Phlebologie 2021; 50(02): 131-134
DOI: 10.1055/a-1383-7624
Schwerpunktthema

Lymphödem, Inflammation und neue Therapieansätze

Lymphoedema, inflammation and new therapeutic approaches
Anya Miller
Praxis für Dermatologie, Allergologie, Lymphologie und Phlebologie, Berlin
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Der fehlende Abtransport eiweißreicher interstitieller Flüssigkeit führt zu den bekannten klinischen Zeichen der Lymphödems an der Haut, die im Wesentlichen durch eine Fibrosierung ausgelöst werden. Bisher basiert die Therapie auf der mechanischen Anregung des Lymphtransports durch die komplexe physikalische Entstauung (KPE) oder operativen Maßnahmen, um das Ödem zu reduzieren. Der komplexe Ablauf der Entzündungsvorgänge im Gewebe wurde in den vergangenen Jahren untersucht und zeigt die zentrale Bedeutung von T-Lymphozyten, Makrophagen, LTB4 und diversen Zytokinen. Ausgehend von diesen Erkenntnissen gibt es Erfolg versprechende Therapieansätze mit Ketoprofen, Hydroxytyrosol und weiteren Immunmodulatoren.


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Abstract

Insufficient removal of protein rich interstitial fluid leads to typical changes of the skin, which is caused by fibrosis. Treatment of lymphedema consists basically in mechanic enhancement of the lymph transport with complex decongestive therapy or surgery. In the past years research on inflammation in lymphedema tissue demonstrated the important role of T-lymphocytes, macrophages, LTB4 and some cytokines. Regarding these findings we have new therapeutic aspects with ketoprofen, hydroxytyrosol and other immune modulators.


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Einleitung

Als Ödem wird eine Schwellung von Gewebe durch Flüssigkeitseinlagerung bezeichnet, und so vielfältig die Ursachen sind, so unterschiedlich sind auch die Folgen im Gewebe und vor allem in der Haut. Auch das langjährig bestehende distale Ödem bei Herzinsuffizienz verursacht keine Pachydermie. Bei der chronischen venösen Insuffizienz (CVI) findet sich das Ödem zunächst am Unterschenkel, während der Fuß lange schlank bleibt. Nach Dermatosklerose, Dermatoliposklerose und Dermatolipofasziosklerose kann lokal ein Ulcus cruris entstehen. Die Folgen des chronischen Lymphödems hingegen sind häufig zuerst am Fuß sichtbar und zeigen sich in Form von Pachydermie, Papillomatose, Zysten und Fisteln. Dabei sind die Veränderungen im Gewebe abhängig von der Lokalisation, und es ist unerheblich, ob es sich um ein primäres öder sekundäres Lymphödem handelt. Die Reaktion des Gewebes auf die dauerhaft vermehrte Ansammlung lymphpflichtiger Substanzen ist aber prinzipiell im Sinne einer Inflammation zu sehen. Diese Entzündungsreaktion involviert die Lymphgefäße, Blutkapillaren und vor allem das Gewebe.


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Folgen am Lymphgefäßsystem

Entgegen früherer Annahmen dient das Lymphgefäßsystem nicht nur der Durchleitung von Lymphe, sondern produziert selbst auch Zytokine, die eine Auswirkung auf den Entzündungsprozess haben. Bei zunehmender Dauer eines Lymphödems wird aus Makrophagen IFN γ, TNFαund IL-ß freigesetzt [1]. IL-ß induziert vermutlich die Freisetzung von IL-6 aus Lymphendothelzellen. Das ist dann u. a. verantwortlich für zunehmende Durchlässigkeit der Lymphsinus, Präkollektoren und Kollektoren und es entsteht eine lymphatische Hyperplasie mit der Bildung aberranter lymphatischer Kanäle. Histopathologisch zeigen sich eine fibroadipöse Umwandlung mit einem Kollagenmantel um initiale Lymphgefäße und eine Sklerosierung von Kollektoren, die zur Obliteration führt. Die Folge ist ein Funktionsverslust mit weiterer Flüssigkeitsakkumulation im Gewebe.


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Reaktion der Kapillaren

An den Blutkapillaren führt das eiweißreiche Ödem mit Persistenz von Sauerstoffradikalen zur Schädigung der Glykokalyx und Bildung von Lipoperoxyden und Aldehyden. Aus den Endothelzellen wird IL-1 und IL-6 freigesetzt [2].


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Folgen im Gewebe

Das Lymphödem löst eine Aktivierung dendritischer Zellen aus, die zu den regionalen Lymphknoten migrieren und dort über T-Zell-Rezeptoren und kostimulatorische molekulare Interaktion naive T-Zellen aktivieren. Diese aktivierten T-Zellen gelangen wieder, angelockt durch Chemokine, die Keratinozyten und Leukozytenadhäsionsmoleküle aus Blutendothelzellen freisetzen, in die vom Lymphödem betroffene Hautregion [2].

Aktivierte T-Helferzellen differenzieren in Th1, Th2, Th17, regulatorische T-Zellen und Weitere. Th2-Zellen führen zu einer Immunsuppression, Inhibition von lymphatischem Wachstum und einem Anstieg profibrotischer Zytokine wie IL-4, IL-13 und TGF-ß. Gleichzeitig hemmen sie den Gewebeuntergang. Dem entgegen stehen Th1-Zellen, die die Fibrosierung hemmen und bei Erhöhung für eine Balance der Th2-Zellen verantwortlich sind. Entscheidend für die Veränderung im Gewebe ist das Verhältnis zwischen Th1- und Th2-Zellen [3] [4].

Aktvierte Makrophagen exprimieren Interleukin IL-1 und IL-6. IL-1 induziert eine lokale Entzündung, die das Bindegewebe schädigt, Endothelzellen verdrängt und die Basallamina zerstört. IL-6 als proinflammatorisches Akute-Phase-Protein spielt eine zentrale Rolle bei der Entzündung und ist im Lymphödemgewebe erhöht nachweisbar [4]. IL-6 ist zudem ein Regulator der Adipogenese [5]. Makrophagen fördern die Expression freier Sauerstoffradikale (iNOS), die die Kontraktionsfähigkeit der Lymphangiome reduzieren [6]. Makrophagen exprimieren außerdem VEGF-C. Eine starke Überexpression von VEGF-C reduziert Fibrose.

Dendritische Zellen produzieren, induziert durch IL-1 und TNF-α, Matrix-Metalloproteinasen (MMP), um den Weg durch die Basalzellschicht zu bahnen [7]. Sie zerstören elastische Fasern und sind für die Fibroblastenaktivierung mit Kollagenbildung verantwortlich. Dadurch wird sowohl die Fibrosierung als auch die Umwandlung in Fettgewebe gefördert.

Ein wichtiger Aktivator ist auch Leukotrien B4 (LTB4). Leukotriene sind aktivierte Lipide, die ursprünglich aus Leukozyten isoliert wurden. Sie sind Arachidonsäure-Metaboliten, die aus proinflammatorischen Immunzellen wie dendritischen Zellen, Makrophagen, Eosinophilen, Mastzellen und Neutrophilen gebildet werden. In niedrigen Konzentrationen stimulieren sie in vitro lymphangiologisches Wachstum, aber in hohen Konzentrationen ändert sich die Wirkung in das Gegenteil und sie wirken hemmend auf die Lymphangiogenese [8].

Über die Inhibition des Notch Pathway hemmt LTB4 IL-4 und IL-13. Eine Herunterregulation von LTB-Signalen reduziert die Infiltration von CD8 +- und CD4 +-Zellen, Neutrophilen und Makrophagen in Lymphödemen [8]. Außerdem wird der Wachstumsfaktor VEGFR3, ein wichtiger Bestandteil der Lymphangiogenese, aktiviert [9]. LTB4 führt so zur Einschränkung der Funktion von Lymphendothelzellen und führt zu einer Progression des Lymphödems [8] [10].

Diese Vorgänge sind Teil einer Reaktionskaskade, bei der viele Einzelheiten bisher ungeklärt sind.


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Therapieansätze

Ausgehend von einer Inflammation als Ursache für die Fibrosierung im Gewebe wurden verschiedene Therapieansätze mit Fokus auf die Entzündungshemmung in Studien untersucht.

Die Hemmung von Th2-Differenzierung durch IL-4- oder IL-13-Blockade führte in Studien mit Mäusen zu einer Reduktion der Fibrosierung [11] [12] und Besserung der lymphatischen Funktion. Das konnte auch durch die Gaben mit monoklonalen Antikörpern bestätigt werden [11] [13]. Aktuelle klinische Studien, z. B. mit Dupilumab als IL-4- und IL-13-Blocker, und die Auswirkungen auf die Fibrosierung beim Lymphödem sind nicht bekannt.

Ketoprofen

Ketoprofen ist ein nichtsteroidaler Entzündungshemmer aus der Gruppe der Propionsäure-Derivate und ist bekannt in der Anwendung bei Schmerzen und Entzündung. Ketoprofen wirkt antiinflammatorisch durch Hemmung von Cyclooxgenase (COX) und 5-Lipoxygenase (5-LO) [8]. Untersuchungen an Mäusen zeigten bei systemischer Gabe eine deutliche Besserung des Lymphödems. Studien (Open label und Placebo-kontrolliert) an insgesamt 30 Patienten in der Verum-Gruppe und 16 in der Placebo-Gruppe ergaben keine Reduktion des Armvolumens, aber eine Verbesserung der Histopathologie der Haut und der Hautdicke bei Nachweis der Inhibition von LTB4 und Reduktion von 5-LO [8] [14].


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Hydroxytyrosol

Hydroxytyrosol, z. B. als Bestandteil von Oliven, hemmt die 5-Lipoxygenase und blockiert dadurch die Bildung von LTB4 aus Arachidonsäure. Dadurch wird in vitro die gleiche Wirkung auf LTB4 erzeugt wie durch Ketoprofen. Klinische Studien stehen aus, aber Hydroxytyrosol aus Oliven wurde als nebenwirkungsarm bestätigt [15].


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Tacrolimus

Tacrolimus senkt die IL-2-Aktivität, die Produktion von CD4 +-Zellen (T-Helferzellen, Makrophagen, Monozyten) und reduziert die Fibrose. Maßgeblich für die Wirkung ist die Hemmung der Makrophagen. Lappenplastiken zeigen nach Applikation eine deutlich geringere Nekroserate [16].


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Diskussion

Für die Lebensqualität des Lymphödem-Patienten sind Volumen und Konsistenz des Gewebes ebenso wichtig wie die Vermeidung von Spätfolgen. Dabei sind die Veränderungen im Gewebe zentral für die Funktionstüchtigkeit des Lymphgefäßsystems. Diese Veränderungen verlaufen in einem Entzündungsprozess, der maßgeblich von Makrophagen, T-Lymphozyten, LTB4 und einer Reihe von Zytokinen gesteuert wird (siehe [Tab. 1]). Die aufgeführten Reaktionsweisen und Zytokinaktivierungen stellen vermutlich nur einen Teil des komplexen Geschehens dar. Ähnliche Vorgänge finden sich auch bei anderen entzündlichen Erkrankungen der Haut, führen aber zu etwas anderen klinischen Veränderungen. Deutlich wird das bei der atopischen Dermatitis, die anfangs durch Rötung, Schuppung und Juckreiz gekennzeichnet ist, langfristig aber auch zu Lichenifikation und Pachydermie führen kann.

Tab. 1

Beteiligte Immunmodulatoren.

Bildung/Ursprung

Funktion

Antikörper

IL-1

Makrophagen, Endothelzellen, Fibroblasten

  • induziert lokale Entzündung

  • induziert Migration dendritischer Zellen

  • schädigt Bindegewebe

  • verdrängt Endothelzellen

IL-1α

Sezernierung durch Monozyten und Makrophagen

  • Erhalt der Hautbarrierefunktion

  • regt Produktion von Kollagen in der Dermis an

IL-1b

Makrophagen, Monozyten

  • erzeugt Fieber

  • Akute-Phase-Protein

  • Anstieg von IL-6

IL-4

Th2-Zellen, basophile und eosinophile Granulozyten, Mastzellen, NK-Zellen

  • antiinflammatorisch, verringert Produktion von Th1 und Makrophagen

  • fördert M2-Makrophagenaktivierung

  • differenziert Th0- zu Th2-Zellen,

  • reduziert Lymphangiogenese

  • profibrotisch

Dupilumab

IL-6

Monozyten, Makrophagen, Epithelzellen, Endothelzellen, Lymphendothelzellen

  • proinflammatorisches Akute-Phase-Protein

  • involviert in Fettgewebshomöostase

Tocilozumab

Sarilumab

IL-13

T-Lymphozyten

  • stimuliert Bildung und Differenzierung von B-Lymphozyten

  • fördert M2-Makrophagenaktivierung

  • profibrotisch

  • reduziert Lymphangiogenese

Dupilumab

INF-γ

Th1, CD4 + nach Kontakt mit Makrophagen

  • reduziert Lymphangiogenese

  • aktiviert Makrophagen

Th1

Lymphknoten

  • Fibrosehemmung

Th2

Lymphknoten

  • Freisetzung von IL-4 und IL-13

TGF-ß

  • Profibrotisch

  • Inhibitor der Lymphangiogenese

MMP

  • Zerstörung elastischer Fasern

  • Fibroblastenaktivierung

  • Kollagenbildung

LTB4

dendritische Zellen, Mastzellen, Eosinophile, Neutrophile

  • über Notch Pathway Hemmung IL-4 und IL-13, Aktivierung VEGFR3

  • fördert Bildung von Th17

  • fördert Infiltration mit CD4 +-, CD8 +-Zellen und Makrophagen

  • Reduktion der Funktion von Lymphendothelzellen

  • Verschlechterung des Lymphödems

VEGF-c

  • fördert Lymphangiogenese

Die klinische Wirkung der KPE ist seit langem nachgewiesen und reduziert mit dem Ödem auch die Inflammation und damit die Umwandlung des Gewebes. Die genauen Kenntnisse dieser Abläufe sind der Schlüssel für eine systemische Therapie, die damit auch ein Meilenstein in der Behandlung bedeuten würde. Gezielte Antikörperbehandlungen, wie sie erfolgreich bei anderen entzündlichen Erkrankungen, wie der rheumatoiden Arthritis oder Psoriasis, eingesetzt werden, haben bisher in keiner klinischen Studie signifikante Besserung gezeigt. LTB4-Hemmung durch Ketoprofen wurde bisher vor allem am Mausmodell untersucht. Hydroxytyrosol zeigt in vitro gute Erfolge und Tacrolimus wurde an niedrigen Fallzahlen bei plastischen Operationen angewendet. Dennoch sind die Ansätze vielversprechend und lymphologische Forschung auf diesem Gebiet ist dringend erforderlich. Ein Schritt aus klinischer Sicht wäre die Betrachtung von Patienten mit Lymphödemen, die gleichzeitig wegen einer anderen Erkrankung immunsuppressiv behandelt werden. Findet sich dort eine geringere Fibrosierung?

Die weitere Entschlüsselung der Vorgänge im Gewebe ist der wichtigste nächste Schritt in der Lymphologie.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. Anya Miller
Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten
Allergologie/Phlebologie/Lymphologie
Wilmersdorfer Straße 62
10627 Berlin
Deutschland   

Publication History

Article published online:
04 March 2021

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