Pneumologie 2021; 75(05): 377-382
DOI: 10.1055/a-1288-4520
Übersicht

Akut nekrotisierende Pneumonie bei Blaumeisen

Implikationen für die Pneumologie im Dialog mit der Veterinärmedizin Acute Necrotizing Pneumonia in Blue TitsImplications for Pulmonology in Dialogue with Veterinary Medicine
S. Merbach
1   Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Westfalen, Arnsberg
,
B. Schönhofer
2   Pneumologische Praxis und pneumologischer Konsildienst im Klinikum Agnes Karll Laatzen, Klinikum Region Hannover, Hannover
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Anfang März 2020 häuften sich die Beobachtungen über eine zunehmende Anzahl toter Blaumeisen. Die erkrankten Meisen litten v. a. an respiratorischen Symptomen. Der Grund für das Massensterben blieb zunächst unklar. Bis Anfang Mai sind etwa 18 000 Verdachtsmeldungen zum Blaumeisensterben mit ca. 33 000 betroffenen Vögeln eingegangen. Das Maximum waren fast 1300 Meldungen am 10. April. Die Zahl der Meldungen war in den folgenden Wochen wieder rückläufig. Schätzungen entsprechend sind in Deutschland in dieser Zeit ungefähr 1,7 Millionen Blaumeisen verstorben.

Bei einem großen Teil der untersuchten Meisen wurde das Bakterium Suttonella ornithocola in der Lunge nachgewiesen.

Da der Erreger eine Lungenentzündung verursacht, ist v. a. eine Übertragung via Aerosol oder durch Kontakt mit infizierten Sekreten anzunehmen.

Obduktionen der Tiere ergaben Lungenkongestionen, blutigen Darminhalt und einen schlechten Ernährungszustand. Histologisch wurden in den Lungen gering- bis mittelgradige akute nekrotisierende Pneumonien gefunden. Da Suttonella ornithocola auch im Parenchym von anderen Organen nachgewiesen wurde, ist von einer zusätzlich vorliegenden akuten Sepsis auszugehen. Möglicherweise ist Suttonella ornithocola zudem ein Enteritiserreger, da sich im blutigen Darminhalt Suttonella ornithocola nachweisen ließen. Neben den Atemwegen könnte daher die fäkal-orale Ausscheidung des Erregers über den Kot ein weiterer Infektionsweg sein.


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Abstract

At the beginning of March 2020, observations of an increasing number of dead blue tits increased. The sick tits suffered among others from respiratory symptoms. The reason for the mass extinction initially remained unclear. By the beginning of May, around 18,000 reports of suspected blue tit deaths with around 33,000 affected birds had been received. The maximum was almost 1,300 reports on April 10th. The number of reports decreased again during the following weeks. According to estimates, about 1,7 million blue tits died in Germany during this time.

In a large number of the tits examined, the bacterium Suttonella ornithocola was detected in the lungs.

Since the pathogen causes pneumonia, transmission via aerosol or through contact with infected secretions is to be assumed.

Autopsies showed lung congestion, bloody intestinal contents and poor nutritional status. Histologically, mild to moderate acute necrotizing pneumonia was found. Since Suttonella ornithocola was also found in the parenchyma of the large organs, an additional acute sepsis can be assumed. Suttonella ornithocola could also be an intestinal pathogen, since Suttonella ornithocola was found in the intestine in addition to bloody intestinal contents, but at the same time no recognized intestinal pathogens were detected. The faeco-oral route of infection is therefore also possible.


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Hintergrund

Erregerbedingte Infektionen kommen bei Vögeln nicht selten vor. So gefährdet z. B. das Usutu-Virus die Amsel-Bestände [1]. Seit 2011 starben in Deutschland pro Jahr schätzungsweise 160 000 Amseln am Usutu-Virus, das durch Stechmücken übertragen wird und seit 2018 flächendeckend in der Bundesrepublik auftritt. Des Weiteren sind Ornithosen, aviäre Influenza, Westnil-Virus-Infektionen und Salmonellosen, bei denen es sich um potenzielle Zoonosen handelt, als Krankheitserreger von Vögeln von Bedeutung. Trichomoniasis findet man häufig bei Grünfinken, und bei der sog. „Newcastle Disease“ führt das aviäre Paramyxovirus 1-Virus zu einer anzeigepflichtigen Tierseuche des Hausgeflügels.

Wir berichten in diesem Artikel über Blaumeisen ([Abb. 1]), bei denen es im Frühjahr 2020 zu einem Massensterben kam. Es häuften sich seit Anfang März Beobachtungen über eine zunehmende Anzahl toter Blaumeisen. Der Grund für das Massensterben blieb zunächst unklar.

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Abb. 1 Die Blaumeise (Bildquelle: Achim Fecker).

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Symptomatik und aktueller Verlauf

Ein wichtiges Symptom der Erkrankung bei den Blaumeisen war ihr apathisches Verhalten. Sie saßen oft inaktiv am Boden, taumelten, erschienen orientierungslos, plusterten sich auf und waren handzahm. Auch waren häufig Augen, Schnabel und Teile des Gefieders verklebt, und die Meisen litten mit weit geöffnetem Schnabel an respiratorischen Symptomen.

Verlauf und Ausmaß des Baumeisensterbens

Der Naturschutzbund (NABU) hatte bei der Suche nach der Ursache des Massensterbens die Bevölkerung um Mithilfe gebeten. Erste Fälle wurden Mitte März 2020 in Rheinland-Pfalz beobachtet. Im Weiteren wurden innerhalb von nur 12 Tagen 13 800 Fälle aus Deutschland gemeldet. Insgesamt gingen bis Anfang Mai ca. 18 000 Verdachtsmeldungen zum Blaumeisensterben mit etwa 33 000 betroffenen Vögeln ein. Am 10. April wurde der maximale Wert mit 1300 Meldungen verzeichnet. Anschließend war die Anzahl der Meldungen pro Tag in den folgenden Wochen kontinuierlich rückläufig ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Verteilung der gemeldeten toten Blaumeisen 2020 (Quelle: NABU).

Bei einem großen Teil der untersuchten Meisen fand sich das Bakterium Suttonella ornithocola in der Lunge und auch in anderen Organen. Bei vielen Tieren wurde histologisch eine akute nekrotisierende Pneumonie nachgewiesen. Somit erscheint Suttonella ornithocola ein wichtiger Erreger zu sein, der kausal am Meisensterben beteiligt ist. Es fanden sich jedoch auch zahlreiche andere Erkrankungen, wie Ornithosen mit Nachweis von Chlamydia psittaci, Traumata und ein sehr schlechter bis kachektischer Ernährungszustand. Nicht selten blieb die Todesursache aber auch unklar.

Die höchsten Melderaten gab es aus Rheinland-Pfalz, gefolgt von Saarland, Hessen und Niedersachsen. Auch Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Bremen gehörten zu den betroffenen Gebieten. Damit ergab sich der Westen und Nordwesten Deutschlands als Kerngebiet der Suttonella ornithocola-Epidemie. Außerhalb Deutschlands wurde v. a. in Luxemburg, Belgien und im Osten Frankreichs das unnatürliche Sterben der Blaumeisen beobachtet.

Die Relevanz des massenhaften Meisensterbens wurde i. R. der NABU-Vogelzählung „Stunde der Gartenvögel“ im Zeitraum vom 04.–08. 05. 2020 deutlich: Im Vergleich zum Vorjahr 2019 wurden in Deutschland 22 Prozent weniger Blaumeisen gemeldet. Bei einem geschätzten Gesamtbestand von etwa 7,9 Millionen erwachsenen Blaumeisen in Deutschland, den der jüngste offizielle Bericht zur Lage der Vogelwelt ausweist, entsprächen diesem Rückgang ca. 1,7 Millionen Vögel [2].


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Bisherige Erkenntnisse zu Suttonella ornithocola

Zurzeit sind die Datenlage zu Suttonella ornithocola bzw. die publizierten wissenschaftlichen Erkenntnisse noch lückenhaft. Im Jahr 1996 wurde Suttonella ornithocola in Großbritannien in Zusammenhang mit Meisensterben als ein neuartiges Bakterium aus der Familie der Cardiobacteriaceae beschrieben [3] [4] [5]. In Großbritannien kam es bisher allerdings nicht zu einem Massensterben der Vögel.

Ein Gefährdungspotenzial für Menschen, Säugetiere oder andere Vogelspezies außer Meisen scheint nicht zu bestehen. Bisher wurde über keine Infektion mit Suttonella ornithocola beim Menschen oder anderen Tieren berichtet. Die Beachtung allgemeiner hygienischer Maßnahmen beim Umgang mit toten Tieren (z. B. Einweghandschuhe) empfiehlt sich dennoch, insbesondere weil bei den untersuchen Meisen relativ häufig eine Ornithose mit grundsätzlich vorhandenem zoonotischen Potenzial nachgewiesen wurde.

Suttonella ornithocola infiziert fast ausschließlich Meisen, dabei v. a. die kleinen Meisenarten, von denen die Blaumeise mit dem bevorzugten Lebensraum in unseren Gärten am häufigsten vorkommt. Auch die selteneren Meisenarten sind gelegentlich betroffen, d. h. die bevorzugt im Wald lebenden Tannen- und Haubenmeisen, vermutlich auch Sumpf- und Weidenmeisen.

Der Zeitraum der Infektion überschneidet sich mit der Balz der Vögel, die besonders für die Männchen sehr kraftraubend ist und somit wahrscheinlich zu einer Schwächung des Immunsystems und zu einer erhöhten Infektionsgefahr führt.

In Großbritannien ergaben in den Jahren 2005–2008 durchgeführte histopathologische Untersuchungen an obduzierten Blaumeisen, die erkrankt waren, den Nachweis von multiplen pulmonalen Nekroseherden mit Nachweis von Gram-negativen „Kokkenbakterien“ [6].

In Deutschland wurde Suttonella ornithocola als Erreger von Infektionen bei Vögeln bis April 2018 nicht nachgewiesen. Im April 2018 wurden 4 unterschiedliche Ereignisse von Meisensterben mit jeweils ca. 20 verendeten Meisen pro Fall im südlichen Nordrhein-Westfalen gemeldet. Wenig später gelang der Nachweis von Suttonella ornithocola bei toten Meisen [7]. Hierbei waren Kohlmeisen, Tannenmeisen und Blaumeisen betroffen, 5 adulte Meisen wurden obduziert. Bei diesen Tieren wurden präfinal die oben beschriebenen Symptome beobachtet.

In der Sektion zeigten sich Lungenkongestionen ([Abb. 3]), blutiger Darminhalt ([Abb. 4]) und ein schlechter Ernährungszustand. Histologisch ergaben sich gering- bis mittelgradige akute nekrotisierende Pneumonien ([Abb. 5]) mit intraläsionalem Nachweis von Bakterien in Form von Bakterienrasen in der Kultur ([Abb. 6]). Da Suttonella ornithocola auch im Parenchym der großen Organe gefunden wurde, ist von einer zusätzlich vorliegenden perakuten bis akuten Sepsis auszugehen. Suttonella ornithocola könnte zudem ein Enteritiserreger sein, da sich in blutigem Darminhalt Suttonella ornithocola fand, aber gleichzeitig keine typischen Enteritiserreger nachgewiesen wurden.

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Abb. 3 Lungenkongestion (Bildquelle: Dr. Martin Peters, CVUA Westfalen).
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Abb. 4 Enteritis mit blutigem Darminhalt (Bildquelle: Dr. Martin Peters, CVUA Westfalen).
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Abb. 5 Nekrotisierende Pneumonie mit intraläsionalen Bakterienrasen (Bildquelle: Sabine Merbach).
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Abb. 6Suttonella ornithocola-Kultur auf Blutagar mit Hämolyse (Bildquelle: Sabine Merbach).

Bereits im Jahr 2018, aber v. a. im Jahr 2020 war die Dauer des Meisensterbens mit ca. 4–6 Wochen jeweils relativ kurz. Es waren vorwiegend männliche Tiere betroffen. Es ist anzunehmen, dass Meisenmännchen durch die Balz, die mit sehr hohem Energieverbrauch einhergeht, geschwächt sind und deshalb anfälliger für eine Infektion mit Suttonella ornithocola sind.

In Nordrhein-Westfalen wurden zwischen April und Juni 2020 insgesamt 85 Meisen untersucht [8]. Bei 36 Meisen wurde Suttonella ornithocola in der Lunge und auch in anderen Organen nachgewiesen, 21 Tiere zeigten auch eine nekrotisierende Pneumonie. Suttonella ornithocola wurde somit bei einem Drittel der untersuchten Meisen diagnostiziert, was einmal mehr den besonderen Stellenwert des Erregers für das Meisensterben im Jahr 2020 verdeutlicht. Es fanden sich jedoch auch zahlreiche andere Erkrankungen, besonders auffällig ist eine hohe Zahl an Ornithosen (12 Tiere) mit Nachweis von Chlamydia psittaci, wie auch Traumata (23 Meisen) oder eine unklare Todesursache (23 Meisen).

Die Infektionswege von Suttonella ornithocola sind bisher noch nicht eindeutig geklärt. Da der Erreger eine Pneumonie verursacht, ist v. a. eine Übertragung via Aerosol oder durch Kontakt mit infizierten Sekreten anzunehmen. Grundsätzlich ist auch der fäkal-orale Infektionsweg denkbar.

Ebenfalls ist die Überlebensdauer des Erregers in der Umwelt zurzeit noch nicht bekannt.

Auf welchem Weg Suttonella ornithocola Deutschland erreicht hat, ist ebenfalls noch unklar. Vor allem zurückkehrende Zugvögel kommen als symptomlose Vektoren in Frage. Futter- und Wasserstellen erhöhen wahrscheinlich den Infektionsdruck und begünstigen die Ausbreitung des Erregers.


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Vergleichbare biologische Phänomene während der Epidemie der Meisenerkrankung durch Suttonella ornithocola und der SARS-CoV-2-Pandemie beim Menschen

Auch bei sich deutlich unterscheidenden Spezies sind häufig biologisch ähnliche Phänomene zu beobachten. Im Folgenden erläutern wir kurz vier bei der Meisenerkrankung durch Suttonella ornithocola und der SARS-CoV-2-Erkrankung des Menschen vergleichbare biologische Phänomene.

1. Ursache der Erkrankung initial unbekannt

Sowohl bei der SARS-CoV-2-Erkrankung des Menschen als auch der Meisenerkrankung durch Suttonella ornithocola waren die infektiologischen Ursachen bzw. zugrundliegenden Erreger in der Frühphase der Erkrankungen unbekannt. Die Erreger wurden aber binnen weniger Wochen mithilfe der modernen diagnostischen Techniken nachgewiesen. Sowohl bei klassischen Techniken wie der bakteriologisch-kulturellen Anzucht, Elektronenmikroskopie oder Virusanzucht mittels Zellkultur als auch bei neuen Methoden wie New Generation Sequencing (NGS), Metagenomanalysen u. a. handelt es sich um ungerichtete Untersuchungen, die insbesondere in der Diagnostik neuartiger, bislang unbekannter Krankheitserreger von Bedeutung sind. Bei Suttonella ornithocola stellte die bakteriologisch-kulturelle Anzucht die Grundlage der Diagnostik dar. Eine genauere Differenzierung erfolgte im Weiteren durch molekularbiologische Techniken wie der Polymerase Chain Reaction (PCR) bzw. Sequenzierung.


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2. Epidemiologische Dynamik des initialen Krankheitsgeschehens

Vergleichbar mit anderen Infektionskrankheiten in der Humanmedizin (z. B. der Influenza, dem schweren akuten respiratorischen Syndrom, SARS) und der Veterinärmedizin (z. B. aviäre oder porcine Influenza), wies die initiale Dynamik des jeweiligen epidemischen Krankheitsverlaufes eine Gaußsche Verteilung auf ([Abb. 1] und [Abb. 7]).

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Abb. 7 Verteilung der COVID-19-Erkrankungen i. R. der ersten Infektionswelle 2020 (Quelle: NABU).

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3. Hohe Kontagiösität bei räumlicher Nähe

Vergleichbar dem SARS-CoV-2-Virus beim Menschen weist Suttonella ornithocola ebenfalls eine hohe Kontagiösität bei räumlicher Nähe der Blaumeisen auf. Insbesondere die Futter- und Badestellen sind für die Blaumeisen Orte hoher Ansteckungsgefahr.


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4. Social Distancing

Sowohl in der SARS-CoV-2-Pandemie als auch bei der Infektion der Blaumeisen mit Suttonella ornithocola stellt das sog. „Social Distancing“ eine entscheidende Maßnahme der Infektionsprävention dar.

Insbesondere weil Gartenbesitzer im Winter und Frühjahr die Vögel mit hohem Engagement füttern, wird bei epidemischer Krankheitsdynamik im Sinne der Infektionsprävention empfohlen, die „Hot spots“ Futter- und Badestellen in den Gärten und Parkanlagen zu beseitigen, um so die weitere Ausbreitung der Infektion der Meisen mit Suttonella ornithocola zu verhindern bzw. zu reduzieren. Diese Maßnahme zur Infektionsprävention gilt übrigens auch für andere Infektionskrankheiten bei Vögeln (insbesondere bei Finkenvögeln), wie z. B. die Ornithose, Salmonellosen und Trichomoniasis.


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Tiere als Infektionsquelle für Menschen

Auch wenn derzeit ein Gefährdungspotenzial durch Suttonella ornithocola für Menschen, Säugetiere oder andere Vogelspezies nicht zu bestehen scheint, möchten wir abschließend die Thematik „Tiere als Infektionsquelle für Menschen“ wegen ihrer zunehmenden Bedeutung ansprechen.

Bei der SARS-CoV-2-Erkrankung erfolgte die initiale Übertragung auf den Menschen sehr wahrscheinlich durch Tiere. SARS-CoV-2 hat sich anschließend rasant zu einer primär humanpathogenen Infektionserkrankung weiterentwickelt. Im Verlauf der aktuellen Pandemie wurde SARS-CoV-2 auch bei verschiedenen Tierarten nachgewiesen [9]. Frettchen und Nerze sind hochempfänglich und dienen als Standardtiermodelle bei humanpathogenen respiratorischen Erkrankungen wie z. B. der Influenza. Es gibt SARS-CoV-2-Ausbrüche in niederländischen und dänischen Nerzfarmen, bei denen es zur Infektion der Mitarbeiter kam. In Dänemark wurde in den Nerzen eine mutierte Variante von SARS-CoV-2 nachgewiesen. Eine erhöhte Virulenz scheint jedoch nicht zu bestehen [9].

Der Eintrag der Erreger in die Farmen erfolgte jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit über den Menschen. Auch sind Fälle von SARS-CoV-2-Infektionen teilweise mit respiratorischer oder intestinaler Symptomatik bei Feliden (Hauskatzen und Großkatzen in Zoos) bekannt [10]. Diese Infektionen sind v. a. als Anthropozoonose zu verstehen und stehen im kausalen Zusammenhang mit an SARS-CoV-2-infizierten Menschen.

Sowohl in der Human- als auch der Veterinärmedizin haben die sog. „Emerging diseases“ infolge der Globalisierung und der Klimaerwärmung einen zunehmenden Stellenwert. Insbesondere in der Veterinärmedizin ergibt sich dabei immer die Frage, ob es sich bei einer zunächst unklaren Erkrankung um eine Zoonose handelt.

Seit einigen Jahren ist z. B. das Westnil-Virus auf dem Vormarsch. Das Westnil-Virus wird in Vögeln teils mit, teils ohne klinische Symptomatik nachgewiesen und ist ein ArBo-Virus, sodass die Übertragung vom klinisch inapparent infizierten Vogel über Stechmücken auf andere Vögel, aber auch auf Menschen oder Pferde („dead-end-hosts“) erfolgt. Infektionen mit dem Westnil-Virus können bei Pferd und Mensch zu leichten grippeartigen Symptomen, aber auch zur Beteiligung des Nervensystems mit neuronaler Symptomatik bis zu schwergradigen Erkrankungen mit letalem Ausgang führen. In diesem Jahr wurden bis Mitte September laut Nationalem Referenzlabor für Westnil-Virus am Friedrich Löffler Institut (Insel Riems, Greifswald) bereits 32 Fälle bei Vögeln und 7 bei Pferden bestätigt [11]. Das RKI meldete eine Reihe von Infektionen mit dem Westnil-Virus beim Menschen [12].

An diesen Beispielen lässt sich unmissverständlich verdeutlichen, dass eine inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Human- und Veterinärmedizin im Sinne des „One Health“-Ansatzes in Anbetracht der zukünftig sehr wahrscheinlich zunehmenden Bedrohungen durch zoonotische Erreger immer wichtiger und hoffentlich auch zunehmend realisiert wird. Nur so wird es gelingen, dem pandemischen Risiko von Zoonosen, Infektionserkrankungen, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden können, wirksam entgegenzuwirken.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Bernd Schönhofer
Pneumologische Praxis und pneumologischer Konsildienst im Klinikum Agnes Karll Laatzen, Klinikum Region Hannover
Hildesheimerstr. 158
30880 Laatzen
Deutschland   

Publication History

Received: 07 December 2020

Accepted: 09 December 2020

Article published online:
08 February 2021

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Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 Die Blaumeise (Bildquelle: Achim Fecker).
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Abb. 2 Verteilung der gemeldeten toten Blaumeisen 2020 (Quelle: NABU).
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Abb. 3 Lungenkongestion (Bildquelle: Dr. Martin Peters, CVUA Westfalen).
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Abb. 4 Enteritis mit blutigem Darminhalt (Bildquelle: Dr. Martin Peters, CVUA Westfalen).
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Abb. 5 Nekrotisierende Pneumonie mit intraläsionalen Bakterienrasen (Bildquelle: Sabine Merbach).
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Abb. 6Suttonella ornithocola-Kultur auf Blutagar mit Hämolyse (Bildquelle: Sabine Merbach).
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Abb. 7 Verteilung der COVID-19-Erkrankungen i. R. der ersten Infektionswelle 2020 (Quelle: NABU).