Einleitung
Der nicht rationale Einsatz von Antibiotika hat kurz- und langfristige Nebenwirkungen
und trägt zur Induktion und Verbreitung resistenter Keime in- und außerhalb von Krankenhäusern
bei. Deshalb müssen alle Schritte der Antibiotikaverabreichung von der Indikationsstellung
bis zur Beendigung der Therapie kritisch begutachtet werden. In diesem Zusammenhang
haben sich Antibiotic-Stewardship (ABS)-Programme auch in der Pädiatrie als ein effektives
Instrument zur Verbesserung des Umganges mit Antibiotika und zur Reduktion von Resistenzentwicklung
sowie der Kosten erwiesen [1 ]
[2 ]. Ein erwünschter Nebeneffekt dieser Programme ist eine weitere Verbreitung von infektiologischen
und pharmakologischen Grundkenntnissen in der täglichen klinischen Praxis. Die vorliegende
Untersuchung stellt anhand der Behandlung ambulant („pediatric community-aquired pneumoniae“;
pCAP) erworbener Pneumonien im Kindesalter die Ergebnisse eines neu initiierten ABS-Programms
in einer Kinderklinik dar.
Patienten und Methoden
Patienten
Analysiert wurden in einer retrospektiven Analyse der Patientenakten die Behandlung
und Behandlungsergebnisse von insgesamt 230 zwischen Januar 2017 und März 2020 in
einer Universitätskinderklinik behandelten Kindern älter als 90 Tage bis zum vollendeten
18. Lebensjahr, bei denen eine pCAP zur stationären Behandlung führte. Nicht stationär
behandelt wurden Kinder mit nicht-schwerer pCAP nach ärztlicher Aufklärung, gesicherter
häuslicher Versorgung, der Möglichkeit einer ambulanten Re-Evaluation nach 48 h und
einem Alter > 6 Monate.
Dabei wurden 2 Gruppen (Präinterventionsgruppe, prä-IVG; bis 3/2018, und Interventionsgruppe,
IVG; ab 6/2018) gebildet. Zwischen April und Juni 2018 fand die Implementierung der
zentruminternen Leitlinie (SOP) inklusive Schulung des ärztlichen und pflegerischen
Personals statt. Die in diesem Zeitraum behandelten Kinder wurden aus der Untersuchung
ausgeschlossen. Die SOP basiert auf der aktuellen S2k-Leitlinie zur Behandlung der
pCAP [3 ] mit folgenden wichtigen Unterschieden: 1. Einschluss ab dem 4. Lebensmonat, Kinder
bis zum 90. Lebenstag werden in unserem Haus gemäß Empfehlungen der bakteriellen Infektion
Neugeborener behandelt. 2. Kinder mit schwerer pCAP oder Risikofaktoren gemäß S2k-Leitlinie
werden immer stationär aufgenommen. 3. Sehr zurückhaltende Indikation zur antibiotischen
Therapie bei nicht-schwerer Pneumonie, wenn Re-Evaluation nach 48 h gewährleistet.
4. Exakte Dosierempfehlung zur Vermeidung von Dosierungsfehlern.
Ausgeschlossen wurden alle in der Übergangsperiode behandelten Kinder, Kinder bei
Aufnahme < 90 Tage und Kinder mit Grunderkrankungen, die mit einer respiratorischen
Insuffizienz einhergehen können, einschließlich aller Kinder mit primären oder sekundären
Immundefekten.
Die Durchführung der Analyse wurde von der Ethikkommission und vom Datenschutzbeauftragten
des Universitätsklinikums Halle genehmigt (Bearbeitungsnummer 2018-58).
Definitionen
pCAP
Die pCAP grenzt sich von nosokomialen Pneumonien durch Symptombeginn vor bzw. innerhalb
von 48 h nach Aufnahme oder frühestens 7 Tage nach Beendigung einer Krankenhausbehandlung
ab.
Die Definition der pCAP entsprach dem in der AWMF-Leitlinie vorgeschlagenen Komplex
aus klinischen Symptomen [3 ]. Als Leitsymptome der Pneumonie wurden (altersangepasst) Tachypnoe und Fieber definiert
(nicht-schwere pCAP). Bei Vorliegen von mindestens einem Risikofaktor (reduzierter
Allgemeinzustand, Dyspnoe, Sauerstoffsättigung < 92 % unter Raumluft, Nahrungsverweigerung,
Dehydratation, Vigilanzveränderung oder Krampfanfall) lag eine schwere Form der pCAP
vor. Zur Erfassung der wegen pCAP aufgenommenen Kinder wurden zusätzlich die ICD-10-Diagnosen
und Arztbriefe ausgewertet.
Indikation
Als „korrekt“ wurden Antibiotikaanwendungen interpretiert, die entsprechend den Vorgaben
der SOP erfolgten. Eine Antibiotikagabe ohne Indikation für eine antibiotische Therapie
wurde als „nicht indiziert“ bezeichnet.
Antibiotika
Eine Antibiotikagabe wurde als „nicht rational“ bewertet, wenn das Wirkspektrum das
der zu erwartenden Erreger übertraf bzw. das Spektrum der laut SOP empfohlenen Wirksamkeit
ohne dokumentierte Rationale erweitert wurde. Als Fehldosierung wurde eine Über- oder
Unterdosierung von +/– 30 % der in der SOP definierten Körpergewicht-bezogenen korrekten
Antibiotikadosis bezeichnet. Die Therapiedauer wurde in der Patientenakte bestimmt
bzw. aufgrund der Empfehlung im Entlassungsbrief ermittelt.
Therapieversagen
Therapieversagen wurde als fehlendes klinisches Ansprechen nach 72 h antibiotischer
Therapie definiert. In diesem Falle wurde eine erneute laborchemische und mikrobiologische
Diagnostik durchgeführt und eine Umstellung der Therapie diskutiert.
Wiederaufnahme
Hospitalisierung aufgrund einer pulmonalen Infektion innerhalb von 30 Tagen nach Entlassung.
Diagnostik
Eine regelhaft mikrobiologische (induziertes Sputum nach NaCl 3 %-Inhalation und mindestens
2 Blutkulturen) und laborchemische (C-reaktives Protein, Blutbild, Elektrolyte, Blutgasanalyse)
Diagnostik war ausschließlich für die schwere pCAP vorgesehen. Eine Röntgenuntersuchung
des Thorax war bei jeder nicht-schweren pCAP mit einseitigem Auskultations- oder Perkussionsbefund
sowie bei jeder schweren pCAP vorgesehen. Bei anamnestischen oder klinischen Hinweisen
auf spezifische Erkrankungen (z. B. RSV, Pertussis) wurde eine entsprechende Diagnostik
durchgeführt. Das Ausmaß der Diagnostik bei stationär behandelten Patienten mit nicht-schwerer
pCAP oblag individueller ärztlicher Entscheidung.
Intervention
Auf Grundlage der Leitlinie der Fachgesellschaften [3 ] wurde in einem mehrstufigen Prozess ein konkretes Diagnostik- und Therapieschema
(SOP, „standard operating procedure“) als klinikinterne Leitlinie entsprechend der
lokalen Voraussetzungen erstellt ([Abb. 1 ]). Diese wurde jedem Mitarbeiter in einer von jedem Arbeitsplatz aus zugänglichen
Datenbank sowie einem Antibiotikaleitfaden zur Verfügung gestellt. Zudem fanden entsprechende
Schulungen des Personals statt. Die Umsetzung der SOP wurde in wöchentlichen ABS-Visiten
thematisiert. Die ABS-Verantwortlichen der Klinik waren wochentags während der Regelarbeitszeiten
ansprechbar. Das Standardregime entsprechend der Leitlinie ist in [Abb. 1 ] dargestellt.
Abb. 1 Flowchart klinikinterne Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der pCAP.
Auswertung und Statistik
Die Daten wurden nach Abschluss der Behandlung pseudonymisiert in einer EXCEL-Tabelle
gesammelt und deskriptiv ausgewertet. Die Häufigkeitsverteilungen wurden mittels Chi-Quadrat-Test,
metrische Daten mittels Mann-Whitney-U-Test (keine Normalverteilung) bzw. t-Test (Normalverteilung)
analysiert. Wird kein p-Wert angegeben, lag dieser oberhalb der Grenze der Irrtumswahrscheinlichkeit
von 5 % (p > 0,05).
Ergebnisse
Zwischen 1/2017 und 3/2020 wurden 252 Patienten wegen eine pCAP stationär in die Kinderklinik
aufgenommen. Hiervon wurden 22 Kinder in der Übergangsperiode, 145 vor Intervention
(prä-IVG) und 85 im Rahmen der Intervention (IVG) behandelt. Die Patienten der Übergangsperiode
wurden von der weiteren Analyse ausgeschlossen. Demografische Daten der eingeschlossenen
Patienten zeigt [Tab. 1 ].
Tab. 1
Demografische Daten und Therapieergebnisse.
prä-IVG
IVG
p-Wert
Anzahl, n
145
85
n.d.
weiblich, n (%)
59 (41)
33 (39)
n.s.
Alter in Monaten (1.Q/Median/3.Q)
6,0/24,0/61,0
10,0/21,0/50,0
n.s.
Gewicht in kg (1.Q/Median/3.Q)
7,3/12,0/17,6
7,9/11,2/16,8
n.s.
ehemalige FG, n (%)
19 (13)
12 (14)
n.s.
Intensivtherapie, n (%)
29 (20)
21 (26)
n.s.
KH-Tage (1.Q/Median/3.Q)
3/4/7
3/5/7
n.s.
Antibiotika- Tage (1.Q/Median/3.Q)
7/10/10,5
7/7/10
< 0,05
Prä-IVG, Präinterventionsgruppe; IVG, Interventionsgruppe; FG, Frühgeborene; Q, Quartil;
KH, Krankenhaus; n.d., nicht durchgeführt; n.s., nicht signifikant (> 0,05).
Tachypnoe wurde bei 89, Fieber bei 168 Kindern zur Aufnahme dokumentiert ([Tab. 2 ]). In der IVG lag der Anteil der Patienten mit Tachypnoe mit 58 % über dem der prä-IVG
(28 %) (p < 0,05). Bei 138 (95 %) der Kinder vor und bei 83 (98 %) der Kinder nach
Intervention bestand eine auf eine Pneumonie hinweisende Symptomatik. 93 % der Kinder
der prä-IVG und 74 % der IVG erhielten eine Röntgen(-thorax-)untersuchung (p < 0,05).
23 (16 %) bzw. 14/145 (10 %) der Patienten in der prä-IVG und 21 (25 %) bzw. 6/85
(7 %) in der IVG erhielten eine Blutkultur bzw. eine Sputumprobe/BAL (p > 0,05 für
beide Untersuchungen). In der IVG war keine Blutkultur positiv, in der prä-IVG 3/23
(13 %). Im Einzelnen wurden Corynebakterien (n = 2) und MRSA (n = 1) nachgewiesen.
Tab. 2
Klinik und Diagnostik.
prä-IVG
IVG
p-Wert
Fieber, n (%)
104 (72)
64 (75)
n.s.
Tachypnoe, n (%)
40 (28)
49 (58)
< 0,05
Dyspnoe, n (%)
85 (59)
51 (60)
n.s.
Auskultation auffällig, n (%)
117 (81)
66[* ] (78)
n.s.
CRP mg/l (1.Q/Median/3.Q)
4,9/13/49,2
6,2/22,6/57,3
n.s.
Blutkultur entnommen, n (%)
23 (16)
21 (25)
n.s.
Blutkultur positiv, n (%)
3 (23)
0
n.d.
Untersuchung auf atypische Erreger, n (%)
106 (73)
66 (78)
n.s.
Röntgen-Thorax, n (%)
135 (93)
63 (74)
< 0,05
n.d., nicht durchgeführt; n.s., nicht signifikant
* 1 Patient ohne Angabe
Der Anteil von mit Antibiotika behandelten Kindern sank nur unwesentlich (prä-IVG
60 %, IVG 56 %). Die mediane Therapiedauer reduzierte sich von 10 auf 7 Tage (p < 0,05).
Die verwendeten Antibiotika sind in [Abb. 2 ] aufgeführt. In der prä-IVG erhielten 23/87 (26 %) der antibiotisch behandelten Kinder
eine Kombinationstherapie, in der IVG 5/48 (10 %, p > 0,05). Der Anteil der antibiotisch
behandelten Kinder mit Aminopenicillinanwendung (ohne Betalaktamaseinhibitor) stieg
(prä-IVG 5 %, IVG 44 %, p < 0,05), der der mit Cephalosporinen behandelten Kinder
sank (prä-IVG 46 %, IVG 2 %, p < 0,05). Nicht indizierte Antibiotikatherapien nahmen
ab (prä-IVG 26 %, IVG 10 %, p < 0,05). Ein Antibiotikum mit nicht indikationsgerechtem
Wirkspektrum („nicht rational“) bei korrekter Indikation zur Antibiotikagabe wurde
vor Intervention bei 63 %, danach bei 27 % der antibiotisch behandelten Kinder ordiniert
(p < 0,05). Die häufigsten Fehler betrafen in beiden Gruppen die Verwendung einer
Kombination von Aminopenicillin plus Betalaktamaseinhibitor anstelle eines Aminopenicillins
und den Einsatz nicht indizierter Makrolide. Der Anteil von Fehldosierungen (bei Erstanwendung)
reduzierte sich (prä-IVG 17 %, IVG 10 %, p > 0,05). Hierbei handelte es sich ausschließlich
um Unterdosierungen. Bei 73/87 (84 %) in der prä-IVG und bei 41/48 (85 %) Patienten
in der IVG wurden Antibiotika initial oder im Verlauf oral verabreicht. In der Gesamtkohorte
wurde keine Penicillinallergie dokumentiert. Auch kam es zu keiner dokumentierten
Medikamentenallergie unter Therapie, die zu einer Umstellung der Therapie führte.
Abb. 2 Antibiotikaverschreibungen vor (prä-IVG) und nach (IVG) Intervention. Die Prozentangaben
beziehen sich auf mit Antibiotika behandelte Kinder. MT, Monotherapie; KT, Kombinationstherapie;
AP, Aminopenicilline; +BLI, plus Beta-Laktamase-Inhibitor; BSP, Breitspektrumpenicilline;
CSP, Cephalosporine mit Generationsangabe; ML, Makrolide; CP, Carbapeneme; GP, Glykopeptide;
AG, Aminoglykoside; Sonst.; Sonstige.
Im Beobachtungszeitraum kam es trotz des verminderten Einsatzes von Breitspektrum-,
Kombinations- und Reserveantibiotika nicht zu einem Anstieg der Rehospitalisierungen
aufgrund respiratorischer Infektionen (prä-IVG 6/145, 4 %, IVG 2/85; 2 %, p > 0,05).
Wir fanden keine relevante Änderung der Verweildauer (Median prä-IVG 4 Tage, IVG 5
Tage).
Diskussion
Infektionen v. a. des oberen und unteren Respirationstrakts zählen zu den häufigsten
akuten Vorstellungsgründen in Kinderarztpraxen und Krankenhausambulanzen [4 ]
[5 ]. Kinderärzte verschreiben in dem Wissen, dass ein Großteil hiervon viral bedingt
ist und nicht jede bakterielle Infektion grundsätzlich eines Antibiotikums bedarf,
diese eher zurückhaltend. Bez. Wahl des Präparates, Dosis, Therapiedauer und Diagnostik
fehlt für ambulante wie stationäre Antibiotikaverschreibungen oft die Evidenz [6 ]
[7 ]
[8 ].
Infektiologische Kenntnisse sind wichtig, um Infektionserkrankungen, weltweit weiterhin
eine der Haupttodesursachen im Kindesalter, effektiv behandeln zu können [9 ]. Antibiotika können wie alle Medikamente kurz- und langfristige unerwünschte Effekte
haben. So zeigen Daten der jüngeren Vergangenheit Zusammenhänge zwischen Antibiotikagaben
in der Kindheit, Veränderungen des Mikrobioms und der Entstehung chronischer Erkrankungen
[10 ]
[11 ]
[12 ]. Ein weiteres Argument für den indikationsgerechten Einsatz von Antibiotika ist
die hierdurch mögliche Reduktion der Selektion von Resistenzen.
Ausgehend von diesen Erkenntnissen, wurden in der Pädiatrie wie in der Erwachsenenmedizin
Antibiotic-Stewardship (ABS)-Programme entwickelt [3 ]
[13 ]. Die Besonderheiten des wachsenden kindlichen Organismus in Zusammenhang mit fehlenden
pharmakologischen Daten stellen hier eine besondere Herausforderung dar. Leitlinien
zum Management von Infektionserkrankungen und ABS in der Pädiatrie sollen ausdrücklich
als Grundlage zur Erstellung von lokale Bedingungen berücksichtigenden Standards und
idealerweise Bildung pädiatrischer ABS-Teams führen [13 ]. 2017 veröffentlichten die DGPI und die DGPP eine Leitlinie zum Management der ambulant
erworbenen Pneumonie bei Kindern (pCAP) > 90 Lebenstage [3 ]
[14 ]. Im Rahmen der Einführung eines ABS-Programmes in der Kinderklinik wurden interne
Leitlinien für die häufigsten infektiologischen Krankheitsbilder, u. a. die pCAP,
erstellt. Die Umsetzung umfasste Schulungen und tägliche ABS-Visiten. Die vorliegende
Untersuchung analysiert die Auswirkung der genannten Maßnahmen auf das pCAP-Management
in einer Universitätskinderklinik.
Die Ziele des Programms entsprachen im Wesentlichem denen jedes ABS-Programms: 1.
Die Qualität der Behandlung sollte verbessert, 2. der Anteil verordneter Reserveantibiotika
insbesondere der Carbapeneme, 3. unnötige Kombinationstherapien und Cephalosporingaben
und 4. überflüssige Diagnostik reduziert werden. Zudem waren 5. verkürzte Therapiedauer,
6. rasche Oralisierung, 7. erregergerechte Therapieoptimierung und 8. zeitnahe Korrektur
falscher Dosierungen Ziele. Positive ökonomische Aspekte waren erwünscht, aber weder
Auslöser noch Ziel der Maßnahme.
Leitsymptome der bakteriellen pCAP sind Tachypnoe und Fieber. Husten kommt i. d. R.
erst später im Krankheitsverlauf hinzu, da die bei der bakteriellen Pneumonie besonders
betroffenen Alveolen keine Hustenrezeptoren besitzen. Kindliche Pneumonien sind aber
auch ohne die genannten Symptome möglich. Dies wurde im Rahmen der Leitlinienimplementierung
intensiv geschult. Der gestiegene Anteil von Kindern mit dokumentierter Tachypnoe
in der IVG ist nicht Zeichen einer Änderung des Krankheitsbildes, sondern spiegelt
die höhere Sensibilität für das Erkennen und Dokumentieren der Symptomatik. Im Gegensatz
zur leicht mess- und objektivierbaren Körpertemperatur ist eine (physiologische) Tachypnoe
auch bei der im Aufnahmeprozess üblichen Aufregung oder Anstrengung des Kindes üblich
und wurde vermutlich in der prä-IVG nicht als pathologisch wahrgenommen. Zudem konnten
wir zeigen, dass die Mehrzahl der Kinder in beiden Gruppen eine auf eine respiratorische
Problematik hinweisende Symptomatik aufwies. Der im Rahmen der Intervention gesunkene,
aber weiterhin hohe Anteil von Röntgenuntersuchungen muss angesichts der Strahlenbelastung
kritisch hinterfragt werden. Die Sonografie als weniger problematisches und schnelles
Verfahren wird in naher Zukunft über bisherige Möglichkeiten (Diagnostik Atelektase,
Pneumothorax) hinausgehende diagnostische Optionen in der Notfallambulanz bieten,
bleibt allerdings mit methodischen Nachteilen (Interratervariabilität) belastet. Ein
Teil der Einführung des ABS-Programms war die Schulung des ärztlichen und pflegerischen
Personals in der korrekten Abnahme von Blutkulturen. Der gestiegene Anteil von Kindern,
bei denen eine entsprechende Untersuchung durchgeführt wurde, konnte bei 0 % Erregernachweis
die Diagnostik und Therapie nicht unterstützen. Andere Untersuchungen kamen zu vergleichbaren
Ergebnissen [15 ]. Bei mehr als 7500 Kindern und einer Blutkulturrate von 34 % waren in einer weiteren
Analyse 65 (0,9 %) positiv. Da die Mehrheit der Erreger Pneumokokken bzw. Penicillin-sensibel
waren, sahen die Autoren einen nur geringen diagnostischen und therapeutischen Gewinn
[16 ]. Negative Effekte (z. B. unnötige Therapien) falsch-positiver Blutkulturen sind
belegt [16 ]
[17 ]. Die Gewinnung von induziertem Sputum ist in der Kinderheilkunde aufgrund der geringen
Compliance bis ins Grundschulalter hinein problematisch und spielte trotz Implementierung
in der klinikinternen Leitlinie in der Praxis keine Rolle. Ungerichtete Rachenabstriche
für bakteriologische Untersuchungen sind aufgrund der regelhaft nachweisbaren Standortflora
mit potenziell pathogenen Erregern nicht weiterführend [14 ]. Hingegen ist die zielgerichtete Untersuchung auf virale Pathogene sinnvoll, allerdings
kostenaufwendig und kaum durch DRG-Erlöse refinanziert. Anamnese und klinische Untersuchung
sind bei der Differenzierung zwischen viraler und bakterieller Genese oft hilfreich.
Eine obstruktive Symptomatik mit Rhinitis/Pharyngitis mit fehlendem oder moderatem
Fieber bei einem Kind < 6 Jahre weist eher auf ein virales Geschehen hin. Die Intervention
scheint das Bewusstsein für diese Zusammenhänge geschärft zu haben. Der Anteil nicht
indizierter Antibiotikaanwendungen sank. Es bleibt abzuwarten, ob in Zukunft weitere
diagnostische Methoden zur unmittelbaren Differenzierung bakteriell–nicht bakteriell
und näheren Charakterisierung des Erregers verfügbar werden [18 ]. Nicht zuletzt sollten wir auch weiterhin der ärztlichen Kunst vertrauen, da positive
Virusnachweise eine bakterielle (Ko-)Infektion nicht ausschließen [5 ].
Die Vielzahl und die Breite verwendeter Antibiotika in der prä-IVG spiegelt die Praxis
der wenig rationalen und von den (be-)handelnden Personen abhängigen Antibiotikawahl.
Hierbei wurde selten ein das Zielspektrum nicht erfassendes Antibiotikum im Sinne
einer Untertherapie, sondern ein „nicht rationales“ Antibiotikum gewählt. In Übereinstimmung
mit den Ergebnissen anderer Autoren zeigen unsere Daten, dass sich die diesbezüglichen
Ziele des Programmes umsetzen ließen [19 ]
[20 ]
[21 ]
[22 ]. Kombinationstherapien sowie nicht indizierte Carbapenem- und Cephalosporingaben
(Generation II/III) nahmen ab. Aufgrund des bekannt hohen Potenzials der Generation-III-Cephalosporine
im gramnegativen Bereich Resistenzen zu induzieren, ist dieser Effekt wie der weitgehende
Verzicht auf Reserveantibiotika positiv zu bewerten. Die Sicherheit des Behandelnden,
ein vergleichsweise „altes“, aber rationales Aminopenicillin einzusetzen, wurde durch
die Intervention erhöht. Möglicherweise spielte im präinterventionellen Verschreibungsverhalten
auch ein Wahrnehmungsfehler eine Rolle. Als Maximalversorger finden sich in der Klinik
relativ viele multimorbide, chronisch kranke oder immunsupprimierte Patienten. Daher
sind die hier tätigen Ärzte den Einsatz von Kombinationstherapien und Reserveantibiotika
gewöhnt, in einigen Bereichen (z. B. Kinderonkologie, Neonatologie) sind diese Standard
der empirischen Therapie. Auch nach der Intervention wurden entgegen der SOP Makrolide
eingesetzt. Die radiologische Bezeichnung der „atypischen“ Pneumonie ist kein Unterscheidungskriterium
zwischen durch häufig als „atypisch“ bezeichnete Ureaplasmen, Mykoplasen und Chlamydien
hervorgerufenen und viral bedingten Pneumonien [23 ]. 4 der 5 nicht indizierten Antibiotikagaben in der IVG beruhten auf „atypischen
Röntgenbefunden im Sinne einer möglichen Mykoplasmen-Pneumonie“. An diesem Punkt war
eine Nachschulung der Mitarbeiter notwendig.
Der Anteil antibiotisch behandelter Kinder wurde durch die Intervention nicht vermindert.
Da nicht indizierte Antibiotikaverordnungen im Vergleich beider Gruppen rückläufig
waren, könnte hier eine Rolle spielen, dass mehr Pneumonien als viral charakterisiert
und deshalb die Patienten nicht hospitalisiert wurden. Eine Verkürzung der Therapiedauer
verringert die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Nebenwirkungen und Resistenzen
ohne Einbußen der therapeutischen Sicherheit [24 ]. Der auch von anderen Autoren im Zuge von ABS-Initiativen gesehene Rückgang der
medianen Behandlungsdauer spiegelt auch eine stärkere Gewichtung der Klinik gegenüber
laborchemischen Ergebnissen und eine höhere Sicherheit im Umgang mit Infektionen bzw.
Antibiotika [19 ]. Zudem wird hiermit die Umsetzung der internen Leitlinie, die klare Empfehlungen
zur Therapiedauer gibt, dokumentiert.
Wir fanden einen Rückgang der Fehldosierungen von 17 % auf 10 %. Die Intervention
führte trotz erhöhter Aufmerksamkeit für Belange der antiinfektiven Therapie und klaren
Dosisempfehlungen in der SOP somit nicht zu einer zufriedenstellenden Reduktion. In
der Pädiatrie existieren sowohl in den Informationen der Hersteller wie in Lehrbüchern
unterschiedliche Dosisempfehlungen für identische Wirkstoffe, Indikationen und Patientengruppen.
Um den Faktor 200 differierende Patientengewichte lassen hohe oder niedrige Dosen
und verschiedene Verabreichungsintervalle nicht unbedingt auffallen. Insbesondere
unter den Bedingungen des Bereitschaftsdienstes fehlt es an sofortiger Kontrolle.
Im Rahmen der zunehmenden Verbreitung von digitalen Patientenkurven und Verordnungsplänen
wäre eine im Hintergrund auf der Basis von Körpergewicht und Körperoberfläche laufende
Plausibilitätskontrolle mit Anzeige entsprechender Warnmeldungen sinnvoll.
Orale Antibiotika sind intravenösen Verabreichungen in der Behandlung der pCAP nicht
unterlegen [25 ]
[26 ]. Aufgrund der hohen präinterventionellen Oralisierungsrate (84 %) ist der ausbleibende
diesbezügliche Anstieg wenig überraschend. Prinzipiell hat die Umstellung auf orale
Antibiotika Vorteile. Den Kindern werden Angst und Schmerz (intravenöse Zugänge, „Spritze“
usw.) erspart, eine Entlassung in die Häuslichkeit bzw. eine erhöhte Mobilität innerhalb
der Klinik möglich. Zudem sind orale Antibiotika häufig kostengünstiger als intravenöse
Präparationen. Schwierigkeiten ergeben sich im Bereich der Compliance sowie bei der
Findung der korrekten Dosis [27 ]
[28 ]. Wird die Therapie nach Entlassung fortgesetzt, ist auf eine gute Schulung der Eltern
zu achten, um Fehldosierungen zu vermeiden [29 ]. Tabletten sind oft nicht entsprechend der errechneten Dosis teilbar. Besonderheiten
in der Bioverfügbarkeit müssen beachtet werden, wobei sowohl (selten) Dosisreduzierungen
als auch Dosiserhöhungen notwendig sein können.
Die Sicherheit der Implementierung von ABS-Programmen ist belegt [19 ]
[20 ]
[21 ]. Auch die vorliegende Analyse zeigt anhand des gleichbleibenden Niveaus von Therapieversagen
und Wiederaufnahmen, dass die konsequente Umsetzung von ABS-Programmen nicht zu einer
Gefährdung von Patienten insbesondere durch Untertherapie führte.
Eine denkbare Reduktion der Antibiotikakosten war nicht primäres Ziel der Intervention.
Da Reserveantibiotika i. d. R. teurer sind als die für die Therapie der pCAP empfohlenen
„First-Line“-Antibiotika, sind positive Effekte erwartbar. Die Aussagen der Literatur
sind hier nicht einheitlich. Hübner et al. fanden eine deutliche Reduktion der Antibiotikakosten
[20 ]. Andere Autoren sahen dagegen derartige Effekte nicht oder nur in geringem Maße
[30 ]. Diskussionen um Kostenreduktionen sind unter ABS-Gesichtspunkten nicht unproblematisch,
da ein Preisverfall wichtiger Reserveantibiotika, z. B. des Meropenems, nicht zu deren
unkritischem Einsatz führen darf.
Die Aussagekraft der hier vorliegenden Analyse ist in einigen Punkten limitiert. Auffällig
ist die geringere Patientenzahl in der IVG trotz längerer Untersuchungsperiode. Ein
Erklärungsansatz ist die „starke” Influenzasaison 2017/18. Gesteigerte Hygienemaßnahmen
und personalbedingte Bettensperrungen in der Kinderklinik führten zu einer restriktiveren
Aufnahmepolitik während des 2. Untersuchungszeitraums. Die COVID-19-bedingten veränderten
Rahmenbedingungen zwangen im April 2020 zur Beendigung der Datenerhebung. Darüber
hinaus wurden denkbare Aufnahmen in andere Krankenhäuser nicht einbezogen. Zudem wurde
nicht erfasst, ob Änderungen der Resistenz- und Erregerlage oder des allgemeinen Verschreibungsverhaltens
klinische Behandlungsergebnisse beeinflusst haben.
Schlussfolgerung
Ein ABS-gestütztes Interventionsbündel führte zu einer rationaleren Verschreibung
von Antibiotika ohne Verlust an therapeutischer Sicherheit. Die Leitlinienadhärenz
konnte durch ein Maßnahmenbündel von SOP-Erstellung, Schulung, regelmäßigen ABS-Visiten
und Konsiliarwesen gesteigert werden. Nicht untersucht wurden langfristige (Aus-)Wirkungen
der Intervention. Ziele weitergehender und möglichst multizentrischer Untersuchungen
sind andauernde Leitlinienadhärenz, langfristige und auch unerwünschte Folgen und
Notwendigkeit sowie Möglichkeiten der Individualisierung antimikrobieller Therapien.