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DOI: 10.1055/a-1253-5016
Nachruf auf Prof. Dr. Sanjiv Sam Gambhir
Am 18.07.2020 ist Prof. Dr. Sanjiv Sam Gambhir, der Inhaber des Lehrstuhls für Radiologie der Stanford University, im Alter von nur 57 Jahren verstorben. Er war eine herausragende Persönlichkeit unseres Faches, sodass wir glauben, dass auch die deutschsprachige radiologische Community seiner gedenken sollte. Er hat unser Fach wie wenig Andere geprägt und weitergebracht.
Als „Virginia and D. K. Ludwig Professor of Cancer Research“ hat er sich intensiv mit der Entwicklung neuer Verfahren der Frühdiagnostik von Tumorerkrankungen beschäftigt, und er kann mit Fug und Recht als einer der entscheidenden Begründer der molekularen Bildgebung angesehen werden. Die Schwerpunkte seiner Forschung waren die Erkennung von Krebs in seinen frühen Stadien, Präzisionsmedizin und integrierte Diagnostik sowie molekulare Bildgebung. Er hat die Reporter-Gen-Methodik für die PET eingeführt und nutzbar gemacht. Dabei wird ein „Reporter-Gen” genutzt, um die Expression anderer Gene zu verfolgen. So wurde es möglich, Tumoren nicht nur nachzuweisen, sondern die molekularen Signalwege in vivo zu verfolgen. Damit eröffneten sich neue Möglichkeiten, um eine möglichst zielgenaue Therapie auszuwählen, aber auch frühzeitig das Ansprechen auf eine bestimmte Behandlung festzustellen. Neben weiteren innovativen Verfahren hat er sich auch um Methoden der Immundiagnostik verdient gemacht, bei der Immunzellen so umprogrammiert werden, dass bei Kontakt mit Tumorzellen Biomarker freigesetzt werden, die im Urin nachgewiesen werden können. Dadurch ist es ihm in visionärer Weise gelungen, die Methoden der molekularen Bildgebung mit den aktuellen Trends der digitalen Gesundheit und Präventivmedizin zu verbinden.
Die besten Voraussetzungen für diese anspruchsvolle Forschung hat Sam durch ein Studium der Physik und der Medizin erworben. Es war ihm immer ein wichtiges Anliegen, Forscher verschiedener Disziplinen zusammenzuführen und zu einer engen Kooperation zu motivieren. Dabei hat er auch die Nähe von Stanford University und Silicon Valley für seine wegweisenden Ziele zu nutzen gewusst, um die Informationstechnologie und die Verfahren der künstlichen Intelligenz für die Medizin einzusetzen. Dies ist heute Gemeingut – Sam war ein Vordenker und Wegbereiter dieser Gedanken.
2013 erkrankte der Sohn von Sam und Aruna Gambhir an einem Glioblastom, an dem er nach 21 Monaten im Alter von 16 Jahren verstarb. Diese Tragödie hat die Familie tief erschüttert und Sam dazu motiviert, noch härter daran zu arbeiten, die Frühdiagnostik von Tumoren voranzubringen. Dazu hat er auch unkonventionelle Wege beschritten, um labormedizinische Daten nichtinvasiv im Alltag zu erheben und mit Daten aus der radiologischen und nuklearmedizinischen Bildgebung zu kombinieren, im Sinne einer integrativen Diagnostik zur frühzeitigen Erfassung von Veränderungen, die auf die Entstehung einer Krankheit hinweisen.
Sam wurde in Indien geboren und wanderte im Alter von 6 Jahren mit seinen Eltern in die USA aus, wo er an der Arizona State University Physik und an der University of California, Los Angeles, Medizin studierte, ehe er in das Crump Institute eintrat, das unter Michael Phelps Pionierarbeit auf dem Gebiet der PET-Entwicklung leistete. Im Jahr 2001 wurde Sam Leiter eines MD-PhD-Programms des Crump Institute, ehe er 2 Jahre später an die Stanford University berufen wurde. Die wissenschaftlichen Errungenschaften von Sam Gambhir sind höchst beeindruckend. Er hat insgesamt über 700 wissenschaftliche Artikel veröffentlicht, von denen viele als „Landmark Publications“ anzusehen sind. Darüber hinaus hat er über 40 Patente entwickelt und 21 Firmen gegründet.
Sam hatte klare Vorstellungen davon, wie die Medizin und dieGesundheitsversorgung in Zukunft aussehen sollten, und hat dafür unermüdlich gearbeitet. Er war ein mitreißender und überzeugender Redner und vor innovativen Ideen sprühender Gesprächspartner und wurde von vielen hochrangigen nationalen und internationalen Organisationen und wissenschaftlichen Gesellschaften als Berater, Ideengeber und Visionär geschätzt.
Seinen Studenten und Mitarbeitern – darunter in den Jahren an der UCLA und Stanford über 150 Postdocs aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen – war er akademischer Lehrer, Vorbild weit über seine wissenschaftliche Brillanz hinaus sowie unermüdlicher Mentor. Für sie schuf er ein wegweisendes interdisziplinäres Forschungsumfeld, wie es immer noch selten zu finden ist.
Es ist eine bittere Ironie des Schicksals, dass Sam Gambhir, der so viel für die Diagnostik und Früherkennung des Krebses geleistet hat, völlig unerwartet an einem Krebsleiden erkrankt ist, dem er 1 Jahr später erlegen ist.
Wir hatten das Privileg Sam Gambhir persönlich zu kennen und sind ihm bei verschiedenen Gelegenheiten begegnet. Dabei haben wir ihn als einen ungemein freundlichen, entgegenkommenden, inspirierenden und persönlich bescheidenen Menschen erlebt. Jede Unterhaltung mit ihm war eine besondere Erfahrung und Bereicherung. Es ist eine Tragik, dass dieser Mann, der der Welt so viel gegeben hat, so früh und unverhofft aus dem Leben gerissen wurde.
Prof. em. Dr. Dr. h. c. Maximilian Reiser, FACR, FRCR
Klinik und Poliklinik für Radiologie, Klinikum der Universität München
Prof. Dr. Konstantin Nikolaou
Wissenschaftskoordinator der Deutschen Röntgengesellschaft
Prof. Dr. Stefan O. Schönberg
Past-Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft, Vice-Präsident der International Society of Strategic Studies in Radiology (IS3 R)
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Publication History
Article published online:
29 September 2020
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York