Einführung
Ausbrüche von Epidemien bedingen ein erhöhtes Infektionsrisiko für Personen, die im
Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege arbeiten [1]
[2]. Das hat sich bei den ersten beiden Corona-Epidemien SARS und MERS gezeigt und wird
auch bei der COVID-19 Pandemie wieder so sein, wie ein exponentieller Anstieg der
COVID-19 Fälle bei Beschäftigten im britischen Gesundheitswesen (NHS) bis zur Einführung
von Maßnahmen zur sozialen Distanzierung belegt [3]. Erste Publikationen aus China und Italien sprechen dafür, dass der Anteil der Ärzte
und Pflegekräfte unter den Infizierten überproportional erhöht ist [4]
[5]
[6]. Allerdings spricht die Erfahrung aus Singapur dafür, dass Beschäftigte im Gesundheitswesen
effektiv vor SARS-CoV-2 geschützt werden können, wenn die notwendige Schutzausrüstung
zur Verfügung steht [7]. Deshalb ist eine differenzierte Betrachtung des beruflichen Infektionsrisikos notwendig.
Zur Betroffenheit der Beschäftigten im deutschen Gesundheitswesen können derzeit noch
keine abschließenden Aussagen gemacht werden [8]
[9]. Nach dem täglichen Lagebericht des Robert Koch-Instituts zur Coronavirus-Krankheit-2019
vom 14.12.2020 wurden den Gesundheitsämtern bisher 35.042 Infektionen von Menschen
gemeldet, die in Krankenhäusern, ärztlichen Praxen, Dialyseeinrichtungen und im Rettungsdienst
tätig sind [10]. Nicht in allen Fällen hatten sich die Betroffenen im beruflichen Umfeld infiziert.
Der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), die u. a.
auch für nichtstaatliche und kirchliche Unternehmen des Gesundheitsdienstes der zuständige
Unfallversicherungsträger ist, wurden bis zum 11.12.2020 insgesamt 8.677 bestätigte
SARS-CoV-2 Infektionen bei Beschäftigten aus (zahn-)ärztlichen Praxen und Kliniken
gemeldet. Wird berücksichtigt, dass von den jährlich bei allen Unfallversicherungsträgern
gemeldeten Infektionen etwa die Hälfte auf die BGW entfällt, ist zu vermuten, dass
ein großer Teil der vom RKI erfassten Fälle bei Beschäftigten beruflich verursacht
wurde [11].
Die Mortalität für COVID-19-Erkrankte bei den Berufstätigen beträgt entsprechend der
Daten des RKI 0,15 % [10]. Diese Schätzung wird durch die Meldungen bei der BGW bestätigt. Auch hier beträgt
die Mortalität bei Versicherten mit einer SARS-CoV-2-Infektion 0,13 %. Auch wenn diese
Daten die Mortalität aufgrund nicht detektierter Fälle wahrscheinlich überschätzen,
so sprechen sie in Kombination mit pneumologischen (z. B. Lungenfibrosen), kardiologischen
(z. B. Herzmuskelschädigungen), neurologischen (Einschränkungen des Geruchs- und Geschmackssinns)
und weiteren Spätfolgen, die nach heutigem begrenztem Wissensstand vorstellbar erscheinen,
dafür, dass die versicherungsrechtlichen Auswirkungen erheblich sein können – auch
wenn es sich in der Mehrzahl der Fälle um ein leichtes und passageres Krankheitsbild
handelt.
Im Zusammenhang mit der aktuellen Situation ergeben sich in Bezug auf die gesetzliche
Unfallversicherung für die Ärzteschaft zwei wesentliche Fragestellungen, die durch
diesen Beitrag beantwortet werden sollen. Ärztinnen und Ärzte sind – wie auch viele
andere Berufsgruppen, die im medizinischen und pflegerischen Bereich arbeiten – aufgrund
ihrer beruflichen Tätigkeit einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Im ersten
Teil dieses Beitrags soll daher zunächst dargestellt werden, ob und in welchem Umfang
die genannten Berufsgruppen bei ihrer Arbeit unter dem Schutz der Unfallversicherung
stehen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Darstellung, unter welchen
rechtlichen Voraussetzungen COVID-19 als Berufskrankheit bei ihnen anerkannt werden
kann. In seinem zweiten Teil befasst sich dieser Artikel mit der Frage, in welchen
Fällen Ärztinnen und Ärzte ihrer gesetzlichen Pflicht zur Meldung einer Berufskrankheit
nachkommen müssen, wenn sie im Rahmen der Behandlung den Verdacht haben, eine Patientin
/ ein Patient könnte sich möglicherweise in Ausübung der beruflichen Tätigkeit mit
dem Corona-Virus infiziert haben. Der dritte und letzte Abschnitt befasst sich mit
der Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen COVID-19 die Kriterien eines
Arbeitsunfalls erfüllen kann.
Versicherungsschutz bei COVID-19 für Personen, die im Gesundheitsdienst und in der
Wohlfahrtspflege tätig sind
Die Leistungspflicht der Unfallversicherung setzt die Feststellung eines Arbeitsunfalls
oder einer Berufskrankheit voraus. Die rechtliche Beurteilung über das Vorliegen einer
Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalls bei COVID-19 erfolgt nach denselben Grundsätzen
wie bei anderen viralen Infektionen auch.
Die Erkrankung infolge einer nachweislich beruflich erworbenen Infektion mit dem Coronavirus
SARS-CoV-2 wird als Berufskrankheit anerkannt, soweit die rechtlichen Voraussetzungen
im Einzelfall vorliegen. Wenn bereits eine Anerkennung als Berufskrankheit möglich
ist, bedarf es keiner weiteren Prüfung eines Arbeitsunfalls.
Als Berufskrankheit kommt bei COVID-19 eine Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 3101
der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) in Betracht.
Diese Berufskrankheit ist wie folgt definiert:
„Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege
oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr
in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war“.
Aufgrund dieses Wortlauts können COVID-19 Erkrankungen nur dann unter die BK-Nr. 3101
subsumiert werden, wenn sie bei versicherten Personen auftreten, die infolge der Ausübung
ihrer beruflichen Tätigkeit in einem der folgenden, ausdrücklich genannten Bereiche
einer gegenüber der allgemeinen Bevölkerung wesentlich erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt
waren:
-
1. Alternative: Gesundheitsdienst,
-
2. Alternative: Wohlfahrtspflege,
-
3. Alternative: Laboratorium oder
-
4. Alternative: Bei Tätigkeiten, bei denen versicherte Personen der Infektionsgefahr in einem ähnlichen
Maße, wie bei Tätigkeiten nach der 1. bis 3. Alternative besonders ausgesetzt waren.
Der Begriff „Gesundheitsdienst“ erfasst alle Tätigkeiten und Einrichtungen, bei denen
die Sorge um die Gesundheit den Hauptzweck bildet. Erfasst werden auch abgrenzbare
Unternehmensteile, soweit diese gesundheitsdienstliche Zwecke verfolgen, wie z. B.
werksärztliche Abteilungen; ebenso Abteilungen einer Behörde mit entsprechender Zwecksetzung.
Zum Gesundheitsdienst im Sinne der BK 3101 gehören insbesondere:
-
Krankenhäuser,
-
Medizinische Rehabilitationseinrichtungen,
-
Entbindungseinrichtungen,
-
Arzt- und Zahnarztpraxen,
-
Apotheken,
-
Physio-, Ergotherapieeinrichtungen o. ä.,
-
Desinfektionsabteilungen und -betriebe,
-
Krankentransport und Rettungsdienste sowie
-
Pflegedienstleistungen.
Von der BK-Nr. 3101 werden neben den Laboratorien für wissenschaftliche und medizinische
Untersuchungen und Versuche alle sonstigen Laboratorien erfasst, soweit es sich um
Einrichtungen mit besonderen Infektionsgefahren handelt (z. B. auch Laboratorien für
Zahntechnik). Dort Tätige müssen entweder mit Kranken unmittelbar in Berührung kommen
oder mit Stoffen umgehen, die kranken Menschen zur Untersuchung entnommen wurden.
Auf die besonderen Voraussetzungen der von der BK-Nr. 3101 erfassten Tätigkeiten in
der Wohlfahrtspflege und nach der oben angesprochenen vierten Alternative wird an
späterer Stelle, im zweiten Teil dieses Beitrags, eingegangen.
Zum Kreis der Personen, die in der Unfallversicherung pflichtversichert sind, zählen
insbesondere Beschäftigte, also Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Im Bereich der
Gesundheitsberufe unterliegen daher z. B. alle Personen, die in einem Krankenhaus,
einer Arztpraxis, einem Laboratorium oder in der Pflegebranche auf der Grundlage eines
Arbeitsvertrags angestellt sind, unmittelbar dem Schutz in der Unfallversicherung,
ohne dass es hierfür eines Antrags bedarf.
Gleiches gilt auch für folgende Personen:
-
unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder der Wohlfahrtspflege
Tätige;
-
selbständig im Gesundheitswesen Tätige, soweit sie nicht ausdrücklich durch das Gesetz
von der Versicherungspflicht befreit sind, und
-
ehrenamtlich im Rettungswesen Tätige.
Auch wenn selbständig Tätige im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege grundsätzlich
von der gesetzlichen Pflichtversicherung erfasst werden, hat der Gesetzgeber einige
Berufsgruppen ausdrücklich von der Versicherungspflicht befreit. Hierzu zählen neben
einigen anderen Gesundheitsberufen u. a. auch die selbständig tätigen Ärztinnen und
Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker. Diese haben
aber die Möglichkeit, sich auf Antrag freiwillig zu versichern. Dies gilt nicht nur
für niedergelassene selbständige Ärztinnen und Ärzte, sondern bspw. auch für Ärztinnen
und Ärzte, die auf Honorarbasis in einer Klinik arbeiten, und für angestellte Ärztinnen
und Ärzte, soweit sie eine selbständige Nebentätigkeit ausüben. Gerade in Hinblick
auf die mit den beruflichen Tätigkeiten im Gesundheitsdienst verbundenen Infektionsrisiken
ist der Abschluss einer freiwilligen Versicherung zu überlegen.
Weitergehende aktuelle Informationen zum Kreis der versicherten Personen, insbesondere
zum Versicherungsschutz von Personen, die unentgeltlich bzw. ehrenamtlich im Rahmen
der Bekämpfung der Corona-Pandemie tätig werden (z. B. Studierende der Medizin), werden
u. a. auf der Internet-Seite der BGW bereitgestellt: https://www.bgw-online.de/DE/Home/Branchen/News/Coronavirus_node.html.
Eine der wichtigsten Aufgaben der Unfallversicherung besteht in der Verhütung von
Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Daher wird von den Unfallversicherungsträgern
großer Wert auf die Einhaltung des Arbeitsschutzes und der erforderlichen Hygienemaßnahmen
zur Vermeidung von Infektionen gelegt. Zu Beginn der Pandemie trat gehäuft die Situation
ein, dass die Versorgung der medizinischen Einrichtungen mit der notwendigen Ausstattung
zum Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (z. B. geeignete Atemschutzmasken)
nicht immer sichergestellt werden konnte. Sollte die notwendige Schutzausrüstung in
einem Unternehmen nicht vorhanden oder von den versicherten Personen nicht genutzt
worden sein, schließt dies den Schutz durch die Unfallversicherung nicht aus.
Neben einer Tätigkeit in einem der in der BK-Nr. 3101 ausdrücklich genannten Bereiche
setzt diese Berufskrankheit nach den rechtlichen Beweisregeln den Nachweis einer Infektionskrankheit
im sog. Vollbeweis voraus.
Eine Antikörperbildung nach Aufnahme eines Infektionserregers ohne jegliche klinischen
Symptome stellt keine Infektionskrankheit im Sinne des Berufskrankheitenrechts dar.
Die klinischen Symptome müssen allerdings keineswegs so ausgeprägt sein, dass damit
eine ärztliche Behandlungsbedürftigkeit oder die Notwendigkeit einer Medikamentenversorgung
verbunden ist. Es reichen somit auch geringfügige klinische Symptome, wie sie im Zusammenhang
mit dem SARS-CoV-2 Erreger häufig festzustellen sind, zur Erfüllung des Krankheitsbegriffs
bzw. für eine Anerkennung als Berufskrankheit aus. Grundsätzlich ist die Anerkennung
einer Berufskrankheit nicht daran gebunden, dass dem Versicherten auch leistungsrechtliche
Ansprüche (z. B. ärztliche Behandlung, Versorgung mit Arznei- oder Heilmitteln, stationäre
Behandlung, Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit) zustehen. Die formale Anerkennung
gibt dem Versicherten die Sicherheit, dass im Falle eines späteren Auftretens von
Krankheitssymptomen das Vorliegen der Berufskrankheit dem Grunde nach bereits feststeht.
Da die Unfallversicherung allein für die Verwirklichung eines versicherten (i. d. R.
beruflichen) Infektionsrisikos einzustehen hat, ist immer der Nachweis eines Verursachungszusammenhangs
zwischen dem versicherten erhöhten Infektionsrisiko und dem Eintritt der Erkrankung
festzustellen. Sein Nachweis ist erbracht, wenn die berufliche Verursachung überwiegend
wahrscheinlich ist. Dieser Kausalzusammenhang ist bei der BK-Nr. 3101 in der Regel
gegeben, wenn die versicherte Person während des in Frage kommenden Ansteckungszeitraums
bei ihrer versicherten Tätigkeit
-
Kontakt zu mindestens einer nachgewiesenen Infektionsquelle (z. B. Patienten, Kollegen,
Besucher, Untersuchungsmaterialien usw.) hatte,
-
nach der Art des Kontaktes eine Infektionsübertragung dabei konkret möglich war und
-
Umstände aus dem unversicherten Bereich oder eine ausgeprägte Ubiquität des Infektionserregers
einem Schluss auf die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit
nicht entgegenstehen. [12]
[13].
Da die Symptome bei COVID-19 unspezifisch sind, ist der Nachweis einer Infektion der
in Frage kommenden Indexperson grundsätzlich durch einen zeitnahen Erreger-Nachweistest
zu erbringen. Wurde dieser Test nicht durchgeführt, erbringt aber ein später durchgeführter
Antikörper-Test den Nachweis einer durchgemachten Infektion, kommt es auf die Umstände
des Einzelfalles an, ob die betreffende Person als Indexperson geeignet ist. Kriterien
sind dabei insbesondere die Art der Krankheitssymptome zum Zeitpunkt der zu beurteilenden
Kontaktsituation und das zeitliche Intervall zwischen dem Kontakt und dem Antikörpertest.
Lässt sich bezüglich der Kontakte im versicherten Umfeld ein Verdacht, dass es sich
um infektiöse Quellen handelt, nicht bestätigen, kann auf den bloßen Verdacht allein
die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs nicht gestützt werden. Die Häufigkeit
und Intensität von Kontakten zu infektionsverdächtigen Quellen, kann aber wesentlich
für die Prüfung sein, ob eine Beweiserleichterung wegen einer durch die Art der konkret
ausgeübten Tätigkeit bedingten besonders erhöhten Infektionsgefahr in Frage kommt.
Auch ohne konkreten Nachweis von Kontakten mit einer nachgewiesenen Infektionsquelle
kann nämlich der Kausalzusammenhang bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst wahrscheinlich
sein, soweit Versicherte während der in Frage kommenden Ansteckungszeit einer besonderen
über das normale Maß hinausgehenden Infektionsgefahr ausgesetzt waren. Zur Konkretisierung
einer in diesem Sinne für die Wahrscheinlichkeit der Kausalität ausreichenden Gefahrerhöhung
ist zwischen der Verbreitung der Infektionskrankheit und dem Übertragungsweg zu unterscheiden.
So kann z. B. ein größeres Ausbruchsgeschehen innerhalb eines Betriebs unter Berücksichtigung
der konkreten Verhältnisse im Tätigkeitsbereich der Betroffenen im Einzelfall zu einem
erleichterten Nachweis der beruflichen Verursachung führen.
Hinsichtlich des Übertragungsweges von Coronavirus SARS-CoV-2 besteht eine Vergleichbarkeit
mit dem Mycobacterium tuberculosis. Es bietet sich bei COVID-19 daher an, in Anlehnung
an die für die Tuberkuloseinfektion vorliegenden Erkenntnisse bei bestimmten Tätigkeiten
bzw. Bereichen von einer besonderen über das normale Maß hinausgehenden Infektionsgefahr
auszugehen, die zur Anwendung einer Beweiserleichterung führen kann [14].
Tätigkeiten/Bereiche, die zu einer Beweiserleichterung führen können
-
Klinik-Abteilungen, in denen Patienten mit COVID-19 behandelt werden (z. B. Infektionsstationen)
-
ambulante oder stationäre Untersuchungseinheiten für SARS-CoV-2-Infektionen
-
intensivmedizinischen Behandlungseinheiten,
-
Labore, die Abstriche auf SARS-CoV-2 untersuchen,
-
Notfallintubation,
-
Bronchoskopie,
-
Provokation von Hustenreiz z. B. bei Nasen-Rachen-Abstrichen
-
Betreuung von Hochrisikogruppen (z. B. Menschen aus Ländern mit hoher Inzidenz, Menschen,
die Kontaktsperren und Distanzgebote nicht einhalten oder nicht einhalten können),
-
Auslandseinsätze in Gebieten mit hoher Inzidenz,
-
Unter Berücksichtigung der jeweiligen besonderen Rahmenbedingungen bei der Pflege
oder vergleichbaren Tätigkeiten in der klinischen Geriatrie, sofern ein enger Kontakt
bei einem hohen Anteil pflegebedürftiger Personen festzustellen ist.
Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Sie dient lediglich der Orientierung.
Erkenntnisse aus epidemiologischen Untersuchungen zu einer erhöhten Erkrankungsinzidenz
und -prävalenz mit COVID-19 bei bestimmten Tätigkeiten im Gesundheitsdienst werden
erst zukünftig vorliegen können. Sofern sich aufgrund der umfangreichen Durchführung
von Antikörper-Tests ergibt, dass von weitaus höheren Infektionszahlen auszugehen
ist, muss die Reichweite von Beweiserleichterungen gegebenenfalls neu justieret werden;
es ist nicht ausgeschlossen, dass dann auch für weitere vor allem im Gesundheitsdienst
tätige Berufsgruppen eine Beweiserleichterung begründbar ist.
Wurde COVID-19 als Berufskrankheit (oder als Arbeitsunfall) anerkannt, erbringt der
Unfallversicherungsträger folgende Leistungen, soweit diese im jeweiligen Einzelfall
geboten sind:
-
Heilbehandlung
Die gesetzliche Unfallversicherung hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten
mit allen geeigneten Mitteln möglichst vollständig wiederherzustellen. Daher übernimmt
sie u. a. die Kosten für die
-
medizinische Erstversorgung,
-
stationäre und ambulante ärztliche Behandlung,
-
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln,
-
häusliche Krankenpflege sowie
-
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.
Im Falle der Arbeitsunfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles wird ein Verletztengeld
gezahlt (nach Ablauf der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber), um den Verdienstausfall
auszugleichen. Dieses Verletztengeld wird auch während der Dauer einer medizinischen
Rehabilitation gezahlt.
-
Leistungen zur beruflichen und sozialen Teilhabe
Der Unfallversicherungsträger versucht die Rückkehr an den bisherigen Arbeitsplatz
mit allen geeigneten Mitteln zu ermöglichen. In Abstimmung mit den Versicherten und
dem Arbeitgeber werden dafür alle notwendigen Maßnahmen getroffen.
-
Entschädigung durch Rente
Nicht immer sind Heilbehandlung und Reha-Maßnahmen so erfolgreich, dass Betroffene
wieder uneingeschränkt am Erwerbsleben teilnehmen können. In solchen Fällen zahlen
die Unfallversicherungsträger eine Rente. Voraussetzung ist eine andauernde Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 Prozent infolge des Versicherungsfalls.
-
Pflegeleistungen
Personen, die infolge des Versicherungsfalls so hilflos sind, dass sie in erheblichem
Umfang fremder Hilfe bedürfen, erhalten Pflegegeld bzw. Haus- bzw. Heimpflege.
-
Leistungen an Hinterbliebene
Kommt es zu einem tödlichen Verlauf der Erkrankung, dann sichert die gesetzliche Unfallversicherung
die Hinterbliebenen mit finanziellen Leistungen ab.
Dazu gehören insbesondere:
Weiterführende Informationen zu den einzelnen Leistungen (insbesondere auch zu ihrem
Umfang) sind auf der Homepage der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV)
zu finden:
https://www.dguv.de/de/reha_leistung/index.jsp
Wann ist COVID-19 der Unfallversicherung zu melden?
Ärztinnen und Ärzte sowie Zahnärztinnen und Zahnärzte sind nach § 202 SGB VII verpflichtet,
den begründeten Verdacht auf eine Berufskrankheit dem Träger der Unfallversicherung
oder dem staatlichen Gewerbearzt/Landesgewerbearzt zu melden.
Die Anzeigen haben formalisiert zu erfolgen (Formular unter https://www.dguv.de/bk-info/service/index.jsp); sie bedürfen nicht der Einwilligung der betroffenen Patienten. Die gemeldete Person
ist über den Adressaten und Inhalt der Verdachtsanzeige zu informieren, zweckmäßigerweise
wird ihr eine Kopie mitgegeben oder geschickt. Die Betroffenen können auch selbst
eine Berufskrankheit anzeigen. Dies entbindet die Ärztin / den Arzt aber nicht von
der Anzeigepflicht [15].
Der Verdacht auf eine Berufskrankheit ist im Sinne des § 202 SGB VII dann begründet,
wenn der Ärztin/dem Arzt ernsthafte, konkrete Anhaltspunkte für deren Bestehen hat.
Die reine Vermutung ist nicht ausreichend; die völlige Gewissheit aber nicht erforderlich
für eine Meldung. Die hier dargestellten Maßstäbe sollen Ärztinnen und Ärzte bei einer
sachgerechten Einschätzung unterstützen.
Im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 kommt – wie bereits oben,
in Teil 1 dargelegt – eine Berufskrankheit nach Nr. 3101 in Betracht. Diese findet
nach ihrem Tatbestand nur Anwendung auf Infektionskrankheiten von versicherten Personen,
die im Gesundheitsdienst (1. Alternative), in der Wohlfahrtspflege (2. Alternative),
in einem Laboratorium (3. Alternative) tätig sind oder durch eine andere Tätigkeit
der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt waren (4. Alternative).
Andere Tätigkeiten werden von der BK-Nr. 3101 nicht erfasst; eine Meldepflicht nach
§ 202 SGB VII besteht dann nicht, selbst wenn deutliche Hinweise dafür vorliegen,
dass sich die Infektion während der versicherten Tätigkeit ereignet hat. Es ist dann
aber ggf. an die Möglichkeit eines Arbeitsunfalls zu denken (siehe hierzu Teil 3 dieses
Beitrags).
Während auf die Tätigkeitsbereiche Gesundheitsdienst und Laboratorien bereits im ersten
Teil eingegangen wurde, bedarf es hier noch Ausführungen zur Wohlfahrtspflege sowie
zur vierten Alternative (Tätigkeiten mit einer Infektionsgefahr in ähnlichen Maße).
Unter Wohlfahrtspflege wird die zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs
wegen ausgeübte Betreuung von gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdeten
Menschen verstanden. Ein wesentlicher Aufgabenbereich der Wohlfahrtspflege ist die
Verhütung oder Beseitigung von Notständen und sozialen Gefährdungen. Unter dem Aspekt
der sozialen Hilfen werden aber auch Förderangebote vorgehalten, die sich nicht auf
eine besondere Bedürftigkeitslage beziehen, sondern entsprechende allgemeine Förderangebote
des Staates aus allgemeinen sozialen Gründen ergänzen oder ersetzen. Typischen Handlungsfelder
der Wohlfahrtspflege finden sich in der
-
Jugendhilfe (z. B. Kindertageseinrichtungen, Jugendwohnheime, Jugendberatungsstellen),
-
Familienhilfe (z. B. Beratungsstellen für Ehe-, Familien-, Erziehungs- und Lebensfragen,
Familientreffs, Frauenhäuser),
-
Altenhilfe (z. B. vollstationäre Altenpflegeeinrichtungen, Seniorenwohnheime, Seniorenwohnungen,
betreutes Wohnen, ambulante Pflegedienste, Seniorentagesstätten, Seniorenbegegnungsstätten),
-
Hilfe für behinderte Menschen oder Menschen mit psychischer Erkrankung (z. B. Rehabilitationseinrichtungen,
Beratungs- und Betreuungsstellen, Tagesstätten für Menschen mit psychischer, geistiger
oder körperlicher Erkrankung bzw. Behinderung; Werkstätten für Menschen mit Behinderung,
Fahrdienste) und der
-
Hilfe für Personen in besonderen sozialen Situationen (z. B. Migrationsberatungsstellen,
Tafelbetriebe, Schuldnerberatungsstellen, betreutes Wohnen und Tagesstätten für Migranten,
Wohnungslose, Suchtkranke und Haftentlassene, Seemannsheime, Bahnhofsmissionen, Suchdienste,
Studentenwohnheime, Stadtteil-/Nachbarschaftszentren).
Die vierte Tatbestandsalternative der BK-Nr. 3101 beinhaltet keinen Auffangtatbestand für all jene Fälle, die nicht unter die genauer
genannten Einrichtungen der ersten bis dritten Alternative einzuordnen sind. Der Zweck
dieser Regelung besteht vielmehr darin, auch die Personen in den Versicherungsschutz
für Infektionskrankheiten einzubeziehen, die durch eine andere Tätigkeit in ähnlichem
Maße einer Infektionsgefahr besonders ausgesetzt sind. Im Gegensatz zur Infektionsgefährdung
bei den drei übrigen Tatbestandsalternativen der BK-Nr. 3101 ist bei der vierten Alternative
zu berücksichtigen, dass epidemiologische Studien über eine erhöhte Betroffenheit
bestimmter Beschäftigtengruppen hinsichtlich COVID-19 bisher nicht vorliegen. Ausschlaggebend für die Zuordnung zur vierten Alternative der BK-Nr. 3101 ist die
Art des physischen menschlichen Kontakts, der mit der versicherten Tätigkeit verbunden
ist.
Dabei kommt es nicht allein darauf an, dass die Tätigkeit mit einem häufigen und/oder direkten Kontakt zu infizierten Personen verbunden ist bzw. sein kann.
Es ist darüber hinaus zu unterscheiden zwischen
-
dem auftragsgemäßen oder dem mit der Arbeit verbundenen „Kontakt am Menschen“, worauf
sich der Anwendungsbereich der BK-Nr. 3101 bezieht und
-
dem situativen „Kontakt zu Menschen“.
Die Beschäftigung mit „Kontakt am Menschen“ umfasst Tätigkeiten, die bestimmungsgemäß
-
mit einem unmittelbaren Körperkontakt (z. B. Masseure usw.) oder
-
mit sog. „gesichtsnahen Tätigkeiten“ (z. B. Friseure, Kosmetiker, Optiker usw.)
verbunden sind. Das abstrakte Risiko einer aerogenen Infektion mit COVID-19 ist bei
diesen Tätigkeiten zumindest hinsichtlich des Übertragungsweges vergleichbar mit dem
Risiko der in den ersten beiden Alternativen der BK-Nr. 3101 genannten Tätigkeiten.
In den übrigen Fällen – also bei Tätigkeiten mit einem situativen häufigen und direkten
Kontakt „Kontakt zu Menschen“ – kommt eine Prüfung anhand der rechtlichen Vorgaben
für einen Arbeitsunfall in Betracht.
COVID-19 als Arbeitsunfall
Erfolgt eine Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 in Ausübung einer Beschäftigung,
kann eine sich daraus ergebende COVID-19-Erkrankung auf der Grundlage der aktuellen
Erkenntnisse auch einen Arbeitsunfall darstellen.
Dies kommt dann in Betracht, wenn die Infektion nicht in einem Bereich erfolgte, der
von der BK-Nr. 3101 erfasst wird. Dies betrifft Konstellationen, in denen sich der
intensive und direkte Kontakt zu infizierten Personen nicht bestimmungsgemäß, sondern
vielmehr situativ aus der versicherten Tätigkeit ergibt (Beispiel: Infektion eines
Beschäftigten während einer dienstlich veranlassten Bahnreise bei einem anderen Fahrgast,
der in unmittelbarer Nähe sitzt).
Auch die Anerkennung eines Arbeitsunfalls setzt in der Regel einen nachgewiesenen
intensiven Kontakt mit einer infizierten Indexperson voraus. Maßgeblich sind dabei
im Wesentlichen die Häufigkeit, die Dauer sowie die Intensität des Kontaktes. Lässt
sich keine konkrete Indexperson ermitteln, kann – wie auch bei der Berufskrankheit
– ein Ausbruchsgeschehen in einem Betrieb im Einzelfall zu einem erleichterten Nachweis
der beruflichen Verursachung führen.
Im Gegensatz zu einer Berufskrankheit kommt die Anerkennung eines Arbeitsunfalls auch
dann in Betracht, wenn die versicherte Person sich auf dem Weg zur oder von der Arbeit
infiziert hat. In bestimmten Konstellationen kann auch eine Infektion beim Kantinenbesuch
oder beim Aufenthalt in einer Gemeinschaftsunterkunft ausnahmsweise versichert sein,
wenn die besondere Infektionsgefährdung dem unternehmerischen Verantwortungsbereich
zugerechnet werden muss.
Grundsätzlich haben Ärztinnen und Ärzte, die/der keine Zulassung als Durchgangsarzt
haben, die Betroffenen nach einem Arbeitsunfall anzuhalten, sich bei einem Durchgangsarzt
vorzustellen, wenn die nachfolgenden Voraussetzungen vorliegen:
-
die Erkrankung zu einer mehrtägigen Arbeitsunfähigkeit führt,
-
die notwendige ärztliche Behandlung voraussichtlich über eine Woche andauert oder
-
Heil- und Hilfsmittel zu verordnen sind.
Für Patientinnen und Patienten mit einer wahrscheinlich beruflich erworbenen Covid-19
Infektion, bei denen aus den oben genannten Gründen ausschließlich ein Arbeitsunfall
in Betracht zu ziehen ist, haben sich die Unfallversicherungsträger jedoch auf ein
anderes Vorgehen verständigt: Aus Gründen der Infektionsprävention ist eine Vorstellung
beim Durchgangsarzt einzig zur Aufnahme der versicherungsrechtlich relevanten Daten
nicht sinnvoll. Vor dem Hintergrund der besonderen Sachlage, Quarantäneauflagen und
fachspezifischen Behandlung greift die übliche Vorstellungspflicht beim Durchgangsarzt
hier nicht. In diesen Fällen erfolgt die Meldung an den Unfallversicherungsträger
mit der Ärztlichen Unfallmeldung (F 1050). Sollten sich Betroffene dennoch bei einer
Durchgangsärztin/einem Durchgangsarzt vorstellen, ist ein D-Bericht (F 1000) zu erstellen.
Eine gesetzliche Meldepflicht für Arbeitsunfälle besteht für Arbeitgeber, wenn eine
versicherte Person durch einen Unfall getötet oder so verletzt wurde, dass sie mehr
als drei Tage arbeitsunfähig ist (§ 193 SGB VII). Die Drei-Tages-Frist beginnt am
Tag nach dem Unfall und umfasst alle Kalendertage.