Nach dem 2.Weltkrieg wurde in Ostdeutschland das gesamte Gesundheitswesen
verstaatlicht. Dadurch konnte der Interessenkonflikt zwischen ambulanter und
stationärer medizinischer Versorgung beseitigt werden, wie er heute noch in
Deutschland besteht . Neben Nachteilen, auf die an dieser Stelle nicht eingegangen
werden kann, ergaben sich aber auch Vorteile bei begrenzten ökonomischen
Reserven. So konnten auf diesem Wege Impulse für die ambulante Betreuung von
Rheumakranken erschlossen werden. Entscheidend dafür war der Befehl 272 der
sowjetischen Militäradministration in Deutschland zur Einrichtung von
Ambulanzen und Polikliniken von 1947.
Entwicklungen im Bereich Dresden
Entwicklungen im Bereich Dresden
Betrachtet man die Entwicklung der universitären Rheumatologie in
Ostdeutschland, so ist zunächst der Nestor der ostdeutschen Rheumatologie
Hans Tichy (1888–1970) zu erwähnen. Im Vorfeld hatte bereits Martin
Vogel (1887–1947) den Kampf gegen den Rheumatismus einer kritischen Wertung
unterzogen und sich für eine stärkere ambulante Ausrichtung
eingesetzt. Er empfahl „die Einrichtung einer als Vorbild dienenden
Musterpoliklinik“ [1]. Nach dem
plötzlichen Tod von Vogel übernahm Tichy 1948 (damals bereits 60
Jahre alt) das Vermächtnis von Vogel und gründete am 1.7.1948 die
erste Rheumapoliklinik in Ostdeutschland in Dresden Klotzsche [2]. Er legte damit den Grundstein für das 1.
Rheumazentrum in Ostdeutschland, welches 1951 als „Institut für
Rheumaforschung und Rheumabekämpfung“ dem Ministerium für
Gesundheitswesen der DDR unterstellt wurde und eine bedeutende Rolle für die
Entwicklung der Rheumatologie, auch im internationalen Maßstab, spielte. Auf
dem Gelände in Dresden-Klotzsche sollte in den 1970iger Jahren eine der
modernsten Rheumakliniken in Europa entstehen. Tichy hatte zusammen mit dem
Lehrstuhl für „Gebäudelehre und Entwerfen“ der TU
Dresden die Pläne für den Neubau bereits bis in alle Einzelheiten
fertig gestellt. Im Rahmen der 3. Hochschulreform wurde das Projekt jedoch 1974 von
der damaligen sozialistischen Staatsregierung zu Gunsten eines neuen
gesundheitspolitischen Projektes abgebrochen.
Zu den besonderen Verdiensten von Tichy zählt, dass er die
Rheumabekämpfung aus dem Kurort mit seinen begrenzten Möglichkeiten
an den Wohnort und Arbeitsplatz der Patienten verlagerte [3]. Damit in Zusammenhang stehend erfolgte der Auf- und Ausbau der
Bezirks- und Kreisstellen für Rheumatologie [4].
1954 wurden in der DDR auf Grund des Mangels an ausgebildeten Ärzten und
Ärztinnen die drei Medizinischen Akademien in Dresden, Erfurt und Magdeburg
als zusätzliche universitäre Ausbildungsstätten
gegründet.
1956 wurde Hans Tichy zum Professor mit Lehrauftrag für Physikalische
Therapie an die Medizinische Akademie Carl Gustav Carus Dresden berufen.
Nach der Emeritierung von Wilhelm Crecelius (1898–1979) folgte 1965 Gerhard
Heidelmann (1918–2000) auf den Lehrstuhl für Innere Medizin mit dem
Bereich Rheumatologie. Gleichzeitig übernahm er 1966 als Nachfolger von Hans
Tichy die Leitung des Institutes für Rheumatologie Dresden-Klotzsche. Er war
maßgeblich am Aufbau einer flächendeckenden Rheumabetreuung in der
DDR mit etwa 230 Beratungsstellen beteiligt. Mit Kurt Seidel und Werner Otto
gründete er 1967 die „Gesellschaft für
Rheumatologie“ in der „Gesellschaft für klinische Medizin
der DDR“.
Gerhard Heidelmann verfügte neben der Rheumatolgie u. a. auch
über hervorragende Kenntnisse auf den Gebieten Kardiologie und Angiologie.
Zusammen mit dem Gründer der Sektion Angiologie in der DDR Peter Thiele
(1919–1996) und dem besonders auf dem Gebiet der Elektrotherapie
international bekannten Lehrstuhlinhaber für Innere Medizin und
Physiotherapie Herbert Edel (1914–2005) sowie dem Direktor der 1.
Medizinischen Klinik in Dresden-Friedrichstadt Albrecht Beickert
(1920–1972), der sich besonders mit den Kollagenosen beschäftigte,
dem Kinderrheumatologen Kurt Lorenz (1919–2009), der besondere Verdienste
bei der Bekämpfung des Rheumatischen Fiebers hat, sowie dem
orthopädischen Rheumachirurgen Carl Crasselt (1925–2016) bestand ein
deutlicher rheumatologischer Schwerpunkt in Dresden.
Nach der Emeritierung von Gerhard Heidelmann wurde der Bereich Rheumatologie an
Hans-Egbert Schröder (*1940) mit dem Schwerpunkt
„Kristallarthropathien und Organläsionen“ übertragen
[5]. 1993 erfolgte die Berufung auf den Lehrstuhl
für Rheumatologie der Medizinischen Fakultät Dresden.
Entwicklungen im Bereich Jena
Entwicklungen im Bereich Jena
1964 wurde die Rheumaforschung an die Friedrich Schiller Universität Jena als
„Leit-und Koordinierungseinrichtung für die
Wissenschaftsorganisation der Rheumaforschung“ unter der Leitung von Kurt
Seidel (1914–1990) verlagert.
In dem „Perspektivprogramm zur Bekämpfung der rheumatischen
Erkrankungen“ des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR vom
3.1.1967 wurden die Zielstellungen bis 1970 und die prognostischen
Einschätzungen bis 1980 festgelegt und die besondere Bedeutung des Zentrums
der Rheumaforschung unter der Leitung von Kurt Seidel hervorgehoben. Zu den
Teilaufgaben der Schwerpunktforschung wurden folgende Institute und Kliniken
herangezogen: Zentrum für Rheumaforschung an der Medizinischen
Fakultät Jena mit 13 Instituten und Kliniken, das Institut für
Rheumatologie Dresden, das Medizinisch-Poliklinische Institut und das Pathologische
Institut der Karl-Marx-Universität Leipzig, die Medizinischen Kliniken der
Medizinischen Akademien Dresden (MAD), Erfurt und Magdeburg, die Kinderklinik und
Orthopädische Klinik der MAD, die Kinderkliniken der Universität
Berlin und Berlin-Buch, die Rheumatologisch-kardiologische Klinik Berlin- Buch, die
Rheumaklinik Rostock, das Bezirkskrankenhaus Dresden-Friedrichstadt, die
Rheumaklinik des Institutes für Balneologie und Kurortwissenschaften Bad
Elster, das Institut für Mikrobiologie und experimentelle Therapie Jena und
Gesundheitseinrichtungen des Bezirkes Gera sowie das Krankenhaus
Eisenhüttenstadt. Damit waren zum damaligen Zeitpunkt die wichtigsten
rheumatologischen Leiteinrichtungen der medizinischen Betreuung, der Forschung und
Lehre eingebunden [6].
Die Nachfolge von Kurt Seidel übernahm 1976 Gerhard Wessel (*1932).
Er hatte zuvor bereits an der Medizinischen Akademie Erfurt eine erfolgreich
arbeitende rheumatologische Betreuung für den Bezirk Erfurt aufgebaut. 1986
wurde Gerhard Wessel Vorsitzender des Forschungsprojektes Rheumatologie der DDR. In
seiner Amtszeit festigte er zusammen mit Klaus Leistner (*1940) die
Bedeutung der Rheumatologie sowohl national als auch international.
Bedeutsam für die Entwicklung der universitären Rheumatologie ist
auch das Wirken von Lothar Jäger (1934–2020), der zeitweise die
nationalen Forschungsverbünde wie die Arbeits- und Forschungsgemeinschaft
„Entzündliche und degenerative rheumatische Erkrankungen“
leitete.
Entwicklungen im Bereich Leipzig
Entwicklungen im Bereich Leipzig
Die Rheumatologie an der Karl- Marx-Universität Leipzig ist eng mit dem Namen
Werner Otto (1921–2007), seinem Nachfolger Holm Häntzschel
(*1941) und dem Patholgen Gottfried Geiler (1927–2018)verbunden
.
Werner Otto war seit 1951 am Medizinisch-Polklinischen Institut tätig und
gründete 4 Jahre nach Tichy 1952 die erst Rheumaambulanz in Leipzig. Er
entwickelte in den Jahren seines Ordinariates von 1964–1986 zusammen mit
seinen zahlreichen Mitarbeitern die Rheumatologie in Ostdeutschland
maßgeblich mit. Besonders zu erwähnen ist seine Tätigkeit
als Koordinator der Zusammenarbeit mit den profilbestimmenden und international
ausgewiesenen Rheumatologen der sozialistischen Länder.
Holm Häntzschel führte das Werk von Werner Otto engagiert fort und
wurde 1990 in geheimer Wahl zum Vorsitzenden der Gesellschaft für
Rheumatologie der DDR gewählt und bereitete die Fusion mit der DGRh vor.
Eine besondere Rolle auf dem Gebiet der Pathologie spielte Gottfried Geiler mit
seinen noch heute gültigen pathologisch-anatomischen Klassifikationen der
entzündlichen rheumatischen Erkrankungen. An dieser Stelle sei dankbar
erwähnt, dass sein Engagement ganz entscheidend zur Gründung der
Medizinischen Fakultät in Dresden nach der Wende beigetragen hat.
Entwicklungen im Bereich Magdeburg
Entwicklungen im Bereich Magdeburg
Die Entwicklung der Rheumatologie in Magdeburg ist eng mit dem Namen von Wolfgang
Keitel (*1931) verbunden. Seine rheumatologische Tätigkeit begann er
als Assistenzarzt und Oberarzt an der Medizinischen Klinik Magdeburg, ehe er von
1969–1995 als Chefarzt der Rheumaklinik des Fachkrankenhauses
Vogelsang-Gommern diese Einrichtung zu einer der führenden rheumatologischen
Kliniken in der DDR entwickelte. Seit 1964 war er Lehrbeauftragter an der
Medizinischen Akademie Magdeburg. Seine umfangreichen fachlichen und
wissenschaftlichen Kenntnisse machten ihn auch international rasch bekannt. Zu
nennen ist hier unbedingt der nach ihm benannte Bewegungsfunktionstest, der sich
allgemeiner Anwendung erfreute. Große Verdienste erwarb sich Wolfgang Keitel
im Vorstand der Gesellschaft für Rheumatologie der DDR, der er von 1962 bis
1989 angehörte und deren Vorsitzender er von 1974 bis 1976 war. In diese
Zeit fiel auch 1974 die Auflösung des Rheumainstitutes in Dresden Klotzsche
und die Verlagerung der „Zentralstelle für Rheumabekämpfung
der DDR“ nach Bad Elster. Nicht zuletzt seien seine Verdienste für
die Bewahrung der Geschichte der Rheumatologie im Auf- und Ausbau der
Medizinhistorischen Sammlung Vogelsang-Gommern zu nennen, die von
unschätzbarem Wert ist.
Entwicklungen im Bereich Ost-Berlin
Entwicklungen im Bereich Ost-Berlin
Die erste und für lange Zeit einzige Rheumaberatungsstelle in Deutschland
befand sich in den 1930iger Jahren in Berlin Friedrichshain [1].
Im Berliner Raum entwickelten sich dann auf der ostdeutschen Seite nach dem 2.
Weltkrieg und dem Mauerbau zwei Standorte. Das waren zum einen die Rheumatologie an
der Humboldt-Universität zu Berlin, zum anderen die Rheumatologie in Berlin-
Buch.
An der Charité gründete Emil Apostoloff (1926–2008) mit
seinen zahlreichen Mitarbeitern den Arbeitsbereich klinische Immunologie und
Rheumatologie an der 1. Medizinischen Klinik mit Forschungseinrichtung und
Dispensaire für rheumatische Erkrankungen, die er bis Ende 1991 leitete.
Emil Apostoloff etabliert bereits in den 1960iger Jahren die indirekte
Immunfluoreszenz zum Nachweis antinukleärer Faktoren und war in der DDR der
erste, der SLE Patienten mit Immunsuppressiva behandelte und die Plasmapherese bei
Patienten mit Lupusnephritis einführte. Seine sehr aktive Arbeitsgruppe
entwickelte sich dann unter der Leitung von Gerd Rüdiger Burmester
(*1953) nach Übernahme des Direktorates der Medizinischen Klinik mit
Schwerpunkt Rheumatologie und Klinischer Immunologie 1993 erfolgreich weiter und
erlangte große internationale Bedeutung.
In Berlin-Buch wurde 1951 im damaligen Ludwig-Hoffmann Krankenhaus die Abteilung
Rheumatologie gegründet. 1964 übernahm Hans Ebert
(1922–2002) die Leitung der Rheumatologisch-Kardiologischen Klinik. In
seiner Amtszeit wurden zahlreiche Rheumatologen in Berlin-Buch ausgebildet. Der
Autor hat hier eines seiner klinischen Praktika absolviert.
Im Jahre 1988 übernahm Erika Gromnica-Ihle (*1940), die zuvor von
1964 bis 1987 auch unter Emil Apostoloff an der Charité tätig war,
die Leitung. Sie entwickelte die Rheumaklinik Berlin-Buch zu einem wichtigen
rheumatologischen Zentrum weiter, das auch entscheidende Aufgaben in der Aus-,
Weiter- und Fortbildung übernahm.
Entwicklungen im Bereich Rostock
Entwicklungen im Bereich Rostock
Siehe dazu Beitrag von Martin Keysser, Rostock [7].
Nachwendebemerkungen
Die Lehrstühle für Rheumatologie in Dresden, Jena und Leipzig wurden
nach dem Ausscheiden der Lehrstuhlinhaber nicht mehr nachbesetzt, sondern in C3
Professuren bzw. rheumatologische Arbeitsbereiche umgewandelt, sodass es
außerhalb von Berlin in den Neuen Bundesländern keinen
weisungsfreien Lehrstuhl für Rheumatologie mehr gibt.
Die Entwicklung der universitären Rheumatologie in Ostdeutschland ist
nach den schwierigen Anfängen nach dem 2. Weltkrieg vor allem eng mit
der Entwicklung einer fundierten klinischen Rheumatologie, der Prophylaxe und
der Bearbeitung epidemiologischer sowie sozialmedizinischer Fragestellungen
verbunden. Für die Entwicklung einer international bedeutsamen
Grundlagenforschung fehlten in der DDR die erforderlichen Mittel. Diese konnten
erst nach der Wende schrittweise eingeworben werden.