CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2021; 81(03): 304-310
DOI: 10.1055/a-1226-6599
GebFra Science
Review/Übersicht

Die spontane Frühgeburt: Ist eine Prävention mit Aspirin möglich?

Artikel in mehreren Sprachen: English | deutsch
Richard Berger
1   Marienhaus Klinikum St. Elisabeth, Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Neuwied, Germany
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Ioannis Kyvernitakis
2   Asklepios Kliniken Barmbek, Wandsbek und Nord-Heidberg, Frauenkliniken, Hamburg, Germany
,
Holger Maul
2   Asklepios Kliniken Barmbek, Wandsbek und Nord-Heidberg, Frauenkliniken, Hamburg, Germany
› Institutsangaben
 

Zusammenfassung

Hintergrund Die Frühgeburtenrate in Deutschland ist mit 8,6% im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr hoch. Da die Frühgeburt wesentlich zur perinatalen Morbidität und Mortalität beiträgt, müssen die bestehenden Präventionsstrategien weiter optimiert und ausgebaut werden. Circa ⅔ aller Frauen mit Frühgeburt haben vorzeitige Wehentätigkeit oder einen vorzeitigen Blasensprung. Sie werden unter dem Begriff der sogenannten spontanen Frühgeburt zusammengefasst im Gegensatz zur iatrogenen, beispielsweise infolge einer Präeklampsie oder einer fetalen Wachstumsretardierung. Neuere Untersuchungen lassen vermuten, dass mit niedrigdosiertem Aspirin nicht nur die Rate an iatrogenen, sondern auch an spontanen Frühgeburten weiter reduziert werden kann. Der gegenwärtige Kenntnisstand wird in der vorliegenden Übersichtsarbeit dargestellt.

Methode Es erfolgte eine selektive Literatursuche bis April 2020 in PubMed nach den Stichworten „randomized trial“, „randomized study“, „spontaneous preterm birth“, „aspirin“.

Ergebnisse Sekundäre Analysen von prospektiv-randomisierten Studien zur Prophylaxe der Präeklampsie mit niedrigdosiertem Aspirin zeigen, dass durch diese Intervention auch die Rate an spontanen Frühgeburten sowohl im Hoch- als auch im Niedrigrisikokollektiv signifikant gesenkt wird. In diese Richtung weist auch der ASPIRIN Trial, eine prospektive, randomisierte, doppelblinde Multicenterstudie in 6 Entwicklungsländern, in der nachgewiesen werden konnte, dass durch die tgl. Gabe von 81 mg Aspirin beginnend vor 14 Schwangerschaftswochen die Frühgeburtenrate bei Erstgebärenden ohne Vorerkrankungen um etwa 11% gesenkt wird (11,6 vs. 13,1%; RR 0,89; 95%-KI 0,81 – 0,98, p = 0,012).

Schlussfolgerung Weitere Studien zu dieser Thematik sind dringend notwendig. Sollten diese die vorliegenden Ergebnisse bestätigen, wäre eine generelle Aspirinprophylaxe für alle Schwangeren spätestens ab 12 SSW zu diskutieren.


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Einleitung

Die Prävention der Frühgeburt ist nach wie vor eine der wesentlichen Herausforderungen in der Geburtshilfe, denn dieses Krankheitsbild trägt erheblich zur perinatalen Morbidität und Mortalität bei [1]. Die Frühgeburtenrate in Deutschland liegt in den letzten Jahren stabil bei 8,6% [1]. Ca. ⅔ aller Frauen mit Frühgeburt haben vorzeitige Wehen, einen vorzeitigen Blasensprung oder eine Zervixinsuffizienz. Sie werden unter dem Begriff der sogenannten spontanen Frühgeburt zusammengefasst im Gegensatz zur iatrogenen, beispielsweise infolge einer Präeklampsie, einer fetalen Wachstumsretardierung oder maternaler Erkrankungen.

Die pathophysiologischen Ursachen einer Frühgeburt sind mannigfaltig. So kann vor allem eine aszendierende Infektion zu vorzeitiger Wehentätigkeit und einem Blasensprung führen. Dabei werden Mikroorganismen von Zellen des innaten Immunsystems mittels Toll-like-Rezeptoren erkannt und die Freisetzung von Chemokinen, Zytokinen und Prostaglandinen induziert [2]. Wir wissen aber heutzutage auch, dass eine ausbleibende Dilatation der uterinen Spiralarterien, die als Ursache für die Präeklampsie diskutiert wird, ebenso zu vorzeitiger Wehentätigkeit führen kann. Offenbar werden im Rahmen der daraus resultierenden uteroplazentaren Ischämie vermehrt Prostaglandine freigesetzt, die Kontraktionen im Myometrium induzieren und den Abbau der extrazellären Matrix in der Cervix uteri einleiten [2].

Wie zahlreiche Studien zeigen, ist eine Prävention der Präeklampsie und auch der fetalen Wachstumsrestriktion mit niedrigdosiertem Aspirin möglich [3], [4]. Ebenso reduziert Aspirin die Frühgeburtenrate signifikant, wie bereits im CLASP-Trial gezeigt und in späteren Metaanalysen bestätigt wurde [5], [6], [7]. Bisher vermutete man jedoch, dass dies vor allem den iatrogenen Anteil betrifft.

Ob niedrigdosiertes Aspirin auch die Rate an spontanen Frühgeburten zu senken vermag, ist bisher nicht geklärt. Niedrigdosiertes Aspirin blockiert die Synthese von Thromboxan A2, ein Vasokonstriktor, der auch die Thrombozytenaggregation fördert. Somit ist es durchaus vorstellbar, dass Aspirin einer uteroplazentaren Ischämie entgegenwirkt, die damit einhergehende Prostaglandinfreisetzung reduziert und eine mögliche spontane Frühgeburt verhindert [8].

Eine sekundäre Analyse des „Effects of Aspirin in Gestation and Reproduction“ Trial zeigte eine Assoziation zwischen der Gabe von 81 mg Aspirin und einer Reduktion der Rate an spontanen Frühgeburten bei Frauen mit Abort in der Anamnese [9]. Unlängst fand auch eine Metaanalyse eine Senkung der spontanen Frühgeburtsrate bei Frauen, die ein erhöhtes Risiko für eine Präeklampsie hatten und prophylaktisch Aspirin einnahmen [10].

Darüber hinaus lieferten nun eine sekundäre Analyse einer prospektiv randomisierten Studie zur Prävention der Präeklampsie wie auch eine prospektiv randomisierte Studie weitere Hinweise dafür, dass Low-dose Aspirin auch bei Frauen mit niedrigem Risiko die spontane Frühgeburtenrate senkt [11], [12].


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Review

Literatursuche

Es erfolgte eine selektive Literatursuche bis April 2020 in PubMed nach den Stichworten „randomized trial“, „randomized study“, „spontaneous preterm birth“, „aspirin“.


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Uteroplazentare Ischämie als Ursache für eine spontane Frühgeburt

Nach der aszendierenden Infektion ist die vaskuläre Läsion das zweithäufigste pathohistologische Phänomen, das im Zusammenhang mit einem Spätabort oder einer Frühgeburt beobachtet wird [13], [14]. Ball et al. untersuchten 2006 einen möglichen Zusammenhang zwischen Spätabort und fehlender physiologischer Transformation der uterinen Spiralarterien. Dabei wurden die histologischen Veränderungen im Plazentabett von 26 Frauen mit Spätabort denen von 74 Frauen mit einem Schwangerschaftsabbruch gegenübergestellt. Der Anteil an endovaskulären Trophoblasten in den myometranen Spiralarterien war bei den Patientinnen mit Spätabort signifikant vermindert (4 vs. 31%, p = 0,001), ebenso der an intramuralen Trophoblasten (4 vs. 18%, p = 0,01) wie auch die Reduktion des Fibrinoidanteils (4 vs. 18%, p = 0,01) [15].

Arias et al. beschrieben bei 34,1% der Frauen, die eine drohende Frühgeburt mit vorzeitigen Wehen, aber keinen Hinweis auf einen Blasensprung hatten, vaskuläre Läsionen in den dezidualen Gefäßen des Plazentabettes im Vergleich zu 11,8% bei den Frauen mit einem unauffälligen Schwangerschaftsverlauf. Auch war eine Plazentaablösung signifikant häufiger bei Frauen zu beobachten, die unter vorzeitigen Wehen litten (9,5 vs. 0%; p = 0,001). Frauen mit Frühgeburt infolge vorzeitiger Wehentätigkeit wiesen häufiger ischämische Läsionen in der Plazenta auf als Frauen mit vorzeitigen Wehen, die am Termin entbunden wurden (25,4 vs. 3,7%, p < 0,05) [13].

In einer systematischen, histologischen Untersuchung verglichen Kim et al. das Plazentabett von Frauen mit Termingeburt mit dem von Patientinnen mit Frühgeburt und vorzeitiger Wehentätigkeit sowie dem von Patientinnen mit Präeklampsie. Frauen mit Frühgeburt hatten eine signifikant geringere physiologische Transformation des myometranen Anteil der Spiralarterien (30,9 vs. 13,6%, p = 0,004) im Vergleich zu denen mit Termingeburt. Dies galt auch für den dezidualen Anteil (13,1 vs. 3,6%, p = 0,001) [16]. Ähnliche Ergebnisse fanden sich auch für Patientinnen mit Frühgeburt und vorzeitigem Blasensprung [17]. Im Gegensatz dazu war allerdings die ausbleibende Transformation der uterinen Spiralarterien bei Patientinnen mit Präeklampsie ungleich höher (80,5 bzw. 33,1%) [16]. Wieso die ausbleibende Transformation bei manchen Frauen zur Präeklampsie führt, bei anderen „nur“ zu vorzeitiger Wehentätigkeit, ist unklar. Möglicherweise spielt hier das ischämische Ausmaß der resultierenden Läsion eine entscheidende Rolle [18].

Für die Induktion vorzeitiger Wehentätigkeit durch ischämische uteroplazentare Läsionen gibt es mittlerweile zahlreiche Hinweise:

  1. Untersuchungen an Primaten haben gezeigt, dass durch die chronische Okklusion der uterinen Blutzufuhr eine Frühgeburt infolge vorzeitiger Wehentätigkeit induziert werden kann [19].

  2. Eine Plazentaablösung findet sich häufiger bei Frauen mit Frühgeburt und vorzeitiger Wehentätigkeit/vorzeitigem Blasensprung als bei Frauen mit Termingeburt [13], [20], [21], [22].

  3. Frauen mit vorzeitiger Wehentätigkeit und pathologischen uterinen Doppler-Befunden haben signifikant öfter eine Frühgeburt als solche mit unauffälligem Doppler [23].

  4. Die Inzidenz wachstumsretardierter Feten ist erhöht bei Frauen mit Frühgeburt nach vorzeitiger Wehentätigkeit/vorzeitigem Blasensprung [24], [25], [26], [27], [28], [29].

  5. Die Plasmakonzentration antiangiogener Faktoren ist bei Frauen, die aufgrund vorzeitiger Wehentätigkeit eine Frühgeburt erleiden, höher als bei denen, die trotz vorzeitiger Wehen am Termin entbinden [30], [31].


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Aspirin

Aspirin gehört zu den NSAIDs (nonsteroidal antiinflammatory drug) und wirkt auf beide Isoformen des Enzyms Cyclooxygenase (COX-1 und COX-2) hemmend. COX-1 und COX-2 ermöglichen die Biosynthese von Prostaglandinen. COX-1 ist im Gefäßendothel lokalisiert und reguliert dort die Produktion von Prostazyklin und Thromboxan A2, d. h. Prostaglandinen mit gegensätzlichen Effekten auf die vaskuläre Homöostase und die Thrombozytenfunktion. Prostazyklin ist ein potenter Vasodilatator und hemmt die Thrombozytenfunktion, wohingegen Thromboxan A2 ein potenter Vasokonstriktor ist und die Thrombozytenaggregation fördert. Die COX-2-Isoform ist induzierbar und wird fast ausschließlich nach Ausschüttung von Zytokinen oder anderen inflammatorischen Mediatoren exprimiert. Der Effekt von Aspirin auf die COX-abhängige Prostaglandinsynthese ist dosisabhängig. Bei niedrigen Dosen (60 – 150 mg/d) führt Aspirin zu einer irreversiblen Azetylierung von COX-1 und so zu einer erniedrigten Synthese von Thromboxan A2 in den Thrombozyten, ohne jedoch die Prostazyklinsynthese in den Endothelien zu beeinflussen [32], [33]. Bei höheren Konzentrationen hemmt Aspirin sowohl COX-1 als auch COX-2 und damit die gesamte Prostaglandinsynthese [8]. Somit ist es durchaus vorstellbar, dass niedrigdosiertes Aspirin einer uteroplazentaren Ischämie entgegenwirkt, die damit einhergehende Prostaglandinfreisetzung reduziert und eine mögliche spontane Frühgeburt verhindert.

Aspirin – Risiken für die Mutter

Die Mehrzahl der systematischen Reviews randomisiert kontrollierter Studien konnte keinen Anstieg von Blutungskomplikationen bei der Anwendung von niedrigdosiertem Aspirin in der Schwangerschaft belegen [6], [34], [35]. Ein USPSTF-Report zur Prävention der Präeklampsie mit niedrigdosiertem Aspirin beobachtete keine Zunahme von vorzeitigen Plazentalösungen (11 Studien, 23 332 Schwangere, RR 1,17; 95%-KI 0,93 – 1,48), von postpartalen Blutungen (9 Studien, 22 760 Schwangere, RR 1,02; 95%-KI 0,96 – 1,09) oder des mittleren Blutverlustes (5 Studien, 2478 Schwangere, RR nicht berechnet) [35]. Die tägliche Langzeitanwendung von Aspirin bei Nichtschwangeren (< 300 mg/d über > 5 Jahre) war mit einem erhöhten Risiko für größere gastrointestinale und zerebrale Blutungen assoziiert [36]. Eine randomisiert kontrollierte Studie an Schwangeren, die zur Prävention einer Präeklampsie niedrigdosiertes Aspirin eingenommen hatten, fand ein leicht erhöhtes Risiko für Transfusionen bei den behandelten Frauen (4,0 vs. 3,2%) [7].


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Fetale Risiken

Etliche systematische Reviews von Studien, in denen niedrigdosiertes Aspirin zur Prävention der Präeklampsie verabreicht wurde, fanden kein erhöhtes Risiko für angeborene Fehlbildungen [6], [34], [35]. Darüber hinaus konnte in einer randomisiert kontrollierten Studie an 1228 Frauen, von denen 615 Aspirin bereits präkonzeptionell begonnen und dann während der Schwangerschaft weiter eingenommen hatten, kein erhöhtes Risiko für negative Effekte auf den Feten oder das Neugeborene festgestellt werden [37].

Die Zahl von angeborenen Fehlbildungen war in einer Kohorte von annähernd 15 000 Schwangeren, die Aspirin während des 1. Trimenons eingenommen hatten, ebenfalls nicht erhöht [38]. Dennoch wurde der Verdacht einer Assoziation zwischen der Einnahme von Aspirin und dem Auftreten einer Gastroschisis geäußert [39], [40], [41]. Eine Metaanalyse von 5 Fallkontrollstudien konnte nachweisen, dass die Einnahme von Aspirin in der Anamnese mit einem doppelt so hohen Risiko für eine Gastroschisis einhergeht [42]. Die Ergebnisse sind allerdings mit großer Zurückhaltung zu bewerten, vor allem wegen eines hier nicht zu unterschätzenden Recall-Bias. Auch lag keine Information zur applizierten Dosis und der Einnahme weiterer Medikamente vor.

Die Anwendung von niedrigdosiertem Aspirin (60 – 150 mg) im 3. Trimenon ist nicht assoziiert mit einem vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli [43], [44]. Ein Cochrane-Review fand kein erhöhtes Risiko für neonatale intrakranielle Blutungen (10 Studien, 26 184 Kinder) oder andere neonatale Blutungskomplikationen (8 Studien, 27 032 Kinder) [6]. Eine Analyse der gepoolten Daten im systematischen Review der USPSTF fand ebenfalls keinen Anstieg von intrazerebralen Blutungskomplikationen von Neugeborenen (10 RCTs, 22 158 Schwangere; RR 0,84; 95%-KI 0,61 – 1,16) [35].


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Aspirin zur Prävention der Präeklampsie und fetalen Wachstumsrestriktion

2018 wurde eine Metaanalyse zur Prävention der Präeklampsie mittels Aspirin publiziert, die 16 Studien mit 18 907 Patientinnen einschloss. Acht Studien zeichneten sich durch hohe Qualität aus. Die Heterogenität der Daten war sehr gering (I2 = 0%) bei den Studien, die höhere Aspirindosen einsetzten (≥ 100 mg) und frühzeitig in der Schwangerschaft starteten (≤ 16 Schwangerschaftswochen [SSW]). In dieser Subgruppe konnte durch die Applikation von Aspirin die Rate an frühen Präeklampsien signifikant reduziert werden (RR 0,33; 95%-KI 0,19 – 0,57). Ein Einfluss auf Präeklampsien am Termin konnte nicht nachgewiesen werden [3]. Ebenso wird durch die prophylaktische Gabe von Aspirin vor 16 SSW dosisabhängig die Rate an wachstumsrestringierten Feten signifikant reduziert (75 mg Aspirin: RR 0,48, 95%-KI 0,32 – 0,72; 150 mg Aspirin: RR 0,29, 95%-KI 0,10 – 0,82) [4].

Die Wirksamkeit von Aspirin zur Prävention der Präeklampsie und fetalen Wachstumsrestriktion ist offenbar entscheidend abhängig vom Zeitpunkt des Therapiebeginns. Die physiologische Transformation der uterinen Spiralarterien ist zwischen 16 und 18 SSW abgeschlossen [45]. Ein Einfluss von Aspirin auf die Präeklampsie-induzierten Alterationen dieses Prozesses ist deshalb nur bei sehr frühzeitigem Start zu erwarten.


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Aspirin zur Prävention der spontanen Frühgeburt bei Hochrisiko-Patientinnen

Sehr früh wurde bereits vermutet, dass durch die prophylaktische Gabe von Aspirin auch die Rate an Frühgeburten gesenkt werden kann. Duley beschrieb in einer Metaanalyse 2007 eine Reduktion der Inzidenz der Frühgeburt um 8% (RR 0,92, 95%-KI 0,88 – 0,97) [6]. Zunächst glaubte man, dass diese Reduktion auf der Vermeidung iatrogener Frühgeburten beruhte.

Neuere Untersuchungen weisen nun daraufhin, dass Aspirin möglicherweise auch zu einer Senkung der Rate spontaner Frühgeburten führt. Silver et al. führten eine sekundäre Analyse des „Effects of Aspirin in Gestation and Reproduction“ Trial durch [9], [46]. In dieser Studie erhielten Frauen, die innerhalb der letzten 12 Monate einen Abort vor 20 SSW hatten, prophylaktisch 81 mg Aspirin. Später wurden die Einschlusskriterien auf bis zu 2 Spätaborte unabhängig vom Schwangerschaftsalter und dem Zeitpunkt der Randomisierung erweitert. Die Frühgeburtenrate betrug unter Aspirin 4,1% (22/535) und war im Vergleich zu Placebo etwas niedriger (5,7%; 31/543), jedoch waren die Unterschiede nicht signifikant (RR 0,72; 95%-KI 0,42 – 1,23). Dieser Trend war auch für die Rate an spontanen Frühgeburten (1,1 vs. 2,2%; RR 0,51; 95%-KI 0,19 – 1,34) zu beobachten ([Tab. 3]). Wurden nur die Patientinnen mit den ursprünglichen Einschlusskriterien berücksichtigt, war die Frühgeburtenrate unter Aspirin jedoch signifikant vermindert (RR 0,39; 95%-KI 0,16 – 0,94) [9].

Auch Abramovici et al. fanden in einer sekundären Analyse zu einer prospektiv randomisierten Multicenterstudie Hinweise, dass die Gabe von 60 mg Aspirin die Rate an spontanen Frühgeburten senkt [47], [48]. Die untersuchten Patientinnen hatten ein hohes Risiko für Präeklampsie. Als Einschlusskriterien galten: insulinpflichtiger Diabetes vor der Schwangerschaft, chronische Hypertonie, Mehrlingsgravidität, Präeklampsie in einer früheren Schwangerschaft. Die Intervention begann zwischen 13 und 26 SSW. Abramovici et al. stratifizierten zusätzlich nach Raucherinnen vs. Nichtraucherinnen. Aspirin senkte bei den Nichtraucherinnen die Rate an spontanen Frühgeburten vor 37 SSW (25,0 vs. 30,2%; RR 0,83, 95%-KI 0,73 – 0,94) und vor 32 SSW (6,4 vs. 8,9%; 0,72, 95%-KI 0,55 – 0,94) signifikant [47] ([Tab. 3]).

2017 publizierten van Vliet et al. eine Metaanalyse zum Einfluss einer niedrigdosierten Aspiringabe (60 – 150 mg) auf die Rate spontaner Frühgeburten. Sie verwendeten dabei den Datensatz einer vorausgegangenen Metaanalyse, die die Wirkung von niedrigdosiertem Aspirin auf die Prävention der Präeklampsie bei Hochrisiko-Patientinnen untersuchte (The Perinatal Antiplatelet Review of International Studies Individual Participant Data [34]). Als Risiko wurde u. a. gewertet: Z. n. Präeklampsie, Z. n. schwangerschaftsinduzierter Hypertonie, Z. n. fetaler Wachstumsrestriktion, vorbestehende maternale Erkrankungen (Nierenschaden, Diabetes, Immunerkrankungen, chronische Hypertonie), Erstgebärende, Mehrlingsgravidität etc. In die endgültige Analyse gingen die Daten von 28 797 Patientinnen aus 17 Studien ein, für die Angaben zum Geburtsmodus (spontane vs. iatrogene Frühgeburt) vorlagen. Aspirin bewirkte eine Senkung der spontanen Frühgeburtenrate vor 37 SSW (RR 0,93; 95%-KI 0,86 – 0,996) und vor 34 SSW (RR 0,86; 95%-KI 0,76 – 0,99) ([Tab. 3]). Auch vor 28 SSW bestand noch ein Trend (RR 0,81; 95%-KI 0,59 – 1,12). Die Reduktion der Rate an spontanen Frühgeburten zeigte sich nur bei den Mehrgebärenden (RR 0,83; 95%-KI 0,73 – 0,95), nicht jedoch bei den Erstgebärenden (RR 0,98; 95%-KI 0,89 – 1,09) [10].


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Aspirin zur Prävention der spontanen Frühgeburt bei Niedrigrisiko-Patientinnen

Eine wesentlich größere Bedeutung für das geburtshilfliche Management hätten natürlich Hinweise, dass Aspirin auch bei Niedrigrisiko-Patientinnen die Rate an spontanen Frühgeburten senkt. 2018 veröffentlichten Andrikopoulou et al. zu diesem Thema eine sekundäre Analyse, die auf den Daten einer prospektiv randomisierten Multicenterstudie beruhte [11], [49]. Der verwendete Datensatz stammte aus dem Eunice Kennedy Shriver National Institute of Child Health and Human Development Network. In der ursprünglichen Multicenterstudie war der Einfluss von 60 mg Aspirin auf die Inzidenz der Präeklampsie bei Frauen mit niedrigem Risiko untersucht worden. Es handelte sich dabei um Erstgebärende ohne medizinische Vorerkrankungen. Die Intervention wurde zwischen 13 und 25 SSW gestartet [49]. In dieser sekundären Analyse zeigte sich nun unter Aspirin eine signifikante Verminderung der Rate an spontanen Frühgeburten vor 34 SSW (1,03 vs. 2,34%; RR 0,46, 95%-KI 0,23 – 0,89) [11] ([Tab. 1]). Einschränkend muss hier erwähnt werden, dass die Primärdaten aus den 90er-Jahren stammen und der damalige perinatologische Standard nicht ohne weiteres auf die heutige Situation zu übertragen ist. Allerdings sind diese Daten zur Hypothesengenerierung sehr wertvoll.

Tab. 1 Effekt von 60 mg Aspirin auf die Gesamtfrühgeburtenrate und die Rate an spontanen Frühgeburten [11].

Variablen

Aspirin (n = 1262)

Placebo (n = 1281)

aOR (95%-KI)

aOR: adjustierte Odds Ratio für Body-Mass-Index, ethnische Zugehörigkeit, Nikotinabusus, Familienstand, Bildungsniveau; 95%-KI: 95%-Konfidenzintervall

spontane Frühgeburten < 34 SSW

13 (1,03%)

30 (2,34%)

0,46 (0,23 – 0,89)

alle Frühgeburten < 34 SSW

20 (1,58%)

33 (2,58%)

0,62 (0,35 – 1,12)

spontane Frühgeburten < 37 SSW

83 (6,58%)

90 (7,03%)

0,97 (0,71 – 1,33)

alle Frühgeburten < 37 SSW

99 (7,84%)

105 (8,20%)

0,97 (0,72 – 1,31)

In die gleiche Richtung weist nun auch der ASPIRIN Trial, eine randomisierte, prospektive, doppelblinde, placebokontrollierte Multicenterstudie. Für diese Studie wurden 11 976 Erstgebärende ohne medizinische Vorerkrankungen zwischen 6 + 0 und 13 + 6 SSW aus 6 Ländern rekrutiert (Indien, Demokratische Republik Kongo, Guatemala, Kenia, Pakistan und Sambia). Das Schwangerschaftsalter wurde mittels Frühultraschall bestimmt. Die Frauen der Interventionsgruppe erhielten 81 mg Aspirin tgl. bis 36 + 6 SSW oder bis zur Geburt. Das primäre Studienziel war die Frühgeburt vor 37 SSW. Die Daten wurden nach einem modifizierten Intention-to-treat-Protokoll ausgewertet. In die finale Analyse flossen die Ergebnisse von 5990 Frauen aus der Interventionsgruppe und von 5764 Frauen aus der Placebogruppe ein. Die Rate der Frühgeburten vor 37 SSW wurde durch die Gabe von Aspirin signifikant vermindert (11,6 vs. 13,1%; RR 0,89; 95%-KI 0,81 – 0,98, p = 0,012) ([Tab. 2]). Darüber hinaus wurde eine Reduktion der perinatalen Mortalität (RR 0,86; 95%-KI 0,74 – 1,00, p = 0,048), der frühen Frühgeburt < 34 SSW (RR 0,75; 95%-KI 0,61 – 0,93, p = 0,039) und der Inzidenz an Frauen, die vor 34 SSW mit SIH/Präeklampsie entbunden wurden (RR 0,38; 95%-KI 0,17 – 0,85, p = 0,015), beobachtet [12] ([Tab. 2]).

Tab. 2 Primäre und sekundäre Studienziele des ASPIRIN Trial [12].

Aspirin

Placebo

RR (95%-KI)

p-Wert

RR: relatives Risiko; 95%-KI: 95% Konfidenzintervall. Untersucht wurde der Effekt von 81 mg Aspirin/d beginnend vor 14 SSW auf die Frühgeburtenrate bei Erstgebärenden ohne Vorerkrankungen.

primäres Studienziel

Frühgeburt < 37 SSW

668/5780 (11,6%)

754/5764 (13,1%)

0,89 (0,81 – 0,98)

0,012

sekundäre maternale Studienziele

Hypertonie

352/5780 (6,1%)

325/5764 (5,6%)

1,08 (0,94 – 1,25)

0,299

Frühgeburt < 34 SSW und Hypertonie

8/5780 (0,1%)

21/5764 (0,4%)

0,38 (0,17 – 0,85)

0,015

sekundäre fetale Studienziele

Small for gestational Age

1506/5492 (27,4%)

1564/5467 (28,6%)

0,95 (0,90 – 1,01)

0,171

perinatale Mortalität

264/5779 (4,57%)

309/5763 (5,36%)

0,86 (0,73 – 1,00)

0,048

Frühgeburt < 34 SSW

189/5780 (3,3%)

230/5764 (4,0%)

0,75 (0,61 – 0,93)

0,039

Frühgeburt < 28 SSW

54/5780 (0,9%)

75/5764 (1,3%)

0,72 (0,51 – 1,02)

0,062

Spontanaborte

134/5956 (2,25%)

152/5964 (2,56%)

0,88 (0,70 – 1,10)

0,261

Totgeburten

141/5780 (2,44%)

166/5764 (2,88%)

0,85 (0,68 – 1,06)

0,141

Tab. 3 Studien zur Prävention von spontanen Frühgeburten mit Aspirin.

Studien

Patientenanzahl (n)

Patientencharakteristika

Aspirin

spontane Frühgeburtenrate < 37 SSW

Dosis

Beginn

RR (95%-KI)

RR: relatives Risiko; 95%-KI: 95% Konfidenzintervall. + bei Nichtraucherinnen, * Rate spontaner Frühgeburten < 34 SSW, ** Frühgeburtenrate < 37 SSW

Hochrisiko-Kollektiv

Silver et al., 2015 [9]

sekundäre Analyse zu [46]

1 078

Z. n. Abort < 20 SSW

81 mg

präkonzeptionell

0,51 (0,19 – 1,34)

Abramovici et al., 2015 [47]

sekundäre Analyse zu [48]

2 500

insulinpflichtiger Diabetes vor der Schwangerschaft, chronische Hypertonie, Mehrlingsschwangerschaft, Z. n. Präeklampsie

60 mg

13 – 26 SSW

0,83 (0,73 – 0,94)+

Vliet et al., 2017 [10]

sekundäre Analyse [34]

28 797

Z. n. Präeklampsie, Z. n. schwangerschaftsinduzierter Hypertonie, Z. n. fetaler Wachstumsrestriktion, vorbestehende maternale Erkrankungen (Nierenschaden, Diabetes, Immunerkrankungen, chronische Hypertonie), Erstgebärende, Mehrlingsgravidität etc.

60 – 150 mg

12 – 32 SSW

0,93 (0,86 – 0,996)

Niedrigrisiko-Kollektiv

Andrikopoulou et al., 2018 [11]

sekundäre Analyse zu [49]

2 543

Erstgebärende ohne Komorbiditäten

60 mg

13 – 25 SSW

0,46 (0,23 – 0,89)*

Hoffman et al., 2020 [12]

11 976

Erstgebärende ohne Komorbiditäten

81 mg

6 – 13 SSW

0,89 (0,81 – 0,98)**

Leider wurde in dieser Studie nicht zwischen spontaner und iatrogener Frühgeburt unterschieden. Da jedoch keine signifikanten Unterschiede in den wesentlichen Ursachen der iatrogenen Frühgeburt (maternale Hypertonie, fetale Wachstumsrestriktion) zwischen den Gruppen vorlagen, liegt die Vermutung nahe, dass durch Aspirin die Rate an spontanen Frühgeburten gesenkt wurde [12].

Allerdings muss bei der Interpretation der Ergebnisse auch berücksichtigt werden, dass die perinatale Mortalität bei ca. 5% lag und damit eine geburtshilfliche Versorgungsqualität widerspiegelt, die nicht mit der in Deutschland verglichen werden kann [12]. Deshalb bleiben die Ergebnisse des APRIL Trials abzuwarten. In dieser holländischen Studie wird der Effekt von 80 mg Aspirin auf die spontane Frühgeburtenrate bei Frauen nach spontaner Frühgeburt in der Anamnese untersucht [50].


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Schlussfolgerung

Wie eine Reihe jüngster Untersuchungen zeigt, verdichten sich die Hinweise, dass niedrigdosiertes Aspirin nicht nur die Inzidenz der Präeklampsie und der fetalen Wachstumsrestriktion senkt, sondern auch die der spontanen Frühgeburt. Dies ist nicht verwunderlich, da offenbar diesen Krankheitsbildern ein gemeinsamer pathophysiologischer Pathway zugrunde liegt.

Je nach den Ergebnissen der in den nächsten Jahren zu erwartenden Studien wird vermutlich eine neue Diskussion über eine generelle Aspirin-Prophylaxe aller Schwangeren spätestens ab 12 SSW zu führen sein. Eine generelle Applikation wäre angesichts der sehr niedrigen Nebenwirkungen für Mutter und Kind vertretbar und hätte den Vorteil, dass teure Screeningsinstrumente (z. B. die verschiedenen Methoden eines Präeklampsie-Screenings) obsolet wären, weil sie keine Bedeutung mehr für eine Therapieentscheidung hätten.


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  • References/Literatur

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Correspondence/Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Richard Berger
Marienhaus Klinikum St. Elisabeth
Akademisches Lehrkrankenhaus der Universitäten Mainz und Maastricht
Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe
Friedrich-Ebert-Straße 59
56564 Neuwied
Germany   

Publikationsverlauf

Eingereicht: 05. Juni 2020

Angenommen nach Revision: 21. Juli 2020

Artikel online veröffentlicht:
28. Januar 2021

© 2021. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commecial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/)

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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