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DOI: 10.1055/a-1327-8132
Haben medizinische Kompressionsstrümpfe im Liegen einen hämodynamischen Effekt?
Do medical compression stockings have a hemodynamic effect in supine position?Zusammenfassung
Medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS) bilden die Grundlage in der Therapie chronischer Venenerkrankungen. Aufgrund mangelnder Studiendaten über deren Auswirkung auf die Hämodynamik im Liegen kann für ihr Tragen in horizontaler Körperlage bisher jedoch keine klare Empfehlung gegeben werden. In folgender Kasuistik wurde der hämodynamische Effekt von MKS der Klasse 1 bei einer Patientin mit venentypischen Beschwerden im Stadium C4 über die Erhebung des veno-arteriellen Flow-Index (VAFI) quantitativ untersucht. Unter Kompression mit MKS zeigten sowohl die duplexsonografischen als auch die mittels Phasenkontrast-MRT akquirierten Messdaten eine deutliche Verbesserung der hämodynamischen Verhältnisse in Rückenlage. Dieser Krankheitsfall zeigt, dass das Tragen von MKS im Liegen insbesondere bei Immobilität einen therapeutischen Mehrwert bringen kann.
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Abstract
Medical compression stockings (MCS) form the basis in the therapy of chronic venous diseases. However, there is a lack of study data on their effect on hemodynamics in supine position. In the following case study, the hemodynamic effect of class 1 MCS was quantitatively investigated in a patient with typical venous disorders in stage C4 by measuring the veno-arterial flow index (VAFI). Under compression with MCS, both the duplex sonographic and phase-contrast MRI data showed a significant improvement in the hemodynamic conditions in supine position. This case shows that wearing MCS when lying down can provide added therapeutic value, especially in cases of immobility.
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Schlüsselwörter
medizinische Kompressionsstrümpfe - chronische Venenerkrankungen - Hämodynamik - veno-arterieller Flow-Index (VAFI)Key words
medical compression stockings - chronic venous diseases - hemodynamic - veno-arterial flow index (VAFI)Einleitung
Chronische Venenerkrankungen zählen zu den häufigsten Krankheitsbildern der durchschnittlichen Erwachsenenbevölkerung weltweit, führend ist hierbei die Varikose [1] [2] [3] [4]. Die Auswirkung der Varikose auf die Hämodynamik ist sehr variabel, weshalb der quantitativen Erfassung der Schwere einer venösen Erkrankung eine besondere Bedeutung zukommt. Dazu eignet sich die Erhebung des veno-arteriellen Flow-Index (VAFI) [5] [6] [7] [8] [9]. Als Basistherapie chronischer Venenerkrankungen wie der Varikose gilt die Versorgung mit medizinischen Kompressionsstrümpfen (MKS). Ihr Einfluss auf den VAFI und ihre Wirkung in horizontaler Körperposition sind bisher jedoch nicht ausreichend untersucht. Im Folgenden berichten wir von einer Patientin mit Varizen, bei der wir im Liegen den Einfluss von MKS der Kompressionsklasse 1 auf die Hämodynamik der betroffenen Extremität zunächst duplexsonografisch und anschließend mit Phasenkontrast-MRT über die Erhebung des VAFI quantitativ untersucht haben.
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Kasuistik
Anamnese
Eine 57-jährige Patientin, Body-Mass-Index 25,9 kg/m2, stellte sich in der phlebologischen Sprechstunde unserer Hautklinik vor. Die Patientin berichtete von einem Venenleiden in der linken unteren Extremität, das vor etwa 25 Jahren nach der Geburt ihres zweiten Kindes begonnen hatte. Anfänglich zeigten sich dezent erweiterte oberflächliche Venen an der linken medialen Unterschenkelrückseite, die neben einer kosmetischen Beeinträchtigung zunächst keine weiteren Symptome verursachten. Im Verlauf entwickelten sich jedoch Schmerzen und Spannungsgefühl im beschriebenen Bereich, ein Schweregefühl im gesamten linken Unterschenkel sowie reversible Knöchelödeme. Diese Symptome seien in den warmen Jahreszeiten besonders ausgeprägt und führten nach etwa 10 Jahren Beschwerdeprogredienz zu einer Vorstellung in einer dermatologischen Praxis. Die Patientin wurde in diesem Zusammenhang mit MKS der Kompressionsklasse 2 versorgt, die sie seither konsequent trug. Die Kompression verschaffte der Patientin eine deutliche Linderung ihrer Symptome. Zusätzlich berichtete die Patientin von einer Varikophlebitis, die unter konservativer Therapie mittels Zinkleimverbands ausheilte. Eine invasive Versorgung des Venenleidens fand bisher nicht statt. Bei positiver Familienanamnese hinsichtlich chronisch-venöser Insuffizienz bestanden keine Begleiterkrankungen. Die deutliche Symptomlinderung durch das Tragen der MKS führte die Patientin im Rahmen des Anamnesegesprächs zur Frage nach der Wirkung der Kompression auf die Durchblutung des Beins. Die Patientin berichtete, dass das Nachgehen ihres vorwiegend stehenden Berufs mittlerweile nur noch mithilfe der MKS möglich sei. Da die Beschwerden innerhalb weniger Minuten auftreten, sobald die Strümpfe im Stehen nicht getragen werden, stelle sie sich die Frage nach einem zusätzlichen therapeutischen Nutzen der MKS im Liegen. Aufgrund mangelnder Studiendaten über die Wirkung von MKS auf die venöse Hämodynamik im Liegen konnten wir dafür vorerst keine Empfehlung geben. Dieser bisher ungeklärte Aspekt führte jedoch zu den folgenden Messungen im Rahmen der apparativen Untersuchung der Patientin. Die Patientin gab ihre Zustimmung zur Darstellung ihres Krankheitsfalls in Form dieser Kasuistik.
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Aufnahmebefund
Die 57-jährige, präadipöse Patientin zeigte sich in einem guten Allgemeinzustand und zu allen Qualitäten vollständig orientiert. Eine orientierende internistisch-neurologische Untersuchung ergab keine Auffälligkeiten. An der linken unteren Extremität waren mit Corona phlebectatica paraplantaris und diskretem Phlebödem Zeichen einer CVI sichtbar. Es bestanden keine trophischen Störungen und ein unauffälliger Pulsstatus des linken Beins. Dorsomedial des linken Unterschenkels imponierte eine Seitenastvarikose ([Abb. 1]). Die Patientin wurde C4a, EP, AP, PR klassifiziert.


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Apparative Befunde
Duplexsonografie
In der duplexsonografischen Untersuchung zeigte sich eine Stammvarikosis der Vena saphena parva links mit Seitenastvarikosis bei suffizienten hämodynamischen Verhältnissen in der Vena saphena magna links. Kein Anhalt für eine erneute Seitenastvarikophlebitis oder ein phlebothrombotisches Geschehen. Die tiefen Venen präsentierten sich frei. Um die hämodynamische Schwere des Venenleidens bei der Patientin quantitativ zu erfassen, erhoben wir in Rückenlage den VAFI am linken Bein ohne Kompression. Die Messungen ergaben in der Vena femoralis communis ein venöses Stromzeitvolumen (VSV) von 511,9 ml/min ([Abb. 2]) und in der Arteria femoralis communis ein arterielles Stromzeitvolumen (ASV) von 374,2 ml/min ([Abb. 3]).




Der daraus errechnete VAFI von 1,37 bestätigte den Verdacht auf eine hämodynamisch relevante venöse Insuffizienz im linken Bein. Aufgrund der aufgekommenen Fragestellung nach einem positiven Nutzen von MKS auf die Hämodynamik in Rückenlage folgte mit Einverständnis der Patientin eine zusätzliche Messung unter Kompression. Nach passiver Versorgung mit einem MKS der Klasse 1 wurden das ASV und VSV erneut erhoben. Es zeigte sich unter Kompression eine Reduktion des VSV auf 304,8 ml/min ([Abb. 4]) und ein Anstieg des ASV auf 396,8 ml/min ([Abb. 5]). Der daraus errechnete VAFI betrug unter Kompression 0,77.




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Phasenkontrast-MRT
Um das duplexsonografische Ergebnis der Kompression auf den VAFI mit einem weiteren Messverfahren zu überprüfen, willigte die Patientin in quantitative Flussmessungen mit einem 1,5T-Ganzkörper-MRT (Achieva; Philips Medicals Systems, Best, Niederlande) ein. Mittels Phasenkontrast-Angiografie (PCA) wurden dabei in Rückenlage und Ruheatmung die arteriellen und venösen Strömungsgeschwindigkeiten in der Arteria und Vena femoralis communis in transversalen Sequenzen orthogonal erfasst. Die Ermittlung der Volumenströme erfolgte venös über 40 Sekunden und arteriell über 3 Herzzyklen. Die arteriellen Flussvolumina wurde zudem retrospektiv elektrokardiografisch-getriggert erfasst. Durch händisch gesetzte interessierende Bereiche (engl.: region of interest, kurz ROI) wurde jeweils das gesamte Gefäßvolumen umfasst, ein Zeit-Intensitäts-Diagramm (TID) erstellt und folgend ein Stromzeitvolumen (ml/s) errechnet. Analog zur Messung mittels Duplexsonografie wurden die beschriebenen Parameter zunächst ohne Kompression erhoben. Die venöse Messung ergab ein Stromzeitvolumen von 8,49 ml/s (= 509,4 ml/min) ([Abb. 6]), während arteriell 5,82 ml/s (= 349,2 ml/min) ([Abb. 7]) erfasst wurden.




Daraus ergab sich ein VAFI von 1,46. In der anschließenden Untersuchung unter Kompression betrug das VSV 5,49 ml/s (= 329,4 ml/min) ([Abb. 8]) und das ASV 5,65 ml/s (= 339 ml/min) ([Abb. 9]). Der VAFI sank durch die Kompression auf 0,97.




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Diskussion
Das bildgebende Verfahren der ersten Wahl in der Diagnostik von chronischen Venenerkrankungen ist die Duplexsonografie, die neben einer Darstellung der anatomischen Strukturen zusätzlich quantitative Flussmessungen ermöglicht [10] [11] [12] [13]. Dafür existieren unterschiedliche Verfahren und Parameter, die zur Wahl und Kontrolle geeigneter Therapieverfahren herangezogen werden können [14] [15] – so auch der VAFI. Der VAFI basiert auf dem Quotienten aus den Stromzeitvolumina in der Arteria (ASV) und Vena femoralis communis (VSV) [16]. Seine Erhebung prüft nicht nur das Vorliegen einer relevanter Varikose, sondern ermöglicht zudem eine quantitative Beurteilung ihrer Schwere [5] [6] [17].
Während ein VAFI von ≥ 1,2 mit einer hämodynamisch relevanten venösen Drainagestörung assoziiert ist, gelten Patienten mit Indizes von ≤ 1,1 als venengesund [5] [6] [7] [17]. Eine signifikante Reduktion des VAFI konnte bereits durch apparative intermittierende Kompression (AIK) [8] und invasive Therapieverfahren [9] [17] [18] beobachtet werden. Im Rahmen des Anamnesegesprächs entwickelte sich die Frage, ob das Tragen von MKS im Liegen ebenfalls einen quantitativ messbaren Effekt auf das VSV, ASV und damit den VAFI ausübt. Die Evidenz ihrer Wirkung und ihr positiver Effekt auf die Hämodynamik varikös veränderter Extremitäten wurde in diversen Arbeiten zweifelsfrei nachgewiesen [19] [20] [21] [22] [23], aussagekräftige Daten zum Einfluss in Rückenlage fehlen jedoch.
Es ist zu überlegen, ob die chronisch-venöse Insuffizienz nur als Pathologie des Stehens verstanden werden kann und damit bereits die Erfassung der Krankheitsschwere in horizontaler Position nicht sinnvoll erscheint. Frühere Arbeiten zeigen jedoch, dass die Erhebung des VAFI in Rückenlage zuverlässige und valide Daten liefert, um die hämodynamische Ausprägung einer venösen Insuffizienz zu quantifizieren [5] [7] [24]. Obwohl man annehmen kann, dass der venöse Reflux bei Patienten mit Varikosis nach Einnehmen der Rückenlage verdämmert und sich ein Steady State zwischen Zu- und Abfluss einer Extremität einstellt, sprechen die Erkenntnisse dieser Studien dafür, dass die hämodynamischen Auswirkungen einer chronisch-venösen Insuffizienz nicht nur im Stehen, sondern auch im Liegen auftreten. In 2 Arbeiten konnte gezeigt werden, dass der VAFI innerhalb eines Zeitraums von 40 Minuten mit 10-minütigem Messintervall nachweisbar stabil und bei venenerkrankten Patienten pathologisch bleibt [5] [25]. Die Gesamtmessdauer unserer Patientin im MRT lag innerhalb dieses Zeitraums, sodass wir davon ausgehen, dass unsere Messwerte die hämodynamische Wirkung von MKS der KKL1 im Liegen widerspiegeln.
Um darüber hinaus den hämodynamischen Einfluss von MKS sicher in Rückenlage zu erfassen, erfolgte nach Abschluss der Lagerung und Vorbereitung der Probandin auf der Untersuchungsliege bzw. dem MRT-Untersuchungstisch jeweils eine 5-minütige Pause, bevor die Messungen starteten. Eine frühere Studie konnte zeigen, dass der VAFI nach 4-minütiger Liegezeit im weiteren Verlauf stabil bleibt und somit den hämodynamischen Status in Rückenlage zuverlässig widerspiegelt [9]. Nach den Messungen der Stromzeitvolumina ohne Kompression erfolgte die passive Versorgung mit einem MKS. Dabei wurde darauf geachtet, den Winkel der Beinhebung und damit die gravitationsbedingte venöse Drainage so gering wie möglich zu halten. Um eine potenzielle Verfälschung der Messdaten nach diesem Prozedere dennoch auszuschließen, erfolgte auch nach Anlegen des MKS eine 5-minütige Messpause mit horizontaler Beinposition, bis die Untersuchung unter Kompression erneut startete. Die Gesamtmessdauer unserer Patientin im MRT lag innerhalb dieses Zeitraums.
Unkomprimiert bescheinigte der duplexsonografisch erhobene VAFI von 1,37 der Patientin demnach eine venöse Insuffizienz im linken Bein. Die Kompression mittels MKS führte anschließend zu einer Reduktion des VAFI auf 0,77 und damit zu einem Index, der üblicherweise bei suffizientem Venenstatus zu finden ist. Zu den Nachteilen der Duplexsonografie gehört jedoch eine potenzielle Untersucherabhängigkeit, die die Messgenauigkeit beeinträchtigen kann [26]. Zur Überprüfung unserer duplexsonografischen Daten wählten wir daher die nichtinvasive Phasenkontrast-MRT. Diese Methode wird derzeit vorwiegend zur Untersuchung von kardio- oder zerebrovaskulären Erkrankungen genutzt [27] [28] [29], um Fluss, Geschwindigkeit und Druckverhältnisse zu quantifizieren [30]. Da diese Flussmessungen reliable Ergebnisse liefern, gelten sie in den entsprechenden Fachdisziplinen bereits als standardisierte Messmethoden [31] und können zudem auf alle anderen Gefäße im Körper angewendet werden [32]. Die mittels Phasenkontrast-MRT ermittelten Flussmessungen bestätigten die erhobenen Duplexbefunde – auch hier sank der VAFI unter Kompression auf 0,97, während unkomprimiert mit 1,46 ein pathologischer Wert gemessen wurde.
Die mittels Phasenkontrast-MRT ermittelten Daten bestätigten die zuvor erhobenen Duplexbefunde, wie bereits Rudolphi et al. zeigen konnten [7]. Unser Praxisfall zeigt, dass das Tragen von MKS der Stufe 1 bei chronisch-venöser Insuffizienz dazu betragen kann, die gestörte venöse Hämodynamik in Rückenlage deutlich zu verbessern. Dieser therapeutische Effekt kann vor allem für immobile Patienten mit chronischem Venenleiden von Relevanz sein und wird in einer kommenden Studie untersucht.
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Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
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Korrespondenzadresse
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
16. Juni 2021
© 2021. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
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