Nervenheilkunde 2021; 40(05): 378-379
DOI: 10.1055/a-1298-0978
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

 

CGRP(Rezeptor)-Antikörper und Schwangerschaft

*** Noseda R, Bedussi F, Gobbi C, et al. Safety profile of erenumab, galcanezumab and fremanezumab in pregnancy and lactation: Analysis of the WHO pharmacovigilance database. Cephalalgia 2021, doi: 10.1177/0333102420983292

In 94 Fällen der WHO-Datenbank finden sich keine signifikanten Hinweise auf Gefährdung der Mutter oder des Ungeborenen nach Exposition gegenüber den CGRP(Rezeptor)-Antikörpern (meist in der Frühschwangerschaft), allerdings ist diese Datenbasis noch zu klein für eine endgültige Aussage, sodass eine sichere Antikonzeption weiter unbedingt notwendig ist.

Hintergrund

Der Einsatz der CGRP-(Rezeptor-)Antikörper erfolgt häufig bei Patientinnen im gebärfähigen Alter. Dies erfordert die Aufklärung zur Kontrazeption, da keine ausreichenden Daten vorliegen, inwieweit die Behandlung mit CGRP-(Rezeptor-)Antikörpern für die Schwangere und ihr Kind eine Gefährdung darstellt. Eine Besonderheit ist, dass die Wirkung der Antikörper im Fall einer ungeplanten Schwangerschaft, anders als bei den herkömmlichen Substanzen zur Prophylaxe, aufgrund ihrer langen Halbwertszeit nicht mit dem Absetzen abrupt endet.


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Zusammenfassung

Die Publikation ist eine erste Analyse der WHO-Datenbank VigiBase, die global Individual Case Safety Reports sammelt. Es wurden alle Meldungen (Stichtag 31.12.2019) zu Erenumab, Galcanezumab und Fremanezumab in Zusammenhang mit einer Schwangerschaft und neonatalen Aspekten analysiert. Eine zeitlich Korrelation zwischen einer Medikamentenexposition und einem Zwischenfall musste innerhalb eines Jahres erfolgt sein. Die Analyse der gemeldeten Fälle berücksichtigte andere potenziell vorhandene Einflussgrößen wie das Alter der Mutter, Komorbiditäten, andere Begleitmedikamente und die Risiken für eine Schwangerschaft, die durch die Diagnose Migräne bestehen, bei der statistischen Auswertung. Es wurden 94 Fälle analysiert. 50 betrafen Erenumab, 31 Galcanezumab und 13 Fremanezumab in der Schwangerschaft und Stillzeit. In der Mehrzahl der Fälle (n = 85) war die Medikamentenexposition während der Schwangerschaft erfolgt, in 5 % vor Eintritt der Schwangerschaft und in einem Fall während der Stillzeit. Es wurden in 15 Berichten 18 unerwünschte Ereignisse bei der Mutter gemeldet. Dabei handelte es sich um Symptome, die auf eine unzureichende Wirkung der Antikörper hindeuten (n = 10), 3 Berichte betrafen Übelkeit/Erbrechen, und jeweils 1-mal wurden eine Schilddrüsenunterfunktion, eine Depression, Schwindel, vaginale Blutungen, eine Ablösung des Trophoblasten und eine verhaltene Fehlgeburt („missed abortion“) gemeldet. Von der kindlichen Seite wurden 2 Fehlbildungen (Anencephalus, Nierenaplasie), 3 Frühgeburten und 23 spontane Abgänge berichtet. Bei allen Meldungen wurde berücksichtigt, ob weitere potenzielle Confounder, die ein eigenständiges Risiko für die Schwangerschaft darstellen könnten, vorlagen.

Alles in allem ergaben sich unter der Behandlung mit den Antikörpern keine Anhaltspunkte für spezifische Risiken für die Mutter, spezifische Missbildungen beim Kind oder eine signifikant erhöhte Zahl spontaner Abgänge. Allerdings weisen die Autoren auf die Limitationen der statistisch aufwändigen Datenanalyse hin: Detaillierte Informationen über den genauen Zeitpunkt der Exposition der jeweiligen Substanzen, die zumindest eine Zuordnung zum 1., 2. oder 3. Trimenon erlauben, fehlen. Die Gesamtzahl der gemeldeten Fälle ist für eine hinreichende Beurteilung der Risiken durch CGRP-(Rezeptor-)Antikörper in der Schwangerschaft unzureichend. Die tatsächliche Inzidenz bestimmter Nebenwirkungen kann nicht extrapoliert werden, da keine Daten über die Gesamtzahl der Patientinnen vorliegen, die in der Schwangerschaft einer dieser Substanzen ausgesetzt waren. Die gesamte Datenerhebung stützt sich auf spontane, zum Teil unvollständige Meldungen.


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Kommentar

Die Blockade von CGRP bzw. seinem Rezeptor durch entsprechende Antikörper könnte Einfluss auf die plazentare Durchblutung, die Blutdruckregulation in der Schwangerschaft, die Embryogenese und den generellen Schwangerschaftsverlauf nehmen. Zumindest in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft ist ein Übertritt der Antikörper auf den Fötus möglich. Allein aufgrund dieser Überlegungen entbinden diese ersten, sehr vorläufigen Daten nicht davon, Patientinnen auf die Notwendigkeit einer suffizienten Kontrazeption unter der Behandlung mit den Antikörpern hinzuweisen. Die Mehrzahl der gemeldeten Fälle beinhaltete die Behandlung mit Erenumab, was auf die frühere Zulassung und den entsprechend größeren Marktanteil innerhalb der CGRP-(Rezeptor-)Antikörper zurückzuführen ist. Die Daten erlauben daher keine Gewichtung eines potenziellen Risikos innerhalb der Substanzklassen. Die Unvollständigkeit der Daten unterstreicht, wie wichtig es ist, ein Schwangerschaftsregister zu allen Expositionen mit CGRP-(Rezeptor-) Antikörpern zu führen, zumal neben den Antikörpern eine Vielzahl anderer Einflussfaktoren auf den Schwangerschaftsverlauf Einfluss nehmen können. Die Arbeit hat redlich versucht diese Faktoren statistisch zu berücksichtigen. In Anbetracht der geringen Zahl gemeldeter Fälle kann dies jedoch die Sicherheit der Antikörper bei Verabreichung in der Schwangerschaft nicht belegen. Hier müssen weitere Daten, auch aus Registerstudien, abgewartet werden.

Stefanie Förderreuther, München


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Review und Metaanalyse des spontanen Liquorunterdrucksyndroms

*** D’Antona L, Jaime Merchan MA, Vassiliou A, et al. Clinical Presentation, Investigation Findings, and Treatment Outcomes of Spontaneous Intracranial Hypotension Syndrome: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Neurol 2021. doi:10.1001/jamaneurol.2020.4799

Ein nicht unerheblicher Anteil der Patienten kann klinisch und apparativ normale Befunde aufweisen.

Zusammenfassung

Das spontane Liquorunterdrucksyndrom (SIH) ist eine diagnostische Herausforderung. Es tritt jährlich bei ca. 5/100 000 Patienten auf und ist mit deutlichem Leidensdruck verbunden. Orthostatische Kopfschmerzen sind pathognomonisch.

In die hier besprochene Arbeit eingeschlossen wurden 144 Originalarbeiten in englischer Sprache, mit einer Mindestanzahl von 10 Patienten mit SIH ohne Hinweise auf sekundäre Ursachen. Ziel war die Beschreibung der Sensitivität von klinischen und apparativen Befunden sowie die Effektivität therapeutischer Maßnahmen. In der Mehrzahl der Fälle handelte es sich um retrospektiv erhobene Daten. Randomisiert-kontrollierte Studien waren nicht vertreten. Das mittlere Alter der Patienten war 42,5 Jahre (63 % Frauen). Bezüglich klinischer Symptome waren Kopfschmerzen mit 97 % das häufigste Symptom, in 92 % waren die Kopfschmerzen orthostatisch, eine typische Lokalisation ließ sich nicht identifizieren. Übelkeit (54 %), Meningismus (43 %), Schwindel (27 %), Tinnitus (20 %) oder Hörstörungen (28 %) waren die häufigsten Begleitsymptome. Bezüglich der kranialen MRT-Bildgebung zeigte sich eine durale Kontrastmittelanreicherung (73 %), subdurale Hygrome (35 %), „brain sagging“ (43 %), dilatierte Venen (57 %) und eine vergrößerte Hypophyse (38 %). Bei 19 % der Patienten war das MRT unauffällig. Bei der spinalen Bildgebung wurde in 48–76 % extradurale Flüssigkeit gefunden, eine Lokalisation des Liquorlecks war am häufigsten mit den (allerdings selten angewendeten und invasiven) Methoden der digitalen Subtraktionsmyelografie und MR-Myelografie mit Gadolinium möglich. Eine MRT der spinalen Achse fand in 46 % extradurale Flüssigkeit, davon mit ungefährer Lokalisation ca. 30 % und mit genauer Lokalisation < 5 %. 66 % der Lecks waren thorakal oder am zervikothorakalen Übergang lokalisiert. In der lumbalen Druckmessung zeigten 67 % der Patienten einen erniedrigten Eröffnungsdruck (< 6 cm H2O), 32 % einen Druck zwischen 6 und 20 cm H2O und 3 % einen Druck > 20 cm H2O. Therapeutisch war eine konservative Therapie (meist Bettruhe und Flüssigkeitszufuhr) in einem Drittel der Patienten zielführend. Ein erster epiduraler Blutpatch war bei 64 % erfolgreich, unabhängig davon, ob dieser gezielt bei bekannter Lokalisation oder ungezielt ausgeführt wurde. Hierbei waren großvolumige EBP (> 20 ml) effektiver als kleinvolumige. Interessanterweise kam es zu keinen schweren Komplikationen – sogar bei subarachnoidaler Fehlinjektion.


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Kommentar

Insgesamt legt diese Arbeit eine gute Zusammenfassung einer großen Anzahl von Publikationen und Patienten zum Thema SIH vor, wenn auch die Ergebnisse in den meisten Punkten nicht überraschend sind. Der orthostatische Kopfschmerz bleibt das klinische Leitsymptom mit über 90 %. Die apparative Diagnostik kann jedoch die Diagnose nicht immer bestätigen. Die kraniale MR-Diagnostik bleibt einem Drittel der Fälle ohne eindeutigen Hinweis auf eine SIH, ebenso die lumbale Liquordruckmessung, die überdies die Gefahr der klinischen Verschlechterung mit sich bringt [1]. Die Lokalisation des Liquorlecks ist schwierig, scheint aber in Bezug auf den Erfolg eines Blutpatchs nicht notwendig zu sein. Die Autoren schlagen bei typischer Klinik zunächst eine kraniale und spinale MRT-Bildgebung mit Kontrast vor, während die lokalisatorischen Verfahren auf Patienten beschränkt bleiben sollten, die auf die Standardtherapie (konservativ, ungezielter Blutpatch) nicht ansprechen. Bedauernswert ist die fehlende Berücksichtigung modernerer Alternativen wie bspw. Fibrinkleber [2]. Die Arbeit liefert außerdem keine Daten zur klinisch wichtigen Spezifität der Untersuchungen (z. B. wie wahrscheinlich ist ein SIH, wenn ein orthostatischer Kopfschmerz vorliegt?).

Cem Thunstedt, Ruth Ruscheweyh, München


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INFORMATION

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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

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Gute experimentelle oder klinische Studie

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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de

Sie wird dabei unterstützt von Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und Kopfschmerz), PD Dr. Gudrun Goßrau, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Clusterkopfschmerz).

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


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Publication History

Article published online:
04 May 2021

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