Pneumologie 2020; 74(12): 806-807
DOI: 10.1055/a-1266-9894
Pneumo-Fokus

COVID-19: Kommen wir aus dem Lockdown wieder heraus?

Lonergan M, Chalmers JD.
Estimates oft he ongoing need for social distancing and control measures post-„lockdown“ from trajectories of COVID-19 cases and mortality.

Eur Respir J 2020;
56: 2001483
 

    Schon im Frühjahr war klar: Die SARS-CoV-2-Pandemie wird weltweit das bestimmende Ereignis des Jahres 2020 werden. Das Virus hatte sich schon bis Ende Mai in fast allen Ländern verbreitet. Inzwischen bestanden in den meisten Ländern verschieden strikte Restriktionen, deren Maximalvariante als „Lockdown“ bezeichnet wird. Wie wirkt sich eine Lockerung dieser wirtschaftlich und sozial schädlichen Einschränkungen auf das Infektionsgeschehen aus?


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    Die Restriktionen, die zur Eindämmung des Virus ergriffen wurden, können Gesellschaften nicht dauerhaft ertragen; zu groß sind die negativen Folgen für Wirtschaft und soziales Zusammenleben. Die Autoren versuchten zu klären, in welchem Ausmaß diese Einschränkungen wieder gelockert werden können. Dafür nutzten sie die bis zum 21. Mai verfügbaren Daten zu SARS-CoV-2 der Webseite des European Centre for Disease Prevention and Control. Lonegan und Chalmer berücksichtigten dabei die Länder, die über mindestens 1000 bestätigte Fälle bzw. mindestens 100 COVID-19-Tote berichtet hatten. Auf dieser Basis standen die Daten von 89 Ländern für den Zeitraum bis zum 21. Mai 2020 zur Verfügung; es waren fast 5 Millionen Infizierte sowie rund 32 500 Tote gemeldet worden. Fallzahlen und Sterblichkeit berechneten die Autoren getrennt voneinander. Zudem prüften die Autoren alle Daten für jedes Land auf Inkonsistenzen und Artefakte.

    Bei der Beurteilung der vorhandenen Daten konzentrierten sich die Autoren darauf, anhand der Zahlen zeitlich begrenzte Phasen zu identifizieren, in denen die Zahlen kontinuierlich (exponentiell) anstiegen (vor dem Lockdown) oder abfielen (während des Lockdowns). Die Daten ließen die Autoren in statistische Modelle einfließen, um mit diesen Ergebnissen den Verlauf der Fälle und Todesfälle, Verdopplungszeiten der Infektionszahlen und die Reproduktionszahlen (R-Wert, R0) abzuschätzen. Dabei wurden die Ergebnisse verschiedener Modelle vor und während des Lockdowns bewertet und miteinander verglichen.

    Um in einem nächsten Schritt den Effekt des Lockdowns und die Frage nach einer möglichen Lockerung zu beantworten, nutzten die Autoren 4 Maßzahlen: Das Verhältnis der exponentiellen Kurven der SARS-CoV-2-Fallzahlen vor und während des Lockdowns lässt hierbei eine Aussage darüber zu, wie viele Tage „im Lockdown“ nötig sind, um einen Tag „normalen Alltag“ auszugleichen. Neben diesem Parameter wurden 3 unterschiedlich errechnete Werte genutzt, die sich aus verschiedenen Ratios der R-Werte ergeben. Ein R-Wert von 1 heißt dabei, dass ein Infizierter durchschnittlich nur eine weitere Person ansteckt, die Fallzahlen also stabil bleiben. Aus einem dieser berechneten Werte lässt sich bspw. erkennen, welcher Anteil an Einschränkungen wieder aufgehoben werden kann, ohne dass R0 wieder über den Wert von 1 steigt. Aus einer anderen Zahl lässt sich ableiten, bei welchem maximalen R-Wert es überhaupt durch einen Lockdown noch möglich ist, eine Pandemie zu kontrollieren.

    Die Ergebnisse aus den einzelnen Ländern sind teilweise sehr unterschiedlich; die Autoren fassen daher allgemeine Ergebnisse zusammen, die sich konsistent zeigten. In den meisten Ländern betrug der R-Wert zunächst zwischen 2,0 und 3,7 und fiel dann mit dem Lockdown; dies allerdings nur in Frankreich mit 0,76 deutlich. Die Maßnahmen des Lockdowns waren also grundsätzlich nützlich; wäre das Virus um 25 % infektiöser gewesen, so schätzen die Autoren, dann hätte selbst der Lockdown die Fallzahlen nicht reduzieren können.

    Die Hoffnung jedoch, dass intermittierend erlassene Restriktionen, etwa nur für jeweils 1 Woche pro Monat, die Corona-Pandemie aufhalten könnten, sehen die Autoren nicht. Selbst eine gering erscheinende Lockerung von 20 % würde laut der Schätzungen in den meisten Ländern bedeuten, dass die Fallzahlen wieder ansteigen. Wer deutlich lockert, wird sehr schnell wieder einen kompletten Lockdown beschließen müssen, vermuteten die Autoren in der Ende Mai publizierten Arbeit.

    Fazit

    Aussagen zu den hier untersuchten Fragen bezüglich SARS-CoV-2 können nur vorsichtige Schätzungen sein. Dennoch folgern die Autoren: Wahrscheinlich müssen wir die sozialen Kontakte dauerhaft um mehr als 80 % gegenüber dem gewohnten Alltag reduzieren, damit die Infektionszahlen nicht wieder stark ansteigen. Wir müssen uns wohl an ein „neues Normal“ gewöhnen; mit Abstand im sozialen Miteinander, Gesichtsmasken, Kontaktnachverfolgung, Tests etc. – jedenfalls so lange, bis ein Impfstoff verfügbar ist.

    Dr. med. Susanne Meinrenken, Bremen


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    Publikationsverlauf

    Artikel online veröffentlicht:
    08. Dezember 2020

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