Stone JH.
et al.
Efficacy of Tocilizumab in Patients Hospitalized with Covid-19.
New Engl J Med 2020;
383: 2333-2344
DOI:
10.1056/NEJMoa2028836
An der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie nahmen 7 Kliniken
aus Boston, USA, teil. Die Firma Genentech stellte den Wirkstoff Tocilizumab zur Verfügung
und unterstützte die Untersuchung finanziell, war aber an der Analyse und Interpretation
der Daten nicht beteiligt. Rekrutiert wurden erwachsene Patienten bis 85 Jahre mit
laborbestätigter SARS-CoV-2-Infektion, die (noch) nicht invasiv beatmet wurden und
mindestens 2 der folgenden Befunde aufwiesen: Fieber (> 38 °C) über mindestens 3 Tage
vor Aufnahme, Lungeninfiltrate oder Sauerstoffbedarf, um die Sättigung > 92 % zu halten.
Zusätzlich mussten die Patienten einen auffälligen Laborwert bzw. bestimmte Grenzwerte
der folgenden aufweisen: CRP, Ferritin, D-Dimere, Laktatdehydrogenase. Ausgeschlossen
wurde, wer bereits mehr als 10 l Sauerstoff/min benötigte, kürzlich mit Biologika
oder ähnlichen bestimmten Immunsuppressiva behandelt worden war oder an einer Divertikulitis
litt.
141 Männer und 102 Frauen in einem medianen Alter von 59,8 Jahren, unter ihnen 45 %
hispanischer oder lateinamerikanischer Herkunft, wurden von April bis Juni 2020 randomisiert.
51 % von ihnen wiesen einen Body-Mass-Index von ≥ 30 auf, etwa die Hälfte litt an
einer Hypertonie, knapp ein Drittel an einem Diabetes mellitus. In einem Verhältnis
von 2:1 wurde zur Standardtherapie Tocilizumab in einer 1-maligen Dosis von 8 mg/kg
Körpergewicht (161 Patienten) oder Placebo verabreicht. Da zum Zeitpunkt der Studie
noch keine Empfehlungen für Dexamethason vorlagen, erhielt keiner der Patienten dieses
Steroid. Remdesivir hingegen wurde in einigen Fällen eingesetzt; auch andere antivirale
Therapien, Hydroxychloroquin und andere Glukokortikoide waren als zusätzliche Interventionen
erlaubt. Zu Studienbeginn waren 84 % der Teilnehmer auf zusätzlichen Sauerstoff angewiesen.
28 Tage nach Studienbeginn waren 10,6 % der Patienten unter Tocilizumab und 12,5 %
der übrigen intubationspflichtig geworden oder gestorben. Für den primären Endpunkt,
Tod oder Intubationspflicht, ergab sich damit eine Hazard Ratio von 0,83 (95 %-Konfidenzintervall
0,38–1,81, p = 0,64). Die Hazard Ratio für eine klinische Verschlechterung im Krankheitsverlauf
– der sekundäre Endpunkt – errechnete sich mit 1,11 (95 %-KI 0,59–2,10; p = 0,73).
Auch zum Zeitpunkt 14 Tage nach Gabe von Tocilizumab zeigte sich kaum ein Unterschied
zwischen den Gruppen: Der Zustand hatte sich bei 18 % der Patienten unter dem IL-6-Inhibitor
vs. 14,9 % der Kontrollgruppe verschlechtert. Zum selben Zeitpunkt benötigten weiterhin
24,6 % vs. 21,2 % unter Placebo noch zusätzlichen Sauerstoff. Höheres Alter sowie
ein IL-6-Spiegel > 40 pg/ml ging mit einem erhöhten Risiko für einen schwereren Krankheitsverlauf
einher; in entsprechenden Subgruppenanalysen erwies sich Tocilizumab aber auch nicht
als effektiver. In Bezug auf die Sicherheit ergaben sich keine neuen Aspekte für Tocilizumab;
es traten hier weniger schwere Infektionen auf als in der Kontrollgruppe.
Diese Daten sprechen nicht für den Einsatz von Tocilizumab bei COVID-19 moderaten
Schweregrads. Die Ursache dafür ist unklar; vielleicht jedoch sind die gemessenen
erhöhten Infektmarker nicht Ausdruck der Hyperinflammation bei diesen Patienten, sondern
eine übliche Immunantwort, wie etwa bei einer Sepsis. Möglicherweise könnte aber eine
andere Population mit COVID-19 als die hier untersuchte von einer IL-6-Blockade profitieren,
schreiben die Autoren.
Dr. med. Susanne Meinrenken, Bremen