PiD - Psychotherapie im Dialog 2021; 22(03): 13-14
DOI: 10.1055/a-1215-1804
Editorial

Depression

Michael Broda
,
Claudia Dahm-Mory
,
Henning Schauenburg

Was Depression mit uns macht

Wenn es keinen Sinn ergibt, morgens aufzustehen, wenn Schuld und Selbstzweifel überhand nehmen, wenn der Blick nach vorne nur in dunklen Nebel führt und die eigene Existenz eigentlich keine Berechtigung mehr hat, keine Freude mehr gespürt wird und die Überzeugung besteht, dass andere Menschen einen ohnehin nur als Last empfinden, sprechen wir von einer Depression. Die Schwere, die Freudlosigkeit oder die verkörperte Sinnlosigkeit, etwas verändern zu wollen, machen auch etwas mit uns Therapeut*innen. Wir suchen nach unbefriedigten kindlichen Grundbedürfnissen, nach Funktionen in Systemen, nach Struktur und Aktivität oder nach Gegenargumenten, versuchen alternative Gedanken einzuführen oder pharmazeutische Hilfen zu empfehlen. Auch uns fällt es häufig schwer, solche Zustände bei Patient*innen auszuhalten.

Hinzu kommt noch die pandemische Lage: Manche Patient*innen gehen nicht mehr vor die Tür oder zur Sprechstunde, haben ihr ohnehin schon defizitäres soziales Netz völlig aufgegeben und können von uns gerade noch so zu einer Videosprechstunde oder einem Telefonat motiviert werden. Es macht auch etwas mit uns Behandelnden, die wir gerne anders arbeiten, Anregungen geben oder einen Achtsamkeitsspaziergang durchführen würden. Alles auf absehbare Zeit nicht denkbar – keine Gruppen, keine Vorträge, wenige und stark reduzierte stationäre Optionen. Wir spüren zurzeit vielleicht in Bruchteilen das, was depressive Menschen überwiegend spüren: Die vermeintliche Sinnlosigkeit mancher Aktivitäten, Pläne oder Ziele.

Eine neue Erfahrung für Therapeut*innen

Damit ist Depression eine Thematik, die uns selbst aktuell mit einer neuen gesellschaftlichen Realität und damit der Notwendigkeit einer Neuordnung von Beziehungen und Lebensinhalten konfrontiert. Sie bringt uns Therapeut*innen in die Nähe der Erfahrung, die unsere depressiven Patient*innen schon lange machen: Die Erfahrung der Ohnmacht bei der Initiierung von Lösungsversuchen. Soziale Kontaktaufnahme und Gruppenaktivitäten? Kaum möglich. Vermittlung von Vorfreude und Zuversicht? Zumindest schwierig. Kognitive Umstrukturierung der negativen Gedanken? Problematisch, angesichts hoher Auslastung der Intensivstationen und der schweren bis tödlichen Verläufe.

Ohne eine Statistik bemühen zu wollen: Gefühlt sind depressive Erkrankungen in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung die am häufigsten behandelten Störungen. Waren es vor Jahren noch Frauen mittleren Alters und älter, die diese Störungsgruppe dominierten, kommen jetzt mehr und mehr auch Männer und junge Erwachsene mit der Diagnose einer affektiven Störung in die Praxis. Insofern ist es folgerichtig, sich mit diesem Themenheft mit der Frage neuerer Entwicklungen in der Psychotherapie der Depression zu beschäftigen – auch und gerade, weil depressive Symptome nach 18 Monaten Pandemie bei vielen ohnehin psychisch belasteten Patient*innen zu einer deutlichen Verschlechterung ihrer Gesundheit beitrugen und viele therapeutisch hilfreiche Aktivitäten seit geraumer Zeit nicht mehr durchführbar sind.


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Überblick – Beispiele – Optionen

Vielleicht ist es nicht nur im Hinblick auf unsere Patient*innen gerade jetzt hilfreich, sich auf den aktuellen wissenschaftlichen Stand in der Behandlung von Depression bringen zu lassen und Berichte verschiedener therapeutischer Versorgungsangebote zu betrachten. Nach einer ausführlichen Orientierung zum aktuellen Stand der Diskussion mit einem PiD-spezifischen Überblick über alle Therapieansätze legt das Heft zunächst einen Schwerpunkt auf CBASP und weitere neuere Verfahren, in denen sich auch mehrere therapeutische Orientierungen finden können. Vorgestellt wird auch die Umsetzung im stationären psychiatrischen Alltag. Verhaltensaktivierung gehörte schon immer zum Repertoire der Behandlung, neuer sind die abgestuften Behandlungsmodelle unter dem Stichwort „Stepped Care“. Leitlinienkonform wird die Frage beleuchtet, welchen Nutzen die Pharmakotherapie im Vergleich zur oder in Kombination mit Psychotherapie bringt – dies ermöglicht einen kritischen Blick auf die Verschreibungspraxis in der hausärztlichen Versorgung. Zukünftig werden Apps und andere digitale Gesundheitsanwendungen eine zunehmende Bedeutung in der Versorgung haben: Was können wir davon erwarten und wie können unsere Patient*innen davon profitieren – aber auch: Wie verändert sich Psychotherapie dadurch? Depression hat immer auch eine soziale Dimension: So beleuchten wir „Einsamkeit“ wie auch die Auswirkungen in Beziehungen. In welchen Fällen hilft die EKT (Elektro-Krampftherapie) in der stationären Akutbehandlung weiter und welche Hilfestellungen kann die stationäre Rehabilitation im Hinblick auf Wiederherstellung der Teilhabemöglichkeiten bieten? Der Beitragsteil des Heftes wird abgerundet mit einer aktuellen Betrachtung: Die Pandemie zeigt Auswirkungen – gerade auch auf die Versorgungssituation psychisch kranker Menschen. Sie kennen die Rubrik, die sich einen anderen Blickwinkel auf das Themenheft einnimmt – diesmal eine Blickerweiterung von der Verbaltherapie zur Ausdruckssprache von Bildern. Wie gewohnt auch dieses Mal die Buchempfehlungen und die therapeutisch relevanten Hinweise auf weiterführende Links.

Wir hoffen, dass bei der Beschäftigung mit dem Heft auch wieder weitere Ideen für die wirksame Behandlung dieser dunkel-mutlos-passiven Störung entstehen können.

Michael Broda

Claudia Dahm-Mory

Henning Schauenburg


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Publication History

Article published online:
27 August 2021

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