Material und Methoden
Zwischen 2013 und 2014 erfolgte im Raum Halle-Leipzig eine anonymisierte Patientenbefragung von 590 ambulant betreuten Patienten mit mindestens einer seit 2 Jahren andauernden Erkrankung des rheumatischen Formenkreises. Die Studie wurde von der Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg befürwortet (Kennziffer 2016–99). Alle Patienten gaben ihr schriftliches Einverständnis zur Befragung.
Inhalt des Fragebogens waren Angaben zu den Infektionsepisoden der zurückliegenden 3 und 12 Monate. Konkret beinhaltete dies Angaben zu Art, Häufigkeit und Schweregrad von Infektionen, Art und Umfang der ärztlichen Diagnostik und Therapie in Bezug auf das infektiöse Ereignis sowie mögliche Gründe für den Verzicht auf eine Arztkonsultation. Bei der Auswertung der Fragebögen wurde sowohl mit dem Softwareprogramm IBM® SPSS® Statistics 21 (t-, Mann-Whitney-U-, Kruskal-Wallice- sowie Chi-Quadrat-Tests) als auch mit Microsoft® Office 2016 gearbeitet.
Ergebnisse
Patientencharakteristik
78% der kontaktierten Patienten füllten den Fragebogen aus. 432 Patienten konnten in die Untersuchung eingeschlossen werden. Darunter befanden sich 293 Frauen (68%). Das Durchschnittsalter betrug 55 (±14) Jahre, die Krankheitsdauer 14 (±11) Jahre. Die RA war die häufigste rheumatische Grunderkrankung (48%), gefolgt von Spondyloarthritiden (SpA, 30%), Kollagenosen (12%) und systemischen Vaskulitiden (7%). Die durchschnittliche Krankheitsaktivität über alle Grunderkrankungen lag bei 3 von 10 auf einer numerischen Ratingskala. Die häufigsten Begleiterkrankungen waren neben Übergewicht (durchschnittlicher BMI 27,6 kg/m²) arterielle Hypertonie und Osteoporose. 56% der Patienten berichteten darüber, regelmäßig die jährliche Grippeschutzimpfung wahrzunehmen. 28% gaben an, regelmäßig zu rauchen.
Medikamente
57% wurden mit csDMARDs behandelt, 39% erhielten bDMARDs sowie 51% Glukokortikoide (GC). Die am häufigsten verordneten Medikamente waren Methotrexat und Prednisolon. 85% der bDMARDs-Patienten bekamen zum Zeitpunkt der Befragung einen TNFα-Hemmer, am häufigsten wurden Adalimumab und Etanercept verschrieben. Die übrigen erhielten ein bDMARD der zweiten Generation (Rituximab, Tocilizumab, Anakinra, Abatacept oder Ustekimumab). Bei 59 der 170 bDMARDs-Patienten (35%) war bereits der Wechsel auf ein zweites alternatives bDMARD erfolgt. 75% der mit Glukokortikoiden behandelten Patienten nahmen 5 mg/d Prednisolon oder weniger ein. Die kumulative Einnahmedauer der Steroide wurde von 63% der Befragten auf durchschnittlich 8 Jahre geschätzt.
Infektionsepisoden und Arztkonsultationen
Insgesamt litten 283 Patienten (66%) in den 12 Monaten vor der Befragung an 838 Infektionen (194 Infektionen pro 100 Patientenjahre [PY]). Der Median betrug eine Infektion pro Person. Mehr als die Hälfte der Betroffenen (59%) gaben eine oder 2 Infektionen an, 28% berichteten von 3 bis maximal 5 Infektionen und 14% gaben mehr als 5 Infektionen an. 109 Patienten (25%) blieben infektfrei. Diese waren im Mittel 4 Jahre älter und seltener an COPD erkrankt. Der durchschnittliche Schweregrad der infektiösen Ereignisse betrug 3 (von 1 „sehr leicht“ bis 5 „sehr schwer“). Am häufigsten wurden Atemwegs- (40%) und Harnwegsinfektionen (HWI, 11%) sowie Gelenkinfektionen (10%) berichtet ([Tab. 1]).
Tab. 1 Darstellung der Infektionshäufigkeiten.
Infektion
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Anzahl
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Schweregrad
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Infektionen (%)
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Patienten (%)
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Min/Max
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IR/100 PY
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Mittelwert
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Atemwegsinfektion
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338 (40,3)
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196 (45,4)
|
0/10
|
78
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2,8
|
Harnwegsinfektion
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90 (10,7)
|
59 (13,7)
|
0/15
|
21
|
2,9
|
Gelenkinfektion
|
82 (9,8)
|
40 (9,3)
|
0/10
|
19
|
3,5
|
Gastroenteritis
|
80 (9,5)
|
53 (12,3)
|
0/8
|
19
|
2,7
|
Haut-/Weichteilinfektion
|
74 (8,8)
|
42 (9,7)
|
0/7
|
17
|
3,0
|
Influenza
|
68 (8,1)
|
55 (12,7)
|
0/4
|
16
|
3,1
|
Augeninfektion
|
40 (4,8)
|
29 (6,7)
|
0/7
|
9
|
3,0
|
Angina tonsillaris
|
39 (4,7)
|
31 (7,2)
|
0/3
|
9
|
3,2
|
ambulante Pneumonie
|
17 (2,0)
|
17 (3,9)
|
0/1
|
4
|
3,1
|
Sonstige
|
10 (1,2)
|
10 (2,3)
|
0/1
|
2
|
3,8
|
GESAMT
|
838
|
283 (65,5)
|
|
194
|
3,1
|
IR/100 PY: Infektionsrate pro 100 Patientenjahre.
82% der Erkrankten ließen sich wegen der NSIEs ärztlich behandeln, in erster Linie vom zuständigen Allgemeinmediziner in hausärztlicher Funktion ([Abb. 1]). Nur jeder Fünfte konsultierte einen Rheumatologen.
Abb. 1 Konsultierte Ärzte bei Auftreten einer Infektion (N;%).
Mit zunehmendem Schweregrad stieg die Bereitschaft der Befragten, sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Der Anteil der Patienten, die sich ärztlich behandeln ließen, lag für sehr leichte bis leichte Atemwegsinfektionen (Schweregrad 1–2) bei 56,3%, während er bei Grad 4 und 5 bei 87 bzw. 100% lag (p=0,013). Gleiches galt für Influenza und Gastroenteritiden.
18% der Patienten mit einer Infektion verzichteten auf eine ärztliche Vorstellung. Als Gründe wurden angegeben: „Die Erkrankung war nicht weiter schlimm“ (70%), „Ich behandle mich bei derartigen Infektionen selbst“ (53%), „Ich habe keinen Termin bekommen“ (2%) sowie sonstige, nicht näher beschriebene persönliche Gründe (7%). Mehrfachantworten waren erlaubt, sodass die Prozentwerte in Summe höher als 100% waren. Mindestens 101 Infektionen (12% aller Infektionen) wurden somit nicht ärztlich erfasst.
Einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Neuinfektionen und der antirheumatischen Dauertherapie konnte die Mehrheit der Befragten nicht herstellen, jeder Fünfte schloss diesen sogar aus ([Abb. 2]).
Abb. 2 Potenzieller Zusammenhang zwischen antirheumatischer Therapie und dem Auftreten von Neuinfektionen
Infektionen unter bDMARDs
Unter bDMARDs-Therapie traten bei 118 Patienten (69% aller bDMARDs-Patienten) in Summe 348 Infektionen auf, unter Standardtherapie mit csDMARDs waren dies bei 135 Patienten (61% aller csDMARDs-Patienten) 401 Infektionen. Patienten unter bDMARDs waren jünger und mit längerer Krankheitsdauer. Zudem nahmen sie seltener GC ein (41 vs. 67%, p=0,0001), dafür war die Einnahmedauer länger. Zudem waren deutlich mehr Patienten mit SpA (44,7 vs. 17,7%, p=0,001) vertreten.
Die Gesamtinfektionsraten pro 100 PY lagen bei 203 (bDMARDs) vs. 182 (csDMARDs). In beiden Therapiegruppen lagen Atemwegsinfektionen an erster Stelle. Obwohl die einzelnen Infektionsraten bei Patienten unter bDMARDs im Trend höher waren, zeigten sich keine signifikanten Unterschiede.
Die Mehrheit der Patienten unter bDMARDs sahen in dieser Therapie keine Nachteile: 58% verneinten, seit der Einnahme von bDMARDs häufiger an Infektionen zu leiden ([Abb. 3]). Zudem berichteten 41% von weniger unerwünschten Nebenwirkungen (UAWs) unter bDMARDs im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie.
Abb. 3 Infektionsneigung unter bDMARDs (Antwortrate: 77% aller bDMARDs-Patienten).
Priorisierung von UAWs
Unter einer Vorauswahl an potenziellen Nebenwirkungen der antirheumatischen Dauertherapie (modifiziert nach [5]) wurden die Patienten gebeten, ein Ranking der fünf persönlich bedeutsamsten UAWs aufzustellen. Dabei wurde auf eine konkrete Zuordnung zu spezifischen Wirkstoffen verzichtet. Die fünf häufigsten als bedeutsam empfundenen Nebenwirkungen der Gesamtstichprobe waren Gewichtszunahme (41%), Osteoporose (32%), Muskel-und Gelenkschmerzen (31%) sowie Schlafstörungen (31%) und Fatigue-Syndrom (28%). Signifikante statistische Unterschiede zwischen beiden Geschlechtern zeigen sich bei Schlafstörungen (p =0,022) und Gewichtszunahme (p ≤ 0,001), welche jeweils häufiger von Frauen angegeben wurden. Sorgen über Muskel- und Gelenkschmerzen nahmen mit steigendem Alter zu (p=0,035). Lediglich 16% der Patienten hielten eine erhöhte Infektanfälligkeit für bedenklich. Unter den Top Ten tauchten Infektionen nicht auf. Davon ausgenommen waren Patienten mit anamnestisch positiver Infektionsanamnese: Diese fürchteten signifikant häufiger zukünftige Infektionen verglichen mit den infektfreien Patienten.
Diskussion
„Alltägliche“ unkomplizierte Infektionen scheinen aus Sicht der Patienten bisweilen unproblematisch zu sein. Ein vermehrtes Auftreten von NSIEs unter bDMARDs konnte nicht gezeigt werden. Die Mehrheit der Patienten sah in dieser Therapie keine Nachteile und stellte ebenso keinen Zusammenhang zwischen Infektionsneigung und medikamentöser Dauertherapie her. Dennoch lagen unsere Infektionsraten zum Teil deutlich über denen aus der internationalen Literatur.
Eine Metaanalyse aus 33 RCTs mit 14 553 Patienten und 7910 Beobachtungsjahren ergab Infektionsraten zwischen 80 und 300/100 PY unter TNFα-Hemmern im Vergleich zu Placebo/csDMARDs (76/100 PY). 65% aller Infektionen waren respiratorischer Genese, 15% fielen auf Influenza sowie jeweils 10% auf HWI und leichtgradige Hautinfektionen. Die Infektionsraten unterschieden sich zwischen den einzelnen RCTs z. T. enorm. Keinen Einfluss auf die Inzidenz hatte die kumulative Therapiedauer [6].
Die Gesamtinfektionsrate pro 100 PY von NSIEs betrug bei einer Kohorte von 13 634 älteren RA-Patienten über 65 Jahren 47,5. Die GC-Therapie war mit einem adjustierten relativen Risiko von 1,20 (95% KI [1,15; 1,25]) im Vergleich zur MTX-Standard-Therapie assoziiert und zeigte zudem eine dosisabhängige Risikoerhöhung [7].
Aktuelle Zahlen zur Inzidenz NSIEs liefert das britische Biologica-Register BSRBR-RA. Hier wurden 17 304 NSIEs bei 10 099 Patienten beobachtet mit einer IR von 27 pro 100 PY (95% KI [26,6; 27,4]). Die Rate der NSIEs war bei csDMARDs numerisch niedriger als bei TNFα-Hemmern (19,2 vs. 29,4/100 PY). Zunehmendes Alter, weibliches Geschlecht, Komorbiditäten, GC-Therapie, hoher DAS28 und HAQ-Index waren mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden. Im Vergleich zu TNFα-Hemmern hatten IL-6-Inhibitoren ein höheres Risiko für NSIEs [8].
Atemwegsinfektionen
Atemwegsinfektionen sind die bei Rheumapatienten am häufigsten auftretenden Infektionen [9]
[10]
[11]. In unserer Arbeit hatten 56% mindestens eine unkomplizierte Atemwegsinfektion pro Jahr (inklusive Angina tonsillaris und ambulant erworbene Pneumonie). Statistisch gesehen hat jeder Erwachsene 2–5 grippale Infekte pro Jahr [12]. Zahlen für Deutschland werden seit 2011 vom RKI mittels GrippeWeb erfasst. Demnach lag für 2017 die durchschnittliche jährliche Häufigkeit des Auftretens von akuten respiratorischen Erkrankungen (ARE) bei 1,5–20,2% in der Allgemeinbevölkerung bzw. Erkrankungen mit grippeähnlicher Symptomatik (influenza-like-illness; ILI) bei 0,5–4,5%. 14–20% aller Betroffenen mit ARE konsultieren einen Arzt (vgl. ILI 33,1–39,7%) [13]. In unserer Arbeit waren dies 78%. Patienten mit chronischen rheumatischen Erkrankungen sind häufigere Arztbesuche gewöhnt und scheinen diesbezüglich möglicherweise eine niedrigere Hemmschwelle zu besitzen.
Bedeutung von Schutzimpfungen
In Deutschland besteht derzeit keine allgemeine Impfpflicht. Gerade bei älteren Patienten werden nach wie vor zu wenige Impfungen durchgeführt. Feuchtenberger et al. zeigten, dass über 90% der Befragten mit einer RA die Möglichkeit einer Impfung gegen Grippe bewusst war, jedoch weniger als 70% diese Impfung wahrnahmen [14]. Sowohl DGRh als auch EULAR empfehlen für Rheumatiker die jährliche Schutzimpfung gegen saisonale Influenza [15], da sich die Krankenhauseinweisungen und die Mortalitätsrate bei RA-Patienten dadurch verringerten [16]. In unserer Untersuchung wurde dies von 56% realisiert. Die WHO empfiehlt jedoch eine Quote von mindestens 75%. Vergleichbare Zahlen für Sachsen-Anhalt im Jahre 2014 lagen für Erwachsene mit chronischem Grundleiden laut KV-Impfsurveillance bei 52,3% [17].
Arztkonsultationen und berichtete Infektionen beim Rheumatologen
In unserer Arbeit konsultierten 82% der Befragten mindestens einmal einen Arzt, und davon nur 23% einen Rheumatologen. Insofern ist ein Underreporting dieser Infektionen beim Rheumatologen durchaus annehmbar, zumal ein Fünftel der Patienten gar keinen Arzt konsultierte und diese Infektionsepisoden undokumentiert blieben (N=101, 12%).
Gawert et al. untersuchten die Validität von Patientenberichten über UAWs anhand 4246 RA-Patienten aus dem RABBIT-Register. Infektionen wurden von den Patienten (72/1000 PY) deutlich seltener berichtet als von den Ärzten (124/1000 PY), obwohl die Patienten insgesamt durchschnittlich häufiger UAWs meldeten (1,2 vs. 0,8 UAWs/PY, p<0,001). Nur 58% aller Infektionen hätten demnach von den Ärzten erfasst werden können [4].
In unserer Befragung spielten Infektionen im Bewusstsein der Patienten im Vergleich zu anderen Nebenwirkungen der antirheumatischen Therapie nicht die wichtigste Rolle. Lediglich 16% der Patienten hielten eine erhöhte Infektanfälligkeit für bedenklich. Unkomplizierte Infektionen gehören für viele Patienten zum normalen Leben. Symptome, die entweder die Alltagsfunktionalität (u. a. Arthralgien, Schlafstörungen, Fatigue) beeinträchtigen, oder Auswirkungen auf das äußere Erscheinungsbild haben (u. a. Gewichtszunahme, Haarausfall), wurden als bedeutsamer empfunden.
Eine Patientenbefragung von Wollenhaupt et al. unter 959 RA-Patienten in Deutschland zur Lebensqualität und Schwierigkeiten im Alltag zeigte, dass Unabhängigkeit und Mobilität für die Befragten die höchste Priorität hatte. Zwei Drittel der Befragten waren mit ihrer derzeitigen Behandlung im Allgemeinen zufrieden und 61% berichteten über keine oder nur geringe Nebenwirkungen. Die zukünftige Abwesenheit von Nebenwirkungen waren 89% der Patienten wichtig [18].
Van der Goes et al. befragten 140 Patienten aus 5 europäischen Staaten (78% Frauen, Durchschnittsalter 53 Jahre, 61% Patienten mit RA) und 110 Rheumatologen unter anderem zu problematischen UAWs von Glukokortikoiden. Unter den fünf besorgniserregendsten waren Osteoporose, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Infektionen wurden von den Rheumatologen höher gewichtet (8%, Rang 4) als von den Patienten (2%, Rang 15) [5].
NSIEs unter Therapie mit bDMARDs
Weder die Inzidenzen an NSIEs noch die Anzahl an erkrankten Patienten zwischen b- und cs-DMARDs-Therapie unterschied sich in unserer Arbeit signifikant voneinander.
Salliot et al. untersuchten 2007 in einer retrospektiven Beobachtungsstudie die Anwendung von TNFα-Hemmern in der täglichen Praxis (unabhängig von der rheumatischen Grunderkrankung). Von den 709 Patienten unter TNFα-Hemmern (57,7% RA) wurden 275 infektiöse Ereignisse bei 245 Patienten (34,5%) gemeldet. Die Inzidenzrate aller Infektionen (SIEs und NSIEs) betrug 54,1/100 PY unter TNFα-Hemmern gegenüber 9,3/100 PY unter csDMARDs-Therapie (p<0,0001). Risikofaktoren waren vorangegangene Gelenkoperation sowie die kumulative GC-Dosis [19].
Germano et al. verglichen bei 341 ambulant betreuten Patienten mit RA und SpA in einer unizentrischen retrospektiven Kohortenstudie zwischen 2003 und 2009 Infektionsraten unter csDMARDs vs. TNFα-Hemmern. Dabei traten bei 52% der Patienten 318 (96,1%) NSIEs und 13 (3,9%) SIEs auf. Die Infektionsraten betrugen für csDMARDs 12,4 und für TNFα-Hemmer 62,7 pro 100 Patientenjahre. Es zeigte sich eine Verdopplung des Infektionsrisikos unter Therapie csDMARDs + TNFα-Hemmern sowie eine Verdreifachung unter alleiniger Therapie mit TNFα-Hemmern im Vergleich zur Standardtherapie. Atemwegsinfekte wurde am häufigsten registriert, 75% der Infektionen waren bakteriellen Ursprungs. Es zeigte sich zudem eine Risikoerhöhung für weibliches Geschlecht sowie moderate und hohe Krankheitsaktivität, sowie eine Risikoreduktion für steigende Krankheitsdauer sowie protektiver Influenza-Schutzimpfung [11]. Allerdings stammten diese Zahlen aus der Anfangszeit der bDMARD-Therapie, in der v. a. schwerkranke und hochaktive Patienten mit den neuen Substanzen behandelt wurde.
Eine deutlich aktuellere Studie zeigte dagegen keine Erhöhung des Infektionsrisikos unter Behandlung mit bDMARDs im Vergleich zu csDMARDs. In dieser prospektiven multizentrischen Beobachtungsstudie wurden 713 Patienten (332 RA, 308 Psoriasis-Arthritis, 85 SpA, 16 Sjögren-Syndrom) eingeschlossen. Bei 28,4% wurden 235 infektiöse Episoden beobachtet. Die häufigsten Lokalisationen der NSIEs waren der Harntrakt (39,1%), gefolgt von den unteren Atemwegen (24,7%) und den oberen Atemwegen (15,7%). Lange Krankheitsdauer, längere Nachbeobachtungszeit, begleitende GC-Therapie und Komorbiditäten waren signifikant mit erhöhtem Infektionsrisiko assoziiert; höheres Alter, weibliches Geschlecht und Krankheitsaktivität hingegen nicht [20].
Rolle der begleitenden Glukokortikoid-Therapie
51% unserer Patienten bekamen zum Zeitpunkt der Befragung ein Glukokortikoid verschrieben, im Mittel über eine Dauer von 8 Jahren. Eine begleitende Therapie mit Glukokortikoiden erhöht das Infektionsrisiko dosisabhängig [1]. Das gilt nicht nur für schwerwiegende, sondern auch für unkomplizierte Infektionen [7].
Die zum Zeitpunkt der Befragung gültige Fassung der Leitlinie der DGRh zur medikamentösen Therapie der RA von 2012 empfahl die Reduktion der Prednisolondosis über einen Zeitraum von maximal 12 Wochen auf ≤ 7,5 mg/d. Dies schien bei einem Großteil unserer Patienten möglich gewesen zu sein, da 75% eine Dosierung von weniger als 5 mg/d Prednisolonäquivalent einnahmen.
In den vergangenen Jahren hat der Einsatz von bDMARDs und JAK-Inhibitoren stetig zugenommen. Nach aktuellen Leitlinien-Empfehlungen der DGRh werden sie bei ungünstigen Prognosefaktoren bereits bei Nichtansprechen der MTX-Monotherapie eingesetzt [21]. Zudem empfiehlt die DGRh nun eine generelle Beschränkung der GC auf 6–12 Monate. Außerdem zeigen aktuelle Kohortenstudien, dass selbst ein langfristiger Einsatz von weniger als 5 mg/d Prednisolon das Infektionsrisiko erhöht [22]. Daher kann angenommen werden, dass Glukokortikoide in der Langzeitanwendung immer seltener zum Einsatz kommen und eine erneute Befragung zum jetzigen Zeitpunkt weniger Patienten unter GC-Therapie dokumentieren würde.
Ausblick
Über messbare Veränderungen von Komorbiditäten, Risikofaktoren oder Lebensgewohnheiten seit der Befragung vor 7 Jahren, die auf relevante Änderungen des Infektionsrisikos bei rheumatologischen Erkrankungen schließen lassen, kann zum jetzigen Zeitpunkt nur spekuliert werden. In der aktuellen Fachliteratur finden sich diesbezüglich nur spärliche Angaben.
Die Daten unserer Arbeit entstanden lange vor der aktuellen Corona-Pandemie. Deren Auswirkungen auf das Infektionsrisiko kann aktuell ebenfalls nur erahnt werden. Einerseits spricht nichts dafür, dass Patienten unter antirheumatischer Therapie ein generell höheres Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion oder einen schweren Verlauf einer COVID-19 haben [23]. Der Einfluss von DMARDs auf den Verlauf der Virusinfektion ist – soweit bekannt – widersprüchlich [24]. Das Spektrum erstreckt sich von positiven Effekten auf eine schwere COVID-19 (u. a. Baricitinib [25]) über schwache oder fehlende Wirkung (Hydroxychloroquin [26], Tocilizumab [27]) bis hin zur Risikoerhöhung für schwere Verläufe (Rituximab [28]). Andererseits scheint die aktuelle Pandemie die Impfbereitschaft für Influenza zu erhöhen [29]. Dieser Umstand könnte sich auch auf weitere protektive Schutzimpfungen positiv auswirken. Personen, welche gegen Influenza geimpft wurden, scheinen ein geringeres Risiko aufzuweisen, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren als nicht gegen Influenza Geimpfte [30]. Somit bleibt es weiteren Untersuchungen vorbehalten, zu klären, wie sich in der aktuellen Situation das Infektionsrisiko im Gesamtkollektiv rheumatologischer Patienten entwickelt.
Limitationen unserer Untersuchung
Eine Limitation unserer Analyse ist der kurze Untersuchungszeitraum (12 Monate) und die kleine Stichprobe von 432 auswertbaren Datensätzen. Die Befragung erfolgte zudem lokal begrenzt in ausgewählten Praxen im mitteldeutschen Raum. Wie aussagekräftig die Ergebnisse für andere und insbesondere rheumatologisch weniger gut versorgte Regionen sind, bleibt offen. Unsere Daten beruhten einzig auf dem Erinnerungsvermögen der befragten Patienten. Ungenaue Angaben sind daher prinzipiell möglich. So könnten von einzelnen Patienten arthritische Schübe als „Gelenkinfektionen“ fehlinterpretiert worden sein ([Tab. 1]). Dies könnte eine Erklärung für den vergleichsweise hohen Prozentsatz an Gelenkinfektionen in unserer Kohorte gewesen sein.