Phlebologie 2021; 50(02): 94
DOI: 10.1055/a-1361-2733
Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

 

    unter den 3 Gefäßsystemen führt das Lymphgefäßsystem immer noch ein Schattendasein und stößt im Vergleich zu den beiden anderen gerade auch in Bezug auf die Therapie auf relativ wenig Interesse.

    Die Lymphologie wird immer noch für eine weitgehend empirische, anwendergeprägte Wissenschaft gehalten – hier gibt es Parallelen zur Phlebologie früherer Zeiten. Die Wirksamkeit der komplexen physikalischen Entstauung als Gesamtanwendung ist evidenzgesichert. Zur alleinigen manuellen Lymphtherapie gibt es keine großen kontrollierten und randomisierten Studien – kann es keine geben.

    Nichts könnte größer sein als der Gegensatz zwischen dieser geringen Wahrnehmung des Lymphgefäßsystems und dessen tatsächlicher Bedeutung – für alle Organsysteme, für jeden medizinischen Fachbereich, ja für das Leben selbst.

    Der Beitrag von René Hägerling und Charlotte Kemper zu den genetischen Störungen in diesem Heft gibt einen Eindruck von den gravierenden Folgen eines dysfunktionalen Lymphsystems, zeigt aber auch, wie weit die Forschung inzwischen ist. Die Kasuistik einer lymphovenösen Malformation von Petersen et al aus der Arbeitsgruppe von Birgit Kahle beschreibt eindrücklich den langen Leidensweg von Patienten mit einer solchen Erkrankung.

    National gibt es spannende Entwicklungen: Faszinierende innovative Technologien wie die 3D- histopathologische Diagnostik des Lymphödems (VIPAR) von René Hägerling, zuerst am St George’s Hospital London, jetzt an der Charité, oder die MR-Lymphangiografie zur Diagnostik und Therapie von Lymphgefäßerkrankungen, über die Claus Christian Pieper in diesem Heft berichtet, eröffnen neue Möglichkeiten für Diagnostik und Therapie.

    International nimmt vor allem das Interesse an der Grundlagenforschung, an den pathophysiologischen Zusammenhängen und Wechselwirkungen zwischen Lymphödem, Zytokinen, Inflammation und Fibrose zu. Anya Miller hat sich damit und mit daraus möglicherweise erwachsenden, noch hypothetischen, systemischen und lokalen Therapieoptionen beschäftigt.

    Mit den pathophysiologischen Zusammenhängen zwischen Lymphstase, Inflammation und Fettgewebsproliferation und der Geschichte der lymphologischen Liposuktion befasst sich Gabriele Faerber in ihrem Beitrag. Tinhofer, Steinbacher und Tzou berichten aus Wien über die modernen mikrochirurgischen Optionen beim Lymphödem.

    Letztendlich gilt es, alle 3 Systeme mit ihren Interaktionen gleichwertig zu betrachten, auch wenn in unserem Sprachraum unter Angiologie vorwiegend Krankheiten des arteriellen Systems verstanden werden. Jedes Krankheitsbild hat auch Bezüge zu den immunologischen Funktionen des Lymphsystems und den resultierenden Abläufen im Gewebe. An diese Zusammenhänge müssen wir denken. Durch die frühzeitige Erkennung genetischer Störungen können dramatische Spätfolgen vermieden werden. Mit den diagnostischen Möglichkeiten, die Claus Christian Pieper aufzeigt, sind kleinste Veränderungen darstellbar, werden die Analyse der Defekte, Verlaufskontrollen oder interventionelle Therapien möglich.

    Mit diesem Heft möchten wir zum Wissen um die Interaktionen der Gefäßsysteme beitragen und Sie einladen, in die interdisziplinäre Welt der Lymphologie einzutauchen.

    Ihre
    Anya Miller und Gabriele Faerber


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    Anya Miller

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    Gabriele Faerber

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    Publikationsverlauf

    Artikel online veröffentlicht:
    09. April 2021

    © 2021. Thieme. All rights reserved.

    Georg Thieme Verlag KG
    Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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