Geschichtlich geht der Name „Delphi-Verfahren“ auf das berühmte Orakel von Delphi
zurück: In der antiken Stadt ernannten Priester die Tochter einer wohlhabenden Familie
zur Pythia, die durch das Einatmen von Dämpfen in einen Trancezustand versetzt wurde
und ihren Zuhörern Ratschläge für die Zukunft erteilte. Entwickelt wurde das Delphi-Verfahren
in den 1950er Jahren und ist ein sehr verbreitetes Forschungsinstrument.
Es gibt viele unterschiedliche Definitionen. Laut Hasson und Kollegen handelt es sich
um einen iterativen, mehrstufigen Prozess, bei dem die Teilnehmer strukturiert und
anonymisiert kommunizieren, damit deren Einzelmeinungen am Ende in einen Gruppenkonsens
„umgewandelt“ werden können [1]. Häder stellt die wiederkehrende Reflexion nach jeder Befragungswelle sowie die
Anonymisierung der Experten als zentrale Elemente der Delphi-Befragung heraus [2].
Delphi ist demnach ein systematisches, mehrstufiges, qualitatives Befragungsverfahren
mit Reflexion bzw. Rückkopplung – und somit eine Methode, die dazu dienen kann, Fragestellungen
möglichst gut einschätzen und beantworten zu können.
Anonyme Expertenbefragung
Anonyme Expertenbefragung
Bei der Delphi-Befragung wird eine Expertengruppe zu einem bestimmten Fragen- oder
Thesenkatalog eines Fachgebiets in zwei oder mehr Runden befragt. Ab Runde zwei sehen
die Experten die anonymisierten Antworten ihrer Kollegen. So wirkt man der üblichen
Gruppendynamik mit sehr dominanten Personen entgegen. Die Antworten aus der ersten
Runde werden zusammengefasst und den Experten erneut anonymisiert vorgelegt. Der Meinungsbildungsprozess
erfolgt kontrolliert und über mehrere Stufen. Eine aufbereitete Gruppenmeinung bildet
dann das Endergebnis.
Die Stärken einer Delphi-Befragung sind, dass sie sich auf das Wesentliche konzentriert,
mehrstufige, rückgekoppelte Bearbeitungsprozesse beinhaltet und umfassende Aussagen
treffen kann. Klassische Delphi-Studien folgen laut Steinmüller folgendem strukturiertem
Ablauf [3]:
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Vorbereitung und Planung der Studie
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Identifikation und Rekrutierung der Experten
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Entwicklung eines Fragebogens
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erste Befragungsrunde
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Analyse der Rückläufe der ersten Runde und Formulierung von Feedback
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zweite Befragungsrunde
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Analyse der Rückläufe der zweiten Runde
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gegebenenfalls weitere Befragungsrunden
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Analyse des gesamten Befragungsverlaufs
-
Auswertung und Bericht
Arten und Terminologien
Folgende Arten von Delphi-Verfahren werden in der Literatur unterschieden:
-
klassisches Delphi: zwei- oder mehrrundige Befragungen, ab der zweiten Runde Feedback.
Dieses Verfahren hat prognostischen Charakter.
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Policy Delphi: klassisches Delphi-Verfahren in zwei Runden zu politischen lösungsorientierten
Themen
-
Decision Delphi: Integration von ausgewählten Experten, die politische oder wissenschaftliche
Fragestellungen entscheiden und auch umsetzen
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Mini-Delphis: einzelne reduzierte Fragestellungen
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Realtime-Delphi-Verfahren: schnelles Verfahren, digital unterstützt, läuft in Echtzeit
ab und die Rückmeldung der Zwischenergebnisse erfolgt umgehend
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argumentatives Delphi: Generieren von Argumenten für eine Meinung auf Basis von ein
oder zwei vorgegebenen Argumenten
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Delphi Markets: digital unterstützter Hybrid aus Delphi-Methode und wirtschaftlichen
Prognosemärkten
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Gruppen-Delphis: Fragebogen wird im Workshop entwickelt, anschließend anhand eines
bestimmten Kriteriensatzes bewertet; offene Diskussionen ersetzen die zweite bzw.
weitere Runden [5]
Abb. Grafischer Ablauf eines Delphi-Verfahrens
© Mayer H. Pflegeforschung anwenden: Elemente und Basiswissen für Studium und Weiterbildung;
2019, grafische Umsetzung: Thieme Gruppe
Das Ziel von Claudia Pott war es, herauszufinden, welche der in der Literatur kursierenden
Bezeichnungen für Delphis wie -Verfahren, -Prozess, -Methode(n), -Methodologie, -Methodik
und -Technik am treffendsten ist. Deshalb befasste sie sich zuerst mit den unterschiedlichen
Terminologien ([TAB].).
TAB. Terminologien, die in der Literatur in Verbindung mit Delphis gebracht werden.
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Begriff
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Definition
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Verfahren
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„Art und Weise, wie etwas durch-/ausgeführt wird“ [6]
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Prozess
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„Gesetzmäßig verlaufender Vorgang“ [6]
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Technik
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„Anwendung der naturwissenschaftlichen und mathematischen Kenntnisse in Form von Methoden,
Verfahren, Apparaturen, Geräten und Maschinen zur Beherrschung der Naturkräfte auf
einer gegebenen Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung“
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Methode
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„System von Regeln, das dazu geeignet ist, planmäßig wissenschaftliche Erkenntnisse
zu erlangen oder darzustellen oder die praktische Tätigkeit rationell zu organisieren;
planmäßiges Verfahren“ [6]
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Methodo-logie
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„Theorie der Methoden zur Erkenntnis und Veränderung der Wirklichkeit, bes. Theorie
der wissenschaftlichen Methoden“
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Methodik
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„Lehre von den Methoden des Forschens, Unterrichtens und der planmäßigen, wissenschaftlichen
Anwendung von Methoden; System von Methoden” [6]
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Claudia Pott kam zu dem Schluss, dass Delphi als wissenschaftliche Methode verstanden
werden kann. Unterschieden und dem Begriff „Methode“ untergeordnet werden sollten
die einzelnen spezifischen Verfahren bzw. Techniken der Datenerhebung und -analyse.
Nach ihrem Verständnis finden sich die Begriffe „Technik“ und „Verfahren“ auf einer
Hierarchieebene, untergeordnet unter Methode. Sie sind als einzelne Elemente einer
Methode zu verstehen. Aufgrund der recherchierten und hier dargestellten Aspekte empfiehlt
Claudia Pott schlussendlich die Begriffe „Delphi-Verfahren“ oder „Delphi-Befragung“.
„Delphi-Technik“ erscheint weniger passend, da der Begriff eine sehr spezifische Vorgehensweise
suggeriert, ein Delphi in den verschiedenen Ausprägungen aber sehr heterogene Gestaltungsformen
annehmen kann.
Der Begriff „Delphi-Befragung“ scheint geeignet zu sein, weil er das Verfahren konkretisiert
und es sich unabhängig von der Art des Delphis immer um eine Befragung handelt. Die
Bezeichnung „Delphi-Befragung“ sollte aus ihrer Sicht dann gewählt werden, wenn nur
die Form der Datengenerierung beschrieben wird. Die Bezeichnung „Delphi-Verfahren“
passt dann, wenn auch die Datenanalyse subsummiert ist.
Delphi ist ein mehrstufiges Befragungsverfahren von Experten.
Aktiv bei der Weiterentwicklung dabei sein
Aktiv bei der Weiterentwicklung dabei sein
Für einen wissenschaftlichen Diskurs braucht es für Claudia Potts eine in die Tiefe
gehende strukturierte Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis. das Wissenschaftliche
Netzwerk „Delphi-Verfahren in den Gesundheits- und Sozialwissenschaften“ (Dewiss)
beschäftigt sich mit erkenntnistheoretischen Grundlagen, methodologischen Fragestellungen
und Richtlinien für die Durchführung und Berichterstattung von Delphi-Verfahren. Hier
können sich Interessierte aktiv an der Vernetzung der auf diesem Feld Tätigen beteiligen
und zur Weiterentwicklung des Verfahrens beitragen [7].
Wer Lust hat, die Delphi-Methode zum Beispiel hinsichtlich der Manipulierbarkeit zu
diskutieren, ist herzlich eingeladen, sich an Claudia Pott zu wenden: pott@physioreha.de.