Transfusionsmedizin 2020; 10(03): 125
DOI: 10.1055/a-1213-9029
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Kommentar

 

    Immer mehr Studien zeigen, dass das Coronavirus-induzierte, schwere akute respiratorische Syndrom (COVID-19) mit einer schweren Gerinnungsstörung assoziiert werden kann. Dies ist nicht neu für RNA-Viren. Das Ebolavirus (Filovirus), das Lassa-Virus (Arenavirus) oder das Dengue-Fieber-Virus (Flavivirus) sind bekannt als Auslöser einer Koagulopathie und hämorrhagischen Fiebers. Im Gegensatz zu diesen Viren verursacht das Coronavirus aber, laut der vorliegenden Berichte und unserer Erfahrung in Tübingen nach, keine hämorrhagischen Komplikationen. Im Gegensatz dazu erfüllen mehr als zwei Drittel der nicht überlebenden COVID-19-Patienten die Kriterien für eine disseminierte intravaskuläre Gerinnung (DIC). Die Störung der Gerinnung und Fibrinolyse im Lungenkreislauf und der bronchoalveoläre Raum sind wahrscheinlich wichtige Faktoren für die Pathogenese von ARDS bei COVID-19. Ackermann und Kollegen berichteten über verbreitete Thrombosen mit Mikroangiopathie und Verschluss der pulmonalen Kapillaren sowie signifikantes Gefäßwachstum durch intussuszeptive Angiogenese. Die Mikrothrombi waren sogar 9 × häufiger nachweisbar als bei der Influenza. Derzeit gehen wir davon aus, dass sowohl Krankheitserreger (Viren) als auch schädigungsassoziierte molekulare Muster (DAMPs) aus verletztem Wirtsgewebe die Monozyten aktivieren. Aktivierte Monozyten setzen entzündungsfördernde Zytokine und Chemokine frei, die Neutrophilen, Lymphozyten, Thrombozyten und vaskuläre Endothelzellen stimulieren. Monozyten und andere Zellen exprimieren Gewebefaktor und Phosphatidylserin auf ihren Oberflächen und leiten die Gerinnung ein. Gesunde Endothelzellen behalten ihre Antithrombogenität bei, indem sie Glykokalyx und sein Bindungsprotein Antithrombin exprimieren. Geschädigte Endothelzellen bei COVID-19-Infektion werden nach Störung der Glykokalyx und Verlust von Antikoagulansproteinen prokoagulatorisch. Zusätzlich beobachtet man bei COVID-19-assoziierten DIC signifikante Veränderungen im Fibrinolysesystem, z. B. Fibrinolysis Shutdown. Obwohl der Rezeptor für die SARS-CoV-2-Bindung, ACE2, in Thrombozyten nicht nachgewiesen ist, zeigen die Thrombozyten von COVID-19-Patienten basal und nach Aktivierung eine erhöhte P-Selektin-Expression. Darüber hinaus aggregierten Thrombozyten von COVID-19-Patienten schneller und zeigten eine erhöhte Ausbreitung sowohl auf Fibrinogen als auch auf Kollagen. Diese Ergebnisse zeigen, dass eine SARS-CoV-2-Infektion mit einer Thrombozytenhyperreaktivität verbunden ist, die zur Pathophysiologie von COVID-19 beitragen kann.

    Auch wenn neue Informationen über die Koagulopathie bei COVID-19 immer noch im Fluss sind, gibt es mittlerweile ausreichende Hinweise darauf, dass thrombotische Gerinnungsstörungen in schweren Fällen recht häufig sind. Im Vergleich zur hohen Inzidenz von thrombotischen Ereignissen sind Blutungskomplikationen bei COVID-19 sehr selten. Daher kann eine Standardantikoagulationstherapie bei COVID-19 dringend empfohlen werden. Die offene Frage bleibt jedoch: mit welchem Antikoagulans (Heparin oder Argatroban) und welcher Dosierung (prophylaktisch oder therapeutisch)?


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    Autorinnen/Autor

    Prof. Dr. med. Tamam Bakchoul

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    Zentrum für Klinische Transfusionsmedizin Tübingen, Institut für klinische und experimentelle Transfusionsmedizin, Medizinische Fakultät Tübingen

    Interessenkonflikt

    Der Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

    Publication History

    Article published online:
    25 August 2020

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    Georg Thieme Verlag KG
    Stuttgart · New York

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