Schlüsselwörter
Deutsches Hepatitis C-Register - COVID-19-Pandemie - Hepatitis-C-Virus-Infektion - Lockdown - Patientenversorgung
Key words
German Hepatitis C Registry - COVID-19 pandemic - hepatitis C virus infection - lockdown - patient care
Einleitung
Die Ende 2019 erstbeschriebene Atemwegserkrankung COVID-19 wird durch eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 verursacht [1]; die ersten Infektionen in Deutschland und anderen europäischen Ländern wurden Ende Januar 2020 festgestellt [1]
[2]. Ab dem 11. März 2020 wurde die Infektion von der WHO als Pandemie bezeichnet [3]. Das Robert Koch-Institut (RKI) bewertete das Risiko für die Bevölkerung in Deutschland seit dem 17. März 2020 als „hoch“ [4], und am 25. März 2020 stellte der Bundestag eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ fest [5]; zwei Tage später trat das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite in Kraft [6]. Um die Pandemie einzudämmen, beschlossen Bund und Länder Mitte März 2020 weitgehende Einschränkungen für das öffentliche Leben; diese erheblichen Einschränkungen betrafen auch viele andere europäische Länder und werden mit dem Begriff „Lockdown“ beschrieben [7]. Seit Anfang Mai wurden einige Beschränkungen schrittweise wieder aufgehoben [8]; inzwischen haben erneut steigende Infektionszahlen in einigen deutschen Regionen erneut zu einer Verschärfung dieser Einschränkungen geführt [9]. Die Pandemie und die mit ihr verbundenen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz hatten und haben erhebliche wirtschaftliche und soziale Folgen [10]
[11]
[12]. Die COVID-19-Pandemie stellt insbesondere auch das Gesundheitswesen und die Patientenversorgung vor große Herausforderungen.
So berichtete die Initiative Qualitätsmedizin (IQM), die 310 Kliniken in Deutschland repräsentiert, während der Lockdown-Phase zwischen dem 13. März 2020 und 19. April 2020 von einem Rückgang der behandelten Herzinfarkte um 66 % im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Jahr 2019. Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der Darmkrebsoperationen um 64 % und die der Magenkrebsfälle um 68 % ab [13]. Eine Befragung der Mitglieder des Berufsverbandes niedergelassener Gastroenterologen (bng) ergab, dass die Darmkrebsvorsorge in der Zeit von Mitte März bis Mitte April 2020 in den teilnehmenden Zentren um wöchentlich mehr als 10 000 Untersuchungen abnahm und viele Praxen ihre Sprechstunden reduzierten oder gar keine neuen Patienten aufnahmen [14].
Die vorliegende Umfrage analysierte die Versorgungslage von Patienten mit chronischer Hepatitis-C-Infektion in großen deutschen Behandlungszentren während der ersten Monate der COVID-19-Pandemie.
Methoden
Um den Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die Versorgung von Hepatitis-C-Patienten zu erfassen, führte die Leberstiftungs-GmbH Deutschland unter den am Deutschen Hepatitis C-Register (DHC-R) mitwirkenden Zentren in der Zeit vom 24. Juli 2020 bis zum 21. August 2020 eine strukturierte, internetbasierte Umfrage durch. In der Befragung sollte retrospektiv eingeschätzt werden, welchen Einfluss der o. g. Lockdown auf die Patientenversorgung hatte. Die Umfrage richtete sich an Ärzte und an Studienassistenzen, die per E-Mail eingeladen wurden. Zur Erstellung der anonymisierten Umfrage wurde die Software LamaPoll (Lamano GmbH & Co. KG, Berlin) genutzt. Die Zentren wurden am 14. August 2020 an die Teilnahme erinnert.
Im DHC-R waren mit Stand Juli 2020 insgesamt 320 Zentren zur Dokumentation freigeschaltet. Zu dem Zeitpunkt hatten 278 Zentren mindestens einen Patienten eingeschlossen und zumindest die Screeningvisite dokumentiert. 74 Zentren hatten im Verlauf der letzten 12 Monate mindestens fünf neue Patienten dokumentiert und zumindest die Screeningvisite abgeschlossen.
Insgesamt wurden 20 strukturierte Fragen zur Struktur der Zentren, zur Zahl der Hepatitis-C-Patienten, zur Art der Versorgung und zur Zufriedenheit mit Schutzausrüstung und behördlichen Informationen gestellt.
Ergebnisse
Insgesamt haben 64 Zentren an der Befragung teilgenommen. Bezogen auf die Zahl der Zentren mit mindestens einem eingeschlossenen Patienten und der Zentren, die in den letzten 12 Monaten 5 und mehr Patienten im Register rekrutiert haben, beträgt die Rücklaufquote 23 % bzw. 87 %.
73 % der Zentren wiesen eine strukturierte Lebersprechstunde aus. Davon boten 40 % der Zentren 1–5 Stunden, 26 % 6–10 Stunden und 34 % > 11 Stunden wöchentliche Sprechstundenzeit an. Aufgrund des Lockdowns hatten 11 % der Zentren ihre Lebersprechstunde vorübergehend eingestellt, 58 % teilweise eingeschränkt und 32 % unverändert fortgesetzt.
Sofern Zentren ihre Sprechstundentermine eingeschränkt hatten, wurden Termine aktiv abgesagt (14 % der Zentren) oder verschoben (87 %). Mehr als die Hälfte der Terminabsagen ging von den Patienten aus. Ab Juli kehrten alle Zentren zu einem für das Zentrum üblichen Sprechstundenangebot zurück.
Alternativ richteten 52 % der Zentren in der Lockdown-Zeit neue oder zusätzliche Telefonsprechstunden ein, und 17 % boten eine neue Videosprechstunde an. Fast die Hälfte der Zentren (45 %) nutzte jedoch derartige neue Kommunikationswege nicht.
Die [Tab. 1] zeigt, dass in der Lockdown-Phase zwischen März und Mai 2020 deutlich weniger neue Patienten mit einer chronischen Hepatitis C in den Zentren behandelt wurden als im gleichen Zeitraum 2019.
Tab. 1
Häufigkeit neu behandelter Hepatitis-C-Patienten im Zeitraum März bis Mai 2019 bzw. März bis Mai 2020.
Durchschnittliche Zahl von Patienten/Monat
|
Häufigkeit/Zeitraum (%)
|
März–Mai
2019
|
März–Mai
2020
|
< 3
|
20,3
|
42,2
|
3–5
|
35,9
|
32,8
|
6–10
|
25,0
|
12,5
|
> 10
|
18,8
|
12,5
|
Weiterhin wurde gefragt, ob die Pandemie nach Einschätzung der Zentren die Versorgung der Patienten mit einer chronischen Hepatitis C insgesamt verschlechtert hat. Fast 80 % der befragten Zentren (78 %) verneinten diese Frage. Es stellten aber 22 % der Zentren fest, dass eine Dekompensation der Lebererkrankung aufgrund der COVID-19-Pandemie erst später erkannt wurde; 9,4 % der Zentren gaben an, dass ein hepatozelluläres Karzinom (HCC) erst später diagnostiziert wurde (Mehrfachnennungen waren möglich).
Weitere Fragen betrafen die Versorgung der Zentren mit Schutzausrüstung (inkl. Desinfektionsmittel) und behördlichen Informationen. 56 % gaben an, sie hätten stets ausreichend Schutzausrüstung gehabt, bei 28 % war dies nicht immer der Fall, und 14 % der Zentren hielten die Bereitstellung von Schutzausrüstung für dauerhaft unzureichend. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich für die informative Unterstützung durch die Gesundheitspolitik bzw. das lokale Gesundheitsamt: 63 % der Zentren waren damit zufrieden, 28 % nur teilweise zufrieden und 9,4 % waren unzufrieden.
Diskussion
Zusammenfassend zeigt die Umfrage, dass auch die Versorgung von Patienten mit einer chronischen Hepatitis C durch den Lockdown aufgrund der COVID-19-Pandemie akut beeinträchtigt wurde. Wegen der strikten Lockdown-Phase von März bis Mai 2020 wurden in den deutschen Zentren deutlich weniger neue Patienten mit einer chronischen Hepatitis C behandelt als im gleichen Zeitraum 2019.
Etwa 4 Monate nach Beginn des strikten Lockdowns und etwa 2 Monate nach den ersten Lockerungen wurde das vor der COVID-19-Pandemie bestehende Versorgungsniveau jedoch wieder erreicht. Fast 80 % der Zentren verneinten, dass die Pandemie die medizinische Versorgung von Hepatitis-C-Patienten mittel- bis langfristig beeinträchtigt habe. Mehr als 20 % der Zentren sahen hingegen eine Verzögerung der Diagnose von Leberdekompensationen und fast 10 % eine Verzögerung der HCC-Diagnosen. Diese Verzögerungen in der Diagnostik und damit auch Therapie dieser schwerwiegenden Komplikationen einer chronischen Hepatitis C sind insbesondere auch deshalb bemerkenswert, weil die wirksame Therapie der HCV-Infektion dazu geführt hat, dass durch HCV verursachte Leberdekompensation und Tumorentwicklung heute seltener geworden sind. Die jetzigen Daten zeigen zudem, dass mehr als 40 % der Zentren zeitweise oder sogar dauerhaft keine ausreichende Schutzkleidung hatten. Etwa 1/3 der Zentren war auch mit der Betreuung durch die Gesundheitsämter unzufrieden. Diese Zahlen belegen auch für den Bereich der durch HCV verursachten Lebererkrankungen, dass für kommende Pandemien oder andere schwere Katastrophen Verbesserungen in der Informationspolitik der Behörden und eine ausreichende Bevorratung von Schutzausrüstung für alle Akteure im Gesundheitswesen unbedingt anzustreben und einzufordern sind. Nur so sind ein adäquater Schutz der professionellen Helfer und eine optimale Patientenversorgung möglich.
Unsere Daten veranschaulichen, dass die Zahl der antiviralen HCV-Therapien gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahrs abnahm. Angesichts der nahezu 100 % Heilungsrate von Hepatitis C ist somit von erhöhter Morbidität infolge verzögerter Therapieinitiierung auszugehen, wobei Ausmaß und Schweregrad nicht exakt festzustellen sind.
Erste Mitteilungen zeigen, dass auch die Diagnosen von akuten Erkrankungen einschließlich Herzinfarkten und Schlaganfällen im März und April 2020 stark rückläufig waren; zudem kamen weniger Patienten mit Tumorerkrankungen (z. B. Magen- und Darmkrebs) zur Behandlung (15). Gleichzeitig stellten sich ab Mitte März 2020 erheblich weniger Patienten in Arztpraxen vor, und die diagnostischen Maßnahmen wie Magen- und Darmspiegelungen nahmen ab. Insbesondere Vorsorgekoloskopien fielen in einer Größenordnung von 50 000–100 000 Untersuchungen aus oder wurden verschoben [14]
[15]
[16]. Ob diese Unterdiagnostik zu einer Übersterblichkeit oder zunehmenden Präsentation von Patienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium führt, bleibt abzuwarten [17]. Entsprechende Daten zu diesen Fragen können naturgemäß noch nicht vorliegen.
Zusammenfassung
Die erhobenen Daten zeigen, dass Diagnostik, Therapie und Überwachung von chronischen Lebererkrankungen durch den Lockdown beeinträchtigt wurden. Nach Einschätzung der befragten Zentren ist trotzdem mittel- und längerfristig keine Unterversorgung zu erwarten. Sorge bereit hingegen, dass infolge der COVID-19-Pandemie und der entsprechenden Lockdown-Verordnungen gerade die lebensbedrohlichen Komplikationen der chronischen Hepatitis C in erheblichem Maß verspätet erkannt wurden. Bei Einschränkungen aufgrund von COVID-19 oder auch bei anderen vergleichbaren Epi- oder Pandemien muss daher sichergestellt sein, dass Patienten mit hohem Risiko weitgehend uneingeschränkt betreut werden können und die Behandlungs- und Monitoringintervalle für weniger gefährdete Personen ausgedehnt werden können.