Nervenheilkunde 2021; 40(01/02): 70-74
DOI: 10.1055/a-1246-0309
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

 

Atogepant in der Prophylaxe der episodischen Migräne

***** Goadsby PJ, Dodick DW, Ailani J et al. Safety, tolerability, and efficacy of orally administered atogepant for the prevention of episodic migraine in adults: a double-blind, randomised phase 2b/3 trial. Lancet Neurol 2020; 19(9): 727–737

Atogepant ist in allen untersuchten Dosierungen in der Prophylaxe der episodischen Migräne sowohl wirksam als auch sicher und gut verträglich.

Hintergrund

Pharmakologische Interventionen im Signalweg des Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) sind sowohl pathophysiologisch begründet als auch in der Akut- (z. B. Triptane/Ditane) und prophylaktischen Therapie (z. B. CGRP Rezeptor-/Ligandenantikörper) der Migräne wirksam. Die Gruppe der Gepante umfasst small molecules, welche als direkte CGRP-Rezeptorantagonisten in eben diesem Signalweg wirksam sind. Sie können sowohl in der Akuttherapie (intermittierende Einnahme) als auch zur Prophylaxe (regelmäßige Einnahme) der Migräne eingesetzt werden [1]. Der ersten Generation der Gepante standen dieser möglichen Wirksamkeit jedoch bedenkliche hepatotoxische Nebenwirkungen oder eine unzureichende Bioverfügbarkeit gegenüber. Atogepant ist ein Vertreter der zweiten Generation, welcher in der vorliegenden Studie auf seine Sicherheit und Verträglichkeit in der Prophylaxe der episodischen Migräne getestet wird. Als Phase-IIb/III-Studie werden zudem Dosisfindung und Wirksamkeit kombiniert geprüft.


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Zusammenfassung

Das Design entspricht einer multizentrischen, randomisierten, placebokontrollierten und doppelblinden Studie. Es konnten Patienten im Alter von 18–75 Jahren mit durchschnittlich 4–14 Migränetagen/Monat mit oder ohne Aura über 3 Monate eingeschlossen werden. Patienten mit einem Übergebrauch von Akutmedikation und unzureichendem Ansprechen auf 3 vorherige Prophylaxen von mindestens 2 Klassen wurden ausgeschlossen. Eine schwere Niereninsuffizienz sowie mäßige bis schwere Leberfunktionsstörung waren weitere Ausschlussgründe.

Es wurden 1772 Patienten in eine 4-wöchige Baseline-/Screening-Phase eingeschlossen. Von diesen wurden 834 Patienten randomisiert und in die 12-wöchige Behandlungsphase überführt. Die Randomisierung erfolgte 2:1:2:1:2:1 in Placebo sowie Atogepant 10 mg 1x tgl., 30 mg 1x tgl., 30 mg 2x tgl., 60 mg 1x tgl. und 60 mg 2x tgl.. Als primärer Wirksamkeitsendpunkt wurde die mittlere Änderung der monatlichen Migränetage in der 12-wöchigen Behandlungsphase gegenüber der 4-wöchigen Baselinephase definiert. Sicherheit und Verträglichkeit wurden anhand von behandlungsassoziierten unerwünschten Ereignissen (TEAE; entsprechend AEs, die mit Beginn der Behandlungsphase begannen oder sich verschlechterten) und behandlungsbedingten TEAEs beurteilt. Patienten der Behandlungsphase waren durchschnittlich 40,1 ± 12,2 Jahre alt, 87 % weiblich, hatten die Diagnose einer Migräne seit ca. 19 Jahren und 28 % hatten zuvor mindestens eine prophylaktische Pharmakotherapie erhalten. Die durchschnittlichen monatlichen Migränetage lagen bei 7,7 ± 2,5 in der Baselinephase und unterschieden sich nicht zwischen den Interventionen.

Alle Dosierungen von Atogepant erreichten den primären Wirksamkeitsendpunkt. Atogepant reduzierte die Migränetage pro Monat signifikant gegenüber Placebo (–2,9 ± 0,2 Tage) um weitere –0,7 Tage [95 % CI: –1,4 bis –0,1; 60 mg 1x tgl.] bis –1,4 Tage [95 % CI: –2,2 bis –0,6; 30 mg 2x tgl.]. Eine signifikante Überlegenheit von Atogepant in der Reduktion der Migränetage konnte bereits nach 4 Wochen nachgewiesen werden. Der sekundäre Endpunkt einer 50 %igen Reduktion der Migränetage wurde in der 30 mg 2x tgl. Gruppe (58 %, Odds Ratio vs. Placebo: 1,8 [95 % CI: 1,2 bis 2,9]) und 60 mg 2x tgl. Gruppe (62 %, Odds Ratio vs. Placebo: 2,0 [95 % CI: 1,3 bis 3,2]) signifikant häufiger als unter Placebo (40 %) erreicht. TEAEs waren unter Atogepant signifikant häufiger (von 58 % in der 60 mg 1x tgl. bis 66 % in der 10 mg 1x tgl. Gruppe) als unter Placebo (49 %). Häufigste behandlungsbedingte TEAEs mit positiver Dosis-Wirkungs-Beziehung waren Übelkeit (Placebo: 3 %, 10 mg 1x tgl.: 3 %, 60 mg 2x tgl.: 9 %), Obstipation (Placebo: 1 %, 10 mg 1x tgl.: 1 %, 60 mg 2x tgl.: 4 %) und Fatigue (Placebo: 2 %, 10 mg 1x tgl.: 1 %, 60 mg 2x tgl.: 7 %). Schwere behandlungsbedingte TEAEs traten in keiner der Gruppen auf. Die Leberverträglichkeit war für alle Dosierungen auf Placeboniveau.


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Kommentar

Die vorliegende Studie zeigt eine Wirksamkeit bei gleichzeitig guter Verträglichkeit und Sicherheit von Atogepant in der Prophylaxe der episodischen Migräne. Insbesondere ist erfreulich, dass sich keine Hinweise auf eine Hepatoxizität ergaben. Behandlungsbedingte unerwünschte Wirkungen entsprechen teilweise denen, die auch aus der Therapie mit CGRP Rezeptor-/Ligandenantikörpern bekannt sind. Langzeiteffekte können auf Grundlage der Daten noch nicht abgeschätzt werden und die Bestätigung der Wirksamkeit aus laufenden Phase-III- Studien steht noch aus (NCT03700320, NCT03777059).

Trotz Begeisterung für diese positiven Ergebnisse stellt sich die Frage nach dem Zusatznutzen gegenüber existierenden Prophylaxen. Die Wirksamkeit liegt, auch wenn hier das Fehlen von Head-to-head-Studien und der Phase-III-Studien betont werden muss, in etwa auf dem Niveau bekannter Prophylaktika einschließlich der CGRP Rezeptor-/Ligandenantikörper. Die Autoren selbst sehen einen möglichen Vorteil in der kürzeren Halbwertzeit der small molecules gegenüber Antikörpern, was ein schnelleres Auswaschen in dringlichen Situationen ermöglicht. Darüber hinaus könnten Patienten eine orale Medikation gegenüber Injektionen bevorzugen. Aus pathophysiologischer Sicht ist interessant, dass Gepante im Gegensatz zu Zolmitriptan im Tiermodell die Kontraktilität von Koronararterien nicht beeinflussen [2]. Darüber hinaus führten Ditane (5-HT-1F-Rezeptoragonisten), aber nicht Gepante zu typischen Veränderungen im Tiermodell, die als Surrogat eines Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauchs angesehen werden [3]. Hinsichtlich Interessenkonflikten ist zu erwähnen, dass 4 von 7 Autoren Mitarbeiter von AbbVie sind.

Robert Fleischmann, Greifswald


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Migräne mit Aura: unabhängiger Schlaganfall-Risikofaktor besonders bei jungen Patienten mit kryptogenem Stroke

****Martinez-Majander et al. Association between migraine and cryptogenic ischemic stroke in young adults. Ann Neurol 2020 Oct 19. doi: 10.1002/ana.25937

Zusammenfassung

Hintergrund: Die Rolle der Migräne (v. a. der Migräne mit Aura, MA) als robuster Risikofaktor für ischämischen Schlaganfall ist durch zahlreiche Studien und Metaanalysen gut etabliert. Die aktuelle Arbeit untersuchte diesen Zusammenhang im Kontext der internationalen multizentrischen prospektiven Fall-Kontrolle Studie SECRETO (Searching for Explanations for Cryptogenic Stroke in the Young: Revealing the Etiology, Triggers, and Outcome) spezifisch in einem Kollektiv juveniler Schlaganfallpatienten mit kryptogenem stroke (crypotgenic ischemic stroke, CIS).

Methodik: Es wurden über einen Zeitraum von ca. 7 Jahren n = 347 konsekutive CIS Patienten eingeschlossen (medianes Alter 40,6 Jahre, 46,4 % Frauen) und mit n = 347 Alters- und geschlechtsgematchten Kontrollen, die lokal am jeweiligen Studienzentrum rekrutiert wurden, verglichen. Wichtig: Ein in der ätiologischen Diagnostik ggf. detektiertes offenes Foramen ovale (PFO) wurde als ‚uncertain causality‘ eingeschätzt und war somit mit der Diagnose CIS kompatibel. Der Migränestatus wurde mit Hilfe einer eigens entwickelten Kurzversion eines validierten und publizierten semistrukturierten Fragebogens (Screener) erhoben, wobei für je 50 Patienten und Kontrollen eine Validierung dieser Vorgehensweise mittels eines ausführlichen Interviews durch einen erfahrenen Kopfschmerzneurologen erfolgte.

Ergebnisse: Sowohl für Migräne allgemein (any migraine) als auch für MA (nicht aber für Migräne ohne Aura) fand sich eine klare Assoziation mit CIS, und zwar unabhängig von demografischen Faktoren und klassischen vaskulären Risikofaktoren (adjustierte Odds Ratio, OR, für any migraine: 2,48; für MA: 3,50). Der Effekt zeigte sich sowohl für Männer als auch, noch deutlicher, für Frauen (adjustierte OR für Frauen mit MA: 4,32). Bei einer Subgruppe von n = 187 (53,9 %) der Patienten und n = 155 (44,7 %) der Kontrollen war als Surrogatmarker für das Vorliegen eines offenen Foramen ovale (PFO) eine transkranielle Dopplersonografie mit Bubble-Test (TCD-BS) verfügbar. In der Gruppe der Patienten mit PFO zeigte sich zwar mit zunehmender Größe des Rechts-Links-Shunts eine zunehmende MA-Prävalenz (ein Effekt, der sich bei den Kontrollen mit PFO übrigens nicht fand); der Zusammenhang MA und CIS war jedoch in einer logistischen Regressionsanalyse unabhängig vom Vorhandensein eines PFO.


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Kommentar

Trotz der mittlerweile umfangreichen Datenbasis für den epidemiologischen Zusammenhang zwischen Migräne und Schlaganfall verdient die aktuelle Studie von Martinez-Majander und Kollegen besondere Beachtung. Methodische Stärken sind das prospektive Design und die sorgfältige Erhebung des Migränephänotyps mittels eines dezidierten „Screeners”, der eine sehr gute Übereinstimmung mit der Diagnosestellung durch einen erfahrenen Kopfschmerz-spezialisten zeigte. Inhaltliche Besonderheit im Vergleich zu früheren Arbeiten ist der exklusive Fokus auf juvenile Patienten (d. h. < 50 Jahre) mit kryptogenem Schlaganfall. Wichtige Befunde sind, dass der Zusammenhang Migräne/MA und CIS bei beiden Geschlechtern und unabhängig von demografischen und anderen Faktoren gilt. Interessanter Aspekt dabei: Die Effektstärken für MA sind im Vergleich zur Literatur (z. B. Spector et al. Am J Med 2010 mit OR von 2,25) deutlich höher, was möglicherweise auf dem selektionierten Kollektiv (juveniler CIS) beruhen könnte. Der Effekt scheint zudem unabhängig vom Vorhandensein eines PFO zu sein, wobei die Befunde in Hinblick auf das PFO im Detail komplex sind; gerade der differenzielle Effekt der Größe des Rechts-Links-Shunts auf die MA-Prävalenz bei Patienten vs. Kontrollen ist nicht ohne Weiteres zu verstehen. Limitierend muss berücksichtigt werden, dass in dieser Analyse nur TCD-Daten (die auch bei den Kontrollen nicht invasiv erhoben werden konnten) als Marker für ein PFO zugrunde gelegt wurden.

Einschränkend beachtet werden muss zudem, dass die Erhebung zum Kopfschmerzphänotyp in der frühen Akutphase stattfand und dass überwiegend Schlaganfälle geringer Schwere (medianer NIHSS 2) eingeschlossen wurden. Für zukünftige Analysen wäre es wünschenswert, genauere Informationen zum jeweils vorliegenden MA-Phänotyp (z. B. Attackenfrequenz, genaue Charakteristik und Dauer der Aurasymptome) und zur Rolle der Kopfschmerzmedikation (akut und prophylaktisch) zu erhalten. Eine wichtige Perspektive wäre die Berücksichtigung genetischer Einflussfaktoren. In Summe eine sehr gut gemachte und qualitativ hochwertige Studie zu einem klinisch und wissenschaftlich relevanten Thema.

Tobias Freilinger, Passau


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Ich bleibe mit Kopfschmerzen zu Hause. Eine Untersuchung, wie sich der COVID-19-Lockdown auf Kopfschmerzen bei italienischen Kindern auswirkte

**** Laura Papetti et al. Cephalalgia 2020; 40(13): 1459–1473

Lockdown führte zu Kopfschmerzreduktion bei Schülern.

Hintergrund

Risikofaktoren wie Schulstress, eine schlechte Familiensituation, Angst und zu wenig Freizeit beeinflussen Migräne und Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen. Die Lockdown-Maßnahmen haben einen großen Einfluss auf die Ökonomie, Gesundheit und den Lebensstil. Diese durch den Lockdown geschaffene Extremsituation hat einen Effekt auf unterschiedliche Umweltfaktoren, welche sich als zusätzliche Stressfaktoren auf Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen auswirken können.


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Zusammenfassung

Dieser Artikel behandelt eine online Umfrage, die in der Anfangsphase des Lockdowns 2020 stattgefunden hat, in der es erst geringe Informationen zu Covid-19 gab. 707 Patienten mit Migräne mit und ohne Aura und/oder Spannungskopfschmerz aus 9 italienischen Kinderkopfschmerzzentren im Alter von 5–18 Jahren wurden in die retrospektive Studie eingeschlossen. Daten zu Demografie, Kopfschmerz während des Lockdowns, Akuttherapie und Prophylaxe der Kopfschmerzen, Kopfschmerzintensität, und -frequenz wurden erhoben, letztere für einen Zeitraum von 2 Monaten vor dem Lockdown und während des Lockdowns. Außerdem wurden psychische Faktoren wie Angst vor Covid-19, allgemeine Stimmung, Schulangst und positive Bewältigungsstrategien erfragt. 46 % der Befragten gaben eine Verbesserung der Kopfschmerzsituation im Lockdown an, 39 % eine unveränderte Situation und nur 15 % eine Verschlechterung. Kinder mit chronischem Kopfschmerz hatten eine deutlich höhere Reduktion der Kopfschmerztage als Kinder mit episodischen Kopfschmerzen. Eine positive oder negative Entwicklung der Kopfschmerzfrequenz und Intensität war abhängig vom Alter, schulischen Erwartungen und einer depressiven Stimmung. Die multivariate Analyse wies Verringerung der Schulanstrengung und -angst als verantwortliche Faktoren der Reduktion von Kopfschmerzintensität und -häufigkeit nach (p < 0,001). Je höher der Schweregrad der Kopfschmerzen, desto größer war die klinische Verbesserung (p < 0,001). Die Erkrankungsdauer war negativ mit der Verbesserung assoziiert (p < 0,001). Die klinische Besserung war unabhängig von der Prophylaxe, dem Vorliegen chronischer Kopfschmerzerkrankungen und der geografischen Region. Ein Zusammenhang zwischen dem Covid-19-Lockdown und einer Verschlechterung der Kopfschmerzsituation konnte nicht festgestellt werden.


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Kommentar

Eine fast 50 %ige Besserung der Kopfschmerzsituation während des Lockdowns zeigt, dass Änderungen im Alltag eine große Auswirkung auf den Kopfschmerz haben. Für fast 50 % der Schüler ging der Wechsel vom regulären Unterricht auf Online-Beschulung mit einer Reduktion des Schulstresses einher, wodurch sich die Kopfschmerzen in Frequenz und Intensität signifikant (p < 0,001) verbesserten. Trotz nicht signifikantem Unterschied in Bezug auf die Einnahme einer Prophylaxe fällt auf, dass mehr Schüler ohne Prophylaxe eine Besserung der Intensität aufwiesen als die Gruppe mit Prophylaxe (41 % vs. 24 %). Das ist zu erwarten, denn hier bildet sich eine Gruppe ab, die aufgrund der ungenügenden Wirksamkeit von nicht medikamentösen Prophylaxen, wie z. B. Stressmanagement eine medikamentöse Prophylaxe erhielt. Nichtsdestotrotz erfuhr auch fast ein Viertel der Patienten mit medikamentöser Prophylaxe eine deutliche Verbesserung der Kopfschmerzen durch die Schulstressreduktion. Interessant ist die multivariate Analyse, die eine globale Besserung der Kopfschmerzen auch bei Schülern mit chronischen Kopfschmerzen zeigte. Diese Daten weisen einmal mehr darauf hin, dass Verbesserung von Lebensstil und Stressbewältigung grundlegende Elemente für das Management von Kopfschmerzen bei Kindern sind.

Berit Höfer und Gudrun Goßrau, Dresden


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CGRP-(Rezeptor-)Antikörper für die Behandlung von chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten

***Silvestro M, Tessitore A, Scotto di Clemente F et al. Erenumab efficacy on comorbid cluster headache in patients with migraine: a real-world case series. Headache 2020; 60: 1187–1195

*Riederer F, Wenner AM. Erenumab for chronic cluster headache: A case report. Cephalalgia Reports 2020; 3: 1–4

Ruscheweyh R, Broessner G, Goßrau G et al. Effect of calcitonin gene-related peptide(-receptor) antibodies in chronic cluster headache: results from a retrospective case series support individual treatment attempts. Cephalalgia 2020; doi: 10.1177/0333102420949866

In 3 Fallberichten/-serien konnte eine Wirksamkeit der CGRP-(Rezeptor-)Antikörper in der Behandlung von chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten gezeigt werden

Hintergrund

Der CGRP-Antikörper Galcanezumab 300 mg s. c. zeigte in einer randomisiert-kontrollierten Studie für die Behandlung des episodischen Clusterkopfschmerzes eine gute Wirkung, verfehlte aber seinen primären Endpunkt in der parallelen Studie bei chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten [1], [2]. Galcanezumab wurde in der Folge für die Behandlung des episodischen Clusterkopfschmerzes in den Vereinigten Staaten durch die FDA zugelassen, nicht aber in Europa. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) begründete die Entscheidung damit, dass die Daten nicht eindeutig zeigten, dass die Medikation das Auftreten von Clusterkopfschmerzattacken wirksam verhindere und somit die Risiken gegenüber dem Nutzen der Behandlung überwiegen [3]. Fremanezumab, ein weiterer CGRP-Antikörper, wurde ebenfalls für die Behandlung des Clusterkopfschmerzes getestet, allerdings wurden diese Studie 2018 bzw. 2019 vorzeitig abgebrochen [4]. Aus klinischer Sicht ist die Behandlung von chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten häufig schwierig. Es gibt eine Reihe von refraktären Patienten, bei denen die klassischen Prophylaktika auch in Kombinationstherapie nicht ausreichend wirksam oder nicht verträglich sind. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass CGRP-(Rezeptor-)Antikörper bei einigen Patienten mit chronischem Clusterkopfschmerz off-label bzw. bei gleichzeitig bestehender Migräne ausprobiert wurde. Bislang wurden 3 Fallberichte bzw. -serien mit 27 chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten veröffentlicht. Diese möchte ich hier zusammenfassen. Ich möchte aber erwähnen, dass ich Mitautorin einer der Studien (Ruscheweyh et al. 2020) bin.


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Zusammenfassung

Silvestro et al. stellt eine Fallserie mit 5 Patienten (m = 3, 30–63 Jahre) vor, die aufgrund einer begleitend bestehenden Migräne mit Erenumab 140 mg behandelt wurden. Ein chronischer Clusterkopfschmerz wurde in 4 Patienten diagnostiziert, ein Patient zeigte einen episodischen Verlauf mit 6–7 Monaten-andauernden Episoden. Alle Patienten hatten in der Vorgeschichte mind. 3 prophylaktische Medikationen mit unzureichender Wirkung ausprobiert. In 2 Patienten wurde mit Erenumab 70 mg s. c. begonnen, die Dosis bei unzureichender Wirksamkeit im Verlauf auf 140 mg s. c. erhöht, in den anderen 3 Patienten wurde direkt mit der höheren Dosierung begonnen. Erenumab 140 mg s. c. führte in allen 5 Patienten zu einer signifikanten Reduktion von Clusterkopfschmerzattacken; im Verlauf (frühestens nach der 3. Gabe) sogar in allen Patienten zu einer vollständigen Remission. Bis auf das Auftreten einer Obstipation in einem Patienten wurden keine Nebenwirkungen berichtet.

Riederer und Wenner beschreiben eine 38-jährige Patientin mit einem chronischen Clusterkopfschmerz und einer Migräne ohne Aura. Der Clusterkopfschmerz wurde mit einer Kombinationstherapie aus Verapamil, Trazodon und Melatonin behandelt, darunter traten täglich bis zu 3 Attacken auf. Nach erster Gabe von Erenumab 70 mg s. c. kam es zu einer Reduktion auf insgesamt 9 Attacken/4 Wochen. Dieser Effekt hielt während 3 weiterer Gaben Erenumab 70 mg s. c. über einen Zeitraum von 25 Wochen an, wobei die genaue Attackenanzahl im Verlauf nicht benannt wird.

In der dritten Fallserie (Ruscheweyh et al. 2020) wurde die Zahl der Clusterkopfschmerzattacken vor und nach Gabe eines CGRP-(Rezeptor-)Antikörpers in 22 chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten (m = 7, 46,6 ± 12,3 Jahre) untersucht. Zum Zeitpunkt der Gabe des CGRP-(Rezeptor-)Antikörpers wurden 1,6 ± 0,9 prophylaktische Medikationen eingenommen und durchschnittlich wurden 6,5 ± 2,4 Prophylaxen ausprobiert. 6 Patienten berichteten eine Migräne in der Vorgeschichte. 16 Patienten erhielten Galcanezumab 240 mg s. c., 3 Patienten erhielten Erenumab 70 mg s. c. und 3 Patienten erhielten Erenumab 140 mg s. c. Im Baseline-Monat, d. h. im Monat vor erster Gabe der Medikation hatten die Probanden durchschnittlich 23,3 ± 16,4 Clusterkopfschmerzattacken/Woche, im ersten Monat nach Anwendung der Medikation durchschnittlich 14,2 ± 18,8 Attacken/Woche; insgesamt zeigte sich eine signifikante Reduktion um 9,2 ± 9,7 Clusterkopfschmerzattacken/Woche im ersten Monat sowie eine signifikante Reduktion der Verwendung von Akutmedikation und der Schmerzintensität. Von 14 bzw. 9 Patienten liegen Daten für Monat 2 bzw. 3 vor, die eine anhaltende Reduktion der Attackenfrequenz (Monat 2: –8,0 ± 8,4 Clusterkopfschmerzattacken/Woche; Monat 3: –9,1 ± 10,0 Clusterkopfschmerzattacken/Woche) zeigen. Ein Patient berichtete über Fatigue am ersten Tag nach Gabe von Galcanezumab, darüber hinaus wurden keine Nebenwirkungen berichtet.


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Kommentar

Zusammenfassend liegen mit diesen Studien gute Hinweise für die Wirksamkeit von CGRP-(Rezeptor-)Antikörpern für die Behandlung von chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten vor. Darüber hinaus berichtete Silvestro et al. erstmals über die Wirksamkeit von Erenumab in der Behandlung von Clusterkopfschmerzen. Allerdings muss einschränkend gesagt werden, dass die vorgestellten Studien Fallberichte mit wenigen Patienten sind und keine Placebokontrolle erfolgte. Es ist daher nicht auszuschließen, dass der berichtete Effekt überwiegend auf einen Placeboeffekt zurückzuführen ist. Die randomisiert-kontrollierte Studie zu Galcanezumab hatte einen großen Placeboeffekt berichtet [1].

Bezüglich der Wahl der Dosierung kann keine abschließende Aussage getroffen werden, da in den vorliegenden Studien unterschiedliche Dosierungen bei sehr kleinen Fallzahlen verwendet wurden. So berichtet Silvestro et al. keine Wirksamkeit für Erenumab 70 mg (n = 2), wohingegen Riederer und Wenner eine gute Wirksamkeit (n = 1) berichten. Darüber hinaus wurde Galcanezumab in den randomisiert-kontrollierten Studien [1], [2] in einer Dosierung von 300 mg/Monat getestet, in der berichteten Fallserie wurde Galcanezumab 240 mg/Monat gegeben.

Unklar bleibt auch der genaue Wirkeintritt der Medikation. Silvestro et al. berichtet eine Wirkzunahme nach mehrmaliger Gabe, wohingegen die Daten von Ruscheweyh et al. und Riederer und Wenner einen schnellen Wirkeintritt nach erster Dosis mit anhaltendem Effekt nach weiteren Dosierungen zeigen. Silvestro et al. berichtet in allen Patienten (n = 5) ein vollständiges Sistieren der Clusterkopfschmerzattacken, was gerade in den schwer betroffenen Patienten überraschend ist, und sicherlich durch längere Beobachtungszeiträume und eine größere Patientenzahl weiter untersucht werden sollte.

Für die Zukunft wäre eine erneute kontrollierte, klinische Testung der CGRP-(Rezeptor)-Antikörper für Clusterkopfschmerz-Patienten wünschenswert. Dennoch ermutigen die Fallberichte, dass ein Off-label-Therapieversuch mit einem CGRP-(Rezeptor)-Antikörper in Patienten mit schlechtem Ansprechen auf die klassischen Prophylaktika eine Möglichkeit sein könnte. Positiv hervorzuheben ist die gute Verträglichkeit.

Katharina Kamm, München


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Risiko kardialer Komplikationen durch Triptane

*** Ghanshani S, Chen C, Lin B et al. Risk of Acute Myocardial Infarction, Heart Failure, and Death in Migraine Patients Treated with Triptans. Headache: The Journal of Head and Face Pain 2020. doi:10.1111/head.13959

In einer populationsbasierten Studie zeigte sich kein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse durch Anwendung von Triptanen.

Zusammenfassung

Eine US-amerikanische Kohorte mit 189 684 Migränepatienten wurde retrospektiv auf das Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen hin untersucht. Die Daten wurden für eine Gesundheitsdatenbank (Kaiser Permanente Southern California Heath System) in einem Zeitraum von 10 Jahren (01/2009–12/2018) elektronisch erfasst. Als Endpunkte der Auswertung wurden Hospitalisierung wegen akutem Myokardinfarkt oder dekompensierter Herzinsuffizienz sowie das Auftreten von Todesfällen definiert.

130 656 (68,9 %) der Migränepatienten wurden im vorgegebenen Zeitraum Triptane verschrieben. Die behandelte Gruppe war im Durchschnitt jünger, wies einen größeren Frauenanteil und weniger kardiovaskuläre Risikofaktoren auf. Insgesamt konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen und Behandlung mit Triptanen aufgezeigt werden. Die Inzidenz der Myokardinfarkte bei Triptan – exponierten Patienten lag sogar noch unter der von Patienten ohne Triptane (0,67 vs. 1,44/1000 Patienten pro Jahr). Auch Subgruppenanalysen zur Stratifizierung von Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und kardiovaskulären Risikofaktoren (Hypertonus, Hyperlipidämie und Diabetes) erfassten keine signifikante Zunahme des Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse durch Triptane.


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Kommentar

Trotz der guten Wirksamkeit der Triptane zur Akutbehandlung von Migräne leidet die Medikamentengruppe immer noch unter gewissen Vorbehalten durch verschreibende Ärzte. Ein Grund hierfür sind Befürchtungen hinsichtlich kardiovaskulärer Komplikationen durch deren vasokonstriktive Wirkung. Mit diesem Vorurteil möchte die hier zitierte Studie aufräumen. In einer sehr großen US-amerikanischen Kohorte wurden Migränepatienten in einem Zeitraum von 10 Jahren erfasst. Von diesen Patienten waren etwa zwei Drittel mit Triptanen versorgt. Damit lag der Anteil der Patienten mit Triptan deutlich höher als in einer populationsbasierten Querschnittsstudie aus Europa, wo gerade einmal 11 % der Migränepatienten in Deutschland ein Triptan erhielten [1]. Entgegen möglicher Befürchtungen war die Inzidenz von kardiovaskulären Komplikationen in dem amerikanischen Kollektiv durch die Einnahme von Triptanen nicht erhöht. Dies galt auch für Patienten mit zusätzlichen kardiovaskulären Risikofaktoren wie Diabetes oder arterielle Hypertonie. Der Artikel bestätigt damit einmal mehr die Sicherheit der Substanzgruppe – selbst bei Patienten mit kardiovaskulärem Risikoprofil – und ermutigt zu einem breiten Einsatz von Triptanen.

Victoria Ruschil, Tübingen


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INFORMATION

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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

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Gute experimentelle oder klinische Studie

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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de

Sie wird dabei unterstützt von Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und Kopfschmerz), PD Dr. Gudrun Goßrau, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Clusterkopfschmerz).

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


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Publication History

Article published online:
04 February 2021

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