Einleitung
Die Elephantiasis nostras kann ein großes Problem in der Dermatotherapie sein. Wir präsentieren einen außergewöhnlich schweren Fall, bei dem eine Acitretin-Therapie zu einer wesentlichen Verbesserung führte.
Kasuistik
Ein 54-jähriger Patient in gutem Allgemein- und Ernährungszustand stellte sich aufgrund von Hautveränderungen beider Beine in unserer Klinik vor. 5 Jahre zuvor erlitt er eine Bagatellverletzung während der Arbeit im Bereich der linken Patella. Nach komplikationsreichem Verlauf (u. a. Entwicklung einer nekrotisierenden Fasziitis, wiederholten Re-Operationen) erfolgte in einer Unfallklinik eine Spalthauttransplantation (Donorareale rechter Oberschenkel/Unterschenkel zirkulär sowie linker Oberschenkel/Leiste). Es kam jedoch zu weiteren Komplikationen (u. a. Spalthautverlust mit erforderlicher erneuter Spalthauttransplantation (Donorareal linke Oberschenkelinnenseite), nachfolgend infizierte Wundheilungsstörung der Spender- und Transplantationsareale). In den darauffolgenden Jahren bildeten sich eine massive Umfangsvermehrung des linken Beins sowie übel riechende, vegetierende, flächige Hyperkeratosen. An Vordiagnosen sind ein Morbus Meulengracht und ein ehemaliger chronischer Alkoholabusus zu nennen.
Untersuchungsergebnisse
Bei Aufnahme in der Universitätshautklinik zeigten sich eine ausgeprägte Schwellung und massive flächige, verruköse, an Ichthyosis hystrix erinnernde Hyperkeratosen des linken Beines mit scharfer zirkulärer Demarkationslinie ca. 10 cm proximal des Kniegelenkes ([Abb. 1]). Am rechten Unterschenkel fanden sich Zeichen einer chronisch-venösen Insuffizienz im Stadium I (Corona phlebectatica, reversibles Knöchelödem). Es bestand extremer Foetor, eine Separierung von anderen Patienten wurde erforderlich.
Abb. 1 Befund bei Aufnahme, „bemoostes Bein“.
Mikrobiologisch wurde eine Besiedelung bzw. Superinfektion des linken Unterschenkels mit Staphylococcus aureus (massenhaft) nachgewiesen. Laborchemisch bestand lediglich eine leichte normochrome, normozytäre Anämie. Eine Magnetresonanztomografie-Angiografie (MRT-Angio) zeigte frei perfundierte Abdomen-, Becken- und Oberschenkelstrombahnen sowie eine Dreigefäßversorgung beider Unterschenkel.
Therapie
Äußerlich führten wir eine antiseptische, aggressiv keratolytische, stadienadaptierte Lokaltherapie durch (2 %ige Eosinlösung, 10 % Salicylsäure in Vaselinum album, Braunollösung unter Metalline®-Folie über Nacht, okklusiv), in Kombination mit mehreren Sitzungen mechanischen Débridements (Skalpell, Kürette) mit Abtragung von jeweils 1 – 2 cm Schichtdicke verrukösen Materials, gerade bis zur leichten oberflächlichen Erosion ([Abb. 2]). Eine physikalische Entstauungstherapie war aufgrund der massiven Hyperkeratosen nicht durchführbar.
Abb. 2 Initiale Therapiephase nach massiver Dermabrasion (scharfer Löffel, Skalpell).
Systemisch wurde Acitretin (Neotigason®) eingeleitet, aufgrund der ausgeprägten Hyperkeratosen in einer initial hohen Dosierung von 40 mg/d p. o. Unter der Therapie kam es zunächst zu einer deutlichen Remission und nach wenigen Tagen zum vollständigen Sistieren des Geruchs sowie der Superinfektion, sodass der Patient nach 16 Tagen mit einer Empfehlung zur Einnahme von Acitretin 40 mg/d p. o. und topischer Applikation vom 2 % Triclosan, 0,1 % Triamcinolonacetonid in Unguentum leniens 2 ×/d entlassen werden konnte.
Aufgrund von diskretem Haarausfall, unter dem der Patient psychisch stark litt, wurde die Dosis von Acitretin auf aktuell 10 mg alle 2 Tage p. o. zur Dauertherapie reduziert. Hierunter zeigt sich ein langfristig stabiler Befund ([Abb. 3], ein Jahr nach Therapiebeginn).
Abb. 3 Stabiles Langzeitergebnis (12 Monate) mit akzeptabler Lebensqualität (geruchsfrei, gut beweglich im Knie und eingeschränkt im OSG) unter antisepischer keratolytischer Lokaltherapie und Acitretin-Dauermedikation.
Diskussion
Die Elephantiasis ist eine massive Umfangsvergrößerung mit deformierender Schwellung eines Körperteils (Stadium III des chronischen Lymphödems) [1]. Lymphödeme werden in primäre (hervorgerufen durch angeborene Fehlanlage, Hypoplasie oder Verschluss der Lymphgefäße) und in sekundäre (hervorgerufen durch Störung oder Verschluss der zuvor normalen Lymphgefäße) Formen unterteilt [2]. Die weltweit häufigste Form der sekundären Lymphstauung wird durch Filarien (wie z. B. Wuchereria bancrofti, Brugia malayi, Brugia timori) verursacht und kann zur sog. Elephantiasis tropica (Filarial elephantiasis, lymphatic filariasis) führen [1]
[2]
[3]. Daneben gibt es in tropischen Ländern die endemische, nicht durch Filarien verursachte Elephantiasis, die auch als Podoconiosis bezeichnet wird und durch häufigen Kontakt der Füße mit Chemikalien-haltigen Böden auftreten kann [15]. Die in westlichen Ländern vorkommende, ebenfalls nicht durch Filiarien ausgelöste Form der Elephantiasis wird als Elephantiasis nostras (EN) bezeichnet und kann durch rezidivierende bakterielle Infektionen (Lymphangitis, Erysipel), Trauma, Neoplasien, vorangegangene Operationen, Bestrahlung, Sklerodermie, Übergewicht sowie durch lymphatische oder chronisch-venöse Stauung hervorgerufen sein [1]
[2]. Meistens tritt diese Form im Bereich der unteren Extremität auf, jedoch können alle Regionen des Körpers, inklusive der Genitalregion, betroffen sein [1]
[4]
[10].
Pathogenetisch entsteht eine Elephantiasis nostras, wenn das lymphatische System sowie die Gewebsproteasen nicht mehr in der Lage sind, Plasmaproteine aus der Peripherie zu entfernen [4]. Durch die erhöhte interstitielle Proteinkonzentration mit osmotischer Wirkung kommt es zu einer vermehrten Flüssigkeitssequestrierung ins Gewebe. Die Akkumulation und verminderte Clearance der interstitiellen Flüssigkeit (sog. verminderter interstitieller Flow) führt zu einem chronisch-inflammatorischen Milieu, inklusive einer erhöhten Gefahr rezidivierender und weiter aggravierender Lymphangitiden, die schließlich in eine fortschreitende Fibrosierung mit epidermaler Hyperplasie münden [1]
[4]
[12]. Eine Schlüsselrolle hierbei spielen CD4 +-T-Zellen [13]. Deren Zytokine Interleukin (IL)-4 und IL-13 führen zum einen zu einer beeinträchtigten Neo-Lymphangiogenese, zum anderen zu einer Hochregulation der Transforming Growth Factor (TGF)-beta1-Expression [13]. TGF-beta1 bewirkt eine Differenzierung dermaler Fibroblasten zu Myofibroblasten, deren Vermehrung und Aktivierung der Kollagenbiosynthese mit der Konsequenz einer flächigen narbigen Fibrosierung [12]
[13].
Demgegenüber konnte ein Effekt von TGF-beta1 auf Keratinozyten nicht gezeigt werden [14]. Wahrscheinlich kommt es durch die Stagnation der Lymphflüssigkeit zu einer erhöhten Konzentration der Zytokine bzw. Wachstumsfaktoren IL-1ß, IL-6, Tumor necrosis factor (TNF)-alpha und Keratinocyte Growth Factor (KGF), die die Proliferation der Keratinozyten stimulieren und deren Differenzierung inhibieren [14]. Durch diese Mechanismen entstehen die typischen epidermalen Begleitphänomene der verrukösen Pseudoepitheliomatose mit Hyperkeratose, selten so extrem wie im vorgestellten Fall [1]
[5]. Während eine Papillomatosis cutis regelhaft der Elephantiasis nostras folgt, ist die hier vorgestellte verruköse, an Ichthyosis hystrix erinnernde Form sehr ungewöhnlich und kann als Elephantiasis nostras verrucosa (ENV) bezeichnet werden. Bei dem hier vorgestellten Patienten kam es aufgrund der multiplen Operationen und Entzündungen des betroffenen Beins sicher nicht nur zu einer chronischen Lymphstauung, sondern nach Transplantation und Nekrosen vermutlich zu einer völlig insuffizienten Wiederherstellung des lymphatischen Abflusses mit Sistieren des Clearings relevanter Zytokine und Wachstumsfaktoren. Die Elephantiasis nostras verrucosa (ENV) ist eine sehr seltene Erkrankung mit nur wenigen Fallberichten in der Literatur und ist unter verschiedenen Namen wie Lymphostasis verrucosa, Elephantiasis crurum papillaris et verrucosa, Pachydermia vegetans oder „bemoostes“ Bein beschrieben [1]
[4].
Aufgrund der Seltenheit der ENV existiert keine standardisierte Therapie. Komplikationen der Erkrankung sind wie im vorgestellten Fall die mikrobielle Superinfektion, Bewegungseinschränkungen des betroffenen Körperteils sowie eine Geruchsbelästigung. Hieraus resultieren eine verminderte soziale Teilhabe und Stigmatisierung. Zusätzlich besteht ein Risiko einer malignen Transformation [4]. Mit der ENV verwandt ist die Papillomatosis cutis carcinoides, die durch einzelne oder multiple verruköse, mitunter auch ulzerierte Tumoren auf chronisch irritierter, ödematöser Haut charakterisiert ist [4]. Aufgrund der histologischen und klinischen Ähnlichkeit beider Erkrankungen werden sie auch als verschiedene Ausprägungsformen der gleichen Erkrankung angesehen [4]
[11].
Therapeutisch wurden Erfolge mit oraler bzw. topischer Applikation von Retinoiden, insbesondere Etretinat erzielt [4]
[6]. Zouboulis et al. berichteten 1992 über 3 Fälle von übergewichtigen Patienten, die erfolgreich mit Etretinat p. o. behandelt wurden [4]. Ein Bericht existiert bislang über eine Behandlung mit Acitretin [9]. Daneben wurden auch Erfolge durch chirurgische Abtragungen, Gewichtsreduktion bei adipösen Patienten, Kompressionstherapie und Madentherapie beschrieben [6]
[7].
In dem hier dargestellten Fall wurde mit dem Retinoid Acitretin behandelt, das sich v. a. in der Behandlung der Psoriasis palmoplantaris und anderen hyperkeratotischen Erkrankungen seit vielen Jahren bewährt hat. Bislang ist nur ein Fallbericht über eine erfolgreiche Behandlung der ENV mit Acitretin bekannt [9]. Acitretin ist der pharmakologische aktive Metabolit von Etretinat [8]. Beide gehören zur zweiten Generation der Retinoide [8]. Acitretin bindet an die RAR-Kernrezeptoren (Retinsäurerezeptoren). Dies führt zu einer erhöhten Transkription von Genen, die antiproliferative und antiinflammatorische Wirkungen haben und dadurch eine Normalisierung der epidermalen Zellproliferation, -differenzierung und -verhornung bewirken [8].
Allerdings hängt der dauerhafte Therapieerfolg von einer konsequenten Einnahme von Acitretin, einer begleitenden mechanischen und topischen Therapie sowie ausreichender Compliance des Patienten ab, da die ursächlichen Schäden naturgemäß irreversibel sind.