IPS) bildeten bei Patienten eine größere, v. a. aber diffusere
Konnektivität zu anderen Hirnregionen wie dem Gyrus cingulus, Thalamus
und PFC ab. Im Gegensatz dazu zeigten gesunde Kontrollen eine
größere Konnektivität innerhalb des SI/MI und
IPS.
Barad et al. [93] berichteten ein
vermindertes GM-Volumen in verschiedenen schmerzverarbeitenden Hirnregionen wie
etwa der dorsalen Insula, dem linken orbitofrontalen Kortex und verschiedenen
Anteilen des Gyrus cingulus. Eine Zunahme des GM-Volumens wurde im bilateralen
Putamen und im rechten Hypothalamus nachgewiesen. Die Schmerzdauer war mit einer
Verminderung der grauen Substanz im linken dorsalen PFC assoziiert. Die
Schmerzintensität hingegen war positiv mit dem GM-Volumen im linken
dorsalen Hippocampus und der linken Amygdala, sowie negativ mit dem GM-Volumen
im bilateralen dorsolateralen PFC korreliert. Lee et al. [94] konnten bei CRPS-Patienten
dünnere GM im rechten dorsolateralen PFC und linken vetromediale PFC im
Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden finden. Es gab keine Korrelation
zwischen der kortikalen Dicke und Depression, obwohl sich die Ergebnisse von BDI
(Becks Depressions-Inventar) und BAI (Beck-Angst-Inventar) signifikant zwischen
den Gruppen unterschieden. Veränderungen der WM, gemessen anhand der
Abnahme der FA, konnten im linken Cingulum-callosal-Bündel nachgewiesen
werden [95].
Eine Zusammenstellung der bedeutendsten Veränderungen des GM-Volumens,
die bei den diskutierten chronischen Schmerzsyndromen zu beobachten sind, ist
[Tab. 1] zu entnehmen. Es
fällt zunächst auf, dass bei allen aufgeführten
Erkrankungen signifikante Minderungen der grauen Substanz in
schmerzverarbeitenden Hirnregionen festgestellt werden. Diese GM-Abnahme
betrifft je nach Erkrankung meist unterschiedliche Areale des Schmerznetzwerks.
Einige Strukturen, wie der Thalamus, die Insula oder der dorsolaterale
präfrontale Kortex (dlPFC), scheinen bei verschiedenen chronischen
Schmerzerkrankungen gleichermaßen betroffen zu sein und lassen somit
eine besondere Bedeutung im Kontext der Schmerzverarbeitung bei chronischen
Schmerzpatienten vermuten. Bemerkenswert ist außerdem, dass die
beobachteten Einbußen des GM-Volumens in der Regel abhängig von
der Schmerzdauer sind. Besonders lohnenswert und sinnvoll erscheint es deshalb,
einer Chronifizierung der Schmerzen rechtzeitig entgegenzuwirken und
frühestmöglich angemessene Interventionen einzuleiten.
Tab. 1 Veränderungen der grauen Substanz (GM) bei
verschiedenen chronischen Schmerzerkrankungen.
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Chronischer Rückenschmerz
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Fibromyalgie-Syndrom
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Phantomschmerz
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Komplexes regionales Schmerzsyndrom
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GM-Abnahme
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dlPFC Thalamus (rechts) Anteriore
Insula MCC Hirnstamm SI
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Thalamus STG Insula
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Thalamus (kontralateral zur Amputationsseite)
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dlPFC Dorsale Insula OFC (links) Gyrus
cingulus
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GM-Zunahme
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Basalganglien Thalamus (links)
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Cerebellum Striatum
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Putamen Hypothalamus (rechts)
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