Arthritis und Rheuma 2021; 41(02): 76-77
DOI: 10.1055/a-1341-5271
Editorial

arthritis + rheuma – Zeitschrift für Orthopädie und Rheumatologie

Christoph Fiehn
1   Baden-Baden
,
Uta Kiltz
2   Herne
› Institutsangaben
 

Aktueller Stand der In- und Off-Label-Therapie in der Rheumatologie

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Prof. Dr. Christoph Fiehn
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Priv.-Doz. Dr. Uta Kiltz

Liebe Leserinnen und Leser der arthritis + rheuma, liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Therapie rheumatologischer Erkrankungen ist in den letzten 20 Jahren immer differenzierter und vielseitiger geworden. Dadurch haben sich die Möglichkeiten der Therapie in der Rheumatologie revolutioniert und durch die gesteigerte Effektivität der Therapien erreichen immer mehr Patienten das Ziel der Remission. Um den Patienten die jeweils beste und sicherste Behandlung zukommen zu lassen, braucht es immer mehr vertiefte Kenntnisse. Das Wissen und die Möglichkeiten über verschiedene Therapieoptionen ändern sich außerdem sehr schnell, permanente Fortbildung und Auffrischung des Wissens sind notwendig. Der rheumatologisch tätige Arzt kann und muss sich dabei nicht nur über die in der Zulassung festgelegten Indikationen der verschiedenen Medikamente klar sein. Er muss auch in unterschiedlichem Maße Grenzbereiche und eventuell notwendige off-label, also außerhalb des Zulassungstextes befindliche Indikationen kennen und nutzen. Der Arzt befindet sich dabei – wie so oft – in einer rechtlichen Grauzone, bzw. in einer widersprüchlichen rechtlichen Situation. Einerseits sollte er durch Zurückhaltung bei Off-Label-Therapie Arzneikostenregresse vermeiden, andererseits kann er haftungsrechtlich sogar in der Pflicht sein, seinem Patienten mit einem zulassungsüberschreitenden Einsatz eines Medikaments eine ordnungsgemäße Therapie zukommen zu lassen. Off-Label-Therapie ist nämlich ein fester und nicht wegzudenkender Teil der Medizin. Diese Aussage gilt auch und gerade für die Rheumatologie mit den sich ständig verändernden Therapiemöglichkeiten, aber auch den vielen seltenen Erkrankungen, für die es oft gar keine zugelassene Therapie gibt.

Die Rechtsprechung hat für die Off-Label-Therapie klare und relativ strenge Kriterien gesetzt, welche erfüllt sein müssen, damit die Kosten der Therapie durch die gesetzlichen Krankenversicherer übernommen werden müssen:

KRITERIEN FÜR DIE OFF-LABEL-THERAPIE
  1. Es muss um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung gehen.

  2. Es darf keine andere Therapie verfügbar sein.

  3. Aufgrund der Datenlage muss die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder

    • die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder

    • außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.

Voraussetzungen für eine zulässige Off-Label-Verschreibung nach der sogenannten Sandoglobulin-Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19.03.2002 (Quelle www.bdi.de abgerufen am 13.03.2021)

In der Praxis sind das die Punkte, auf die man sich bei einem Off-Label-Antrag berufen muss, um Erfolg zu haben. Dabei sollte man aber wissen, dass auf keinen Fall alle Off-Label-Therapien beantragt werden müssen. Insbesondere ältere, bewährte und breit eingesetzte Medikamente wie z. B. Methotrexat oder Azathioprin werden kaum von Regress bedroht und sind daher i. d. R. unbedenklich einzusetzen. Immer steht eine Off-Label-Therapie aber unter veränderten rechtlichen Voraussetzungen, so gilt z. B. nicht die Herstellerhaftung der Pharmazeutika.

In dem vorliegenden Schwerpunktheft möchten wir Ihnen einen aktuellen Überblick über die Therapien der wichtigsten rheumatologischen Krankheitsbilder und dabei sowohl die zugelassenen aber auch die sinnvoll und wissenschaftlich belegten Off-Label-Therapien beschreiben. Wir konnten erfahrene und versierte Autoren für dieses Heft gewinnen.

Jens Thiel aus Freiburg fasst die In- und Off-Label-Therapiemöglichkeiten der Vaskulitiden für uns zusammen, Johanna Mucke aus Düsseldorf die des systemischen Lupus erythematodes und primären Sjögren-Syndroms. Michaela Köhm aus Frankfurt gibt uns einen Überblick zu den Spondyloarthritiden inklusive der Psoriasisarthritis und Klaus Krüger aus München zur rheumatoiden Arthritis. Schließlich fassen Jutta Bauhammer und Christoph Fiehn aus Baden-Baden das Thema seltene Erkrankungen, bei dem die Off-Label-Therapie einen besonderen Stellenwert besitzt, zusammen.

Die Artikel und zitierten Referenzen sollen den Leserinnen und Lesern auch helfen, wenn nötig nach Punkt 3a und b der oben aufgeführten Kriterien Anträge für empfehlenswerte Off-Label-Therapien zu erstellen. Wir möchten den Rheumatologen dazu ermutigen, dies, wenn sinnvoll und indiziert, zu nutzen.

Weil wir dies dem Wohl unserer Patientinnen und Patienten schuldig sind.

Wir wünschen Ihnen beim Lesen viel Freude und Erkenntnis.


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
20. April 2021

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