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DOI: 10.1055/a-1254-4620
Rheumatologe per Ritterschlag: Die Entwicklung der Rheumatologie in Mecklenburg-Vorpommern
Der Weg zum Facharzt für Innere Medizin/Rheumatologie ist heute eindeutig definiert. Aktuelle Verordnungen der Bundesärztekammer und der Landesärztekammern legen fest, welche Voraussetzungen ein weiterbildendes Zentrum aufweisen muss und welche Schritte AssistenzärtInnen absolvieren müssen, um zur rheumatologischen Facharztprüfung zugelassen zu werden. Eine wichtige Rolle bei der Weiterbildung spielen heute die regionalen kooperierenden Rheumazentren. Auch diese müssen klar bezeichnete Qualitätsanforderungen erfüllen, um von der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie das Qualitätszertifikat „DGRh Rheumazentrum“ zu erhalten. Diese begrüßenswerten Festlegungen, welche die Behandlungsqualität der Rheumapatienten sichern, sind das Ergebnis einer langen Entwicklung. Anhand meines eigenen beruflichen Weges möchte ich darlegen, wie der Weg zum Rheumatologen in der Vergangenheit aussah.
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Die Struktur der rheumatologischen Versorgung in früheren Jahrzehnten unterschied sich in vielen Positionen fundamental von den heutigen, enthielt jedoch bereits die Grundbausteine für Bewährtes, welches auch in der Gegenwart Bestand hat.
1966 wurde in Rostock ein neues Bezirkskrankenhaus eröffnet. Im Folgejahr wurde daraufhin das marode Städtische Krankenhaus geschlossen. Die dort befindliche Rheumastation wurde per Anweisung des Bezirksarztes in die neue Klinik verlegt. Damit ging auch die damit verbundene Funktion des Bezirksrheumatologen an das Bezirkskrankenhaus über. Ein entsprechendes Schreiben des Bezirksarztes wurde im Rahmen einer routinemäßigen Dienstbesprechung verlesen, und es ergab sich die Situation, wer von den Mitarbeitern der Klinik die neue Aufgabe übernehmen solle. Peinliches Schweigen, da sich niemand dazu in der Lage fühlte. Daraufhin wurde ich zu meinem großen Entsetzen „per Ritterschlag“ vom Chefarzt in die zur Debatte stehenden Funktionen eingesetzt. Von diesem Fachgebiet hatte ich nicht die geringste Ahnung. Die Einarbeitung war nicht einfach, weil von der Universitätsbibliothek weder Fachzeitschriften noch Fachbücher zu erhalten waren. Spezielle rheumatologische Zeitschriften mussten gegen Devisen aus dem „nichtsozialistischen Ausland“ importiert werden (wozu auch die Bundesrepublik Deutschland zählte). Hospitationen in rheumatologischen Einrichtungen der DDR und Besuche von Symposien im Inland wurden jedoch großzügig ermöglicht. Die Voraussetzungen für den Aufbau eines rheumatologischen Zentrums waren in der neuen Klinik gegeben: Es gab eine große Physiotherapieabteilung mit Schwimmbad, Gymnastiksälen und Räumen für Elektrotherapie, Einzel- und Gruppenbehandlung. Eine Station der Inneren Klinik wurde zur Rheumastation erklärt und mit 2 Physiotherapeutinnen besetzt. Die Partnersuche für eine interdisziplinäre Diagnostik und Therapie war unproblematisch, da die meisten Fachdisziplinen in der Klinik zur Verfügung standen. Die Kontaktaufnahme mit der Orthopädischen Universitätsklinik führte dazu, dass der jeweilige Leitende Oberarzt einmal wöchentlich zur Visite kam und Patienten übernehmen konnte, bei denen Endoprothesen für Hüft-, später auch für Kniegelenke implantiert werden sollten. Für die übrigen operativen Eingriffe (z. B. Synovialektomien, Korrekturoperationen, Endoprothesen für Fingergelenke) konnten Mitarbeiter der Unfallchirurgie des Bezirkskrankenhauses gewonnen werden, weil die Kapazitäten in der Orthopädie dafür nicht ausreichten. Im Unterschied zu heutigen Verhältnissen war die rheumatologische Versorgung hierarchisch gegliedert. Jeder Bezirk hatte einen Bezirksrheumatologen und die zugehörigen Kreise einen Kreisrheumatologen bzw. eine Kreisrheumatologin. Diese Funktion wurde von den Bezirks- bzw. Kreisärzten ebenfalls „per Ritterschlag“ vergeben; eine Prüfung auf rheumatologische Kenntnisse oder eine strukturierte Weiterbildung erfolgte nicht. Die Zusammenarbeit mit den Rheuma-Dispensaires der Kreise wurde gemeinsam mit den Bezirksrheumatologen in Schwerin und Neubrandenburg (Sitz in Demmin) organisiert. Halbjährlich wurden gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen in Rostock angeboten, an denen neben den Kreisrheumatologen auch die zu den Dispensaires gehörenden Fürsorgerinnen teilgenommen haben. Diese Dispensaires wurden Ende der 50er Jahre nach dem Vorbild des sowjetischen Gesundheitswesens für die Langzeitprophylaxe des Rheumatischen Fiebers gegründet (14 im Bezirk Rostock, 11 im Bezirk Schwerin, 15 im Bezirk Neubrandenburg). Erst später wurden dort auch Patienten mit anderen Erkrankungen des Rheumatischen Formenkreises betreut. Schwerpunkt für die Stationäre Betreuung der Rheumapatienten wurde die Rheumastation im Bezirkskrankenhaus Rostock. Aus der täglichen Praxis entwickelten sich 3 Prinzipien:
1.) Einführung eines rigorosen stationären Bestellsystems in Intervallen von 3–6 Monaten.
2.) Durchsetzung einer Therapie mit DMARDs(„Basistherapie“). Die entsprechende Palette war anfangs sehr schmal und bestand aus Goldsalzen (Sanocrysin®) und Chloroquin, wurde in den späteren Jahren durch D-Penizillamin®, Azathioprin (Imurek®), Cyclophosphamid und Methotrexat ergänzt. Therapieziel war von Anfang an die vollständige Remission („Kampf um jedes Gelenk“). War die medikamentöse Therapie nicht ausreichend, wurden Synovialektomien durchgeführt. Da die Patienten postoperativ auf der Rheumastation verblieben, wo die anderen Patienten den postoperativen Verlauf beurteilen konnten, gab es keine Probleme mit der Akzeptanz dieses Vorgehens. Patienten mit bis zu 10 Operationen waren keine Seltenheit.Durch diese Therapiestrategie gelang es, den Anteil der Patienten mit einer Prednisolon-Dauertherapie von 50 % auf 10% zu senken und den mit einer Basistherapie auf über 90% zu steigern. Die Beschaffung der jeweiligen Medikamente war nicht immer einfach, besonders wenn sie importiert werden mussten. Lieferengpässe wurden gelegentlich im Tauschverfahren mit anderen Einrichtungen behoben. Die Verordnung wurde auf wenige Fachärzte begrenzt (Nomenklatur B und C).
3.) Einführung einer Dokumentation. Eine speziell dafür eingestellte Dokumentationsassistentin registrierte bei jedem Aufenthalt die aktuelle Therapie, Gründe für einen eventuellen Behandlungsabbruch, aktuelle Labordaten, Zahl der entzündeten Gelenke, Ergebnis des Bewegungsfunktionstests von KEITEL, Funktionsfragebogen Hannover (FFbH) und bei Operierten das histologische Ergebnis (Basis- und aktuelle Aktivität nach GEILER und STIEHL). Nachdem die ersten Computer in der Klinik angeschafft wurden (Bulgarische Produkte von der Größe eines Kleiderschranks!), wurden alle Daten in diese Rechner eingespeist und standen so für eine wissenschaftliche Auswertung zur Verfügung. Sie waren die Basis für 30 Diplom- oder Promotionsarbeiten. Am Ende meiner Dienstzeit waren über 2000 Patientinnen und Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen in dieser Datei erfasst.
1978 wurde auf Veranlassung des Ärztlichen Direktors eine „Interdisziplinäre Abteilung Rheumatologie“ gegründet, der innerhalb der Inneren Klinik eine gewisse Autonomie zugebilligt wurde. Aus ihr ging nach der politischen Wende das „Rheumazentrum Rostock“ hervor, das durch großzügige Fördermittel des Gesundheitsministeriums um eine Tagesklinik und eine Ergotherapie-Abteilung erweitert werden konnte und das bis heute Bestand hat. Die Kreisrheumatologen mussten nach der Wende notgedrungen in die private Niederlassung gehen. Hier unterlagen sie zunächst den Bewertungskriterien der Kassenärztlichen Vereinigung bezüglich des Budgets für Arzneimittel und Verordnungen für Physio- und Ergotherapie – eine für Ärzte und Patienten bedrohliche Situation. Wir haben deshalb in Absprache mit der Ärztekammer und der KV für die Kolleginnen und Kollegen, die über viele Jahre eine große Zahl von Rheumapatienten betreut hatten, aber nicht die Subspezialisierung besaßen, eine Übergangsregelung gefunden. Nach dem Besuch einiger Wochenendseminare und einem abschließenden Prüfungsgespräch konnten sie die Bezeichnung „Praxis mit rheumatologischer Besonderheit“ führen und erhielten von der KV ein erweitertes Budget für die Betreuung von Rheumapatienten. Als Gegenleistung mussten sie sich zu weiteren Fortbildungsmaßnahmen (Besuch von Veranstaltungen des Rheumazentrums Rostock und von nationalen Kongressen) verpflichten.
Bei allen positiven Seiten der gegliederten Versorgung von Rheumapatienten in der DDR ist eine nostalgische Verklärung dieses Systems nicht angebracht. Dafür waren die materiellen und teilweise auch personellen Defizite zu groß. Prinzipien unserer damaligen Tätigkeit haben erfreulicherweise überdauert oder sind in Form der „Medizinischen Versorgungszentren“ wieder auferstanden.
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Interessenkonflikt
Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Article published online:
16 February 2021
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