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DOI: 10.1055/a-1370-2248
Der IL-6-Inhibitor Tocilizumab bei COVID-19
Schwere COVID-19-Verläufe gehen mit einer immunologischen Dysregulation einher. Hohe Serumspiegel von z. B. Interleukin-6 (IL-6) sind assoziiert mit einer hohen SARS-CoV-2-Last sowie einer raschen Beatmungspflichtigkeit und Tod. Ob entsprechende Immunmodulatoren den Krankheitsverlauf entscheidend beeinflussen können, ist Gegenstand zahlreicher Studien. Stone et al. prüften den relativ frühen Einsatz des IL-6-Inhibitors Tocilizumab.
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An der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie nahmen 7 Kliniken aus Boston, USA, teil. Die Firma Genentech stellte den Wirkstoff Tocilizumab zur Verfügung und unterstützte die Untersuchung finanziell, war aber an der Analyse und Interpretation der Daten nicht beteiligt. Rekrutiert wurden erwachsene Patienten bis 85 Jahre mit laborbestätigter SARS-CoV-2-Infektion, die (noch) nicht invasiv beatmet wurden und mindestens 2 der folgenden Befunde aufwiesen: Fieber (> 38 °C) über mindestens 3 Tage vor Aufnahme, Lungeninfiltrate oder Sauerstoffbedarf, um die Sättigung > 92 % zu halten. Zusätzlich mussten die Patienten einen auffälligen Laborwert bzw. bestimmte Grenzwerte der folgenden aufweisen: CRP, Ferritin, D-Dimere, Laktatdehydrogenase. Ausgeschlossen wurde, wer bereits mehr als 10 l Sauerstoff/min benötigte, kürzlich mit Biologika oder ähnlichen bestimmten Immunsuppressiva behandelt worden war oder an einer Divertikulitis litt.
141 Männer und 102 Frauen in einem medianen Alter von 59,8 Jahren, unter ihnen 45 % hispanischer oder lateinamerikanischer Herkunft, wurden von April bis Juni 2020 randomisiert. 51 % von ihnen wiesen einen Body-Mass-Index von ≥ 30 auf, etwa die Hälfte litt an einer Hypertonie, knapp ein Drittel an einem Diabetes mellitus. In einem Verhältnis von 2:1 wurde zur Standardtherapie Tocilizumab in einer 1-maligen Dosis von 8 mg/kg Körpergewicht (161 Patienten) oder Placebo verabreicht. Da zum Zeitpunkt der Studie noch keine Empfehlungen für Dexamethason vorlagen, erhielt keiner der Patienten dieses Steroid. Remdesivir hingegen wurde in einigen Fällen eingesetzt; auch andere antivirale Therapien, Hydroxychloroquin und andere Glukokortikoide waren als zusätzliche Interventionen erlaubt. Zu Studienbeginn waren 84 % der Teilnehmer auf zusätzlichen Sauerstoff angewiesen.
28 Tage nach Studienbeginn waren 10,6 % der Patienten unter Tocilizumab und 12,5 % der übrigen intubationspflichtig geworden oder gestorben. Für den primären Endpunkt, Tod oder Intubationspflicht, ergab sich damit eine Hazard Ratio von 0,83 (95 %-Konfidenzintervall 0,38–1,81, p = 0,64). Die Hazard Ratio für eine klinische Verschlechterung im Krankheitsverlauf – der sekundäre Endpunkt – errechnete sich mit 1,11 (95 %-KI 0,59–2,10; p = 0,73). Auch zum Zeitpunkt 14 Tage nach Gabe von Tocilizumab zeigte sich kaum ein Unterschied zwischen den Gruppen: Der Zustand hatte sich bei 18 % der Patienten unter dem IL-6-Inhibitor vs. 14,9 % der Kontrollgruppe verschlechtert. Zum selben Zeitpunkt benötigten weiterhin 24,6 % vs. 21,2 % unter Placebo noch zusätzlichen Sauerstoff. Höheres Alter sowie ein IL-6-Spiegel > 40 pg/ml ging mit einem erhöhten Risiko für einen schwereren Krankheitsverlauf einher; in entsprechenden Subgruppenanalysen erwies sich Tocilizumab aber auch nicht als effektiver. In Bezug auf die Sicherheit ergaben sich keine neuen Aspekte für Tocilizumab; es traten hier weniger schwere Infektionen auf als in der Kontrollgruppe.
Diese Daten sprechen nicht für den Einsatz von Tocilizumab bei COVID-19 moderaten Schweregrads. Die Ursache dafür ist unklar; vielleicht jedoch sind die gemessenen erhöhten Infektmarker nicht Ausdruck der Hyperinflammation bei diesen Patienten, sondern eine übliche Immunantwort, wie etwa bei einer Sepsis. Möglicherweise könnte aber eine andere Population mit COVID-19 als die hier untersuchte von einer IL-6-Blockade profitieren, schreiben die Autoren.
Dr. med. Susanne Meinrenken, Bremen
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Publication History
Article published online:
03 May 2021
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