Schlüsselwörter
Thoraxchirurgie - SARS-CoV-2 - Umfrage - Pandemie - COVID-19
Key words
thoracic surgery - SARS-CoV-2 - COVID-19 - survey - pandemic
Abkürzungen
COVID-19:
Coronavirus Disease 2019
DGT:
Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie
FFP:
Filtering Face Piece
SARS-CoV-2:
Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2
Einleitung
Die COVID-19-Pandemie, hervorgerufen durch das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2), stellt eine weltweite Herausforderung für Gesundheitsdienstleister dar [1]. In vielen Ländern wurden strenge Regelungen eingeführt, darunter soziale Distanzierung, Einschränkungen des öffentlichen Lebens oder obligatorisches Tragen von Gesichtsmasken im öffentlichen Leben. Gleichzeitig sehen sich die Krankenhäuser mit beispiellosen Problemen konfrontiert die Ressourcen zwischen der Akutversorgung von COVID-19-Patienten/-innen und der Aufrechterhaltung des Managements von Nicht-COVID-19-Patienten/-innen angemessen zu verteilen. Engpässe beim Personal, bei der Diagnostik und den Krankenhauskapazitäten haben zu einer erheblichen Reduzierung oder sogar zur Einstellung aller elektiven chirurgischen Eingriffe geführt. Die weltweite Entwicklung der Pandemie ist derzeit nicht absehbar. Im Gegensatz zu anderen Ländern wie den USA oder Brasilien entspannt sich die
Pandemiesituation aktuell in Deutschland [2]. Empfehlungen und Präventivmaßnahmen nationaler und internationaler medizinischer Gesellschaften und Regierungen zum Umgang mit dieser neuen Situation werden regelmäßig aktualisiert [3]. Aufgrund regionaler und lokaler Unterschiede in der Infrastruktur und Gesetzgebung, unterschiedlicher Fallzahlen, aber vor allem der mangelnden wissenschaftlichen Evidenz kann es zu unterschiedlichen Formen der Umsetzung dieser Empfehlungen kommen. Des Weiteren zeigt die jüngste Vergangenheit, dass aufgrund der Dynamik der Pandemiesituation die Empfehlungen regelmäßig veraltet sind oder an die neuen Gegebenheiten angepasst werden müssen. Im Falle der Thoraxchirurgie sind die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie noch unklar, fast täglich werden Thoraxchirurgen durch die COVID-19-Pandemie mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Um eine Einschätzung der aktuellen Lage und des Umganges einzelner
thoraxchirurgischer Einrichtungen mit der COVID-19-Pandemie in Deutschland zu bekommen, wurde eine Onlineumfrage zum Thema „COVID-19 in der Thoraxchirurgie“ mit anschließender Auswertung durchgeführt.
Material und Methoden
Die Einladung zur anonymen Onlineumfrage erfolgte über den E-Mail-Verteiler der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie an 155 thoraxchirurgischen Einrichten in Deutschland. Die Umfrage wurde mit Google Forms erstellt (Google Inc.) und stand im Zeitraum von 11.05. bis 26.05.2020 online zur Verfügung. Pro Institution wurde ein Fragebogen akzeptiert. Der Fragenkatalog bestand aus 16 Fragen und enthielt Fragen zur Struktur der Einrichtungen, zu den lokalen Fallzahlen, den Schutzmaßnahmen, Verfahrensanweisungen und Behandlungskonzepten. Die Ergebnisse wurden zu 3 Hauptthemen zusammengefasst (Struktur, Testung, Eingriffe), deskriptiv analysiert, interpretiert und diskutiert. Die Abbildungen wurden mit Graph Pad Prism (Version 8. GraphPad Software, Inc.) erstellt. Prozentuale Abweichungen können vorkommen und sind rundungsbedingt zu erklären.
Ergebnisse
Strukturelle Gegebenheiten
Es erreichten uns 66 Antworten (Antwortrate: 42,6%) [4], bei 3 Fragen waren 65 Antworten zu verzeichnen (Frage 3, Frage 7, Frage 14, Supplementäre Tabelle 1). Insgesamt haben 23 (34,8%) Schwerpunktkrankenhäuser, 18 (27,3%) Krankenhäuser der Maximalversorgung und 14 (21,2%) Universitätskliniken geantwortet. In 65 (99%) Kliniken wurden COVID-19-positive Patienten/-innen behandelt ([Abb. 1]). Davon gaben 31 (47,0%) Kliniken an, mehr als 50 Patienten/-innen, 18 (27,3%) 11 – 30 Patienten/-innen und 5 (7,6%) 1 – 10 COVID-19-positive Patienten/-innen behandelt zu haben. 14 (22,2%) Kliniken gaben an, ihren präoperativen Kontakt reduziert und auf Tele- und Videokonferenzen umgestellt zu haben, wobei nur 6 (90,8%) Kliniken auch den postoperativen Patientenkontakt während der COVID-19-Pandemie reduziert oder auf digitale Medien umgestellt haben. Multidisziplinäre (Tumor-)Konferenzen wurden in 30,3% der Krankenhäuser über
Telefonkonferenzen durchgeführt. Zusätzlich gaben 6% der Kliniken an, dass die Häufigkeit der Konferenzen aufgrund der COVID-19-Pandemie reduziert wurde. 27 Kliniken (40,9%) gaben an, dass die Dringlichkeit des Therapiebeginns durch die COVID-19-Pandemie beeinflusst wurde und 4,5% gaben an, dass für Patienten/-innen in einem fortgeschrittenen Tumorstadium eher eine systemische Therapie oder eine Strahlentherapie geplant wurde.
Abb. 1 Fragen zu den strukturellen Gegebenheiten.
Testung von Personal und Patienten/-innen
Acht (12,3%) Kliniken gaben an, das Personal routinemäßig auf COVID-19 zu testen ([Abb. 2]). Insgesamt 37 Kliniken (56,9%) testeten ausschließlich im Falle der Exposition des Personals gegenüber positiven Patienten/-innen und 19 (28,8%) Kliniken, wenn Symptome von COVID-19 vorlagen. Lediglich 19 (28,8%) der Kliniken gaben an, alle Patienten/-innen auf COVID-19 zu testen, 14 (21,2%) nur stationäre Patienten/-innen und 7 (10,6%) alle für eine Operation vorgesehenen Patienten/-innen. Die Untersuchung der Patienten/-innen auf COVID-19 erfolgte in 95,4% der Kliniken per Nasopharyngealabstrich. In 71,2% der Kliniken wurde die chirurgische Behandlung durch das Testergebnis beeinflusst. 26 Kliniken gaben an, dass sie COVID-19-Patienten/-innen ausschließlich im Falle einer akuten lebensbedrohlichen Indikation operieren. Eine Klinik gab an, auch in dringenden Fällen nach einer nicht chirurgischen Lösung zu suchen.
Abb. 2 Fragen zur Testung von Personal und Patienten/-innen.
Planung und Verfahren bei Operationen
Lediglich 5 der Kliniken (7,6%) gaben an, dass die COVID-19-Pandemie deren Operationsplanung nicht beeinflusste ([Abb. 3]). In 31 Kliniken (47%) wurden Patienten/-innen mit Verdacht auf COVID-19 operiert und in 13 Kliniken (19,7%) postoperativ positiv getestet. 25 Kliniken (33,3%) berichteten, Patienten/-innen mit präoperativ bestätigtem COVID-19-Befund aufgrund einer infektiologischen Grunderkrankung und 3 Kliniken (4,5%) aufgrund einer onkologischen Grunderkrankung operiert zu haben. Eine generelle Erweiterung der Standardschutzausrüstung um FFP2-Masken und Augenschutz während der COVID-19-Pandemie wurde in 39 (59,1%) der Kliniken durchgeführt. Änderungen im Management von Thoraxdrainagen und des verwendeten Systems erfolgte in 4 Kliniken (6,1%). In 45,4% war die Verfügbarkeit eines Intensivbettes oder eines Intermediate-Care-Bettes für thoraxchirurgische Patienten/-innen beeinträchtigt.
Abb. 3 Fragen zur Planung und zum Verfahren bei Operationen.
Diskussion
Die COVID-19-Pandemie betrifft alle Bereiche der Medizin. Die Thoraxchirurgie hat hier einen besonderen Stellenwert, da Operationen an den Atemwegen zu erhöhter Aerosolbildung führen können und dadurch potenziell eine Gefährdung für das Krankenhauspersonal darstellen. Um das Risiko einer Ansteckung so gering wie möglich zu halten, hat die Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie eigene Empfehlungen zur Indikationsstellung und zum Ablauf für den Personenschutz im Operationssaal erstellt [3]. Aufgrund des derzeitigen Mangels an Erfahrung mit dieser neuen Situation bilden zumeist Expertenmeinungen anstelle von empirischer Evidenz die Grundlage für diese Empfehlungen. Einige Empfehlungen, die am Anfang der Pandemie als relevant galten, haben sich im Verlauf der Pandemie teilweise oder gänzlich als nicht sinnvoll herausgestellt [5]. Grund hierfür sind sicherlich auch die aktuell fallenden Zahlen an Neuinfektionen in Europa
und in Deutschland. Umso mehr ist es wichtig, die tatsächlich durchgeführten Maßnahmen und die lokale Erfahrung deutscher thoraxchirurgischer Kliniken mit der Pandemie zu erfassen. Die vorliegende Umfrage bietet eine Möglichkeit, die Pandemiesituation in den deutschen thoraxchirurgischen Einrichtungen abzubilden.
Es zeigte sich, dass nahezu alle thoraxchirurgischen Einrichtungen in Deutschland Patienten mit COVID-19 behandelten. Zusätzlich gab nahezu die Hälfte der Kliniken an, COVID-19-positive Patienten operiert zu haben. Die meisten Kliniken berichteten zudem, dass das COVID-19-Testergebnis die Entscheidung über eine thoraxchirurgische Therapie maßgeblich beeinflusste. Entscheidungen der onkologischen Konferenzen waren deutlich weniger beeinflusst, und ein Ausweichen auf Zweit- oder Drittlinientherapien wurden selten durchgeführt. Erwähnt wurde eine Verzögerung im Beginn der definitiven Therapie. In vielen Kliniken wurde die Operations- und Personalplanung durch die Pandemie beeinträchtigt. Die Patientenkontakte wurden präoperativ reduziert oder vermehrt elektronische Medien zur Kontaktaufnahme mit Patienten verwendet. Auch Tumorkonferenzen fanden vermehrt online oder in reduzierter Häufigkeit statt. Interessanterweise bestand keine Einheitlichkeit bei der Testung von Patienten.
Knapp 30% der Kliniken testeten flächendeckend alle Patienten, während die restlichen Kliniken das Testen von bestimmten Faktoren abhängig machten (z. B. geplante [elektive] Operation, Symptome). Auch bei der Testung des Krankenhauspersonals gab es deutliche Unterschiede zwischen den Kliniken. Routinemäßige Tests des Personals fanden nur in 12,3% der Kliniken statt. Unterschiedliche Schutzmaßnahmen kamen im Operationsaal zum Einsatz. Nicht in allen Kliniken kam der Einsatz von FFP2-Masken und Schutzbrillen während thoraxchirurgischer Eingriffe zur Anwendung. Auch die Auslastung von Intensivstationen scheint deutlich unter den Zahlen anderer europäischer Länder zu liegen. Mehr als die Hälfte der Kliniken hatte keine Einschränkungen mit der postoperativen Versorgung ihrer Patienten auf einer Intensivstation. Zudem gab es kaum Änderungen in der Handhabung von Thoraxdrainagen. In der Literatur herrscht Unklarheit, welche Drainagesysteme in der COVID-19-Pandemie bevorzugt werden
sollen. Diesbezüglich gab es auch international nur von 2 thoraxchirurgischen Gesellschaften Empfehlungen für die Handhabung von Thoraxdrainagen [6], [7]. Zumeist wurde empfohlen, geschlossene digitale Systeme zu verwenden oder bei Verwendung eines Wasserschlosses die Drainage an eine Wandabsaugung anzuschließen (auch in Fällen, in denen die Absaugung nicht indiziert ist). Der Sog soll auf einem sehr niedrigen, kontrollierten Niveau eingestellt werden (z. B. 2 – 5 cm H2O).
Die Auswertung der Umfrage bestätigt, dass trotz vorliegender Empfehlungen internationaler und nationaler thoraxchirurgischer Gesellschaften deutliche regionale Unterschiede aufgrund der COVID-19-Fallzahlen, bestehender Infrastruktur, lokaler Besonderheiten wie auch durch hauseigene Verfahrensanweisungen bestanden. Folgende Limitationen der Arbeit sind anzumerken: Die Umfrage wurde nicht von allen thoraxchirurgischen Einrichtungen beantwortet. Eine Antwortrate von 42,6% ist aber eine repräsentative Stichprobe, um die deutsche Pandemiesituation abzubilden. Des Weiteren gelten auch die klassischen Einschränkungen einer anonymen Umfrage. Wir können nicht sicher ausschließen, dass Fragebögen mehrmals ausgefüllt worden sind, da die Anonymisierung eine Rückverfolgung der Antworten unmöglich macht. Limitierend wirkt ein Auswahl-Bias: Die Fragen wurden durch die Autoren definiert und ausgewählt. Daher wurden Fragen im Rahmen des Auswahlprozesses nicht berücksichtigt oder in einer
Frage zusammengefasst. Schließlich ist der Zeitpunkt der Umfrage zu erwähnen: Die Umfrage wurde im Zeitraum vom 11.05. bis 26.05.2020 durchgeführt. Hier befand sich die COVID-19-Pandemie bereits in einer regressiven Phase in Deutschland. Andererseits ist es schwierig, einen perfekten Zeitpunkt für eine solche Umfrage zu wählen, da es sich um einen dynamischen Prozess mit vielen Unbekannten handelt. Trotz der erwähnten Limitationen bildet die Umfrage einen übersichtlichen Tatsachenbestand der COVID-19-Pandemie in der deutschen Thoraxchirurgie ab.
Schlussfolgerung
Deutschlandweite Unterschiede in der Umsetzung von Empfehlungen und der Behandlung von thoraxchirurgischen Patienten in der COVID-19-Pandemie bestätigen den aktuellen Mangel an wissenschaftlich fundierten Daten. Eine weitere prospektive Erhebung klinischer Daten zu COVID-19 bei thoraxchirurgischen Patienten ist daher erforderlich, um zunehmend evidenzbasierte Entscheidungen zu ermöglichen.