Nervenheilkunde 2020; 39(11): 753
DOI: 10.1055/a-1285-7818
Gesellschaftsnachrichten

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie e. V.

Tom Bschor
 

Im Interview: Prof. Dr. Felix Bermpohl

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Prof. Dr. Felix Bermpohl, Chefarzt der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus Berlin. Quelle: ©privat

Unser BGPN-Mitglied Prof. Dr. Felix Bermpohl ist Chefarzt der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus Berlin und Studienleiter der ‚UBICA’ Studie. Im Interview hat er uns die Studie vorgestellt.

Wofür steht ‚UBICA’?

Bermpohl: Das ist ein Akronym für ‚Understanding and Breaking the Intergenerational Cycle of Abuse‘. Ausgangspunkt dieses vom BMBF geförderten Projektes ist unsere klinische Beobachtung, dass Belastungen häufig von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Das beobachten wir zum Beispiel in unserer klinischen Arbeit, wenn mehrere Generationen einer Familie bei uns in Behandlung sind. Anfangs hatten wir uns auf Traumatisierungen spezialisiert, der Fokus hat sich inzwischen aber geweitet, und wir interessieren uns jetzt zudem für Belastungen, die mit psychischen Erkrankungen einhergehen.

UBICA ist ein von Sabine Herpertz koordiniertes Verbundprojekt unserer Klinik mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Charité (Katja Bödeker, Sibylle Winter), der Uniklinik Heidelberg (Sabine Herpertz, Michael Kaess) und der Uniklinik Aachen (Kerstin Konrad, Beate Herpertz-Dahlmann). Wir haben uns zum Ziel gesetzt, diese transgenerationale Transmission von Belastungen zu untersuchen und auch Interventionen zu entwickeln, um diese Weitergabe zu vermindern.

Wie sieht eine solche Intervention aus?

Bermpohl: Es handelt sich um ein Elterntraining, das in 5 Wochen absolviert werden kann und das die Verbesserung der elterlichen Mentalisierung zum Ziel hat. Mentalisierung könnte man beschreiben als die Fähigkeit, sich selbst von außen und andere von innen zu sehen. Es geht darum, dass Eltern sich in die Kinder hineinversetzen – was die Kinder denken, fühlen, beabsichtigen und was die Kinder für Bedürfnisse haben. Gleichzeitig aber auch einen Schritt neben sich zu treten und zu beobachten, was einen selbst gerade beschäftigt.Es soll auch geübt werden wahrzunehmen, was man machen kann, wenn das Mentalisieren nicht so gut funktioniert und wie es gelingen kann, dann in das Mentalisieren wieder zurückzukehren.

Wie wird diese Intervention ein- und umgesetzt?

Bermpohl: Die Intervention richtet sich an alle stationären und tagesklinischen Patienten unserer Klinik, die Kinder im Alter bis 15 Jahren haben. Es soll eine sehr niedrigschwellige, einfache und kurze Intervention sein, wie sie eben letztlich von allen unseren Patienten wahrgenommen werden und in die Regelbehandlung integriert werden kann. Die Intervention richtet sich also explizit auch an schwerer erkrankte Patienten. Eine andere Besonderheit ist, dass die Therapie nicht von hochspezialisierten ärztlichen Kollegen oder psychologischen Psychotherapeuten angeboten wird, sondern von Sozialarbeitern, Ergotherapeuten und Pflegekräften, die für das Elterntraining geschult wurden und das Programm auf beeindruckende Weise umsetzen. Die Rückmeldungen der teilnehmenden Patienten sind sehr positiv.

Wer hatte die Idee für das Programm?

Bermpohl: Die Idee für das Programm entstand in unserem Verbund, nachdem wir in einer ersten Förderperiode die Mechanismen der transgenerationalen Transmission untersucht hatten. Nun wollten wir eine gezielte Intervention etablieren, um die Transmission zu vermindern. Das mentalisierungsbasierte Elterntraining hat Svenja Taubner mit ihrem Team entwickelt. Sie ist die Direktorin des Instituts für Psychosoziale Prävention an der Universität Heidelberg. Sie greift ein 40-wöchiges Programm auf, das Gerry Byrne als sogenanntes ‚Leuchtturmprogramm’ für ambulante Patienten in England entwickelt hat

Warum ist die UBICA Studie so wichtig?

Bermpohl: Wir wollen bei der Entwicklung psychischer Störungen frühzeitig ansetzen – es ist letztlich ein Präventionsprogramm. Belastungen sollen weniger an die nächste Generation weitergegeben werden, sodass sich die Kinder unserer Patienten gut entwickeln können, hoffentlich psychisch gesund bleiben und dann später, wenn sie selbst Eltern sind, in der Interaktion mit ihren eigenen Kindern diese Belastung nicht weitergeben. Der Teufelskreis der Belastungen soll durchbrochen werden.

Das Interview führte Dr. Anja Bauer, Berlin

Weitere Informationen zur Studie erhalten Sie unter Tel. 030/23111102 oder E-Mail elterntraining@charite.de


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IMPRESSUM

Prof. Dr. Tom Bschor
Redaktion: Dr. Anja M. Bauer
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie e. V.
Schlosspark-Klinik, Abteilung für Psychiatrie
Heubnerweg 2, 14059
Berlin
Germany   
Email: info@bgpn.de   

Publication History

Article published online:
06 November 2020

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Prof. Dr. Felix Bermpohl, Chefarzt der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus Berlin. Quelle: ©privat