Schlüsselwörter
Versorgungsnahe Daten - Versorgungsforschung - Real World Data - Registerbasierte Studien
Key words
Routine Practice Data - Health Services Research - Real World Data - Registry-based studies
Einleitung und Hintergrund
Einleitung und Hintergrund
Das Deutsche Netzwerk Versorgungsforschung (DNVF) hat zum wissenschaftlichen Diskurs
und zur methodischen Aufbereitung des Themas Real World Data (RWD) und Real World
Evidenz (RWE) eine Ad hoc Kommission „Methoden RWE/RWD“
gegründet. Die Begriffe Real World Evidenz (RWE) und Real World Data (RWD)
sollen in diesem Zusammenhang durch die eher inhaltliche Begriffsbestimmung
„Versorgungsnahe Daten (VeDa)“ zur Wissensgenerierung ersetzt
werden. In diesem Zusammenhang werden wir auch die im Rapid Report des Instituts
für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
verwendete Definition [1] weiter
präzisieren und auch für Zwecke jenseits der Nutzenbewertung von
Arzneimitteln definieren. Zudem beschreibt das vom DNVF 2020 veröffentlichte
„Memorandum Register – Update 2019“ Anforderungen und
methodische Grundlagen von Registern [2].
Versorgungsnahe Daten (VeDa) statt „Real World Data“
(RWD)
In der Vergangenheit wurde der Begriff „Real World“
häufig als Gegenpol zu randomisierten kontrollierten Studien (RCT)
verwendet mit der impliziten Annahme, dass RCTs grundsätzlich ein
künstliches („irreales“) Umfeld abbilden. Dies ist
jedoch nicht der Fall, sondern hängt unter anderem von den konkreten
Ein- und Ausschlusskriterien der jeweiligen Studie ab. Wir verwenden den
Ausdruck „Real World Evidence“ daher bewusst nicht in einer
Weise, die eine Überlegenheit gegenüber RCTs suggeriert oder
RCTs sogar ausschließt. In unserer Welt ist jedoch alle Art von Evidenz
real. Daher sollte man beurteilen, ob Daten aus Registern oder elektronischen
Gesundheitsakten, von Patienten generierte Daten oder große,
unstrukturierte Daten („big data“) für die Beantwortung
der offenen Fragestellung geeignet sind. Bei der Beurteilung von
Interventionseffekten ist dabei zu klären, ob die wichtigsten Bedenken
gemindert werden können, die in Bezug auf die Evidenz aus RCTs als
Grundlage von Entscheidungen geäußert werden: in erster Linie
Indirektheit (oder externe Validität), mangelnde Genauigkeit und die
Verwendung geeigneter Evidenz zur Information von Faktoren, die
vertrauenswürdige Empfehlungen beeinflussen. Unabhängig vom
Label sollte die Eignung, Qualität und letztlich die Ergebnissicherheit
der Evidenz bewertet werden. Durch die übergreifende Verwendung des
Begriffs VeDa soll signalisiert werden, dass die Nutzung versorgungsnaher Daten
vom Studientyp unabhängig ist.
In experimentellen Studien außerhalb der Routineversorgung greifen
Forscher gezielt und damit kontrolliert z. T. erheblich in die
Versorgung ein. Im Unterschied dazu sind versorgungnahe Daten dadurch
gekennzeichnet, dass sie möglichst nahe die Routineversorgung abbilden.
Versorgungsnähe impliziert dabei nicht, dass an die Datenerhebung keine
Vorgaben gemacht werden dürfen. Auch für Forschung mit VeDa
gilt, dass die verwendeten Daten grundsätzlich für die
Beantwortung der Fragestellung geeignet sein müssen. Dies ist
fragestellungsbezogen zu prüfen. Versorgungsnahe Daten können
aus etablierten Quellen generiert werden z. B. aus Daten, die zu
Abrechnungszwecken erhoben werden oder aus existierenden Registern. Letztere
können nur auf klinische, laborchemische oder radiologische Daten
fokussieren oder – z. B. wenn konkurrierende Therapieverfahren
betrachtet werden – auch die Patientenperspektive
berücksichtigen (mit Einbezug von Patient Reported Outcomes und
Experiences [PROs und PREs]). Darüber hinaus können neue
Datenquellen erschlossen werden, z. B. aus Gesundheits-Apps.
Die Nutzung versorgungsnaher Daten ist vom Studientyp grundsätzlich
unabhängig. Studien ohne Randomisierung werden dabei als
Ergänzung zu RCTs gesehen und sind v. a. dann bedeutsam, wenn
offene Fragen zur Versorgung mithilfe von RCTs nur schwer oder gar nicht
beantwortet werden können. Ausserdem sind Studien mit VeDa insbesondere
für die Untersuchung von Faktoren relevant, die bei einer
Entscheidungfindung beachtet werden sollten: Zugangs- und
Versorgungsgerechtigkeit, Ressourcenbedarf, Akzeptanz und Machbarkeit.
Die Kommission beschäftigt sich einerseits damit welche Nutzung welcher
versorgungsnahen Daten künftig möglich sein sollte und zum
anderen, was mit den derzeit vorhandenen Ressourcen machbar ist. Sie will
Empfehlungen geben, wie bestehende Datenquellen und Rahmenbedingungen
weiterentwickelt werden müssen, damit die methodischen
Möglichkeiten mit dem Ziel einer verbesserten Versorgung und Gesundheit
der Patient/innen genutzt werden können. Sie sieht es auch als
ihre Aufgabe an, zu aktuellen Entwicklungen Stellung zu nehmen.
Internationale Bedeutung der Forschung mit versorgungsnahen Daten
Aktuelle internationale Entwicklungen zeigen die zunehmende Relevanz, die VeDa
auch in der Zulassung immer mehr zukommt. So wurde 2016 in den Vereinigten
Staaten von Amerika die Nutzung von RWD durch die Food and Drug Administration
(FDA) im Rahmen des „21st Century Cures Acts“ unter bestimmten
Bedingungen freigegeben [3].
Datenqualität, der Einsatz geeigneter Analysemethoden,
Confounderkontrolle und die Erfassung von Follow-up Daten stellen dabei
grundlegende Voraussetzungen dar.
Die europäische Zulassungsbehörde EMA hat in einem
kürzlich veröffentlichen Diskussionspapier den Stellenwert von
Registern für Studien nach der Zulassung beschrieben. Die EMA legt darin
die aus ihrer Sicht bestehenden Qualitätsanforderungen an Register dar,
und sie beschreibt, dass der Studientyp (randomisierte oder nicht-randomisierte
Studie) fragestellungsbezogen zu wählen ist, die Verwendung
registerbasierter Daten jedoch nicht einfach mit nicht-randomisierten Studien
gleichzusetzen ist [4].
In Kanada wurde das Arbeitsprogramm „Strengthening the Use of Real World
Evidence for Drugs“ im Rahmen der Initiative „Health
Canada’s Regulatory Review of Drugs and Devices (R2D2)“ des
kanadischen Gesundheitsministeriums auf den Weg gebracht [5]. Insbesondere bei
eingeschränkter Generalisierbarkeit der Ergebnisse aus regulatorischen
Studien empfiehlt das kanadische Ministerium den Einsatz von RWD als
nicht-randomisierte Vergleiche bei fehlender Umsetzbarkeit randomisierter
Studien aufgrund von ethischen oder Machbarkeitsfaktoren.
In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass die Aktualisierung der
Leitlinien zur Good Clinical Practice (GCP) bei der Studiendurchführung
das Thema pragmatic trials, decentralized trials und RWD aufgreift und
entsprechende Standards definieren wird. Ein Positionspapier zu dieser ICH E6
(R3) Leitlinie ist verfügbar [6].
Studien, die für den regulatorischen Bereich durchgeführt werden,
sind oft mit einigen Einschränkungen verbunden, wie bspw. einer oftmals
stark homogenen Patientenauswahl (z. B. Ausschluss von Schwangeren,
Senioren, Kindern) und Standortselektion (z. B. Unikliniken), einer
begrenzten Studiendauer und einem hochstandardisierten Ablauf von
Interventionen. Dies gilt für Studien mit oder ohne Randomisierung
gleichermaßen. Hier bieten VeDa besondere Vorteile aufgrund der
fehlenden Patientenselektion, ihrer Möglichkeit zur Analyse von
Langzeitverläufen und, wie der Name sagt, ihres versorgungsnahen Bezugs
zur Routinebehandlung. Die Verwendung von VeDa zur Ableitung von
Interventionseffekten setzt dabei eine hohe Datenqualität und
-vollständigkeit sowie im Falle nicht-randomisierter Vergleiche die
Präspezifikation, Erfassung und Kontrolle relevanter Confounder und den
Einsatz geeigneter statistischer Verfahren (z. B. Propensity Score
Matching) voraus [1].
Bei geeigneter Fragestellung besteht mit registerbasierten RCTs auch die
Möglichkeit, die Vorteile einer RCT (insbesondere Kontrolle für
nicht gemessene sowie unbekannte Confounder) mit jenen von VeDa zu verbinden
(z. B. große Fallzahl, Populationsbezug, Follow-up
Verläufe, Vergleich der Studienkohorte mit ausgeschlossenen
Patienten/innen bzw. anderen Standorten). Registerbasierte RCTs sind
randomisierte, kontrollierte Studien, die für die Datenerhebung
bestehende Registerstrukturen verwenden [7]. Diese Datenstrukturen werden ggf. erweitert um einzelne
Datenfelder, die für die jeweilige Forschungsfrage relevant sind
(z. B. Daten zur Lebensqualität). Abhängig von der
Fragestellung kann das Register auch die Rekrutierung der Patientinnen und
Patienten unterstützen. Registerbasierte RCTs sind pragmatische Studien,
die Fragestellungen zu Interventionseffekten mit hoher Ergebnissicherheit bei
gleichzeitiger Versorgungsnähe untersuchen können. Sie sind
zudem aufgrund der Verwendung einer bestehenden Dateninfrastruktur, die auch die
Logistik der Studiendurchführung unterstützt, oft
vergleichsweise kostengünstig.
Ein Beispiel für die erfolgreiche Etablierung einer Plattform für
die Durchführung registerbasierter RCTs ist das nationale schwedische
Register SWEDEHEART (Swedish Web-system for Enhancement and Development of
Evidence-based care in Heart disease Evaluated According to Recommended
Therapies) [8]. Im landesweiten SWEDEHEART
Register werden Charakteristika, Therapiestrategien und klinische Ergebnisse bei
allen schwedischen Patienten mit akutem Myokardinfarkt lückenlos
dokumentiert und die Entwicklung der Mortalität nach Myokardinfarkt
untersucht. Eine Verknüpfung dieses schwedischen Registers u. a.
mit dem Swedish National Population Registry stellt eine hilfreiche und
infrastrukturelle Voraussetzung für die Studiendurchführung
dar.
Die Kommission möchte die notwendigen Voraussetzungen für die
Nutzung versorgungsnaher Daten in einem Manual zusammenfassen, um zielgerichtet
für verschiedene Fragestellungen aus wissenschaftlicher Sicht
Empfehlungen für spezifische Vorgehensweisen aufzuzeigen. Ziel ist es,
eine Grundlage für eine wissensgenerierende Vernetzung von Versorgung
und Forschung zu schaffen.
Problematik
In der wissenschaftlichen und auch mittlerweile öffentlichen Diskussion um
registerbasierte Studien wird die Nutzung in der Versorgung vorhandener Daten
zunehmend postuliert. Das zugehörige, klar strukturierte methodische
Vorgehen ist bisher noch unzureichend zusammengeführt und aufbereitet.
Der vom IQWiG erstellte Rapid Report „Konzepte zur Generierung
versorgungsnaher Daten und deren Auswertung zum Zwecke der Nutzenbewertung von
Arzneimitteln nach § 35a SGB V“ ist ein wesentlicher Schritt zur
Einordnung der Nutzung dieser Daten für Therapieeffekte von Arzneimitteln
[1].
Für den Bereich Versorgungsanalysen und Anwendungsbereiche nach § 33a
SGB V („Digitale Gesundheitsanwendungen“) sind noch strukturierte
Grundlagen und Vorgehensweisen zu erheben und ggf. zu entwickeln. Dies betrifft
z. B. chirurgische und komplexe Interventionen in vielen Bereichen der
Versorgung von erkrankten Menschen. Für die Bewertung von
Interventionseffekten jenseits der Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach
§35a SGB V soll dabei auf Basis des Rapid Reports des IQWiG geprüft
werden, welche Präzisierungen oder Erweiterungen sinnvoll und erforderlich
sind.
Relevant für verschiedene Fragestellungen ist zudem, dass die regelhafte
Implementierung von Patient Reported Outcomes und Experiences (PROs und PREs) und
spezifischen Interventionen bei mangelhafter Lebensqualität bisher nicht
gelungen ist, obwohl registerbasierte Studien einen relevanten Informationsgewinn
für differenzialtherapeutische Entscheidungen belegen konnten [9]. Auch diesem Thema wird sich die Ad hoc
Kommission widmen.
Vorgehensweise der Ad hoc Kommission
Vorgehensweise der Ad hoc Kommission
Die Ad hoc Kommission des DNVF führt mit Expert/innen aus den
Bereichen wissenschaftliche Methodik, klinischer Versorgung,
Qualitätssicherung und IT, die Themenbereiche festlegen, Literaturanalysen
durch, zeigt Best Practice Beispiele auf und postuliert v. a. auch die
Voraussetzung für die Nutzung von VeDa.
Ein Ziel ist es darüber hinaus, den Aufbau einer Infrastruktur zu
fördern und zu unterstützen, die versorgungsnahe Daten für
die Evaluation medizinischer Interventionen besser als bisher sichtbar und nutzbar
macht.
Im Mittelpunkt stehen hierbei die Themenbereiche Messung von Interventionseffekten
(z. B. [10]
[11]) und Versorgungsanalysen. Relevante
Grundlagen werden die Datenqualität, die Notwendigkeit der Prüfung
und Standardisierung (z. B. SOPs, Registerprotokoll u. a.) sein,
aber auch datenschutzgerechte Möglichkeiten für ein Datenlinkage mit
anderen Datenquellen für bestimmte Fragestellungen und die notwendige
Finanzierung der Infrastruktur (Register) und darauf basierender Studien.
Den Themenbereichen gemeinsam ist eine strukturierte Vorgehensweise in der Analyse
von der Fragestellung und dem Zweck hin zu einer Auswertung, die letztlich auch
konkrete Empfehlungen für die Versorgung enthalten sollte. Das Manual folgt
den Prozessschritten ([Abb. 1]) und
beschreibt Unterschiede und Gemeinsamkeiten je nach Fragestellung und
Themenbereich.
Abb. 1 Strukturierung der Prozessschritte für die Verwendung
von VeDas.
Nachfolgend werden zur Illustration der einzelnen Themenbereiche Beispiele zur
Messung von Interventionseffekten (Themenbereich 1) sowie zu Versorgungsanalysen
(Themenbereich 2) beschrieben.
Themenbereich 1: Messung von Interventionseffekten
Themenbereich 1: Messung von Interventionseffekten
Der Rapid Report des IQWiG zeigt, dass Evidenzlücken bei der Nutzenbewertung
von Orphan Drugs häufig und v. a. in Kontrollgruppen auftreten [1]. Diese Lücke könnte durch
Studien mit VeDa behoben werden.
Bei der Nutzung von versorgungsnahen Daten aus Registern spielt die
Registerqualität eine entscheidende Rolle. Notwendige gesetzliche
Voraussetzungen für zusätzliche Erhebungs- und
Nutzungsmöglichkeiten sowie eine ausreichende öffentliche
Finanzierung der Register, sind sicherzustellen. Nur so lassen sich bspw.
Nutzenbewertungen durch Klinische Krebsregister nach § 65c SGB V
durchführen. Die Eignung eines Registers ist je nach Fragestellung
spezifisch zu ermitteln. Im Fokus stehen: Datengrundlage, Methodengrundlage
für konkrete Fragestellungen, ggf. zusätzlich notwendige
Datenerhebung, Datenschutz, Einwilligungserklärung, Finanzierung.
Beispiel: Daten aus klinischen Krebsregistern
Die S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom (Leitlinienprogramm Onkologie der
Deutschen Krebsgesellschaft [DKG], der Deutschen Krebshilfe [DKH] und der
Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich medizinischen Fachgesellschaften
[AWMF]) aus dem Jahr 2008 empfiehlt nach einer neoadjuvanten Therapie des
Rektumkarzinoms in allen Stadien postoperativ eine adjuvante Chemotherapie
([Tab. 1]) [12]. Diese Empfehlung bedeutet eine
Therapieverlängerung von 27 auf 43 Wochen und damit eine um 4 Monate
verlängerte Chemotherapie mit Nebenwirkungen, 4 Monate länger
künstlicher Darmausgang sowie 4 Monate längere
Arbeitsunfähigkeit.
Tab. 1 Empfehlungen in S3-Leitlinien 2013 bzw. 2019 zur
adjuvanten Chemotherapie bei Rektumkarzinom.
Leitlinie
|
Stand
|
Empfehlung
|
Empfehlungs-grad
|
Level of Evidence
|
S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom 2013 [12]
|
2008
|
Nach neoadjuvanter Radiochemotherapie ist eine adjuvante
Chemotherapie unabhängig vom postoperativen
Tumorstadium (also auch bei kompletter Remission oder
UICC-Stadium I und II) indiziert.
|
A
|
1b (starker Konsens)
|
S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom 2019 [13]
|
2017
|
Eine Empfehlung für oder gegen eine adjuvante
Chemotherapie nach erfolgter neoadjuvanter
Radiochemotherapie kann auf Grund der vorhandenen Datenlage
beim Rektumkarzinom nicht gegeben werden.
|
0
|
5 (Konsens)
|
Auf Grundlage der beschriebenen Phase III-Daten und Meta-Analysen kann auch in
der S3-Leitlinie 2019 (Stand 2017) noch keine eindeutige Empfehlung für
oder gegen eine adjuvante Chemotherapie nach erfolgter präoperativer
Radio-/Radiochemotherapie gemacht werden und auch keine Subgruppe
identifiziert werden, die davon profitiert ([Tab. 1]) [13].
Daher wurden Daten klinischer Krebsregister von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher
Tumorzentren (ADT e.V.) zusammengeführt, geprüft, z. T.
nacherhoben und auf diese Fragestellung hin analysiert. Im Ergebnis wird
sichtbar, dass sich nur für Patient/innen im Stadium I und III
pN1 postulieren lässt, dass diese von einer postoperativen Chemotherapie
nach neoadjuvanter Radiochemotherapie profitieren ([Abb. 2]) [14].
Abb. 2 Analyse bundesweiter Daten aus der
Datenzusammenführung klinischer Krebsregister zur adjuvanten
Chemotherapie beim Rektumkarzinom [14].
Beispiel: Registerbasierte RCT
Die TASTE-Studie wurde im wesentlichen auf Basis des schwedischen SCAAR-Registers
(Swedish Coronary Angiography and Angioplasty Registry) durchgeführt
[8]. Das SCAAR-Register ist Teil des
oben erwähnten SWEDEHEART Registers.
In der TASTE-Studie wurde der Nutzen der intrakoronaren Thrombusaspiration
begleitend zu einer perkutanen koronaren Intervention (PCI) im Vergleich zur
alleinigen PCI bei Patientinnen und Patienten mit akutem Myokardinfarkt
untersucht. Primärer Endpunkt war die 30-Tage-Mortalität.
Insgesamt wurden 7244 Patientinnen und Patienten eingeschlossen. Die
Nachbeobachtung war für alle Patientinnen und Patienten
vollständig. Die TASTE-Studie zeigt, dass die zusätzliche
Thrombusaspiration keinen Zusatznutzen für Patient/innen mit
akutem Myokardinfarkt hat [8].
Aufgrund der registergestützten raschen Rekrutierung und Nachverfolgung
der Patientinnen und Patienten sowie der Verwendung der bestehenden
Dateninfrastruktur lagen die Kosten pro Proband/in nur bei etwa 50
US$ [7].
Themenbereich 2: Versorgungsanalysen
Themenbereich 2: Versorgungsanalysen
Im Rahmen der Dekade gegen den Krebs, einem 10 Jahres Programm des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung (BMBF) und des Bundesministeriums für
Gesundheit (BMG), steht v. a. für die Arbeitsgruppe 3 „durch
Wissen generierte Vernetzung von Versorgung und Forschung“ das Thema Nutzung
versorgungsnaher Daten im Mittelpunkt. Empfehlungen im Rahmen von Leitlinien beruhen
z. B. häufig nur auf einem Expertenkonsens. In diesem Zusammenhang
sind die in allen Bundesländern etablierten Klinischen Krebsregister nach
§ 65c SGB V besonders relevant, da sie bevölkerungsbezogen die Frage
der Leitlinienkonformität der Versorgung und deren Ergebnisqualität
beantworten können.
Bei der Anforderung an Primär- und Sekundärdaten kommt es darauf an,
nicht beliebige, sondern die passenden bzw. erforderlichen Daten zusammenzubringen.
Gerade die Verbindung von Primär- und Sekundärdaten ist oft zu
empfehlen, um Fragestellungen detaillierter und mit höherer Qualität
beantworten können. Grenzen und Möglichkeiten der Nutzung
versorgungsnaher Daten sind nicht nur methodischer Natur, sondern sind auch
abhängig von verfügbaren Infrastrukturen, Ressourcen und Kompetenzen
und den gesetzlichen Rahmenbedingungen (z. B. Zugang zu
Sekundärdaten) [15]. Benötigt
werden weiterhin Standardisierung und Interoperabilität und gezielte
Datenschutzkonzepte. Die Gründung eines Forschungsdatenzentrums, wie es
derzeit nach der Änderung der Datentransparenzverordnung durch das
Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) geplant ist, ist ein Schritt in die richtige
Richtung.
Beispiel Innovationsfondprojekt „Wirksamkeit zertifizierter
Zentren“
Da Tumorerkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland sind
und die Zahl der Erkrankten steigt, ist die Frage des Behandlungsortes, des
Qualitätsmanagements und der Therapiemöglichkeiten bedeutend. In
dieser Versorgungsanalyse wird das Qualitätsmanagement durch
Zertifizierung und die Auswirkung auf das Überleben geprüft:
Studien zu Brust- und Darmkrebs belegen Assoziationen von höheren
Überlebensraten in zertifizierten Häusern.
Das Innovationsfondprojekt „Wirksamkeit zertifizierter Zentren
(WiZen)“ ist breit angelegt. Es werden bundesweit primär- und
sekundärdatenbasiert AOK-Routinedaten und Daten klinischer Krebsregister
genutzt. Daten zu 9 Tumorentitäten werden zusammengeführt und
einzeln und verknüpft analysiert. Erste Ergebnisse zum Zusammenhang
zwischen Zertifizierung und Therapieergebnissen (z. B.
Überleben) wurden beim 34. Deutschen Krebskongress vorgestellt ([Abb. 3]) [16].
Abb. 3 Zusammenhang zwischen Zertifizierung und Überleben
aus dem Innovationsfondprojekt WiZen [16].
Ausblick
Die vorliegende Publikation beschreibt den Anlass für die Gründung
einer Ad hoc Kommission des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung sowie deren
Zielsetzung: Wir wollen dazu beitragen, versorgungsnahe Daten (VeDa) für die
Wissenssensgenerierung nutzbar zu machen.
Für die einzelnen Themenbereiche werden wir in nachfolgenden Supplements
([Abb. 1]) Voraussetzungen u. a.
hinsichtlich Planung, Datenerhebung, Auswertung und Publikation der Ergebnisse
für die Forschung mit versorgungsnahen Daten beschreiben. Diese Darlegungen
sollen das übergeordnete Ziel medizinischer orschung sinnvoll
unterstützen: die Gesundheitsversorgung auch mit VeDa zu analysieren, zu
verstehen und zu verbessern.