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DOI: 10.1055/a-1372-0824
Methotrexat-Intoxikation nach Therapie einer Psoriasis inversa bei chronischer Niereninsuffizienz
Methotrexate Intoxication after Therapy of Psoriasis inversa in a Patient with Chronic Renal FailureZusammenfassung
Bei einer pflegebedürftigen Patientin mit chronischer Niereninsuffizienz und Psoriasis vulgaris wurde durch ihre Hautärztin eine Therapie mit Methotrexat verordnet. Die Laborkontrollen sollten über die Hausärztin erfolgen; diese wurden jedoch erst für einen Monat später vereinbart. In der Zwischenzeit hatte der Pflegedienst bereits die erste Methotrexat-Injektion durchgeführt, wonach es zu einer Verschlechterung des Hautzustandes und Schleimhautbeschwerden bei der Patientin kam. Die Hautärztin wies die Patientin daraufhin in eine dermatologische Klinik ein; vorher wurde vom Pflegedienst jedoch eine zweite Methotrexat-Dosis verabreicht. In der Hautklinik wurde aufgrund des Befundes einer erosiven Stomatitis und Vulvitis, einer ausgeprägten Leukopenie und Thrombozytopenie und des Verdachtes auf akutes Nierenversagen eine Methotrexat-Intoxikation diagnostiziert. Die Patientin verstarb wenige Tage später an einem Multiorganversagen.
Methotrexat ist zur Induktionstherapie bei mittelschwerer bis schwerer Psoriasis vulgaris zugelassen. Zu den Gegenanzeigen einer Methotrexat-Therapie zählt nach Leitlinie und Fachinformation eine Niereninsuffizienz; ferner sind Laborkontrollen individualisiert vor der Behandlung, nach einer Woche und nach 6 Wochen und danach alle 6–12 Wochen durchzuführen. Unter arzthaftungsrechtlichen Aspekten dürfte der Einsatz von Methotrexat zur Behandlung einer Psoriasis inversa bei einer betagten Patientin mit Niereninsuffizienz als grober Behandlungsfehler zu bewerten sein; die Nichtdurchführung empfohlener Laborkontrollen ist als Befunderhebungsfehler zu werten. Die Fehleranalyse zeigt allerdings, dass der tragische Verlauf der Methotrexatintoxikation bei besserer Kommunikation zwischen den beteiligten Ärzten und Pflegenden möglicherweise hätte verhindert werden können.
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Abstract
A patient in a nursing home with chronic renal insufficiency and psoriasis vulgaris was prescribed methotrexate therapy by her dermatologist. Laboratory controls were to be carried out by the general practitioner; however, these were not arranged until one month later. In the meantime, the nurses had already administered the first methotrexate injection, after which the patientʼs skin condition worsened and she experienced mucosal complaints. The dermatologist then referred the patient to a dermatology department; however, a second methotrexate dose was administered by the nursing service beforehand. At the dermatology department, methotrexate intoxication was diagnosed based on findings of erosive stomatitis and vulvitis, marked leukopenia and thrombocytopenia, and suspected acute renal failure; the patient died of multiorgan failure a few days later.
Methotrexate is approved for induction therapy in moderate to severe psoriasis vulgaris. However, contraindications of methotrexate therapy include renal insufficiency according to the guideline and the professional information; furthermore, laboratory controls are to be performed before treatment, after 1 week and after 6 weeks, and thereafter every 6–12 weeks. Under aspects of medical liability law, the use of methotrexate for the treatment of psoriasis inversa in an elderly patient with renal insufficiency is likely to be assessed as a gross treatment error; the failure to timely perform recommended laboratory controls is suggested to be an error in the required diagnostic procedures. However, the error analysis shows that the tragic course of methotrexate intoxication could possibly have been prevented with better communication between the physicians and nurses involved.
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Klinischer Fall
Aufgrund der vorliegenden Befunde ergab sich folgender Krankheits- und Behandlungsverlauf:
Eine 88-jährige Patientin mit chronischer Niereninsuffizienz und Psoriasis vulgaris wurde in einem Pflegeheim medizinisch durch ihre Hausärztin und eine Hautärztin versorgt. Wegen einer psoriatrischen Intertrigo ([Abb. 1]) wurde von der Hautärztin eine Therapie mit Methotrexat 15,0 mg/Woche per injektionem verordnet; Laborkontrollen sollten über die Hausärztin erfolgen. Eine Blutabnahme durch die Hausärztin wurde vom Pflegedienst erst einen Monat später vereinbart; in der Zwischenzeit erfolgte aber bereits die Beschaffung des Medikaments und die erste Methotrexat-Injektion. 4 Tage später klagte die Patientin über Schmerzen in Mund und Hals und es kam zu einer Verschlechterung der Hautveränderungen. Bei einem daraufhin durchgeführten Hausbesuch der Hautärztin erfolgte wegen der Befundverschlechterung des Hautbefundes die Einweisung in eine Hautklinik, die allerdings erst 5 Tage später stattfand; zwischenzeitlich wurde durch den Pflegedienst die zweite Methotrexat-Injektion gegeben.
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Bei Aufnahme in der Hautklinik wurde aufgrund des Befundes einer erosiven Stomatitis und Vulvitis, einer ausgeprägten Leukopenie und Thrombozytopenie und des Verdachtes auf akutes Nierenversagen der Verdacht auf eine Methotrexat-Intoxikation geäußert und die Patientin notfallmäßig in eine Klinik für Innere Medizin überwiesen. Aufgrund des Patientinnenwunsches wurde von einer Dialyse und lebensverlängernden Maßnahmen abgesehen; 6 Tage später verstarb die Patientin unter dem Bild eines Multiorganversagens. Eine im Anschluss durchgeführte Sektion ergab als hinweisgebend für eine Intoxikation mit Methotrexat multiple Schleimhautulzera im nahezu gesamten Magen-Darm-Trakt und Zeichen der vorbestehenden chronischen Nierenleistungsstörung.
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Medizinische und rechtliche Interpretation
Nach der S3-Leitlinie „Psoriasis“ [1] bestehen bei der Psoriasis vulgaris eine Vielzahl von topischen, lichttherapeutischen und systemischen Therapieoptionen, die individuell in Abhängigkeit von der Schwere des Befundes und der Lebensqualität, aber auch in Abhängigkeit von bei Patienten vorliegenden Komorbiditäten und Kontraindikationen und Patientenpräferenzen auszuwählen sind. Im Rahmen eines Europäischen Konsensus wurde die Definition von leichter Psoriasis mit bestimmten Scores als BSA ≤ 10 und PASI ≤ 10 und DLQI ≤ 10 definiert, mittelschwere bis schwere Psoriasis als (BSA > 10 oder PASI > 10) und DLQI > 10 definiert. Nach der S3-Leitlinie kann Methotrexat zur Induktionstherapie bei mittelschwerer bis schwerer Psoriasis vulgaris empfohlen werden [1].
Die Erstzulassung von Methotrexat für die Behandlung der Psoriasis vulgaris in Deutschland erfolgte 1991. Es gibt viele verschiedene Anbieter, die das Medikament als Tabletten oder Injektionslösung vertreiben. Die empfohlene Initialdosis beträgt 15 mg pro Woche, die empfohlene Erhaltungsdosis 5–20 mg pro Woche in Abhängigkeit von der Wirkung; im vorliegenden Fall entsprach zumindest die Initialdosis von 15 mg den Empfehlungen der Fachinformation.
Zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen von Methotrexat gehören das Risiko für Leberfibrose und Zirrhose, Myelosuppression, akute Pneumonitis bzw. eine Alveolitis und Lungenfibrose. Eine Myelosuppression durch Methotrexat ist mehrfach beschrieben worden, insbesondere bei Patienten mit Niereninsuffizienz. Die akute Pneumonitis oder eine Alveolitis sind sehr selten.
Absolute Gegenanzeigen einer Methotrexat-Therapie sind [1]:
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aktueller Kinderwunsch (bei Frauen)
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Schwangerschaft und Stillzeit
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inadäquate Kontrazeption
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bekannte Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff Methotrexat (z. B. Lungentoxizität)
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schwere Lebererkrankungen
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Niereninsuffizienz
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aktive Tuberkulose oder andere schwere Infektionen
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aktives Ulcus pepticum
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hämatologische Veränderungen (Leukozytopenie, Thrombozytopenie, Anämie)
Bei der behandelten Patientin lag eine Niereninsuffizienz vor; eine Therapie mit Methotrexat war daher kontraindiziert.
Entsprechend der Leitlinie und der Fachinformation sind Laborkontrollen bei der Methotrexat-Therapie individualisiert vor der Behandlung, nach 1 Woche und nach 6 Wochen und danach alle 6–12 Wochen durchzuführen [1]. Die durchzuführenden Laborkontrollen umfassen mindestens:
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Blutbild
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ALAT, ASAT, γGT
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Kreatinin
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Hepatitis B-Serologie
Vor Therapiebeginn sollten laut Fachinformation folgende Untersuchungen durchgeführt werden: komplettes Blutbild mit Differenzialblutbild, Leberenzyme (ALAT [GPT], ASAT [GOT], AP), Bilirubin, Serumalbumin, Nierenretentionsparameter (ggf. mit Kreatinin-Clearance), Hepatitis-Serologie (A, B, C), ggf. Tuberkulose-Ausschluss sowie Thorax-Röntgen [2].
Im vorliegenden Fall wurden die empfohlenen Laborkontrollen vor der Behandlung bei der Patientin nicht durchgeführt; sie wurden zwar angeordnet, waren jedoch mit der Hausärztin erst längere Zeit nach Einleitung der Methotrexat-Therapie vereinbart.
Indikationen zur Therapieunterbrechung und Abklärung bei der Methotrexat-Therapie sind ein Transaminasenanstieg über das 3-Fache der Norm, Anämie, Abfall der Leukozyten oder Thrombozytenzahlen im peripheren Blut, Kreatininanstieg, akute Dyspnoe und Husten und schwere Infektionen. Das Absinken der Leukozyten und Thrombozyten ist meistens 7–10 Tage nach der letzten Dosis zu beobachten. Bei schwerer Leukozytopenie, Diarrhoe (Dehydratation), ulzerativer Stomatitis, Nephro- und Lungentoxizität wird die Verabreichung von MTX gestoppt [1]. Folsäuresubstitution (5 mg) am Folgetag der MTX-Einnahme kann leichte unerwünschte Arzneimittelwirkungen durch MTX vermeiden helfen.
Eine orale Mukositis und kutane Erosionen sind charakteristisch bei Patienten, die eine schwere akute MTX-Toxizität entwickeln [3].
Bei Überdosierung von Methotrexat ist ein sofortiger Beginn einer Therapie mit Kalziumfolinat/Folinsäure indiziert. Serumkreatinin und MTX-Spiegel im Serum sind so schnell wie möglich und im weiteren Verlauf jeweils nach 12–24 Stunden zu bestimmen. Die Folinsäuredosis (Kalziumfolinat) ist entsprechend dem MTX-Spiegel und der Nierenfunktion anzupassen. Evtl. ist der Patient auch zu hydrieren und Urin zu alkalisieren, um eine Präzipitation von MTX und seinen Metaboliten in der Niere zu verhindern. Bei Überdosierung infolge Nierenfunktionsstörung ist ggf. eine Hämodialyse durchzuführen.
Laut einer pharmazeutischen Publikation seien Methotrexat-Intoxikationen nicht selten; Apotheker werden deshalb aufgefordert, Rezepte und Einnahmeanweisungen für Methotrexat in der Kommunikation mit Patienten und Ärzten regelmäßig kritisch zu hinterfragen [4]. Bei einem erheblichen Teil von Methotrexat-Intoxikationen scheint eine Niereninsuffizienz zur Kausalität beizutragen [5]; Intoxikationen können tödlich verlaufen [6]. Ein wichtiges klinisches Zeichen für eine Methotrexat-Intoxikation ist, wie erwähnt, die Mukositis, die auch im vorliegenden Fall vorlag [7], jedoch offensichtlich nicht zu weiteren Abklärungen veranlasste.
Die S3-Leitlinie „Psoriasis“ [1] führt aus, dass die Behandlung mit MTX eine intensive Beratung und regelmäßige Untersuchung sowie eine auf Verständnis bauende Betreuung der Patienten v. a. in der Frühphase der Therapie mit häufigen klinischen Kontrollen und Laboruntersuchungen erfordert. Die Patienten müssen über die Frühsymptome potenzieller unerwünschter Arzneimittelwirkungen aufgeklärt und nachverfolgt werden. Gerade bei älteren, pflegebedürftigen Patienten kann die Erfüllung dieser Aufklärungspflicht in der Praxis schwierig sein.
Unter arzthaftungsrechtlichen Gesichtspunkten dürfte im vorliegenden Fall neben der als groben Behandlungsfehler einzuschätzenden Verordnung von Methotrexat bei bekannter chronischer Niereninsuffizienz auch ein Befunderhebungsfehler aufgrund der nicht zeitgerecht durchgeführten Laborkontrollen vorgelegen haben, die aufgrund der dann eingetretenen und verspätet diagnostizierten Methotrexat-Intoxikation letztlich zum Tode der Patientin führten. Sowohl der grobe Behandlungsfehler wie auch der Befunderhebungsfehler können zur Beweislastumkehr für den Schaden führen.
Bei der Fehleranalyse des vorliegenden Falles wird allerdings deutlich, dass an mehreren Zeitpunkten die Möglichkeit bestanden hätte, die Fehlerkaskade zu unterbrechen. So hätte der Pflegedienst im Vorfeld der ersten Methotrexat-Gabe in Rücksprache mit Hautärztin und Hausärztin klarstellen können, ob eine erste Laborkontrolle erst nach einem Monat ausreichend sei. Bei sorgfältiger Lektüre des Beipackzettels der Methotrexat-Injektion durch Patientin und/oder Pflegedienst hätten auch die Kontraindikation „chronische Niereninsuffizienz“ und die Notwendigkeit einer Laborkontrolle vor Therapieeinleitung auffallen können. Die verzögerte Klinikeinweisung bei sich kontinuierlich verschlechterndem Allgemeinzustand der Patientin hätte ferner Anlass zur Rückfrage bei Hautärztin und Hausärztin geben können.
Der tragische Verlauf im vorliegenden Fall wäre bei einer besseren Kommunikation zwischen den behandelnden Ärzten und Pflegenden möglicherweise zu verhindern gewesen.
Die Behandlung der Psoriasis vulgaris oder einer Psoriasis inversa bei älteren, multimorbiden, pflegebedürftigen Patienten ist schwierig aufgrund der häufig nicht umsetzbaren topischen oder UV-Therapie und der für eine leitliniengerechte differenzierte systemische Therapie vielfach vorliegenden Kontraindikationen. Zusätzliche Herausforderungen stellen die interdisziplinäre Kommunikation mit anderen behandelnden Ärzten und Pflegediensten dar. Systemische Medikamente mit dem Potenzial schwerer Nebenwirkungen sollten daher bei diesen Patienten nur unter Beachtung aller Kontraindikationen und empfohlener Laborkontrollen eingesetzt werden.
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Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
- 1 Nast A, Amelunxen L, Augustin M. et al. S3-Leitlinie zur Therapie der Psoriasis vulgaris Update – Kurzfassung Teil 1 – Systemische Therapie: S3-Leitlinie Psoriasis. J Dtsch Dermatol Ges 2018; 16: 645-670
- 2 medac GmbH. Fachinformation Methotrexat 15 Injektionslösung medac. 2021
- 3 Riquelme-Mc Loughlin C, Giavedoni P, Mascaró Jr JM. More than skin deep. Am J Emerg Med 2018; 36: 1719.e3-1719.e4
- 4 Arnet I, Bernhardt V, Hersberger KE. Methotrexate intoxication: the Pharmaceutical Care process reveals a critical error. J Clin Pharm Ther 2012; 37: 242-244
- 5 Dalkilic E, Coskun BN, Yağız B. et al. Methotrexate intoxication: Beyond the adverse events. Int J Rheum Dis 2018; 21: 1557-1562
- 6 Moisa A, Fritz P, Benz D. et al. Iatrogenically-related, fatal methotrexate intoxication: a series of four cases. Forensic Sci Int 2006; 156: 154-157
- 7 Bauer J, Fartasch M, Schuler G. et al. Ulcerative stomatitis as clinical clue to inadvertent methotrexate overdose. Hautarzt 1999; 50: 670-673
Korrespondenzadresse
Publication History
Article published online:
14 April 2021
© 2021. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Nast A, Amelunxen L, Augustin M. et al. S3-Leitlinie zur Therapie der Psoriasis vulgaris Update – Kurzfassung Teil 1 – Systemische Therapie: S3-Leitlinie Psoriasis. J Dtsch Dermatol Ges 2018; 16: 645-670
- 2 medac GmbH. Fachinformation Methotrexat 15 Injektionslösung medac. 2021
- 3 Riquelme-Mc Loughlin C, Giavedoni P, Mascaró Jr JM. More than skin deep. Am J Emerg Med 2018; 36: 1719.e3-1719.e4
- 4 Arnet I, Bernhardt V, Hersberger KE. Methotrexate intoxication: the Pharmaceutical Care process reveals a critical error. J Clin Pharm Ther 2012; 37: 242-244
- 5 Dalkilic E, Coskun BN, Yağız B. et al. Methotrexate intoxication: Beyond the adverse events. Int J Rheum Dis 2018; 21: 1557-1562
- 6 Moisa A, Fritz P, Benz D. et al. Iatrogenically-related, fatal methotrexate intoxication: a series of four cases. Forensic Sci Int 2006; 156: 154-157
- 7 Bauer J, Fartasch M, Schuler G. et al. Ulcerative stomatitis as clinical clue to inadvertent methotrexate overdose. Hautarzt 1999; 50: 670-673
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