Arthritis und Rheuma 2020; 40(05): 358-359
DOI: 10.1055/a-1202-8490
Kinderrheumatologie kompakt

Diagnostik und Therapie des Makrophagenaktivierungssyndrom

Frank Weller-Heinemann
1   Bremen
› Author Affiliations
 

    Das Makrophagenaktivierungssyndrom (MAS) gehört zu den Notfallsituationen in der Kinderrheumatologie. Die rasche Diagnose und adäquate Therapie sind wesentlich, um Schaden vom Patienten abzuwenden. In der vorliegenden Arbeit werden Diagnosekriterien und Therapieoptionen inklusive moderner Antizytokintherapien zusammenfassend dargestellt.


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    Henderson LA, Cron RQ. Macrophage Activation Syndrome and Secondary Hemophagocytic Lymphohistiocytosis in Childhood Inflammatory Disorders: Diagnosis and Management. Paediatr Drugs 2020; 22(1): 29–44. doi: 10.1007/s40272-019-00367-1

    Zunächst wird die Entwicklung der Nomenklatur und Terminologie des MAS beschrieben. Die Ähnlichkeit in Pathogenese führt zur Bezeichnung des MAS als sekundäre Hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH), wenn es im Rahmen rheumatologischer Erkrankungen auftritt. Zumeist besteht eine Assoziation zur systemischen JIA (MAS bei 10 % der sJIA-Patienten, weitere 30–40 % mit subklinischer Präsentation), aber auch andere rheumatologische Grunderkrankungen sind als auslösende Entitäten beschrieben (systemischer Lupus erythematodes, Kawasaki-Syndrom, adultes Still-Syndrom = AOSD). Auch Infektionen mit u. a. EBV oder maligne Erkrankungen können eine Makrophagenaktivierung auslösen. Sehr viel seltener sind genetische Erkrankungen mit gestörter zytotoxischer Aktivität (z. B. Perforin-Defekte, Inzidenz ca. 0,1–0,5 auf 100000) – dann liegt eine primäre HLH vor. Pathophysiologisch gemeinsam ist allen eine gestörte zytotoxische Aktivität oder eine immunologische Überstimulation, die zu einem Zytokin-Sturm mit exzessiv erhöhtem IL-1, Interferon-γ, IL-18, IL6 u. a. führt.

    Im 2. Abschnitt werden die zugrunde liegenden Erkrankungen gruppiert nach rheumatologisch, onkologisch und Immundefizienz vorgestellt. Dabei finden auch sehr seltene rheumatologische Erkrankungen, wie z.B. die AutoInFlammation mit infantiler EnteroColitis (AIFEC) Erwähnung. Diese werden durch eine Gain-of-function-Mutation im NLRC4-Gen verursacht. Ca. 8 % der HLH sind mit malignen Erkrankungen assoziiert, vor allem T-Zell-Lymphome, aber auch Hodgkin-Lymphome oder B-Zell-Lymphome sind beschrieben. Primäre Immundefekte sind zwar selten, aber viele dieser Erkrankungen können eine HLH auslösen, insbesondere diejenigen, die zu einer erhöhten Empfänglichkeit für EBV-Infektionen führen (X-linked lymphoproliferative disease [XLP] Typ 1 und 2). Eine Mutation im SH2D1A- bzw. BIRC4-Gen liegt diesen Erkrankungen zugrunde. Interessanterweise besteht eine klinische Ähnlichkeit zum AIFEC-Syndrom mit Kolitis und deutlich erhöhten IL-18-Werten.

    Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Vorstellung der verschiedenen Diagnose-Kriterien einschließlich deren Sensitivität und Spezifität. Die HLH-2004-Kriterien benötigen dabei spezialisierte diagnostische Tests (löslicher IL-2-Rezeptor [ = sCD25], NK-Zell-Funktionstests und streng genommen eine genetische Untersuchung. Es wurde versucht, über höhere Ferritin-cut-off-Werte eine höhere Spezifität zu erreichen. Die 2016-MAS-Klassifikationskriterien nach Ravelli sind für die schwierige klinische Situation gedacht, in der eine Makrophagenaktivierung bei sJIA-Patienten erkannt werden soll. Es muss betont werden, dass es sich um Klassifikationskriterien handelt und nicht um diagnostische Kriterien. Dieses Manko wurde durch den MS-Score behoben, der für die klinische Diagnose des MAS bei sJIA validiert wurde. Auch der sehr simple Ferritin/BSG-Quotient erlaubt bereits mit einer Sensitivität von 82 % und Spezifität von 78 % eine Unterscheidung von sJIA und MAS bei sJIA. Der H-Score dient der Diagnosestellung einer HLH beim erwachsenen Patienten. Er ähnelt den HLH-2004-Kriterien, ist aber für Kinder nicht validiert. Da eine HLH beim Erwachsenen eher Malignom- assoziiert ist, während bei Kindern die HLH mehr Infekt-assoziiert ist, bleibt der Nutzen für die pädiatrische Population fraglich. Der MH-Score wurde zur Differenzierung der primären HLH vom MAS bei sJIA entwickelt. Bemerkenswert ist, dass der Ferritinwert hier nicht berücksichtigt zu werden braucht. Die Autoren betonen die Autoren, dass die Scores nur Hilfsmittel sind, und den aufmerksamen Arzt, der mit dem Krankheitsbild HLH vertraut ist, nicht ersetzen.

    Abschließend werden die therapeutischen Optionen erläutert. Unbehandelt ist die Prognose der primären HLH fatal. Anfang des Jahrtausends werden für das MAS noch Mortalitätsraten um die 10 % angegeben. Aktuell liegen diese für die primäre HLH bei ca. 40 % und für das MAS unter 8 %; erreicht wird dies durch eine intensive Therapie inklusive Steroiden, Chemotherapeutika und Zytokin-Blockade. Wenn möglich, sollten die auslösenden Trigger therapiert werden, z. B. eine EBV-Infektion mit Rituximab, andere Infektionen mit Antibiotika und auch intravenöse Immunglobulingaben. Von zentraler Bedeutung ist aber die immunsuppressive Therapie, die im HLH-94-Protokoll eine Induktionstherapie mit Dexamethason und Etoposid sowie intrathekale Methotrexatgaben vorsah. Aktuell werden im HLH-2004-Protokoll Ciclosporin A, Dexamethason und intrathekales Methotrexat sowie Prednisolon-Gaben eingesetzt, bis die Patienten einer Stammzelltransplantation zugeführt werden können. Beim MAS werden Steroidpulse in Kombination mit Ciclosporin A, in refraktären Fällen auch Etoposid und/oder intravenöse Immunglobuline verabreicht. Seit 2008 mehren sich Fallberichte, dass der IL-1-Blocker Anakinra insbesondere in höheren Dosen über 2 mg pro kg Körpergewicht und Tag einen positiven Effekt beim MAS hat; auch bei der sekundären HLH bei adultem Still-Syndrom wird dies zunehmend eingesetzt. Sollte nach 48 Stunden kein Effekt aufgetreten sein, ist eine zusätzliche Immunsuppression notwendig. Interferon-γ konnte als zentrales Zytokin in der Pathophysiologie identifiziert werden. Positive Ergebnisse in einer Phase-III-Studie mit dem anti-Interferon-γ-Antikörper Emapalumab führten 2018 zur Zulassung dieses Medikamentes durch die FDA bei primärer HLH. Eine weitere Alternative ist der IL-18-Antagonist Tadekinig alfa, der zurzeit bei AIFEC und XIAP(= X-linked inhibitor of apoptosis protein)-Defizienz in Studien evaluiert wird. Auch der Einsatz von Januskinase-Inhibitoren wie Ruxolitinib könnte zukünftig eine Option darstellen; Ruxolitinib zeigte im Mausmodell eine Minderung der HLH-Krankheitsaktivität. Ein möglicher therapeutischer Algorithmus wird abschließend vorgestellt.

    Tab. 1

    Vergleich der Klassifikations- bzw. Diagnosekriterien für HLH und MAS.

    HLH-2004

    2016 MAS

    MS-Score

    Ferritin/BSG-Quotient

    HS-Score

    MH-Score

    Publikation

    Henter et al., 2007

    Ravelli et al., 2016

    Minoia et al., 2019

    Eloseily et al., 2019

    nach Fardet et al., 2014

    nach Minoia et al., 2017

    Kriterien

    Molekulare Diagnose der hämophagozytischen Lymphohistiozytose (HLH) oder X-chromosomal vererbtes lymphoproliferatives Syndrom (XLP)

    ODER mindestens 5 von 8 Kriterien:

    • Fieber > 38 °C

    • Splenomegalie

    • Zytopenie (mindestens 2 Zelllinien), z. B. Hb < 9 g/dl, Thr < 100 G/l, Neutro < 1 G/l

    • Hypertriglyceridämie (> 265 mg/l) u/o Hypofibrinogenämie (< 1,5 g/l)

    • Hämophagozytose im Knochenmark, LK, Milz

    • Erhöhtes Ferritin (> 625 μg/l)

    • Erhöhtes sIL2Ra (sCD25) > 2400 U/ml

    • Fehlende oder sehr erniedrigte NK-Funktion

    Ferritin > 684 μg/l

    UND mindestens 2 der folgenden Nebenkriterien:

    • Thrombozyten ≤ 181 G/l

    • AST/GOT > 48 U/l

    • Triglycerid > 156 mg/dl

    • Fibrinogen ≤ 3,6 g/l

    ZNS [*] 2,44 + Hämorrhagie [*] 1,54 - Arthritis [*] 1,3 - Thr [G/l] [*] 0,003 + LDH [U/l] [*] 0,001 - Fibrinogen [mg/dl] [*] 0,004 + Ferritin [μg/l] [*] 0,0001 ≥ –2,1

    Ferritin/BSG-Quotient [μg/l ÷ mm/h] ≥ 21,5

    Immunsuppression ja/nein 18/0
    Temp. < 38,4 °C/38,4–39,4 °C/ > 39 °C 0/33/49
    Organomegalie nein/SM/HSM 0/23/38
    Zytopenie 1/2/3 Linien 0/24/34
    Ferritin < 2000/2000–6000/ > 6000 μg/l 0/35/50
    Triglyzeride < 133/134–442/ > 442 mg/dl 0/44/64
    Fibrinogen > 2,5/ ≤ 2,5 g/l 0/30
    GOT < 30/ ≥ 30 U/l 0/19

    Hämophagozytose nein/ja 0/35

    Summe ≥ 169

    Manifestationsalter > 1,6/ ≤ 1,6 0/37
    Neutrophile > 1,4/ ≤ 1,4 G/l 0/37
    Splenomegalie nein/ja 0/12
    Thrombozyten > 78/ ≤ 78 G/l 0/11
    Anämie Hb > 8,3/ ≤ 8,3 g/dl 0/11
    Fibrinogen > 1,3/ ≤ 1,3 g/l 0/15

    Summe ≥ 60

    Sensitivität [%]

    95 [bei 4 pos. Kriterien[*]]

    73

    85

    82

    93

    91

    Spezifität [%]

    88 [bei 4 pos. Kriterien[*]]

    99

    95

    78

    86

    93

    * da hier bei Henter et al., 2007 keine Angaben, Werte nach Knaak C et al. Critical Care 2020; 24: 244 ergänzt

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    Publication History

    Article published online:
    02 November 2020

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