CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2021; 81(07): 769-779
DOI: 10.1055/a-1380-3657
GebFra Science
Review/Übersicht

Rezidivierende Spontanaborte: ein Vergleich internationaler Leitlinien

Artikel in mehreren Sprachen: English | deutsch
Kilian Vomstein
1   Medical University Innsbruck, Department of Gynaecological Endocrinology and Reproductive Medicine, Innsbruck, Austria
,
Anna Aulitzky
1   Medical University Innsbruck, Department of Gynaecological Endocrinology and Reproductive Medicine, Innsbruck, Austria
,
Laura Strobel
1   Medical University Innsbruck, Department of Gynaecological Endocrinology and Reproductive Medicine, Innsbruck, Austria
,
Michael Bohlmann
2   Zentrum für Gynäkologie und Geburtshilfe, St Elisabethen-Krankenhaus Lörrach gGmbH, Lörrach, Germany
,
Katharina Feil
1   Medical University Innsbruck, Department of Gynaecological Endocrinology and Reproductive Medicine, Innsbruck, Austria
,
Sabine Rudnik-Schöneborn
3   Zentrum für medizinische Genetik, Medizinische Universität Innsbruck, Innsbruck, Austria
,
Johannes Zschocke
3   Zentrum für medizinische Genetik, Medizinische Universität Innsbruck, Innsbruck, Austria
,
Bettina Toth
1   Medical University Innsbruck, Department of Gynaecological Endocrinology and Reproductive Medicine, Innsbruck, Austria
› Institutsangaben
 

Zusammenfassung

Während etwa 30% aller Frauen in ihrem Leben einen Spontanabort erleben, beträgt die Inzidenz für rezidivierende (habituelle) Spontanaborte 1 – 3% abhängig von der angewandten Definition. Zu den etablierten Risikofaktoren zählen endokrine, anatomische, infektiologische, genetische, hämostaseologische und immunologische Faktoren. Die Diagnostik ist jedoch durch teilweise divergierende Empfehlungen der jeweiligen internationalen Fachgesellschaften erschwert. Der vorliegende Artikel soll daher einen Vergleich der bestehenden internationalen Leitlinienempfehlungen geben. Hierzu werden die Leitlinien der ESHRE, ASRM, der DGGG/OEGGG/SGGG sowie die Empfehlungen des RCOG analysiert. Es zeigt sich, dass eine Abklärung bereits nach 2 klinischen Schwangerschaften indiziert ist und die Diagnostik anhand eines standardisierten Fahrplans erfolgen sollte, der die häufigsten Ursachen für wiederholte Spontanaborte umfasst. Die Leitlinien sind sich einig, dass der Ausschluss anatomischer Malformationen, eines Antiphospholipidsyndroms sowie von Schilddrüsendysfunktionen erfolgen sollte. Darüber hinaus empfehlen die Leitlinien die Durchführung einer Chromosomenanalyse beider Partner präkonzeptionell (oder aus dem Abortmaterial). Andere Risikofaktoren sind zum einen aufgrund fehlender diagnostischer Kriterien (Lutealphaseninsuffizienz), zum anderen aufgrund des unterschiedlichen Alters der Leitlinien (chronische Endometritis) nicht von allen Fachgesellschaften in die Empfehlungen aufgenommen. Zusätzlich haben unterschiedliche gesundheitsökonomische und Konsensusaspekte im Rahmen der Leitlinienerstellung Einfluss auf die einzelnen Empfehlungen. Das Verständnis der zugrunde liegenden Entscheidungsprozesse sollte in der Praxis dazu führen, dass für das jeweilige Paar die individuell beste Diagnostik und die sich daraus ableitende Therapie angeboten wird.


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Einleitung

Der Verlust einer Schwangerschaft von der Konzeption bis zur 24. Schwangerschaftswoche (SSW) oder bis zu einem Gewicht des Fetus von 500 g [1] wird gemäß WHO als Abort definiert. Als rezidivierende Spontanaborte (RSA) bezeichnet die WHO das Vorkommen von 3 oder mehr konsekutiven Aborten vor der 20. SSW. Die Amerikanische Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (ASRM) definiert RSA hingegen bereits nach 2 Aborten mit klinischem Nachweis einer Schwangerschaft (sonografisch oder histopathologisch) [2], [3], [4].

Circa 1 – 3% der Paare mit Kinderwunsch sind von RSA betroffen, mit teilweise erheblichen Konsequenzen für Partnerschaft und Lebensqualität [5]. Zu den etablierten Risikofaktoren zählen endokrine, anatomische, infektiologische, genetische, hämostaseologische und immunologische Faktoren. Hierbei kann nach einer standardisierten Diagnostik nur bei etwa 50% der betroffenen Frauen eine Ursache gefunden werden, die andere Hälfte bleibt unklar, weshalb die Etablierung neuer diagnostischer und therapeutischer Ansätze dringend notwendig ist. In den letzten Jahren wurden von verschiedenen Fachgesellschaften Leitlinien und Handlungsempfehlungen verfasst, in denen die Diagnostik und Therapie von RSA behandelt wird. Allerdings unterscheiden sich die diagnostischen und therapeutischen Ansätze teilweise erheblich – nicht zuletzt bereits in der Definition von RSA ([Tab. 1]). Aus diesem Grund werden im vorliegenden Artikel die aktuellen internationalen Leitlinien der European Society of Reproduction and Embryology (ESHRE) [6], der American Society of Reproductive Medicince (ASRM) [2], [3], der Deutschen, Österreichischen und Schweizer Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG/OEGGG/SGGG) [7], sowie die Empfehlungen des Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG) [8] verglichen. Ziel ist es, eine Übersicht über den aktuellen Stand der Diagnostik und Therapie von RSA zusammenzustellen sowie den behandelnden Ärzten Handlungsempfehlungen an die Hand zu geben, die gegebenenfalls über die im jeweiligen Land geltenden Empfehlungen hinausgehen können.

Tab. 1 Definition RSA in den Leitlinien.

ESHRE

DGGG/OEGGG/SGGG

ASRM

RCOG

ASRM = American Society for Reproductive Medicine; DGGG/OEGGG/SGGG = Deutsche, Österreichische und Schweizer Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe; ESHRE = European Society of Human Reproduction and Embryology; RCOG = Royal College of Obstetricians and Gynaecologists; RSA = rezidivierende (habituelle) Spontanaborte.

≥ 2 Aborte

≥ 3 konsekutive Aborte

≥ 2 Aborte (nach sonografischem oder histopathologischem Schwangerschaftsnachweis)

≥ 3 konsekutive Aborte

Von den Autoren dieses Beitrags empfohlenes Vorgehen

Bei Frauen < 35 Jahren ggf. bereits nach ≥ 2 Aborten, angepasst an weitere Faktoren wie z. B. sonografischen oder histopathologischen Schwangerschaftsnachweis, Autoimmunerkrankungen, anatomische Auffälligkeiten oder sonstige bereits vorliegende Risikofaktoren. Bei Frauen > 35 Jahren nach ≥ 3 konsekutiven Aborten.


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Methoden

Die Leitlinien der ESHRE, ASRM, der DGGG/OEGGG/SGGG und die Empfehlungen des RCOG wurden im Hinblick auf aktuelle Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie verglichen. Hierbei wurden insbesondere die Bereiche Genetik, Anatomie, Infektiologie, Endokrinologie, Gerinnung und Immunologie analysiert ([Tab. 2] und [3]). Die genannten Leitlinien wurden im Zeitraum 2011 bis 2018 publiziert. Die Empfehlungen der RCOG von 2011 wurden in den Jahren 2014 und 2017, der Expertenbrief der ARSM 2012 aktualisiert. In einem Konsensus-Prozess erfährt die Leitlinie der DGGG/OEGGG/SGGG alle 3 Jahre ein Update.

Tab. 2 Diagnostik bei RSA. Fett hervorgehoben die jeweils relevanten Unterschiede zwischen den Leitlinienempfehlungen. Die vom Autorenteam empfohlenen Maßnahmen sind kursiv hervorgehoben.

ESHRE

DGGG/OEGGG/SGGG

ASRM

RCOG

ACA = Anticardiolipin-Antikörper; ANA = antinukleäre Antikörper; APLS = Antiphospholipidsyndrom; ASRM = American Society for Reproductive Medicine; CD138 = Cluster of Differentiation 138; DGGG/OEGGG/SGGG = Deutsche, Österreichische und Schweizer Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe; ESHRE = European Society of Human Reproduction and Embryology; HLA = humane Leukozytenantigene; HSG = Hysterosalpingografie; HSK = Hysteroskopie; IgA = Immunglobulin A; IgG = Immunglobulin G; IgM = Immunglobulin M; LAC = Lupusantikoagulans; LSK = Laparoskopie; MRT = Magnetresonanztomografie; PCOS = polyzystisches Ovarialsyndrom; RCOG = Royal College of Obstetricians and Gynaecologists; RSA = rezidivierende (habituelle) Spontanaborte; SHG = Sono-Hysterografie; SS-A/RO = Sjögren-Syndrom Antigen-A-Antikörper; SS-B = Sjögren-Syndrom Antigen-B-Antikörper; TSH = thyroideastimulierendes Hormon.

Genetik

  • Chromosomenanalyse Eltern

Chromosomenanalysen nur bei erhöhtem genetischen Risiko

mikroskopische Chromosomenanalysen beider Partner

mikroskopische Chromosomenanalysen beider Partner

mikroskopische Chromosomenanalysen beider Partner nur bei Nachweis einer strukturellen Chromosomenstörung im Abort

  • Chromosomenanalyse Embryo

Chromosomenanalysen aus Abortmaterial nicht empfohlen

Chromosomenanalysen aus Abortmaterial optional

Chromosomenanalysen aus Abortmaterial ab dem 3. Abort empfohlen

Gerinnung

kein Screening auf hereditäre Thrombophilie (außer bei weiteren Risikofaktoren und aus Forschungszwecken)

nur Frauen mit Risiken für thromboembolische Ereignisse:

Bestimmung von Faktor-V-Leiden- und Prothrombin-Mutationen sowie Antithrombin, Protein-C- und -S-Aktivität

ausschließlich bei Frauen mit positiver Eigen- oder Familienanamnese für thromboembolische Ereignisse

keine explizite Empfehlung bei Frauen mit RSA

Immunologie

  • APLS

ACA (IgM, IgG), β2-Glykoprotein-I-Antikörper; LAC

ACA (IgM, IgG), β2-Glykoprotein-I-Antikörper; LAC

Non-criteria APLS bei klinischen Manifestationen

ACA (IgM, IgG), β2-Glykoprotein-I-Antikörper; LAC

ACA (IgM, IgG) LAC

  • ANA

ANA zur möglichen Ursachenerklärung

Wenn bei RSA-Patienten erhöhte ANA-Titer diagnostiziert werden, sollten die Antikörper weiter differenziert werden (SS-A/RO- und SS-B/Lupus-Antikoagulans-[LAC-]Antikörper), um ein Sjögren-Syndrom oder Lupus erythematodes auszuschließen.

  • weitere

HLA-DRB1*05:01/05:02 bei skandinavischen Frauen mit sekundären RSA

IgA-Antikörper gegen Transglutaminase

weitere immunologische Untersuchungen nur bei präexistenter Autoimmunerkrankung

Anatomie

3-D Sonografie

ggf. SHG

ggf. HSG

ggf. MRT

Sonografie

HSK

SHG

HSG

ggf. HSK

ggf. MRT

ggf. 3-D-Sonografie

Sonografie

HSG

ggf. HSK +  LSK

ggf. 3-D-Sonografie

Endokrinologie

  • Schilddrüse

Schilddrüsendiagnostik und Überwachung TSH

Schilddrüsendiagnostik und Überwachung TSH

Schilddrüsendiagnostik und Überwachung TSH

Schilddrüsendiagnostik und Überwachung TSH

  • Prolaktin

Abklärung bei typischen Symptomen

Abklärung Hyperprolaktinämie

Datenlage inkonsistent

  • Glukose

keine Abklärung Glukosestatus

Abklärung Glukosestatus

Abklärung Glukosestatus

keine Abklärung Glukosestatus

  • PCOS

keine Abklärung von PCOS oder Hyperandrogenämie

Abklärung PCOS und Hyperandrogenämie

Abklärung PCOS und Hyperandrogenämie kontrovers angesehen

keine Abklärung PCOS und Hyperandrogenämie

  • Lutealphase

Lutealphasendiagnostik nicht empfohlen

Lutealphasendiagnostik kann in Erwägung gezogen werden

Lutealphasendiagnostik kann in Erwägung gezogen werden

Lutealphasendiagnostik kontrovers diskutiert

Infektiologie

infektiologisches Screening

kein Screening durch Vaginalabstriche bei asymptomatischen Frauen

kein Screening durch Vaginalabstriche empfohlen

chronische Endometritis

weitere Studien zum Stellenwert der chronischen Endometritis bei RSA notwendig

Eine Endometriumbiopsie kann
zum
Ausschluss einer chronischen Endometritis durchgeführt werden (CD138).

Tab. 3 Therapie bei RSA. Fett hervorgehoben die jeweils relevanten Unterschiede zwischen den Leitlinienempfehlungen. Die vom Autorenteam empfohlenen Maßnahmen sind kursiv hervorgehoben.

ESHRE

DGGG/OEGGG/SGGG

ASRM

RCOG

APLS = Antiphospholipidsyndrom; ASRM = American Society for Reproductive Medicine; ASS = Acetylsalicylsäure; DGGG/OEGGG/SGGG = Deutsche, Österreichische und Schweizer Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe; ESHRE = European Society of Human Reproduction and Embryology; i. v. = intravenös; PGT-A = Präimplantationsdiagnostik für Aneuploidien; PID = Präimplantationsdiagnostik; RCOG = Royal College of Obstetricians and Gynaecologists; RSA = rezidivierende (habituelle) Spontanaborte; TNF-α-Blocker = Tumornekrosefaktor-alpha-Blocker; TSH = thyroideastimulierendes Hormon.

Genetik

PID/PGT-A nicht empfohlen

PID/PGT-A nicht empfohlen

PID/PGT-A nicht empfohlen

PID/PGT-A nicht empfohlen

Gerinnung

Antikoagulation bei hereditärer Thrombophilie nur zur Thromboseprophylaxe der Mutter (sowie im Rahmen von Studien)

Antikoagulation bei hereditärer Thrombophilie nur zur Thromboseprophylaxe der Mutter

keine explizite Empfehlung zur Therapie bei Frauen mit RSA

unzureichende Datenlage zur Antikoagulation mit Heparin zur Sekundärprophylaxe bei Frauen mit RSA und Thrombophilie (keine Empfehlung)

Immunologie

  • APLS

Low Dose Aspirin (75 – 100 mg täglich) in Kombination mit unfraktioniertem/niedermolekularem Heparin ab positivem Schwangerschaftstest

Low Dose Aspirin (75 – 100 mg täglich) in Kombination mit unfraktioniertem/niedermolekularem Heparin ab positivem Schwangerschaftstest. ASS bis zur 34 + 0. SSW, unfraktioniertes/niedermolekulares Heparin bis 6 Wochen postpartal

Therapie eines APLS mit Low Dose Aspirin in Kombination mit unfraktioniertem Heparin

Therapie eines APLS mit Low Dose Aspirin in Kombination mit unfraktioniertem/niedermolekularem Heparin

  • weitere

Immunoglobuline, allogene Lymphozytenübertragung, Lipidinfusionen, TNF-α-Blocker und Glukokortikoide nur im Rahmen von klinischen Studien

i. v. Gabe von Immunglobulinen wird nicht empfohlen

Warnung vor Möglichkeit einer Erhöhung der maternalen und fetalen Morbidität bei Gabe von immunmodulatorischen Therapien

Anatomie

unzureichende Daten für Septumresektion/Myom- oder Polypresektion und Adhäsiolyse

Septumresektion

Adhäsiolyse intrauterin

Myomresektion (submukös)

Resektion Polypen

Septumresektion

unzureichende Daten für Septumresektion

Endokrinologie

  • Schilddrüse

TSH < 2,5

TSH < 2,5

TSH < 2,5

TSH < 2,5

  • Prolaktin

Bromocriptin

Bromocriptin

Datenlage inkonsistent

  • Glukose

bestmögliche Einstellung eines Diabetes mellitus

keine Empfehlung zu Metformin bei Glukosetoleranzstörung

bestmögliche Einstellung eines Diabetes mellitus

keine Empfehlung zu Metformin bei Glukosetoleranzstörung

bestmögliche Einstellung eines Diabetes mellitus

keine Empfehlung zu Metformin bei Glukosetoleranzstörung

bestmögliche Einstellung eines Diabetes mellitus

keine Empfehlung zu Metformin bei Glukosetoleranzstörung

  • Lutealphase

kein Lutealphasensupport

Lutealphasensupport kann in Erwägung gezogen werden .

Lutealphasensupport kann in Erwägung gezogen werden.

Lutealphasensupport kontrovers angesehen

Infektiologie

  • chronische Endometritis

weitere Studien zum Stellenwert der chronischen Endometritis bei RSA notwendig

Bei Nachweis einer chronischen Endometritis kann eine antibiotische Therapie durchgeführt werden.


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Genetik

Zytogenetische Diagnostik

Eine balancierte Chromosomenveränderung bei einem der Partner findet sich bei etwa 4 – 5% der RSA-Paare [9]. Die Inzidenz für eine strukturelle Chromosomenstörung pro Paar steigt von 0,7% in der Normalbevölkerung auf 2,0% nach einem Abort, 4,4% nach 2 Aborten und auf 5,1% nach 3 Aborten. Darüber hinaus können auch Aborte, Totgeburten oder Fehlbildungssyndrome bzw. geistige Behinderung in der Familienanamnese auf familiäre Chromosomenstörungen hinweisen, unabhängig davon, ob gesunde Kinder – auch zwischen den Aborten – geboren wurden.

Die Wahrscheinlichkeit einer strukturellen Chromosomenstörung sinkt mit steigendem mütterlichen Alter beim 2. Abort und steigt bei familiärer Belastung mit Aborten (2 oder mehr Aborte bei erstgradigen Verwandten) [10]. Gemäß der ESHRE-Leitlinie werden Chromosomenanalysen bei RSA für nicht indiziert gehalten, allerdings wird dabei auf inkorrekt kalkulierte Zahlen verwiesen. Als Häufigkeit für den Nachweis einer balancierten Chromosomenaberration bei Paaren mit RSA wurde ursprünglich 1,9% angegeben. Dies beruhte allerdings auf einer unzureichenden Berücksichtigung der Studienlage und zudem auf einer falschen Kalkulation der einzig herangezogenen Studie [11]. In dieser Studie wurden 406 balancierte Chromosomenaberrationen bei 20 432 Personen nachgewiesen, was einer Pro-Paar-Rate von etwa 4% entspricht; der Fehler wurde 2019 in der online bereitgestellten Leitlinie korrigiert (Version 2, available at https://www.eshre.eu). In der ESHRE-Leitlinie wird argumentiert, dass das Risiko für die Geburt eines behinderten Kindes wegen einer elterlichen balancierten Chromosomenveränderung vernachlässigbar sei. Diese Wahrscheinlichkeit wurde in der ESHRE-Leitlinie ursprünglich mit 0,02% angegeben, 2019 auf 0,04% korrigiert, ist jedoch tatsächlich 1/1,315 bzw. ca. 0,08% [11], [12]. Die Autoren der deutschsprachigen Leitlinie waren der Meinung, dass dies nicht zu vernachlässigen sei.

Die internationalen Fachgesellschaften sind sich nicht einig in der Frage, ob Paaren mit RSA eine Chromosomenanalyse angeboten werden sollte, und wenn ja, ob dies nach 2 oder nach 3 Aborten durchgeführt werden sollte. Mehrheitlich wird in den Leitlinien empfohlen, dass im Fall von RSA bei beiden Partnern eine mikroskopische Chromosomenanalyse (Karyotypisierung) erfolgen soll. Eine Chromosomenstörung kann auch durch eine Chromosomenanalyse im Abortmaterial nachgewiesen werden, allerdings ist die Sensitivität für den Nachweis der prognostisch relevanten kleinen strukturellen Chromosomenveränderungen (speziell balancierten Translokationen) oft geringer als bei einer Chromosomenanalyse aus Vollblut. Eine Alternative ist die Untersuchung des Abortgewebes mittels DNA-Array, welcher auch kleinere Aberrationen (Deletionen und Duplikationen) erfasst. Diese Analyse ist allerdings oft teurer als die klassische Chromosomenanalyse. Die britische ROCG-Guideline empfiehlt primär eine (molekular-)zytogenetische Analyse von Abortmaterial ab dem 3. Abort.


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Präimplantationsdiagnostik

Im Rahmen einer assistierten reproduktionsmedizinischen Behandlung (ART) wird vielfach ein Aneuploidie-Screening (englisch: preimplantation genetic screening, PGS, oder PGT-A, preimplantation genetic testing for aneuploidies) als Präimplantationsdiagnostik angeboten; Ziel ist es, durch Übertragung euploider Embryonen höhere Lebendgeburtenraten (LGR) zu erzielen. Allerdings haben Frauen mit einer Abortanamnese eine hohe Wahrscheinlichkeit, erneut spontan schwanger zu werden.

Die LGR pro Zyklus nach künstlicher Befruchtung mit PGT-A liegt bei etwa 35%, die Wahrscheinlichkeit einer Lebendgeburt im nächstfolgenden Zyklus einer spontan eingetretenen Schwangerschaft nach RSA beträgt dagegen etwa 60% [13].

Nach den bisherigen Studien gibt es keine Evidenz dafür, dass bei RSA eine PGT-A zu einer erhöhten LGR im Vergleich zu Spontanschwangerschaften führt. Dies gilt auch für Paare mit einer genetischen Vorbelastung aufgrund einer balancierten Chromosomenaberration bei einem Partner. Paare mit strukturellem Chromosomenumbau, die auf natürlichem Weg schwanger werden, haben allerdings eine deutlich höhere Abortrate als Paare, die nach PGS schwanger werden, was zu nicht vernachlässigbaren psychischen Belastungen führen kann. Aktuell empfiehlt keine Fachgesellschaft eine Präimplantationsdiagnostik bei Paaren mit RSA ([Tab. 3]).


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Anatomie

Diagnostik

Frauen mit RSA scheinen eine höhere Inzidenz für uterine Fehlbildungen zu haben, wobei die Angaben zwischen 3 und 25% liegen [14], [15]. Ob jedoch das Auftreten uteriner Fehlbildungen zu RSA führt, ist unbekannt [16]. Anerkannt ist die erhöhte Wahrscheinlichkeit von Aborten bei einem Uterus subseptus. Inwieweit ein Zusammenhang von RSA mit anderen angeborenen oder erworbenen Uterusfehlbildungen, wie Polypen, Myomen oder Adhäsionen, besteht, ist unklar.

Die Leitlinie der DGGG/OEGGG/SGGG empfiehlt zur Diagnostik einer Uterusfehlbildung eine Hysteroskopie (HSK) – ggf. in Kombination mit einer Laparoskopie (LSK) – bzw. eine 3-D-Sonografie oder ein MRT [7]. Die ESHRE-Leitlinie rät ebenfalls zu einem Ausschluss uteriner Anomalien und empfiehlt, dies per 3-D-Sonografie durchzuführen [6]. Auch die RCOG befürwortet eine sonografische Abklärung und empfiehlt bei Auffälligkeiten eine weitergehende Diagnostik per 3-D-Sonografie oder HSK in Kombination mit LSK [8]. Die ASRM schließt sich der Empfehlung zum Ausschluss uteriner Anomalien an, die diagnostischen Methoden der Wahl sind eine Hysterosonografie, eine Hysterosalpingografie, ein MRT, eine 3-D-Sonografie oder eine HSK.


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Therapie

Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2017 zeigte, dass bislang keine randomisierten Studien zum Therapieeffekt einer Septumdissektion durchgeführt wurden [17]. Allgemein wird bei Frauen mit RSA und Uterusseptum eine hysteroskopische Septumdissektion empfohlen bzw. kann empfohlen werden [18]. Eine aktuelle retrospektive Multicenterstudie konnte allerdings keinen Vorteil einer Septumdissektion in Bezug auf die LGR oder Abortraten zeigen [19]. Bei anderen angeborenen Uterusfehlbildungen wie dem Uterus bicornis, Uterus didelphys und Uterus arcuatus ist eine operative Intervention nicht indiziert [20].

Andere Entitäten wie die Entfernung von Adhäsionen, Myomen oder Polypen werden vorwiegend in der Leitlinie der DGGG/OEGGG/SGGG ausgeführt (Ausnahme: Myome auch in der ASRM). Therapie der Wahl intrauteriner Adhäsionen ist die hysteroskopische Adhäsiolyse [21], [22]. Ob intrauterine Adhäsionen generell oder erst ab einem bestimmten Ausmaß das Abortrisiko beeinflussen bzw. ob eine Adhäsiolyse dieses senkt, ist allerdings unklar. Dennoch empfiehlt die deutschsprachige Leitlinie eine Resektion von uterinen Adhäsionen.

Es gibt jedoch Hinweise, dass speziell bei Myomen, die das Cavum uteri beeinträchtigen, eine Myomenukleation zu einer verbesserten Schwangerschaftsrate führt. Daher wird sowohl in der DGGG/OEGGG/SGGG als auch in der ASRM-Leitlinie die Erwägung einer Myomresektion in Abhängigkeit der Lage empfohlen [21].

Eine Metaanalyse und ein systematischer Review zeigten, dass die hysteroskopische Resektion im Ultraschall darstellbarer intrauteriner Polypen vor einer intrauterinen Insemination die klinische Schwangerschaftsrate steigern kann – ein klarer Benefit in Bezug auf die Abortrate konnte allerdings nicht gezeigt werden [23], [24]. Gibt es keine andere Erklärung für die Ursache, kann die Resektion persistierender Polypen bei RSA-Patientinnen gemäß der Leitlinie der DGGG/OEGGG/SGGG erwogen werden.


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Infektiologie

Diagnostik

Bakterielle Vaginose

Der Einfluss vaginaler Infektionen auf RSA aufgrund bakterieller, viraler oder parasitärer Infektionen wird bislang kontrovers diskutiert, sodass keine Leitlinie ein generelles Screening bei asymptomatischen Patientinnen zur Abortprävention vorsieht. Die deutschsprachige Leitlinie empfiehlt aufgrund des Zusammenhangs einer vaginalen Dysbiose mit Schwangerschaftskomplikationen (Zervixinsuffizienz, vorzeitiger Blasensprung mit Amnioninfektionssyndrom) im Verdachtsfall eine Abklärung und adäquate Therapie im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge [25], [26].


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Chronische Endometritis

Die chronische Endometritis (CE), welche eine Prävalenz von 7 – 67% bei Frauen mit RSA aufweist, wird in einigen Studien als Risikofaktor dargestellt [28], [74], [75], [76]. Für die Diagnose einer CE ist eine Endometriumbiopsie mit anschließender immunhistochemischer Untersuchung notwendig. Hierbei erfolgt der Nachweis von Plasmazellen mit einem Antikörper gegen Syndecan-1 (CD138), welcher die konventionelle Hämatoxylin-Eosin-Färbungen weitestgehend abgelöst hat [75]. Die Empfehlung zum Ausschluss einer CE findet sich derzeit lediglich in der deutschsprachigen Leitlinie, während die ESHRE die Studienlage als noch nicht ausreichend deutet. Die Leitlinien der ASRM und RCOG enthalten keinen Hinweis hinsichtlich einer CE, allerdings sind diese Leitlinien älter.


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Therapie

Bakterielle Vaginose

Einzig die deutschsprachige Leitlinie erwähnt eine Studie, in der die Behandlung einer nachgewiesenen bakteriellen Vaginose zwischen der 12. und 22. SSW mittels Gabe von Clindamycin (300 mg 2 × täglich per os über 5 Tage) die Inzidenz von Aborten im 2. Trimenon bzw. die Rate an Frühgeburten signifikant reduzieren konnte [27]. Diese Studie geht jedoch nicht in eine explizite Empfehlung über.


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Chronische Endometritis

Die DGGG/OEGGG/SGGG empfiehlt bei Nachweis einer CE eine antibiotische Therapie z. B. mit Doxycyclin (200 mg täglich über 14 Tage). Nach der Therapie wurde ein Anstieg der LGR um 19% beschrieben, wovon auch Patientinnen mit wiederholtem Implantationsversagen im Rahmen einer erneuten IVF-Behandlung profitierten [28], [29]. Dennoch sieht die ESHRE-Leitlinie von einer Therapieempfehlung ab.


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Endokrinologie

Diagnostik

Glukosetoleranzstörung und PCOS

Endokrinologische Faktoren können eine wichtige Rolle im Rahmen von RSA spielen. Glukosetoleranzstörungen, insbesondere ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus, sind als Risikofaktoren für RSA zu werten [30], [31]. Der gesamte Formenkreis des metabolischen Syndroms einschließlich der Adipositas und einer assoziierten Hyperandrogenämie sowie das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS) [32], [33] werden von den Leitlinien als mögliche Risikofaktoren genannt. Die Leitlinie der ESHRE empfiehlt keinen Ausschluss eines PCOS bzw. Erhebung des Glukosestatus, da die AutorInnen diese zwar mit RSA assoziiert sehen, gemäß der derzeitigen Datenlage bislang aber kein sicherer Nachweis für eine verbesserte LGR durch eine Therapie gegeben ist [34]. Auch die Abklärung einer Hyperandrogenämie, wird von der ESHRE nicht empfohlen. Die Autoren der Leitlinie der ARSM empfehlen eine Abklärung eines Diabetes mellitus bzw. einer Glukosetoleranzstörung, wohingegen der Ausschluss eines PCOS bzw. einer Hyperandrogenämie nicht zu den diagnostischen Empfehlungen gehört.


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Schilddrüsenfunktionsstörung

Schilddrüsendysfunktionen, vorwiegend die Hypothyreose, sollten gemäß aller Leitlinien abgeklärt werden. Empfohlen wird, sowohl das thyreoideastimulierende Hormon (TSH) als auch die Schilddrüsenautoantikörper (TPO-AK bei Hypothyreose und die TRAK bei Hyperthyreose) sowie die Konzentration von freiem T3/T4 zu bestimmen.


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Hyperprolaktinämie

Die Hyperprolaktinämie als Risikofaktor wird in der ESHRE-Guideline und der Leitlinie der ARSM thematisiert. Beide beziehen sich dabei auf 2 Studien, welche allerdings inkonsistente Ergebnisse zeigten [35], [36]. Eine Abklärung wird daher nur bei typischen Symptomen empfohlen.


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Lutealphaseninsuffizienz

In Bezug auf die Lutealphaseninsuffizienz findet man in den internationalen Leitlinien unterschiedliche Empfehlungen. Nicht zuletzt liegt dies in der fehlenden internationalen Definition begründet. Die Autoren der deutschsprachigen Leitlinie nennen eine Lutealphasenlänge von weniger als 12 Tagen und niedrige luteale Progesteronwerte (ohne Angabe eines Grenzwertes) als diagnostische Parameter, stellen aber gleichzeitig klar, dass diese Parameter nie eindeutig mit RSA assoziiert werden konnten. In dem Expertenbrief der ASRM wird ebenfalls eine verkürzte Lutealphase als mögliche Ursache von RSA genannt, aber keine konkreteren Empfehlungen zur Diagnostik einer solchen bzw. keine Minimaldauer der Lutealphase genannt. Sie bewerten die Diagnostik und Interpretation der Befunde allerdings aufgrund der dünnen Datenlage, ähnlich den Autoren der deutschsprachigen Leitlinie, als problematisch. In der Green-top-Guideline des RCOG wird auf die Diagnostik der Lutealphaseninsuffizienz nicht näher eingegangen. Die Autoren der ESHRE-Guideline nennen ein Progesteronlevel von < 10 ng/ml oder die Summe von 3 Serum-Progesteronwerten unter 30 ng/ml als Grenzwert. Eine niedrige Sensitivität und Spezifität würden hingegen Temperaturkurve, Länge der Lutealphase (< 11 Tage) bzw. Durchmesser der präovulatorischen Follikel aufweisen [37].


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Therapie

Glukosetoleranzstörung und PCOS

Ein möglicher positiver Effekt einer Metformingabe zur Reduktion der Abortrate konnte anhand der aktuellen Datenlage bislang nicht bewiesen werden [38]. Daher wird von keiner Leitlinie eine Empfehlung zur Metformingabe bei RSA ausgesprochen. Die positiven Effekte einer Gewichtsreduktion bei adipösen Patientinnen wirken sich im Zusammenhang mit RSA günstig aus: eine Kohortenstudie aus Dänemark zeigte, dass die Abortrate ab einem BMI ≥ 30 kg/m2 steigt [39]. Hieraus leitet sich die Empfehlung der AutorInnen der S2k-Leitlinie der DGGG/OEGGG/SGGG zur Gewichtsreduktion bei Frauen mit RSA und einem erhöhten BMI ab. Auch die ESHRE empfiehlt eine Lebensstilberatung, welche Effekte der Ernährung, des Rauchens und Alkoholkonsums umfassen sollte.


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Schilddrüsenfunktionsstörung

Im Falle einer Hypothyreose wird einheitlich eine Einstellung des TSH-Wertes unter 2,5 mU/ml empfohlen [40]. Ebenso sollen die TSH-Werte überwacht werden. Die Autoren der deutschsprachigen Leitlinie empfehlen eine Anpassung der Thyroxin-Dosierung um 50% der präkonzeptionellen Dosierung in der Schwangerschaft, insbesondere bei erhöhten Schilddrüsenautoantikörpern.

Die ESHRE erwähnt Schilddrüsendysfunktionen und das Vorkommen von Schilddrüsenautoantikörpern als Ursache für Störungen der Follikulogenese, Spermatogenese, Fertilisation und Embryogenese und somit als Ursache für Subfertilität und RSA [41]. Die Autoren legen sich ebenfalls auf ein Ziel-TSH von ≤ 2,5 mU/ml fest und plädieren für eine Substitution des Schilddrüsenhormons [42], [43].


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Hyperprolaktinämie

Die Therapie einer Hyperprolaktinämie mit Bromocriptin wird von der ESHRE sowie von der ASRM empfohlen.


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Lutealphaseninsuffizienz

Die derzeit inkonsistente Datenlage zur Definition der Lutealphaseninsuffizienz lässt keine Schlussfolgerung bezüglich Therapieempfehlungen zu [37], [44], [45]. In der deutschsprachigen Leitlinie wird jedoch die Berücksichtigung einer Lutealphaseninsuffizienz bei der Therapie von RSA empfohlen [46]. Zu einem ähnlichen Schluss gelangen die Autoren der ASRM-Empfehlungen, da eine Substitution von Progesteron in der Lutealphase in ausgewählten Fällen einen Benefit erzielen kann. Die Autoren der Leitlinien des RCOG bzw. der ESHRE empfehlen weder eine Abklärung noch eine Therapie der Lutealphaseninsuffizienz.


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Gerinnung

Diagnostik

Angeborene thrombophile Gerinnungsstörungen sind als prädisponierende Faktoren für thromboembolische Ereignisse etabliert und werden zudem als Risikofaktoren für RSA diskutiert. Bis zu 15% der kaukasischen Bevölkerung haben eine entsprechende Gerinnungsstörung [47]. In der Tat weisen Patientinnen mit anamnestischen habituellen Fehlgeburten und einer nachgewiesenen Faktor-V-Leiden-(FVL-) oder Prothrombin-Mutation ein erhöhtes Abortrisiko im Vergleich zu nicht thrombophilen RSA-Patientinnen in einer Folgeschwangerschaft auf [48]. Auch ein Mangel der antithrombogenen Proteine S und C sowie Antithrombin wird als Abortrisiko angesehen. Während die Konzentrationen an Protein C und S in einer Schwangerschaft eine physiologische Verminderung aufweisen – und somit in der Gravidität sowie mindestens 6 Wochen danach nur eingeschränkt beurteilbar sind – sind die genetischen Untersuchungen auf eine Faktor-V-Leiden- bzw. Prothrombin-Mutation hiervon unabhängig. Für eine Bestimmung von D-Dimeren wird keine Indikation gesehen [7]. Auch wird aktuell ein „Thrombophilie-Screening“ bei anamnestischen Schwangerschaftskomplikationen in Übersichtsarbeiten als nicht indiziert angesehen [49]. Noch komplexer ist jedoch die Frage der therapeutischen Konsequenz eines auffälligen Befundes.

Die aktuelle ESHRE-Leitlinie empfiehlt kein Screening auf hereditäre Thrombophilien bei der ratsuchenden Frau mit RSA, mit der Ausnahme von wissenschaftlichen Fragestellungen und bei weiteren Risikofaktoren für Thromboembolien. Die ASRM-Empfehlungen befürworten nuanciert eine Thrombophilieabklärung bei RSA bei positiver Eigen- oder Familienanamnese für thromboembolische Ereignisse, während die RCOG-Leitlinie sich zu dieser Fragestellung nicht explizit äußert. Am spezifischsten ist die deutschsprachige Empfehlung, die eine weitergehende Abklärung nur für Frauen mit Risiken für thromboembolische Ereignisse befürwortet und dabei zur Abklärung auf Faktor-V-Leiden- und Prothrombin-Mutationen sowie der Aktivitätsbestimmung von Antithrombin, Protein C und S rät. Eine Indikation zur Thrombophilieabklärung zur Abortprophylaxe – und somit aus embryonaler Indikation – sieht die DGGG/OEGGG/SGGG-Leitlinie nicht.


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Therapie

Trotz vielfältiger Effekte von Heparinen auf molekularer Ebene [50] liegen aktuell keine hochrangigen prospektiv-randomisierten Studien vor, die einen eindeutigen Nutzen einer Antikoagulation mit einem niedermolekularen Heparin zur Abortprävention bei Frauen mit RSA mit oder ohne nachgewiesene hereditäre Thrombophilie aufzeigen [51], [52], [53], [54], [55], [56].

Eine individualisierte Vorgehensweise scheint aus maternaler Indikation notwendig, wenn durch Gerinnungsstörungen ein deutlich erhöhtes Risiko venöser Thromboembolien (VTE) bei thrombophilen Schwangeren besteht.

Sowohl die ESHRE als auch die DGGG/OEGGG/SGGG-Leitlinie raten zu einer Antikoagulation in der Schwangerschaft nur im Falle einer maternalen Indikation: Bei hereditärer Thrombophilie soll eine Behandlung nur zur Thromboseprophylaxe der Mutter (sowie im Rahmen von Studien) erfolgen. Die ASRM und die RCOG-Leitlinie geben keine expliziten Empfehlungen ab, wobei die britische Leitlinie einen Querverweis auf die Empfehlungen zur Thromboseprophylaxe gibt.


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Immunologie

Diagnostik

Um eine Abstoßung des Fetus durch das Immunsystem der Mutter zu verhindern, sind verschiedene Mechanismen notwendig. Bisherige Studien zu immunologischen Aspekten bei RSA konzentrieren sich auf das Antiphospholipidsyndrom (APLS), Autoantikörper, Zytokine, HLA-Polymorphismen und HLA-Expression auf Trophoblasten sowie natürliche Killerzellen in peripherem Blut und im Endometrium.

Antiphospholipidsyndrom

Als etablierter Risikofaktor für RSA gilt das APLS, welches bei 5 – 20% der RSA-Patientinnen auftritt und die Definition rezidivierender Spontanaborte bereits in seinen Diagnosekriterien beinhaltet ([Tab. 4]) [57]. Zu den Diagnosekriterien zählen einerseits klinische Kriterien, wie arterielle oder venöse Thrombosen und Schwangerschaftskomplikationen (≥ 1 Abort nach der 10. SSW oder ≥ 3 Aborte vor der 10. SSW), sowie andererseits serologische Kriterien, wie der mindestens 2-malige Nachweis von Antiphospholipid-Antikörpern (ACA: Anti-Cardiolipin-AK, Anti-β2-Glykoproteine, LAC: Lupusantikoagulans) [58]. Die Antiphospholipid-Antikörper-Titer sollten 12 Wochen nach Erstbestimmung erneut kontrolliert werden, und auch dann erneut im mittleren bis hohen Bereich liegen (> 99. Perzentile gemessen an unauffälligen Probanden) [59]. Pathophysiologisch werden eine erhöhte Thromboseneigung sowie direkte Einflüsse auf den Trophoblasten diskutiert [60]. Auch proinflammatorische Zytokine wie TNF, IL-1 und IL-6 werden im Rahmen eines APLS vermehrt sezerniert und führen zu einer erhöhten Aktivierung des Immunsystems [61]. Alle Guidelines empfehlen die Testung von IgG/IgM ACA, LAC und β2-Glykoprotein-I-Antikörpern – wobei die RCOG-Leitlinie die β2-Glykoprotein-I-Antikörper nicht dezidiert erwähnt. Beim Vorliegen von klinischen Manifestationen (Livedo reticularis, Ulzerationen, renalen Mikroangiopathien, neurologische und kardiale Störungen) sollte gemäß der DGGG/OEGGG/SGGG ein „non-criteria APLS“ abgeklärt werden.

Tab. 4 Diagnosekriterien APLS (modifiziert nach [59]). Ein APLS kann diagnostiziert werden, wenn mindestens ein klinisches und ein laborchemisches Kriterium erfüllt werden.

klinische Kriterien

Laborkriterien (2-maliger Nachweis im Abstand von 12 Wochen)

APLS = Antiphospholipidsyndrom, SSW = Schwangerschaftswoche, Ak = Antikörper

  • ≥ 1 venöse oder arterielle Thrombose

  • ≥ 1 unerklärte Fehlgeburt bei morphologisch unauffälligen Feten > 10 SSW

  • ≥ 3 unerklärte Fehlgeburten < 10. SSW

  • ≥ 1 Frühgeburt < 34. SSW aufgrund einer Plazentainsuffizienz oder Prä-/Eklampsie

  • Anti-Cardiolipin-Ak (IgM, IgG): mittlere bis hohe Titer

  • Anti-β2-Glykoprotein-1-Ak (IgM, IgG): hohe Titer

  • Lupusantikoagulans


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Weitere immunologische Auffälligkeiten

Bestehen Lebensmittelsensitivitäten, kann nach der deutschsprachigen Leitlinie zum Ausschluss einer Zöliakie die Testung von IgA-Transglutaminase-Antikörpern in Betracht gezogen werden. So konnte gezeigt werden, dass ca. 6% der Frauen mit Zöliakie unter RSA leiden und RSA-Patientinnen mit einer Zöliakie von einer glutenfreien Diät profitieren können [62], [63], [64]. Andere Fachgesellschaften empfehlen keine Testung auf Zöliakie.

Antinukleäre Antikörper (ANA) geben einen Hinweis auf eine autologe Aktivierung des Immunsystems. Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 1996 zeigte in 10 von 12 Fallkontrollstudien bei Patientinnen mit RSA eine erhöhte Prävalenz von ANA im Vergleich zu gesunden Kontrollen [65]. Diese Veränderungen waren jedoch nicht in allen Studien signifikant. Dennoch enthält aktuell nur die Leitlinie der ESHRE die Empfehlung Testung von ANA im Falle von RSA – wenn auch nur zur möglichen Ursachenerklärung. Da höhere ANA-Titer mit Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematodes und dem Sjögren-Syndrom in Verbindung gebracht werden [66], [67], empfiehlt die DGGG/SGGG/OEGGG im Falle des Nachweises von erhöhten ANA eine intensivierte Diagnostik zum Ausschluss dieser Erkrankungen. Hierbei sollten die Antikörper weiter differenziert werden (SS-A/RO- und SS-B/LAC-Antikörper), um ein neonatales Lupussyndrom oder einen fetalen AV-Block frühzeitig zu diagnostizieren.

Die Leitlinie der DGGG/OEGGG/SGGG empfiehlt im Falle einer bereits existierenden autoimmunologischen Störung bereits eine präkonzeptionelle interdisziplinäre Betreuung, ohne diese jedoch genauer zu spezifizieren.

Darüber hinaus kann gemäß der ESHRE eine mögliche Testung von HLA-DRB1 bei skandinavischen Frauen mit sekundären Spontanaborten (sRSA) durchgeführt werden. Eine Unterscheidung zwischen primären und sekundären RSA hinsichtlich immunologischer Risikofaktoren wird nur hinsichtlich einer möglichen Testung von HLA-DRB1 in der Leitlinie der ESHRE diskutiert, erscheint aber vor dem Hintergrund aktueller Studien sinnvoll [68], [69].


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Therapie

Antiphospholipidsyndrom

Alle Leitlinien raten zur Therapie des APLS durch die Gabe von Low Dose Aspirin (75 – 100 mg täglich) in Kombination mit unfraktioniertem/niedermolekularem Heparin, was auch von einer aktuellen Cochrane-Analyse unterstützt wird [70]. Nur die DGGG/OEGGG/SGGG und die ESHRE konkretisieren die Einnahme: Die Therapie sollte zeitgleich mit dem positiven Schwangerschaftstest begonnen werden. Die DGGG/OEGGG/SGGG determiniert zusätzlich das Ende der Aspiringabe mit der Schwangerschaftswoche 34 + 0 und das Ende der Heparingabe auf 6 Wochen post partum. Dies gilt ebenfalls für das „non-criteria“ APLS.


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Weitere Immunmodulatorische Therapien

Die deutschsprachige Leitlinie empfiehlt die Gabe von Immunoglobulinen, allogener Lymphozytenübertragung, Lipidinfusionen, TNF-α-Blockern und Glukokortikoiden nur im Rahmen von klinischen Studien. Demgegenüber weist die RCOG auf die Möglichkeit einer Erhöhung der maternalen und fetalen Morbidität bei Gabe von immunmodulatorischen Therapien hin. Ursächlich für die unterschiedlichen Empfehlungen kann die variierende Herausgabe der Leitlinien (zwischen 2011 und 2018) sein.


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Schlussfolgerung

Die Diagnostik bei Paaren mit RSA stellt eine besondere Herausforderung an die behandelnden Ärzte dar. Eine ausführliche Anamnese sollte neben gynäkologischen Aspekten, die den unterschiedlichen Ablauf der Fehlgeburten detailliert erfasst, auch eine eingehende Familienanamnese beinhalten. Dabei ist ein klar strukturiertes und standardisiertes diagnostisches Vorgehen ratsam, um den Paaren den Umfang der weiteren Diagnostik zu erläutern und im weiteren Verlauf auch eine zielgerichtete Therapie einzuleiten. Jedoch erschwert das Vorliegen unterschiedlicher Leitlinienempfehlungen die Entscheidung hinsichtlich der notwendigen Diagnostik und Therapie. Dies beginnt bereits bei dem Zeitpunkt, ab dem eine Diagnostik durchgeführt wird, da die Leitlinien verschiedene Definitionen für RSA verwenden. Bei genauer Betrachtung scheint jedoch – wie in der Empfehlung der ASRM aufgeführt – eine diagnostische Abklärung der häufigsten Ursachen bereits nach 2 klinischen Schwangerschaften gerechtfertigt. Dies konnte auch durch eine aktuelle Metaanalyse unterstrichen werden [71]. In dieser Metaanalyse konnte kein Unterschied in der Prävalenz von uterinen Anomalien (wie Uterus subseptus, Uterus bicornis, unicornis, Polypen oder Adhäsionen) und einem APLS bei Frauen mit 2 oder 3 Aborten festgestellt werden. Ob die Prävalenz von Chromosomenanomalien, Thrombophilien und Schilddrüsenerkrankungen sich nach 2 oder 3 Aborten unterscheidet, konnte anhand dieser Metaanalyse nicht abschließend geklärt werden [71]. Dass in der Frage, ab wann eine Abklärung empfohlen wird, nicht nur das Alter sowie die Schwangerschaftsanamnese in Betracht gezogen werden sollten, konnte eine aktuelle dänische Registerstudie anschaulich zeigen. Ein Prädiktionsmodell für die Wahrscheinlichkeit einer Lebendgeburt allein auf Basis dieser 2 Parameter war dabei nicht ausreichend [72]. Daher sollte die Entscheidung, ab wie vielen Fehlgeburten mit der Abklärung begonnen wird, sowohl vom Alter der Frau als auch von der Anzahl bereits stattgehabter Fehlgeburten sowie von anderen Erkrankungen der Mutter abhängen [71], [72], [73].

Darüber hinaus zeigt sich, dass die Leitlinien in den wesentlichen, zum Zeitpunkt der Leitlinienerstellung (Unterschiede zwischen den einzelnen Leitlinien bis zu 8 Jahre) evidenzbasierten Diagnostik- und Therapieempfehlungen übereinstimmen ([Tab. 2] und [3], Unterschiede in fett markiert). Dazu zählt, dass der Ausschluss anatomischer Malformationen, eines APLS sowie von Schilddrüsendysfunktionen erfolgen sollte. Ebenso empfehlen die Leitlinien die Durchführung einer Chromosomenanalyse beider Partner präkonzeptionell, wobei die RCOG dies nur bei Nachweis einer strukturellen Chromosomenstörung im Abortmaterial empfiehlt.

Risikofaktoren wie die Lutealphaseninsuffizienz können aufgrund der aktuell fehlenden Definition und daraus hervorgehender kontroverser Studienlage keinen Eingang in evidenzbasierte Leitlinienempfehlungen finden. Neuere Risikofaktoren wie eine CE finden nur in der deutschsprachigen und der ESHRE-Leitlinie Erwähnung, da die RCOG- und die ASRM-Empfehlungen schlicht zu alt sind, um neuere Entwicklungen zu beinhalten. Zuletzt lassen sich die Unterschiede in den Empfehlungen auf den komplexen Konsensus-Prozess im Rahmen der Leitlinienarbeit zurückführen, welcher nicht selten dazu führt, dass neuere diagnostische und therapeutische Methoden keinen Eingang in die Empfehlungen finden – was auch gesundheitsökonomische Ursachen haben kann. Da individuelle Situationen ein angepasstes Vorgehen verlangen, muss ggf. von den jeweils gültigen Leitlinien abgewichen werden. Die vom Autorenteam im Normalfall empfohlenen diagnostischen und therapeutischen Ansätze sind in den [Tab. 2] und [3] kursiviert und entsprechen weitestgehend den Empfehlungen der DGGG/OEGGG/SGGG. Eine Erweiterung des diagnostischen Spektrums sollte jedoch selbstverständlich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen klinischen Situation erfolgen.


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Conflict of Interest/Interessenkonflikt

Bettina Toth: shareholder of Reprognostics GbR, research funding: Teva, Bayer, Ferring. Fees/reimbursement of costs: Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe [German Society of Obstetrics and Gynecology]. Ferring, MSD, Exeltis, Merck Serono, Teva, Bayer. The remaining authors state that they have no conflicts of interest./Bettina Toth: Gesellschafterin Reprognostics GbR, Forschungsförderung: Firma Teva, Bayer, Ferring. Honorare/Kostenerstattung: Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Ferring, MSD, Exeltis, Merck Serono, Teva, Bayer. Die übrigen Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.


Correspondence/Korrespondenzadresse

Dr. Katharina Feil
Medical University Innsbruck
Department of Gynaecological Endocrinology and Reproductive Medicine
Anichstraße 35
6020 Innsbruck
Austria   

Publikationsverlauf

Eingereicht: 08. Dezember 2020

Angenommen nach Revision: 01. Februar 2021

Artikel online veröffentlicht:
23. April 2021

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