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DOI: 10.1055/a-1298-6508
Neuronale Korrelate unangenehmer somatosensorischer Stimulation bei Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung und Depression
- ZUSAMMENFASSUNG
- ABSTRACT
- Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ
- Depressive Störung
- Literatur
ZUSAMMENFASSUNG
Das Empfinden von unangenehmen Reizen, wie auch die Schmerzempfindung im engeren Sinne, wird nicht nur durch rein somatosensorische und nozizeptive Informationen, sondern ebenso durch affektive und kognitive Prozesse moduliert. Klinische Beobachtungen sowie wissenschaftliche Untersuchungen belegen eine veränderte Wahrnehmung der Schmerzempfindung bei psychischen Erkrankungen wie beispielsweise der emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (BPS) oder bei depressiven Störungen (MD). Die Untersuchung der verschiedenen Modalitäten der Schmerzverarbeitung, welche zu einem großen Teil mit der Verarbeitung unangenehmer Reize überlappt, ist mittels verschiedener Stimulationsparadigmen möglich. Für die Darstellung der zugrunde liegenden neurofunktionellen Mechanismen eignet sich die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT). Unter experimentellen Bedingungen kann der somatosensorisch-diskriminative Aspekt der Verarbeitung und Wahrnehmung von Schmerz und unangenehmen Reizen mit einem elektrischen Stimulationsparadigma operationalisiert werden. Die neuronalen Korrelate unangenehmer somatosensorischer Stimulation bei Patienten mit BPS und MD werden anhand eigener fMRT-Untersuchungen dargestellt und die veränderte Schmerzverarbeitung der beiden klinischen Gruppen erörtert.
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ABSTRACT
The sensation of unpleasant stimulation and pain is not only modulated by somatosensory and nociceptive information, but also by affective and cognitive processes. Clinical observations and previous studies suggested alterations in pain perception in psychiatric diseases such as Borderline Personality Disorder (BPD) or major depression (MD). Different modalities of pain processing, which largely overlap with the processing of unpleasant stimulation, can be assessed by different stimulation paradigms. Functional magnetic resonance imaging (fMRI) is suitable for the investigation of the underlying neurofunctional mechanisms. Under experimental conditions, the somatosensory discriminative aspect of processing and perception of pain and unpleasantness can be operationalized with an electrical stimulation paradigm. We investigated neuronal correlates of unpleasant somatosensory stimulation in patients with BPD and MD by fMRI and alterations in pain processing are discussed.
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Nach der Weltschmerzorganisation (IASP; International Association for the Study of Pain) ist Schmerz definiert als „ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis“, das mit einer „tatsächlichen oder drohenden Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen beschrieben wird“ [1]. Operationalisiert man demnach Schmerz als unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, so wird berücksichtigt, dass die Schmerzwahrnehmung nicht nur durch rein somatosensorische und nozizeptive Informationen, sondern ebenso durch affektive und kognitive Prozesse moduliert wird [2]. Klinische Beobachtungen sowie wissenschaftliche Untersuchungen weisen auf eine veränderte Schmerzwahrnehmung bei verschiedenen psychischen Erkrankungen wie der emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (BPS) [3]–[7] oder bei depressiven Störungen [8]–[13] hin. So war in Studien beispielsweise eine verminderte Schmerzempfindlichkeit [8], [10], [11], [13] und eine erhöhte Schmerzschwelle [9], [12] bei Patienten mit schwerer depressiver Episode (MD, major depression) zu beobachten. Patienten mit BPS berichten wiederum im Zusammenhang mit nicht suizidal selbstverletzendem Verhalten (NSSV) häufig von einer Hypalgesie [14]. Die zugrunde liegenden neurobiologischen Mechanismen des im Vergleich zu Gesunden veränderten Schmerzerlebens bei Patienten mit MD und BPS sind nur teilweise verstanden.
Um neurofunktionelle Prozesse der im Zusammenhang von Sinnes- und Gefühlserleben wie der Schmerzverarbeitung zu untersuchen, eignen sich funktionell bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT), welche die Darstellung der beteiligten neuronalen Strukturen ermöglichen. In diesem Zusammenhang wurde ein zunächst als „Schmerzmatrix“ [15], [16] bezeichnetes Netzwerk mit einer erhöhten neuronalen Aktivierung innerhalb der vorderen und hinteren Inselregion, des somatosensorischen Kortex, des Thalamus und des anterioren zingulären Kortex (ACC) bei der Applikation physischer Schmerzreize identifiziert. Während man anfänglich von einer schmerzspezifischen Aktivierung dieser Regionen ausging, zeigen neuere funktionell bildgebende Untersuchungen, dass dieses neuronale Netzwerk nicht nur rein nozizeptive, somatosensorische Verarbeitung abbildet, sondern verschiedene Modalitäten somatosensorischer Reize repräsentiert. So stehen neuronale Aktivierungen im primär und sekundär somatosensorischen Kortex (SI, SII), im Thalamus sowie in der hinteren Inselregion mit den sensorisch-diskriminativen Aspekten somatosensorischer Reize (z. B. Stimuluslokalisation, -dauer und -intensität) in Zusammenhang, während erhöhte Aktivierungen im ACC und in der vorderen Inselregion affektive, motivationale Aspekte neuronaler Verarbeitung somatosensorischer Reize repräsentieren [17], [18]. Neuronale Aktivierungen im präfrontalen Kortex (PFC), im dorsalen anterioren und midzingulären Kortex werden hingegen mit der kognitiven Bewertung von physischer Reize assoziiert [19]–[21]. Die Untersuchung der Modalitäten der somatosensorischer Reizverarbeitung ist mittels verschiedener Stimulationsparadigmen möglich.
Zur Untersuchung somatosensorisch-diskriminativer Aspekte der Reizverarbeitung verwendeten wir eine Stimulationsmethode mit der sensorische Stimuli mit unangenehmem bis hin zu schmerzhaftem Charakter mittels elektrischer Stimulation an der Hautoberfläche appliziert werden ([ Abb. 1 ]) [7], [22]–[26]. Mittels fMRT lassen sich während der Stimulation mit unterschiedlichen, ansteigenden Stimulusintensitäten neurofunktionelle Korrelate der somatosensorischen Verarbeitung darstellen. Während der fMRT wird über ein elektrisches Stimulationsgerät ein nachweislich unangenehmer (jedoch nicht schmerzhafter) und in 4 parametrisch ansteigenden Intensitätsstufen skalierbarer somatosensorischer Reiz über die dorsale Seite der linken, nicht dominanten Hand appliziert. Ein Stimulus besteht aus einer Folge von 4 elektrischen Rechteckimpulsen mit einer Dauer von je 1 ms (100 Hz). Die experimentellen Stimuli entsprechen den Richtlinien für experimentelle Schmerzen (nicht invasiv, keine Gewebeschädigung, Vermeidung von Bewegung, ethisch akzeptabel, reproduzierbar und physiologisch relevant) [27]. Die subjektiv empfundene Stimulationsintensität wird durch einen Knopfdruck auf einer 4-Felder-Tafel mit der rechten Hand durch die Studienteilnehmer angegeben. Um für Erwartungs- und Aufmerksamkeitseffekte zu kontrollieren, wird etwa 1,5 s vor elektrischer Stimulation ein Signalton präsentiert.
Die elektrische Stimulation zur Applikation sensorisch unangenehm empfundener Reize und zur Untersuchung neurofunktioneller Repräsentationen der somatosensorisch-diskriminativen Komponente unangenehmer physischer Reize, wie sie auch Schmerzreize darstellen, erwies sich in einer fMRT-Untersuchung an gesunden Probanden als geeignet und reliabel. So waren neurofunktionelle Aktivierungen im primären und sekundären somatosensorischen Kortex und der hinteren Inselregion während der elektrischen Stimulation beobachtet worden [22]. Darüber hinaus zeigte sich eine mit ansteigender Reizintensität auch eine ansteigende neurofunktionelle Aktivierung [22]. Das Stimulationsparadigma sollte nun dazu dienen, möglichst störungsspezifische Unterschiede in neurofunktionellen Signaturen somatosensorisch-diskriminativer Reizverarbeitung bei Patienten mit psychischen Erkrankungen und insbesondere bei Patienten mit BPS und MD näher aufzuklären. Anhand der Darstellung eigener fMRT-Ergebnisse ist es das Ziel des Artikels, die Schmerzverarbeitung bei Patienten mit BPS und MD zu vermitteln. Betrachtet man Schmerz als Risikofaktor für mehrere psychische Erkrankungen [28], [29] und Störungen der Schmerzverarbeitung als ein diagnosenübergreifendes Symptom, so ist die Untersuchung neurofunktioneller Repräsentationen der Schmerzverarbeitung nicht nur von grundlagenwissenschaftlichem, sondern ebenso von klinischem Interesse.
Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ
Die BPS ist eine häufige Cluster-B-Persönlichkeitsstörung, die klinisch durch emotionale Instabilität, Störung des Sozialverhaltens und dysfunktionales Verhalten wie nicht suizidales selbstverletzendes Verhalten (NSSV) charakterisiert ist [30]. Häufig verletzen sich Betroffene dabei selbst durch Schnittwunden oder Verbrennungen. NSSV dient den Betroffenen dabei überwiegend der Affektregulation, mit dem eine aversiv erlebte innere Spannung reduziert werden kann [31]–[33]. Während des NSSVs berichten Patienten mit BPS wiederum häufig von einer Hypo- oder Analgesie [14]. Andererseits klagen Patienten mit BPS vermehrt über chronische und beeinträchtigende Schmerzen [34]. Eine im Vergleich zu Gesunden veränderte Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung konnte entsprechend in mehreren Studien bei Patienten mit BPS beobachtet werden [4]–[6], [35]–[37].
In diesem Sinne zeigten mehrere Studien, welche mittels Hitze- und Kältereizen oder elektrischer Stimulation die Schmerzverarbeitung untersuchten, eine verminderte Schmerzempfindlichkeit bei Patienten mit BPS [3]–[7]. Bildgebende Untersuchungen konnten die bei Patienten mit BPS veränderte Schmerzwahrnehmung mit einer erhöhten neurofunktionellen Aktivierung im dorsolateralen präfrontalen Kortex (dlPFC) sowie einer verminderten neuronalen Aktivierung im vorderen ACC und in limbischen Regionen wie der Amygdala [4], [35], [36] in Verbindung bringen. Dieses im Vergleich zu Gesunden verändertes Aktivierungsmuster wurde als neurofunktionelles Korrelat eines antinozizeptiven Mechanismus interpretiert, in dem offenbar bei Patienten mit BPS insbesondere emotionale neurofunktionelle Komponenten der Schmerzverarbeitung durch eine verstärkte Top-Down-Regulation herunterreguliert werden. Ausgehend von der Vermutung einer veränderten affektiven Schmerzbewertung, konzentrierten sich nachfolgende Studien vor allem auf die Interaktion von Schmerz und Affektregulation [36], sozialem Ausschluss [38] sowie auf zugrunde liegende Veränderungen der funktionellen Konnektivität bei BPS [39], [40]. So konnte bspw. eine Studie bei Patienten mit BPS während des Schmerzempfindens durch Hitzereize eine verminderte funktionelle Konnektivität zwischen dem posteriorer zingulären Kortex (PCC) und dem dlPFC beobachten, die möglicherweise als neurofunktionelles Korrelat dafür anzusehen ist, dass die Betroffenen den Schmerz als weniger aversiv bewerten [39].
Die neurofunktionellen Repräsentationen rein somatosensorischer Aspekte von Schmerzwahrnehmung (z. B. Stimuluslokalisation, -dauer und -intensität) sind bei Patienten mit BPS jedoch kaum im Detail untersucht worden. Eine störungsspezifische Veränderung neurofunktionellen Korrelate insbesondere während der Wahrnehmung verschiedener Schmerzintensitäten war jedoch angesichts der reduzierten allgemeinen Schmerzempfindlichkeit bei Patienten mit BPS [3], [5], [6] und anhand des klinischen Eindrucks einer Hypalgesie im Zusammenhang mit selbstverletzendem Verhalten eine naheliegende Hypothese. In einer Studie [7] untersuchten wir 10 Patienten mit BPS im Vergleich zu Gesunden mit ansteigenden Reizintensitäten. Auf der Verhaltensebene zeigte sich kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der subjektiven Einschätzung und der Diskriminationsfähigkeit der verschiedenen Intensitätsstufen zwischen Patienten mit BPS und gesunden Kontrollen. Zur Untersuchung der zugrunde liegenden neurofunktionellen Korrelate wurde das genannte Paradigma im nächsten Schritt während der fMRT bei 15 Patienten mit BPS und gesunden Probanden angewandt [23]. Während der Applikation elektrischer, unangenehmer Reize mit stufenweiser ansteigender Intensität konnten Patienten mit BPS und gesunde Kontrollprobanden die Intensitätsstufe der jeweiligen Stimuli wiederum vergleichbar gut einschätzen. Bei Patienten mit BPS waren jedoch etwas höhere Stimulusintensitäten erforderlich, damit diese als vergleichbar unangenehm empfunden worden waren. Übereinstimmend zu der im Vergleich zu Gesunden unveränderten Wahrnehmung unterschiedlicher Schmerzintensitäten, zeigte sich auch während der fMRT-Untersuchung eine neurofunktionelle Aktivierung im SI, SII, in der hinteren und mittleren Inselregion sowie im midzingulären Kortex, die in Abhängigkeit von der jeweiligen Stimulusintensität sowohl bei Patienten mit BPS und Gesunden zunahm. Unterschiede in den neurofunktionellen Aktivierungen zwischen den Gruppen (BPS und Gesunde) waren jedoch nicht zu beobachten ([ Abb. 2 ]). Zusammenfassend kann daher angenommen werden, dass sich die sensorisch-diskriminative Komponente der Schmerzwahrnehmung weder auf der Verhaltensebene noch hinsichtlich der neurofunktionellen Repräsentation bei Patienten mit BPS im Vergleich zu Gesunden unterscheidet [23]. Diese Ergebnisse stützen die Annahme, dass die im Vergleich zu Gesunden veränderte Schmerzwahrnehmung bei Patienten mit BPS überwiegend aus einer veränderten emotionalen, kognitiven Bewertung resultiert. Sensorisch-diskriminative Vorgänge und korrespondierende neurofunktionelle Repräsentationen der Schmerzwahrnehmung unterscheiden sich bei Patienten mit BPS hingegen nicht von denen bei Gesunden. Übereinstimmend hierzu zeigte sich in einer Untersuchung [7], dass bei Gesunden mit ansteigender Reizintensität an unangenehmen sensorischen Stimuli auch ein ansteigendes Erregungsniveau und innere Anspannung einherging, während dieser Anstieg emotionaler Aspekte bei Patienten mit BPS nicht zu beobachten war. Weiter konnte die Arbeitsgruppe von Schmahl et al. [41] zeigen, dass Stress ein starker Modulator des Schmerzempfindens bei der BPS darstellt und dazu führt, dass Patienten mit BPS eine Hyp- oder Analgesie trotz Induktion von Schmerzstimuli hoher Intensitäten (z. B. während NSSV durch Schneiden) verspüren, wogegen die sensorisch-diskriminativen Aspekte der Schmerzverarbeitung unbeeinträchtigt bleiben.
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Depressive Störung
Klinische Beobachtungen und zahlreiche Untersuchungen lassen einen Zusammenhang zwischen dem Empfinden von Schmerzen und depressiven Störungen vermuten. Patienten mit MD klagen häufig über multiple Schmerzen [42] und es zeigte sich umgekehrt eine erhöhte Prävalenz an depressiven Störungen bei Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen [43]. Das Interesse an der grundlagenwissenschaftlichen Aufklärung der Schmerzverarbeitung bei MD nahm demnach in den letzten Jahren deutlich zu [9]–[11], [44]–[47]. Neuere Studien zu grundlegenden Mechanismen der Wahrnehmung von Schmerz oder von unangenehmen Reizen [9]–[11], [44]–[48] zeigen wiederum, dass Patienten mit MD im Vergleich zu Gesunden häufig eine verminderte physische Schmerzempfindlichkeit aufweisen [8], [10], [11], [13]. So wurden erhöhte Reizschwellen bei schmerzhaften bzw. unangenehmen Stimuli beobachtet, wenn Druck, thermische oder elektrische Reize auf die Haut ausgeübt wurden [9], [12]. Die Wahrnehmung von Kälte und Wärme unterschied sich wiederum bei Patienten mit MD nicht von der bei Gesunden [49]. Möglicherweise spielen veränderte Abläufe bei entzündlichen Prozessen und Veränderungen in der Regulation der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinde-Achse (HPA) bei der Interaktion zwischen Schmerz und Depression eine Rolle [50], [51]. So beobachteten Untersuchungen am Tiermodell bei chronischem Stress eine erhöhte Zytokinkonzentration in den Raphe-Kernen, im Thalamus, Hippocampus, im präfrontalen Kortex und in der Hypophyse und ein depressives Verhalten der Tiere sowie eine Hyperalgesie [50], [51].
Bislang stehen nur wenige bildgebende Untersuchungen zur Verfügung, die neurofunktionelle Repräsentationen der Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung unangenehmer somatosensorischer Stimuli bei Patienten mit MD untersuchten, und diese zeigten zudem uneinheitliche Befunde: Eine fMRT-Studie zu neuronalen Aktivierungen während eines leicht schmerzhaften 45°C-Wärmereizes bei erwachsenen Patienten mit MD zeigte eine erhöhte Schmerzschwelle sowie eine relative Überaktivierung im präfrontalen Kortex während der Schmerzapplikation im Vergleich zu Gesunden [44]. Strigo et al. beobachteten eine erhöhte neurofunktionelle Aktivierung in der vorderen Inselregion, in der rechten Amygdala und im hinteren ACC während der Erwartung schmerzhafter Wärmereize bei jungen Erwachsenen mit depressiver Episode als mögliche neurofunktionelle Repräsentation von Angst bzw. einer erhöhten affektiven Beteiligung vor dem Erleben des Reizes bei MD [45], [46]. Im Gegensatz hierzu waren wiederum neurofunktionelle Aktivierungen im vorderen ACC und im präfrontalen Kortex während des Schmerzerlebens vermindert [46]. Der dorsale ACC und die Inselregion sind als Teil des Salienz-Netzwerkes für die neurofunktionelle Verarbeitung auffallender, herausragender Stimuli verantwortlich. Übereinstimmend hierzu zeigten weitere Untersuchungen bei Patienten mit MD ebenfalls eine veränderte neuronale Reaktion im dorsalen ACC und in der Inselregion während negativer, nicht notwendigerweise schmerzhafter Stimuli, und damit in Regionen des Salienz-Netzwerks [52], [53]. Die bei Patienten mit MD beobachtete veränderte Schmerzverarbeitung könnte demnach auch mit einer erhöhten neurofunktionellen Aktivierung im Salienz-Netzwerk zusammenhängen.
Basierend auf diesen Ergebnissen einer veränderten neurofunktionellen Verarbeitung von schmerzhaften Reizen bei Patienten mit MD untersuchten wir, ob Veränderungen innerhalb des neuronalen Netzwerks, das die neurofunktionelle Verarbeitung unangenehmer sensorischer Reize repräsentiert, auch bei nicht schmerzhafter sensorischer Stimulation beobachtbar sind. Um diese Annahmen näher aufzuklären, untersuchten wir 22 Patienten mit MD im Vergleich zu 25 Gesunden mit fMRT während der Stimulation mit parametrisch ansteigenden und zunehmend unangenehmen elektrischen Stimuli [25]. Dabei zeigte sich bei Patienten mit MD im Vergleich zu Gesunden eine nahezu aufgehobene Modulation neurofunktioneller Aktivierungen, unabhängig von der zunehmenden Intensität an unangenehmen elektrischen Reizen ([ Abb. 2 ]). Diese ausbleibende Modulation neurofunktioneller Aktivierungen zeigte sich dabei in Gehirnarealen, die sowohl an der somatosensorischen als auch an der affektiven Verarbeitung von physischem Schmerz, unangenehmen sensorischen Reizen und salienten Stimuli beteiligt sind. Weiterhin bemerkenswert ist jedoch, dass Patienten mit MD subjektiv die verschiedenen, zunehmenden Intensitäten an unangenehmen Stimuli auch als zunehmend intensiv und unangenehm diskriminieren konnten, während korrespondieren neurofunktionelle Aktivierungen diesen parametrischen Anstieg nicht widerspiegelten. Darüber hinaus waren bei Patienten mit MD bereits vergleichsweise niedrige Intensitäten an unangenehmen elektrischen Reizen ausreichend, um ein zu Gesunden vergleichbares subjektives Empfinden des unangenehmen Reizes sowie eine vergleichbar hohe neurofunktionelle Aktivierung zu provozieren. Die Ergebnisse dieser Studie deuten demnach auf eine deutlich abweichende neurofunktionelle Repräsentation unangenehmer sensorischer Empfindungen bei der MD hin, die möglicherweise durch eine verstärkte Wahrnehmung negativer Stimuli, aber auch durch eine verminderte Aktivierung und Modulation neurofunktioneller Korrelate somatosensorisch-diskriminativer Reize erklärt werden kann. Möglicherweise kann dieser Befund zur Erklärung der bei depressiven Patienten beobachteten veränderten Schmerzwahrnehmung beitragen.
Das Empfinden von unangenehmen Reizen wird, wie auch die Schmerzempfindung im engeren Sinne, sowohl durch rein somatosensorisch-diskriminative, aber auch durch emotionale und kognitive Komponenten moduliert. Wenngleich die Aufklärung der neurofunktionellen Repräsentationen dieser Komponenten im Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen stand, so waren mögliche Veränderungen dieser neurofunktionellen Signaturen bei Patienten mit psychischen Störungen noch weitestgehend ungeklärt. Die Aufklärung neurofunktioneller Mechanismen der Wahrnehmung sensorisch unangenehmer Reize bei psychischen Störungen ist dabei nicht nur von grundlagenwissenschaftlichem Interesse, sondern insbesondere motiviert durch die klinische Beobachtung einer im Vergleich zu Gesunden veränderten Schmerzwahrnehmung. So berichten beispielsweise Patienten mit BPS von einer An- oder Hypalgesie während nicht suizidalem selbstverletzendem Verhalten, und Patienten mit BPS und MD vermehrt von chronischen Schmerzen. Bislang konzentrierten sich neurowissenschaftliche Untersuchungen vorwiegend auf affektive oder kognitive Aspekte der Schmerzverarbeitung bei Patienten mit BPS und MD. Mit fMRT untersuchten wir ein Kollektiv an Patienten mit BPS sowie Patienten mit MD im Vergleich zu Gesunden und fokussierten auf somatosensorisch-diskriminative Aspekte der Schmerzwahrnehmung und die zugrunde liegenden neurofunktionellen Mechanismen.
Während parametrisch ansteigender, elektrischer Stimulation zur Untersuchung der sensorisch-diskriminativen Komponente unangenehmer Reize zeigte sich bei Patienten mit BPS im Vergleich zu Gesunden keine Beeinträchtigung hinsichtlich der subjektiven Diskrimination der verschiedenen, ansteigenden Intensitäten unangenehmer sensorischer Reize. Übereinstimmend hierzu zeigte sich sowohl bei Patienten mit BPS als auch bei Gesunden ein parametrischer Anstieg an neurofunktionellen Aktivierungen, die mit somatosensorisch-diskriminativen Aspekten der Schmerzverarbeitung assoziiert sind. Demnach kann davon ausgegangen werden, dass die veränderte Schmerzwahrnehmung akuter Schmerzen im Rahmen von Selbstverletzungen bei Patienten mit BPS in einer veränderten kognitiven, emotionalen Bewertung begründet ist, und unsere Ergebnisse unterstützen damit die Befunde früherer Untersuchungen. Bei Patienten mit MD konnte im Vergleich zu Gesunden hingegen eine fehlende Modulation neurofunktioneller sensorisch-diskriminativer Komponenten beobachtet werden, die sich mit parametrisch ansteigender Stimulusintensität nicht erhöhten. Auf der Verhaltensebene zeigte sich wiederum eine im Vergleich zu Gesunden unbeeinträchtigte subjektive Bewertung der Stimulusintensitäten. Berücksichtigt man die bei Patienten mit MD fehlende neurofunktionelle Modulation in zerebralen Regionen, die sowohl an der somatosensorischen Schmerzverarbeitung, als auch an der Verarbeitung salienter Stimuli beteiligt ist, so kann dies dahingehend interpretiert werden, dass bei depressiven Störungen eine veränderte subjektive Wahrnehmung unangenehmer Reize, zu denen auch Schmerzen gehören, mit einer verstärkten Wahrnehmung negativer Stimuli, aber auch mit einer veränderten sensorisch-diskriminativen Komponente erklärt werden kann.
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Interessenkonflikt
Erklärung zu finanziellen Interessen
Forschungsförderung erhalten: nein; Honorar/geldwerten Vorteil für Referententätigkeit erhalten: nein; Bezahlter Berater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger: nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma (Nicht-Sponsor der Veranstaltung): nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma (Sponsor der Veranstaltung): nein.
Erklärung zu nicht finanziellen Interessen
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
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04. Februar 2021
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