Schlüsselwörter
Tumor - Entzündung - Fehlbildung - Gefäßanomalie
1. Allgemeine Vorbetrachtungen
1. Allgemeine Vorbetrachtungen
Erkrankungen der Orbita begegnen uns regelmäßig im klinischen Alltag.
Die komplexe Anatomie mit der Vielzahl an verschiedenen Geweben führt zu
einer immensen Heterogenität an Pathologien. Zahlreiche Systemerkrankungen
weisen Assoziationen zu dieser Region auf. Hinzu kommen verschiedene Fehlbildungen,
welche einer komplexen Embryologie entspringen. Insofern ist die Betreuung von
Patienten mit Erkrankungen der Orbita als ein Paradebeispiel für
interdisziplinäres Zusammenarbeiten anzusehen. Die zentrale Lage im
Gesichtsschädel und die enge topografische Beziehung zur Nase mit den
Nasennebenhöhlen, zur Schädelbasis und dem Hirnschädel sowie
zur Schläfenregion erfordert zudem oftmals auch eine
fächerübergreifende chirurgische Betreuung.
Die Orbita dient dem Schutz des Auges und seiner Anhangsgebilde. Die recht stabile
knöcherne Umrahmung mit dem darin befindlichen Corpus adiposum orbitae
bietet dem Organ nicht nur Sicherheit. Durch den vorgegebenen Raum können
Volumenexpansionen schnell zu einem Platzproblem führen. Diese Konstellation
bringt es mit sich, dass die meisten Krankheitsprozesse der Orbita sich
primär ophthalmologisch manifestieren. Dabei sind Exophthalmus, Diplopie und
Visusabfall als häufigste klinische Zeichen zu nennen. Dem Augenarzt kommt
somit eine wichtige Erkennungs- und Steuerfunktion zu.
Prinzipiell sind uns viele Erkrankungen der Orbita wohl bekannt, beispielsweise die
endokrine Orbitopathie. Dabei sollte nicht unerwähnt bleiben, dass auch
diese Erkrankungen untypische und seltene Verläufe nehmen können.
Demgegenüber gibt es wirkliche Raritäten. Die Vielfalt an seltenen
Erkrankungen ist sehr groß und es ist nicht Ziel dieses Referates, an dieser
Stelle Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Die meisten der hier
genannten Erkrankungen werden dem Kliniker womöglich niemals begegnen.
Dennoch erscheint es den Autoren sinnvoll, die Mannigfaltigkeit und
Variabilität der Erkrankungen dieser kleinen Körperregion
möglichst umfassend darzustellen. Hierdurch soll der Beitrag den klinischen
Blick schärfen und bei der erstmaligen Konfrontation mit womöglich
bisher unbekannten Manifestationen eine Hilfestellung geben können.
Weiterhin soll in diesem Referat nicht auf periorbitale (präseptale)
Erkrankungen eingegangen werden. Demnach werden Pathologien der Lider und der
ableitenden Tränenwege ausgespart. Auch bleibt die Traumatologie der Orbita
unbeleuchtet. Des Weiteren wird bewusst nicht auf rein okuläre Erkrankungen
eingegangen, wohl wissend, dass diese über die okulären
Grenzstrukturen (z. B. die Sklera) hinaus expandieren oder eine orbitale
Begleitreaktion hervorrufen können.
2. Interdisziplinarität und „Was ist selten, was ist
häufig?“ – ein Dilemma?
2. Interdisziplinarität und „Was ist selten, was ist
häufig?“ – ein Dilemma?
Die Perspektive auf die Orbita und die Wahrnehmung von Häufigkeiten ist
fachspezifisch sehr unterschiedlich. Dies spiegelt sich auch in der Literatur wider.
Orbitaprozesse kommen insgesamt nicht sehr oft vor, sodass es schwierig ist, genaue
Häufigkeiten bei unterschiedlichen Patientenkollektiven der mitbehandelnden
Fachdisziplinen zu benennen. Auch gibt es keine größeren
randomisierten Studien. Zumeist handelt es sich um vergleichende Studien mit kleinen
Fallzahlen. Bisweilen liegen nur nicht vergleichende Untersuchungen oder wenige
Fallberichte vor.
Wir haben mit der Orbita ein kleines begrenztes Gebiet des menschlichen
Körpers, welches jedoch zahlreiche Gewebe beherbergt und von den
Fachdisziplinen der Kopf-Hals-Region betreut wird. Chirurgisch spielen hier die
Kollegen der Neurochirurgie, der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, der HNO und der
Augenheilkunde die wesentlichen Rollen. Nicht unerwähnt sollen aber auch die
zahlreichen verschiedenen Fachdisziplinen bleiben, ohne die ein gutes
Patientenmanagement undenkbar wäre, u. a. die Innere Medizin, die
Pädiatrie und die radiologischen und hämatoonokologischen
Fächer. Zuletzt sei auf die große Bedeutung der Pathologie
hingewiesen, welche durch moderne Methoden (z. B. Molekularpathologie) einen
unerlässlichen Anteil zur Diagnosefindung beiträgt.
Die Orbitachirurgie stellt ein Grenzgebiet verschiedener Fachrichtungen entsprechend
der anatomisch angrenzenden Strukturen dar. Es handelt sich um eine
interdisziplinär zu behandelnde Körperregion.
3. Anamnese und Diagnostik
3. Anamnese und Diagnostik
3.1 Anamnese
Der gezielten Diagnostik und Therapie im Bereich der Orbita geht eine
strukturierte Anamnese voraus. Sie dient dazu, die Leitsymptome zu erkennen und
zu bewerten, Ausprägungen zu quantifizieren und pathologische
Veränderungen im Einklang mit dem Leidensdruck des Patienten zu
priorisieren.
Nach der freien Befragung des Patienten sind Leitsymptome abzufragen und in ihrem
Verlauf einzustufen (Zeitdauer, Intensität, evtl. Progredienz)
(Infobox 1).
-
Orbitale Leitsymptome
-
Exopthalmus/Enopthalmus
-
Ptosis/Lidretraktion
-
Augenbewegungsstörungen/Diplopie
-
periokuläre/okuläre Rötung und
Schwellung
-
periokuläre Stauungszeichen/Chemosis
-
periorbitale/orbitale Schmerzen
-
Fremdkörpergefühl/Epiphora
-
retrobulbäres Druckgefühl
-
Bulbusbewegungsschmerz
-
Bulbusrepulsionsschmerz / erschwerte
Repulsion
-
Augendruckanstieg
-
Aderhautfalten/Papillenödem
-
Gesichtsfeldausfall
-
Visusabfall
Danach ist es unverzichtbar, eine Anamnese zu allgemeinen Grunderkrankungen sowie
eine Sozial- und Familienanamnese anzuschließen. Dabei ist der Fokus auf
Autoimmunerkrankungen (z. B. Autoimmunthyreopathie), andere
chronisch-entzündliche Erkrankungen (z. B. Granulomatose mit
Polyangiitis), Malignome (z. B. Prostata-, Mamma-, Bronchialkarzinom,
inkl. bestehender genetischer Prädispositionen) und die aktuelle
Medikation (u. a. Antikoagulanzien) zu legen. Bekannte Vorerkrankungen
der Orbita und der Nachbarstrukturen
(Nase/Nasennebenhöhlen/Neurokranium) können
einen Anhalt für Rezidiverkrankungen geben.
Da Erkrankungen der Orbita u. a. zu einem Verlust des
Sehvermögens führen können und sich häufig
primär ophthalmologisch manifestieren, ist die augenärztliche
Anamnese von größter Bedeutung. Dabei muss darauf geachtet
werden, ob beide Augen funktionell gleichwertig sind, ob eine Schwachsichtigkeit
(Amblyopie) besteht, ob es Voroperationen im Bereich der Augen gab und wie sich
die Sehschärfe und die Refraktion (Brechkraftverhältnisse) im
Rahmen der möglichen Orbitaerkrankung entwickelt haben. Das Leitsymptom
„Exophthalmus“ kann hier mit einem Pseudoexophthalmus
(z. B. bei Oberlidretraktion) oder mit einem Enophthalmus der Gegenseite
verwechselt werden.
3.2 Ophthalmologische Diagnostik [1]
-
Inspektion, Palpation, Bestimmung der Lidspaltenweite, Prüfung
der Reponierbarkeit der Augäpfel, Testung der
Hornhautsensibilität und des Augeninnendrucks
-
Bestimmung von Visus einschließlich Refraktion
-
Perimetrie: Gesichtsfelduntersuchung mit Bestimmung der Reizschwelle und
Vermessung der Gesichtsfeldgrenzen und des blinden Flecks
-
Exophthalmometrie, Orthoptik
-
Spaltlampenuntersuchung, Ophthalmoskopie mit Beurteilung der Papille
Für detaillierte Ausführungen zur ophthalmologischen Anamnese und
den Untersuchungtechniken möchten die Autoren auf einen aktuellen
CME-Artikel zu diesem Thema verweisen [2].
3.3 Radiologische Diagnostik (MRT, CT, Sonografie)
Radiologische Verfahren ermöglichen
-
eine differenzialdiagnostische Einordnung
-
die Bestimmung der Ausdehnung
-
die Darstellung einer etwaigen Infiltration umgebender Strukturen
-
die OP-Planung (CT/MRT für Navigation)
-
die Bestrahlungsplanung
Die Sonografie kann erste Hinweise über die Art der Raumforderung geben,
ist jedoch hinsichtlich der Tiefenausdehnung limitiert.
Die MRT ist der CT bei unklaren entzündlichen Läsionen und
Tumoren überlegen. Es werden T1-, T2-gewichtete und
T2-fettgesättigte Sequenzen (welche den Nervus opticus und die
Augenmuskeln besonders gut zur Darstellung bringen) durchgeführt. Die
zusätzliche Gabe von Kontrastmittel ist bei der Frage nach Tumoren und
entzündlichen Prozessen sinnvoll.
Die CT erlaubt eine bessere Darstellung verkalkter und knöcherner
Strukturen bei ausreichender Aussagekraft für Weichteilstrukturen und
spielt daher bei der OP-Planung eine wichtige Rolle. Bei unklaren
Raumforderungen und Entzündungen kann die Gabe von Kontrastmittel
Zusatzinformationen hinsichtlich der Gewebeart und der Vaskularisation liefern.
Ein Nachteil ist die Strahlenexposition, welche die Augenlinse schädigen
kann und daher insbesondere bei jungen Patienten zu berücksichtigen
ist.
Angiographie, Szintigraphie, PET und SPECT sind Spezialfällen
vorbehalten. Für die Dokumentation und Planung von Rekonstruktionen sind
auch die Fotografie, 3D-Fotografie und ggf. Oberflächenscans von
Bedeutung [3].
3.4 Histopathologische Diagnostik
Kann mit den genannten Untersuchungstechniken keine suffiziente klinische
Diagnose gestellt werden, ist die bioptische Sicherung von Gewebe mit
histopathologischer Befundung von großer Bedeutung und insbesondere bei
unklaren oder fortgeschrittenen Fällen, bei Rezidiven oder
Therapieversagern sinnvoll. Hierbei sollten die Risiken durch iatrogene
Verletzungen nicht höher sein als der erwartete Benefit. Für
eine gezielte Planung der Probengewinnung sind eine adäquate klinische
Untersuchung und Bildgebung mit anschließender
interdisziplinärer Diskussion angeraten. Folgende Empfehlungen sollten
hinsichtlich der Biopsieentnahme berücksichtigt werden:
-
möglichst keine Einnahme von systemischen Kortikosteroiden und
anderen Immunsuppressiva in den Wochen vor der Biopsieentnahme
-
Entnahme inzisionaler oder exzisionaler Biopsien für
Formalinfixierung und Untersuchungen an Frischmaterial
-
Entnahme ausreichend großer Biopsate; morphologische
Untersuchungen an Feinnadelbiopsaten nicht immer möglich (nur
bei Lymphomen oder Metastasen ausreichend)
-
Probenentnahme aus unterschiedlichen Arealen der Läsion
-
Vermeiden von Beschädigungen des Untersuchungsmaterials
-
Vergleich mit Vorbiopsien anderer Organe zur besseren Identifikation
systemischer Erkrankungen
3.5 Labordiagnostik
Für eine Vielzahl seltener Erkrankungen der Orbita sind weitere
Untersuchungen, insbesondere eine adäquate Labordiagnostik sinnvoll.
Aufgrund des Umfangs der Arbeit möchten die Autoren
diesbezüglich auf folgende Quelle verweisen: Laboratory Serologic
Investigations; Fay, Aaron; Dolman, Peter J. Diseases and Disorders of the Orbit
and Ocular Adnexa E-Book. Elsevier Health Sciences. S. 57-77 [4].
In den folgenden Kapiteln sollen nun die verschiedenen selten auftretenden
strukturellen, entzündlichen, degenerativen und neoplastischen
Veränderungen der Orbita systematisch dargestellt werden.
4. Strukturelle Läsionen der Orbita
4. Strukturelle Läsionen der Orbita
Hierzu gehören angeborene und erworbene Veränderungen. Erstere
beruhen auf Hamartomen und Choristomen, Teratomen und Gewebsektopien. Weiterhin
zählt die große Gruppe der knöchernen Anomalien dazu. Bei
den erworbenen Veränderungen stehen postinflammatorische und
posttraumatische Zustände im Vordergrund.
4.1 Zysten und zystische Läsionen
Zystische Veränderungen können isoliert und multipel vorkommen.
Zumeist wird eine mehr oder weniger kreisförmige Gestalt vorgefunden.
Der Inhalt kann unterschiedlicher Konsistenz sein (serös, talgig,
solide, gemischt etc.). In der Regel handelt sich um schmerzlose
Raumforderungen, welche nur langsam an Größe zunehmen. Im Rahmen
sekundär entzündlicher Reaktionen kann eine örtliche
granulomatöse Reaktion des Gewebes stattfinden, welche zu starken
reaktiven Veränderungen und im Bereich von Knochenstrukturen zu
Osteolysen führen kann.
Allgemeine Einteilungsmöglichkeiten:
-
Anzahl
-
Gewebetyp
-
epithelial
-
nicht epithelial
-
Lokalisation
-
subperiostal
-
extrakonal
-
konal
-
intrakonal
-
Ätiologie
-
vaskulär/hämatogen
-
neurogen
-
infektiös
-
metastatisch
4.1.1 Angeborene Zysten und zystische Läsionen epithelialen
Ursprungs: Dermoide [5]
[6]
[7]
[8]
Abb. 1 Drei Jahre alter Patient mit Dermoid der linken Orbita
(Befund erreicht die Fossa glandulae lacrimalis). a)
Übersichtsfoto der Augenpartie. b) Seitansicht mit deutlich
sichtbarer Vorwölbung der orbitalen Seitkontur. c)
Schrägansicht zeigt die partielle Verdeckung der Lidkante.
d) Befundansicht von inferior zeigt die Lagebeziehung zur Braue und
zur Fossa lacrimalis. Die Bilder entstammen dem Fotoarchiv der
Universitätsaugenklinik Halle.
-
meist extraorbital (präseptal) in temporal-superiorer
Lokalisation, entlang der Sutura frontozygomatica (70–90
%) ([Abb. 1])
-
weniger häufig im Bereich des medialen Oberlids
-
selten als intraorbitale Dermoide vorliegend
-
gut abgrenzbare zystische Läsion mit langsamer
Größenzunahme
-
Verdrängung angrenzender Strukturen
-
sonografisch gut abgrenzbare, echoarme, ovaläre bis runde
Läsionen mit hyperreflektiven Binnenechos als Zeichen der
epidermalen Differenzierung (Adnexstrukturen, Talg, Zelldetritus)
oder sekundärer Kalzifikationen
-
fibröse Kapsel
-
Cave: rupturierte Dermoidzytsen induzieren eine granulomatöse
Entzündung; akute und chronische Verläufe sind
bekannt; auch ein transsuturales Wachstum ist möglich
(Sanduhrkonfiguration)
-
komplette Exzision unter Erhalt der Zystenwand; insbesondere der
proliferationsaktive Bereich (meist nahe des Knochens) ist zu
entfernen
-
Marsupialisation
-
Cave:
inkomplette Exzisionen können – wenn auch
selten – zu Rezidiven führen. Noch seltener sind
maligne Entartungen im Sinne von Plattenepithelkarzinomen.
-
Retentionszysten und Mukozelen (Anamnese bzgl.
Knochenverletzungen)
-
Meningozelen; Enzephalozelen
-
Choristome der Nasenschleimhaut
-
generell:
jede solide, nicht infiltrative Raumforderung mit zystischer
Gestalt
-
weitere zystische Veränderungen stellen konjunktivale Zysten,
Epidermoide und Zysten, ausgehend von Gewebsektopien (z. B.
ektopes Gewebe der Rathke-Tasche), Cholesterolgranulome und
Cholesteatome dar.
Wird eine zystische Struktur innerhalb eines Gewebes vorgefunden
(z. B. im äußeren Augenmuskel), ist von einem
sekundären Geschehen (Infektion, Metastase) auszugehen.
4.1.2 Erworbene Zysten und zystische Läsionen
4.1.2.1 Mukozelen [9]
[10]
[11]
Abb. 2 Frontale Pyozele mit Einbruch in die linke Orbita
bei einer 73 Jahre alten Frau. a) Übersicht über
die Augenpartie zeigt die initialen klinischen Bilder im
Seitenvergleich. b) Vergrößerte Aufnahme zeigt
die Abszessformation am medialen Oberlid mit
ausgeprägter Pseudoptosis und Begleitphlegmone
(präseptal). c) Klinisches Bild nach Entlastung des
Befundes und nachfolgender Laschendrainage sowie
intravenöser Antibiotikatherapie. d) Aufnahmen der
inital durchgeführten Computertomografie
(Knochenfenster, koronare Ebene) zeigt die Verschattung des
Sinus frontalis. e) Weichteilfenster der inital
durchgeführten Computertomografie (sagittale Ebene)
zeigt eine in die Orbita reichende Verschattung, ausgehend vom
Sinus frontalis. Die klinischen Bilder (a–e) entstammen
dem Fotoarchiv der Universitätsaugenklinik Halle. (mit
freundlicher Genehmigung der Klinik für Diagnostische
Radiologie, Universitätsklinikum Halle (Saale),
Direktor: Prof . Wohlgemuth)
-
fehlende Belüftung des betreffenden Sinus paranasalis
-
in 50 % gehen Traumata/Operationen voraus
-
gehäuftes Vorkommen bei Kindern mit zystischer
Fibrose
-
medial bis medial-superior in der Orbita, entsprechend ausgehend
vom Sinus ethmoidalis bzw. Sinus frontalis
-
selten ausgehend von der Keilbeinhöhle
-
subperiostal bis diffus intraorbital als Komplikation im Sinne
einer Orbitalphlegmone
-
Exophthalmus/Bulbusverlagerung, Diplopie ([Abb. 2])
-
Schmerzen nur im Rahmen sekundär entzündlicher
Veränderungen, ansonsten oft zunächst
schmerzlos
-
verdrängender Charakter, wobei es sekundär zu
Kompressionen des Nervus opticus, des Bulbus oculi oder der
ableitenden Tränenwege kommen kann
-
Cave: Eine seltene Komplikation kann ein Enophthalmus sein. Im
Rahmen eines „Silent-Sinus-Syndroms“ der
Kieferhöhle ist eine Osteolyse des Orbitabodens
möglich. Bei chronischen Verläufen kann eine
Optikusatrophie resultieren.
-
Herstellung einer adäquaten Belüftung des
betroffenen Sinus
-
ggf. Exzision und Obliteration
-
Komplikationsmanagement (Inzision, Drainage, intravenöse
Antibiotikagabe)
Bei frontoethmoidaler Lokalisation ist an Meningozelen/Enzephalozelen
zu denken. Ein nebenbefundlich bestehender Hypertelorismus und eine
Größenzunahme während eines
Valsalva-Manövers geben Hinweise darauf
CaveAuch bilaterale
frontoethmoidale Mukozelen induzieren einen Hypertelorismus.
4.1.2.2 Dakryops [12]
[13]
Abb. 3 Dakryops der Pars palpebralis der rechten
Tränendrüse bei einer 45 Jahre alten Patientin.
Die Patientin stellte sich mit einem störenden
Fremdkörpergefühl vor. Die Zyste wurde
über einen transkonjuntkivalen Zugang reseziert. a)
Klinisches Bild der Zyste, aufgenommen im Linksblick. b)
Vergrößerte Aufnahme der Zyste
(spaltlampenmikroskopische Aufnahme). Die Bilder entstammen dem
Fotoarchiv der Universitätsaugenklinik Halle.
-
meist Pars palpebralis der Tränendrüse (weniger
häufig: Pars orbitalis, akzessorische
Tränendrüsen, Zysten in ektopem
Tränendrüsengewebe oder Zysten von
Drüsengewebe der Karunkel) ([Abb.
3])
-
isoliert vorkommend, multiples Vorliegen und
Bilateralität selten möglich
-
mehr oder weniger ausgeprägte Paragraphenform des
Oberlides (temporal betonte Pseudoptosis)
-
Fremdkörpergefühl
-
schnelle Größenzunahme im Rahmen von emotionaler
bzw. reflektorischer Tränensekretion oder infolge von
Einblutungen (Farbveränderung) möglich
-
in Abhängigkeit von der Größe Auftreten
von Astigmatismus und/oder Diplopie
-
Cave: selten sekundäre bakterielle
Besiedlungen
-
komplette Exzision der Zyste(n)
-
Marsupialisation, Laser-Photokoagulation
-
Beobachten, Tränenersatzmittel, Meiden von kaltem
Wind/Wasser
selten Dakryops als Folge eines Trachoms, eines Pemphigoids oder eines
Tränendrüsensteins
4.1.2.3 Orbitale Implantationszysten [14]
[15]
-
Epidemiologie:
heterogene Angaben in Abhängigkeit von der
Ätiologie (am häufigsten nach Enukleation mit
einem Auftreten in 2–7 % der Fälle)
-
Ätiologie:
posttraumatisch (Strabismuschirurgie, peri- und
intraokuläre Chirurgie, penetrierendes Orbitatrauma,
Enukleation, Orbitafraktur etc.) durch Aussaat von
(konjunktivalem) Epithel
-
Klinik:
komplette chirurgische Exzision
4.2 Neurogene Zysten
Die seltenen Anomalien beruhen auf angeborenen Störungen des Auges, des
Sehnervs oder der Meningen.
4.2.1 Kongenitales Zystenauge [16]
[17]
[18]
sehr selten vorkommend
-
meist isoliert, selten syndromal (Orbeli-Syndrom)
-
Zyste evtl. durch Neuroglia ausgekleidet
-
fehlender Bulbus oculi
-
kontralaterales Auftreten eines Mikrophthalmus möglich
-
zumeist mit systemischen Pathologien assoziiert:
-
Balkenagenesie, basale Enzephalozele, Heterotopie der grauen
Substanz
-
Gesichtsspalten, Sattelnase, Choanalatresie,
Keilbeinanomalien
-
Genitalfehlbildungen
-
Fingerfehlbildungen
-
Cave: Verbindung zum Subarachnoidalraum
möglich
-
je nach Größe der Zysten Indikation zur chirurgischen
Exzision
-
bei kleinen, größenkonstanten Zysten Beobachtung
gerechtfertigt
-
bei zu großem chirurgischem Risiko evtl. Zystenpunktion
erwägen
Teratome, die neben dem zystischen Anteil eine solide Komponente aufweisen
und eine (bisweilen rasche) Größenprogredienz zeigen
4.2.2 Mikrophthalmus, Mikrophthalmus mit Zyste und Anophthalmus [16]
[17]
[18]
[19]
[20]
[21]
[22]
[23]
[24]
-
Anophthalmus: 1–4 : 100.000
-
Mikrophthalmus: 2–20 : 100.000;
2–5% davon mit zusätzlichen Zysten
-
Mikrophthalmus mit Zyste in 2% der zystischen orbitalen
Läsionen vorzufinden
-
Folge einer unvollständigen Einstülpung der
primären Augenblase
-
multifaktoriell
-
SOX2-Gen auf Chromosom 3 bei Anophthalmus; weitere Gene (Auswahl):
PAX6, OTX2, CHX10, FOXE3 und RAX
-
Mikrophthalmus/Anophthalmus isoliert und im Rahmen von
syndromalen Fehlbildungen vorkommend (> 30 %
syndromal; > 57 % multiple kongenitale
Fehlbildungen)
-
prädisponierende Faktoren:
-
unilateral : bilateral =
2 : 1 bei Anophthalmus
-
meist unilateraler Mikrophthalmus
-
Mikrophthalmus mit Zyste inferior lokalisiert und das Unterlid
vorwölbend (vgl. Abgrenzung zum Zystenauge)
Tab. 1 Verschiedene Formen des Mikrophthalmus.
|
Bezeichnung
|
Merkmale
|
|
Reiner Mikrophthalmus (syn. Nanophthalmus)
|
▪ Augapfel relativ symmetrisch zu klein, wobei
die Sagittalachse vermehrt betroffen ist
|
|
▪ extreme Hyperopie (bis + 25
dpt) und flache Hornhaut (Radius 5,9 mm); selten: myoper
Langbau
|
|
▪ stark reduzierte Sehschärfe
|
|
▪ Amblyopie, Nystagmus, konkomitante Esotropie,
Ptosis, Enophthalmus, Mikrokornea
|
|
▪ mentale Entwicklungsverzögerung
|
|
▪ sekundäre Komplikationen: Winkelblock,
Katarakt, Amotio chorioideae et retinae
|
|
Mikrophthalmus mit Kolobom und ggf. Bulbuszyste
|
▪ kombiniert mit primären
(Mißbildungen) und sekundären
(degenerativen) Veränderungen
|
|
▪ ausgeprägter Mikrophthalmus mit starker
Kolobomformation bis hin zum Anophthalmus
|
|
▪ Zystenbildung im Bulbus oder in der Orbita
|
|
▪ Katarakt
|
|
▪ Pseudogliom durch Faltenbildung der Netzhaut
und Mesodermproliferation (Bulbus septatus)
|
|
▪ persistierendes hyaloidales
Gefäßsystem und Tunica vasculosa
lentis
|
|
▪ schwerste Fehlbildungen des Nervus opticus
(Hypo- bis Aplasie; Atrophie zu einem dünnen
gliösen Strang)
|
|
▪ weitere Veränderungen: Sklerokornea,
große (nach hinten verlagerte) Linse, zum Teil
Aphakie, Aniridie, Hypo- bis Aplasie des
Ziliarkörpers
|
|
▪ sekundäre Veränderungen:
Pseudogliomatose, Orbitalzyste,
Entzündungsfolgen
|
|
Mikrophthalmus ohne nachgewiesenes Kolobom
|
▪ mit sonstigen Veränderungen in Form und
Bau des Auges ▪ entspricht ansonsten den
Veränderungen wie bei Vorliegen eines
Koloboms
|
|
Mikrophthalmus mit systemischer Manifestation
|
▪ Dysplasia
oculo-dento-digitalis – Zahnveränderungen,
Fehlen der 2. bis 5. Zehe
beidseits – uni- oder bilateral als
komplizierter oder reiner Mikrophthalmus
|
|
▪ Dyskranio-pygo-phalangie
– schwere
Schädelmißbildungen, Fehlbildungen der
Wirbelsäulen, Zephalozele,
Hodenhyperplasie – Kolobomokirophthalmus
bis Anophthalmus – häufig nicht
lebensfähig
|
Weiteres Vorkommen von Mikrophthalmus: Dyscephalia
oculo-madibulofacialis Ullrich-Fremery-Dohna, Typ Francois,
Dyszephalie nach Hallermann-Streiff, Dysplasia oculo-vertebralis van
der Hoeve-Syndrom, Potter-Syndrom, Fanconi-Syndrom
-
einseitig vs. beidseitig
-
ohne oder mit anderen okulären Pathologien
-
ohne oder mit systemischer Manifestation
-
nicht syndromal oder syndromal
-
schwerwiegende Fehlbildungen und funktionelle Blindheit des
Partnerauges in 12,5 % bei unilateralem Mikrophtalmus bzw.
in 34,0 % bei unilateralem Anophtalmus
-
zerebrale Pathologien – vor allem Fehlbildungen im Bereich
des Corpus callosum – bei bilateralem Anophthalmus (in
70% der Fälle), bei unilateralem Anophthalmus (20
%) und bei unilateralem Mikrophthalmus (12,5 %)
-
Assoziation zu Spaltbildungen
-
gemeinsames Auftreten mit verschiedenen internistischen Erkrankungen
möglich (kardiovaskulär, pulmonal, renal,
gastrointestinal)
-
seltene Assoziationen:
-
je nach Größe der Zysten Indikation zur chirurgischen
Exzision
-
bei kleinen, größenkonstanten Zysten Beobachtung
gerechtfertigt
-
bei zu großem chirurgischem Risiko evtl. Zystenpunktion
erwägen
-
Erweiterung der hypoplastischen Orbita mit Volumenexpandern
Teratome, Kryptophthalmus (Infobox 3) und Phthisis bulbi als
degenerative (postinflammatorische) Veränderung (Bulbus
quadratus)
Alle Graduierungen vom sehfähigen, stark hyperopen Mikrophthalmus bis
hin zum Anophthalmus sind beschrieben. Die Orbita mit den Adnexstrukturen
(Lider und äußere Augenmuskeln) können nahezu
regelrecht entwickelt vorliegen. Zum Teil existieren mikroskopisch kleine
Bulbusrudimente, sodass die Grenze zum Anophthalmus extrem schwer zu ziehen
ist. Manche Autoren sprechen erst nach histologischer Aufarbeitung des
Orbitainhaltes ohne Nachweis okulären Gewebes von einem (echten,
kompletten) Anophthalmus. Deshalb wurde der Begriff des „klinischen
Anophthalmus“ oder „inkompletten Anophthalmus“
geprägt.
Anophthalmus
-
Fehlen sämtlicher okulärer Gewebe
-
primärer Anophthalmus – weder Auge noch
Orbita entwickelt
-
sekundärer Anophthalmus –
lebensunfähige Fehlbildung in Kombination mit
Fehlbildungen des Großhirns
-
degenerativer Anophthalmus – Augenanlage vorhanden,
aber degeneriert
-
häufig hypoplastische und damit in der Größe
deutlich reduzierte Orbita, bei erheblicher Fähigkeit der
Orbita zur Selbstdifferenzierung
-
Agenesie
-
kompletter Anophthalmus, auch sekundär
möglich
-
Anwesenheit mesodermaler Gewebe
-
Anwesenheit ektodermaler Gewebe
-
Anwesenheit meso- und ektodermaler Gewebe
-
assoziierte Fehlbildungen der Sehbahn und Balkenagenesie
möglich
-
Schädelfehlbildungen, Meningozelen, Dermoide der Orbita,
Taubheit
-
Fehlen der Augenlider in Kombination mit
Mikrophthalmus/Anophthalmus
-
Orbita hypoplastisch
-
Brauenbehaarung unvollständig bis komplett fehlend
-
meist bilateral
-
wenn unilateral, dann schwere Fehlbildungen der Orbita und des Auges
auf der Gegenseite
-
Fehlen des Orbitadaches, Fehlbildung des Keilbeines,
Ohrmuschelanomalien, Syndaktylie, Spaltbildungen des Gesichts,
Kehlkopfatresien, Analatresie, Genitalfehlbildungen,
Meningoenzephalozelen, Hydrozephalus, persistierender Ductus
craniopharyngealis (orbitale Zystenbildung aus Resten der
Rathke-Tasche), Hypophysenstörungen, Nebennierenaplasie
4.2.3 Orbitale Zephalozelen [16]
[25]
[26]
-
Zephalozelen insgesamt: 0,8–4 : 10.000; in
> 70 % der Fälle okzipitale Lokalisation
-
insgesamt < 1 % der orbitalen Raumforderungen bei
Kindern
-
anterior (Os frontale, Os ethmoidale, Os lacrimale, Maxilla)
-
posterior (Os sphenoidale)
-
Hypertelorismus, pulsierender Exophthalmus
-
schmerzloser (pulsierender) Tumor
-
Aplasie der Stirnhöhle
-
selten bilateral, dann mit Hypertelorismus vergesellschaftet
-
je nach Inhalt Unterscheidung zwischen Meningozelen
(Hirnhäute) und Meningoenzephalozelen (Hirnhäute und
Anteile des Gehirns)
-
weitere Schädelanomalien möglich (Keilbein),
Hydrozephalus
-
Assoziation zur Neurofibromatose
-
Cave:
sekundäre Ulzeration und Infektion der Zephalozele
möglich
Prinzipiell liegen diese Läsionen bei Geburt vor, können
sich aber mitunter erst im Laufe des Lebens manifestieren (v. a.
wenn der Befund weit dorsal lokalisiert ist).
4.2.4 Andere Neurogene Zysten [27]
Primäre Arachnoidalzysten können in Kombination mit
ipsilateralen okulären Kolobomen vorkommen. Als weitere
Entität sind Nervenscheidenzysten mit anderen Anomalien des
zentralen Nervensystems vergesellschaftet.
4.3 Angeborene Tumoren und Gewebsektopien
4.3.1 Dermolipom [28]
Abb. 4 Gegenüberstellung von Dermolipom (obere Reihe)
und orbitaler Fetthernie (untere Reihe). a) Dermolipom bei einem 12
Jahre alten Kind, aufgenommen im Geradeausblick. b) Dermolipom,
aufgenommen in maximaler Adduktion; zu sehen sind zarte
Pigmentierungen und Haarbesatz. c) Orbitale Fetthernie bei einem 55
Jahre alten Patienten, aufgenommen im Geradeausblick. d) Aufnahme
der orbitalen Fetthernie in maximaler Adduktion; nebenbefundlich
vorliegendes Floppy-eyelid (mit obstruktivem Schlaf-Apnoe-Syndrom).
Die Bilder entstammen dem Fotoarchiv der
Universitätsaugenklinik Halle.
-
falls gewünscht (ästhetisch) bzw. bei Irritation der
Augenoberfläche chirurgische Exzision unter Schonung von
Bindehaut, Tränendrüse und äußeren
Augenmuskeln (Musculus rectus lateralis)
-
oberflächliche Abtragung ohne Präparation in die
Tiefe zur Orbita zumeist ausreichend
4.3.2 Ektopes Tränendrüsengewebe und weitere
Gewebsektopien [29]
[30]
Akzessorisches Tränendrüsengewebe kommt
regelmäßig im Bereich der Bindehautumschlagfalten vor
(Wolfring- und Krause-Drüsen). In den posterioren Bereichen der
Orbita ist dieses Gewebe jedoch selten zu finden. Hier kann es jedoch eine
chronisch vernarbende Entzündung induzieren, was die chirurgische
Sanierung erfordert.
Darüber hinaus wurden bereits heterotopes Hirngewebe und
Knorpelstrukturen in der Orbita beschrieben.
4.3.3 Orbitales Teratom [31]
[32]
[33]
-
größenprogredienter, unilateraler, zumeist zystischer
Tumor
-
Proptosis
-
Vergrößerung der knöchernen Orbita um den
Faktor 2 bis 3 möglich
-
stark heterogenes Gewebe enthalten:
-
komplettes Teratom als orbitaler Fetus-in-fetus (Orbitopagus
parasiticus)
-
inkompletter zweiter Fetus mit Anteilen einer
Wirbelsäule
-
Teratom mit Nachweis aller drei Keimblätter
-
Dermoidtumor mit Nachweis von zwei Keimblättern
4.4 Knöcherne Anomalien und mesodermale Defekte
4.4.1 Akzessorische Knochen und Suturen, ossäre Varianten,
aberrierende Foramina [34]
[35]
[36]
-
manche Formen häufig (Duplikatur der Sutura frontozygomatica
in 7 von 400 Schädeln)
-
erhebliche regionale Unterschiede
-
in ca. 1–2 % der Augenhöhlen nachweisbar
-
Störung der Ossifikation
-
Unterteilung in Normvarianten und kongenitale
Deformitäten
-
Orbita bzgl. der Entwicklung weitgehend selbstdeterminiert
(unabhängig vom Auge)
-
Leitungsbahnen werden erst sekundär vom Knochen umschlossen;
Nerven- oder Gefäßduplikaturen gehen somit der
ossären Variante voraus
-
zum Teil klinisch vollkommen inapparent
-
Assoziation mit Dysostosen des Schädels
-
Exophthalmus
-
Gesichtsasymmetrie
-
Hyper- oder Hypotelorismus
4.4.1.1 Beispiele für knöcherne Varianten [34]
-
akzessorische Suturen und Knochenfragmente (z. B.
Duplikatur der Sutura frontozygomatica, fragmentiertes Os
zygomaticum mit einem Ossiculum infraorbitale marginale)
-
fehlende Beteiligung der Maxilla an der Bildung der inferioren
Orbitakante (Häufigkeit: 1 : 2.250)
-
Fehlbildungen des Os ethmoidale, bei denen das Os frontale die
mediale Orbitawand bildet
-
häufig Dehiszenzen der Lamina papyracea
-
inkomplettes Vorliegen bis vollständiges Fehlen des Os
lacrimale; Variationen des Hamulus lacrimalis und damit
Formvariationen des Saccus lacrimalis und des Ductus
nasolacrimalis
-
akzessorische Knöchelchen im Bereich des Processus
frontalis maxillae
-
Hypoplasie der Maxilla
-
Duplikatur der Crista lacrimalis anterior
4.4.1.2 Beispiele für Varianten der Foramina [34]
-
supra- und infraorbitale Foramina in Form von
Kanälen/Inzisuren/Sulci,
Mehrfachanlagen
-
Duplikatur des Canalis opticus / Fehlen
des Foramen opticum bei Anophthalmus
-
bis zu vierfache Anlage des Foramen zygomaticofaciale
-
bis zu fünffache Anlage des Foramen infraorbitale
(Doppelanlagen in > 10 %)
-
Spina trochlearis (einfach, zweifach oder als Ring)
-
ossäre Teilung der Fissura orbitalis inferior durch
akzessorische Knochenspange
4.4.1.3 Beispiele für Wanddefekte [34]
-
unilaterale Nichtausbildung des Os frontale und der Maxilla
(Frontallappen nur durch Meningen und Haut bedeckt; klinisch
auch ohne Vorliegen einer Zephalozele bei Bulbustiefstand und
Divergenz)
-
Cave: Assoziation zu Zyklopie und Arhinenzephalie, selten
Koinzidenz mit Phakomatosen, z. B. bei Neurofibromatose
(Fehlbildungen im Bereich des Os sphenoidale)
4.4.1.4 Beispiele für Wanddehiszenzen [34]
-
infantiles und bisweilen seniles Auftreten physiologisch
-
vor allem im Bereich von Maxilla und Os ethmoidale
-
seltener im Bereich von Os lacrimale, Os palatinum oder Os
sphenoidale
-
Cave:
-
Variation des Canalis opticus mit Fehlen von Anteilen der
knöchernen Umschließung des Nervus opticus und
daraus resultierender direkter Kommunikation zwischen
Durascheide und Keilbeinschleimhaut
-
Assoziation orbitaler Varizen mit knöchernen Dehiszenzen
bzw. Fehlinterpretation von Phleboliten als solche
möglich
4.4.2 Cribra orbitalia [34]
[35]
Ausdünnung des Orbitadaches mit freiliegender Diploë und
darin befindlichem Venenplexus als Folge einer
Knochenentwicklungsstörung (DD: Vitamin-D-Mangel,
Anämie)
4.4.3 Familiäre Hypoplasie des Orbitarandes
(Urrets-Zavalia-Syndrom) [34]
-
genetisch bedingte Agenesie von Orbitakante und Teilen der
okulären Adnexstrukturen
-
dominanter Erbgang (hohe Penetration, konstante Expression)
-
Gewebe des paraxialen und viszeralen Mesoderms betreffend
-
Fehlen des knöchernen Orbitarahmens
-
Hypoplasie der Lidhaut und der Tarsus palpebrales
-
variable Defekte mit Störungen der ableitenden
Tränenwege, Lidkolobom, Strabismus verticalis
Oftmals haben akzessorische Knochen und Suturen bzw. aberrierende Foramina
keinerlei Krankheitswert, zum Teil müssen sie aber im Rahmen von
Sinus-, Orbita- und Tränenwegschirurgie berücksichtigt
werden.
4.4.4 Gesichtsspalten, faziale Dystrophien, kraniofaziale Dysostosen und
Schädelfehlbildungen [34]
[37]
[38]
Komplexe Gesichtsdeformitäten, die auf einer Störung der
Embryogenese im Bereich des 1. (und 2.) Kiemenbogens beruhen.
4.4.4.1 Seltene Gesichtsspalten (u. a. Tessier-Spalten) [37]
[38]
[39]
-
Epidemiologie:
1–5 : 100.000
-
Ätiologie:
-
fehlende Fusion der embryonalen Gewebe des 1. Kiemenbogenpaares
(Assoziation zu Mittelohrfehlbildungen von Hammer und
Amboss)
-
frühes Entwicklungsstadium (5. bis 8. Embryonalwoche)
-
in späteren Stadien durch Nabelschnurtrauma (atypische
Spalte; „Amniotic-band-syndrome“)
Tessier-Spalten
[38]
,
[40]
Abb. 5 Tessier-Spalte 6 mit Mund-Kiefer-Gaumenspalte. a)
Postnatale Aufnahme mit noch nicht versorgter
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und kerbiger Einziehung am temporalen
Unterlid des rechten Auges. b) Aufnahme im Alter von 8 Jahren im
Geradeausblick; zu sehen ist die Fehlinsertion des lateralen
Lidhaltapparates des Unterlides zur temporal-inferioren
Orbitakante. c) Aufnahme in Abblickposition; das Symblepharon
ist zu beachten. Die Bilder entstammen dem Fotoarchiv der
Universitätsaugenklinik Halle.
-
Mittellinienspalten
-
Paramedianspalten
-
Orbitalspalten
-
Seitenspalten ([Abb. 5])
-
plastische Rekonstruktion durch MKG-Chirurgie zum Verschluss des
Weichteil- und Knochendefektes; kieferorthopädische
Behandlung
-
phoniatrische/pädaudiologische Anbindung
-
ggf. okuloplastische Intervention zur Lidstellungskorrektur oder
zum Kolobomverschluss
4.4.4.2 Faziale Dystrophien, kraniofaziale Mikrosomie [37]
[41]
-
Kieferknochen:
-
Auge:
-
Mundregion:
-
Makrostomie (Spalten)
-
Gesichtsspalten
-
Skelettsystem:
Wirbelsäulenveränderungen
-
Hirnnerven:
-
Fazialisparese
-
Schallempfindungsstörung
-
Gaumenhebungsstörung
-
Augenmuskelparese
-
Ohr:
-
Ohranhängsel
-
Mikrotie/Anotie
-
Gehörgangsatresie
-
Schallleitungsstörung
-
Cave:
seltene Assoziationen mit Fallot-Tetralogie,
Ventrikelseptumdefekt, Transposition der großen
Gefäße, Aortenbogenanomalien,
Nierenfehlbildungen (Fehlen einer Niere, Doppelanlage des
Ureters, Nierenektopien), Hydronephrose, Hydroureter, Anomalien
der Extremitäten (Elle, Speiche), Mikrozephalie,
Enzephalozele, Hydrozephalie, Balkenhypoplasie,
Arnold-Chiari-Malformation, Holoenzephalie
-
als Syndrom vorliegend: VA(C)TER(L) – vertebral
anomalies, anal atresia, cardiac anomalies, tracheoesophageal
atresia, renal anomalies and limb anomalies; CHARGE –
coloboma, heart, atresia choanae, retardation of growth and
development and genitourinary and ear anomalies
Tab. 2 Formen der fazialen Dystrophie
|
Bezeichnung
|
Beschreiber
|
Lateralität
|
Merkmale
|
|
Otozephalie
|
St. Hilaire
|
bilateral
|
|
▪ Aplasie bzw. schwere Hypoplasie der
Mandibula
|
|
▪ Deformität von Zunge, Nase und
Ohren
|
|
▪ transversale Gesichtsspalte
|
|
▪ Augenfehlbildung (Anophthalmus)
|
|
Mandibulo-faziale Dysostose
|
Franceschetti, Zwahlen, Klein, Treacher-Collins
|
bilateral
|
▪ Lidkolobom (nach temporal abfallende
Lidachse)
|
|
▪ hypoplastische Gesichtsknochen
(Maxilla/Mandibula)
|
|
▪ Fehlbildungen des äußeren
Ohres und z. T. des Mittelohres
|
|
▪ Makrostomie, hoher Gaumen
|
|
▪ Fistel zwischen Ohr und Mund
|
|
▪ zur Wange verlagerter Haaransatz
|
|
▪ Gesichtsspalten,
Skelettdeformitäten
|
|
▪ selten: inkomplette und unilaterale
Fälle
|
|
Oto-mandibuläre Dysostose
|
Francois und Haustrate
|
unilateral
|
▪ Agenesie/Aplasie der Mandibula
|
|
▪ Malformationen des Kiefergelenks
|
|
▪ Fehlbildungen des äußeren
Ohres
|
|
▪ Gehörgangsatresie
|
|
▪ Ohranhängsel
|
|
▪ Fisteln zwischen Mund und Tragus
|
|
▪ transversale Gesichtsspalte
|
|
▪ Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
|
|
▪ Zahnfehlstellungen
|
|
Okulo-aurikuläre Dysplasie
|
Goldenhar
|
unilateral
|
▪ epibulbäre Dermoide
|
|
▪ Ohranhängsel
|
|
▪ Ohrfisteln
|
|
▪ Kieferhypoplasie (vor allem der
Mandibula)
|
|
▪ Kolobom des Oberlides
|
|
▪ Makrostomie
|
|
▪ Mikrophthalmus
|
|
▪ nervale, muskuläre und skelettale
Anomalien
|
|
Mandibulo-okulo-faziale Dyszephalie
|
Hallermann und Streiff; Ullrich und
Fremerey-Dohna
|
unilateral
|
▪ Kieferhypoplasie (v. a. der
Mandibula)
|
|
▪ Nasenanomalie
|
|
▪ kongenitaler Katarakt, Mikrophthalmus,
Mikrokornea
|
|
▪ Kleinwuchs
|
|
▪ Zahnanomalien
|
|
▪ Hpotrichose (Brauenbehaarung)
|
|
▪ Hautatrophie
|
|
Okulo-vertebrale Dysplasie
|
Weyers und Thier
|
unilateral
|
▪ Dysplasie der Maxilla
|
|
▪ Gesichtsasymmetrie
|
|
▪ Deformation des maxillären
Alveolarfortsatzes
|
|
▪ Okklusionsstörungen
|
|
▪ Anophthalmus, Kryptophthalmus
|
|
Mikrogenie und Glossoptosis
|
Pierre Robin
|
|
▪ Hypoplasie der Mandibula
|
|
▪ Glossoptose
|
|
▪ Gaumenspalte
|
|
▪ Netzhautablösung
|
|
▪ Katarakt
|
|
▪ Mikrophthalmus
|
|
▪ Glaukom
|
|
▪ hohe Myopie
|
-
Otozephalie
-
mandibulo-faziale Dysostose
-
oto-mandibuläre Dysostose
-
okulo-aurikuläre Dysplasie
-
mandibulo-okulo-faziale Dyszephalie
-
okulo-vertebrale Dysplasie
-
Mikrogenie und Glossoptosis
4.4.4.3 Faziale (Hemi-)Atrophie (Parry-Romberg) [42]
[43]
-
langsam fortschreitende, in der Regel einseitige Atrophie der
Gesichtsweichteile, einschließlich der Muskulatur, sowie
teilweise der knöchern-knorpeligen Strukturen
-
Gesichtsasymmetrie
-
sehr variable Krankheitsaktivität über 2 bis 20
Jahre bis zum selbstlimitierenden Stillstand
-
Fehlbildung des äußeren Ohres (Tieferstand,
Gehörgangsatresie, Anhängsel, verkleinerte
Gehörknöchel, kleine Paukenhöhle)
-
verkleinerter Ober- und Unterkiefer (unilaterale
Mikrognathie)
-
hypoplastisches Mastoid
-
Atrophe Gesichtsmuskulatur, gelbliche Verfärbung der Haut
(Hypo- und Hyperpigmentationen möglich), Lanugobehaarung
bei sonstiger Alopezie
-
temporal abfallende Lidachse, Enophthalmus, Lagophthalmus,
Pseudoptosis (DD: assoziiertes Horner-Syndrom)
-
freiliegender Nervus facialis im Mittelohr
-
Atrophie von weichem Gaumen und Zunge (Sprech- und
Schluckstörungen)
-
säbelförmige Sklerodermie entlang der Haut der
medialen Orbita
-
Heterochromie, Blepharophimose, Kolobom, Okulomotoriusparese, zum
Teil Nystagmus
-
Cave:
-
systemisch medikamentös (u. a. Glukokortikoide,
Cyclophosphamide, MTX) und lokaltherapeutisch (u. a.
PUVA, Botulinumtoxin, Phototherapie)
-
operative Therapieoptionen zur Stabilisierung oder
Wiederherstellung bei periokulären
Veränderungen
4.4.4.4 Kraniofaziale Dysostosen [44]
[45]
[46]
[47]
[48]
Bei den kraniofazialen Dysostosen handelt es sich um Erkrankungen mit
heterogener Befundausprägung.
-
Pfeiffer-Syndrom
-
Saethre-Chotzen-Syndrom
-
Boston-Syndrom
-
Cole-Carpenter-Syndrom
-
Herrmann-Opitz-Kraniosynostose
-
Kraniosynostose Typ Philadelphia
-
Kardio-kraniales Syndrom Typ Pfeiffer
-
Jackson-Weiss-Syndrom
-
Hunter-McAlpine-Kraniosynostose
-
Lopez-Hernandez-Syndrom
-
Baller-Gerold-Syndrom
-
Anlagestörung der Knochen, vorzeitiger Verschluss
betreffender Suturen
-
durch expansives Hirnwachstum und Blockade in einer Richtung
resultierende vermehrte Volumenexpansion in einer anderen
Richtung (Virchow-Regel: Blockade senkrecht zur Synostose und
kompensatorisches Wachstum entlang der Synostose)
-
Sutura metopica (physiologisch bis zum 8. Lebensmonat offen),
Sutura sagittalis, Sutura lambdoidea, Sutura coronalis nicht bis
zum Erwachsenenalter offen
-
Manifestation der Erkrankungen typischerweise im 1. bis 4.
Lebensjahr
-
Schädeldeformität mit oder ohne
Orbitabeteiligung
-
Exophthalmus, Hyper- und Hypotelorismus, Strabismus
-
erhöhter Hirndruck (Kopfschmerzen, Papillenödem,
Optikusatrophie)
-
Enzephalozelen
-
Syndaktylien
-
Ohrfehlbildungen (Ohrmuschel, äußerer
Gehörgang, Mittelohr)
-
Assoziationen zu Stoffwechselstörungen (Hyperthyreose,
Vitamin-D-resistente Hypophosphatämie,
Mukopolysaccharidose [Def.: früher als Gargoylismus
bezeichnete Dysmorphie des Kopfes] und Mukolipidose), Chondro-
und Osteodystrophien (z. B. Achondroplasie)
4.4.4.4.1 Dysostosis cleidocranialis [44]
[49]
-
hypoplastische Dysostose des Schädels mit Brachy-
oder Platyzephalie ([Abb. 6])
-
Zahnanomalien
-
Pseudoarthrosen, Hypoplasien oder Aplasien einer oder beider
Schlüsselbeine
-
Hypoplasie des Os nasale und der Maxilla
-
hoher Gaumen
-
Deformitäten von Thorax, Becken und
Extremitäten möglich
-
Spina bifida
Abb. 6 Dysotosis cleidocranialis
bei einem 32 Jahre alten Mann. a–e) Klinische Bilder
des Mittelgesichtes in Frontalansicht (c), 45°- (b
und d) sowie Seitansichten (a und e); zu beachten ist das
hypoplastische Mittelgesicht (eingesunkene Glabellaregion),
temporal abfallende Lidachsen mit leichtem Exophthalmus und
Hypertelorismus. f–h) Radiologische Bilder der
Computertomografie (Weichteilfenster, koronae und sagittale
Ebene); zu sehen sind die beidseitig hypoplastischen Sinus
frontales (f) et maxillares (g) sowie ein mehrfach
voroperierter harter Gaumen und Veränderungen im
Bereich der Frontobasis (h). Die raiologischen Bilder
(f–h) mit freundlicher Genehmigung der Klinik
für Diagnostische Radiologie,
Universitätsklinikum Halle (Saale), Direktor: Prof
.Wohlgemuth.
4.4.4.4.2 Oxyzephalie (Akrozephalie, Turmschädel) [44]
[45]
[46]
[47]
[48]
-
Geschlechterverteilung: 4 : 1
(Männer : Frauen)
-
vertikale Elongation des Schädels
-
transversale und sagittale Verkürzung
-
koronare und faziale Synostosen
-
Verkleinerung der Schädelbasis
-
prominente Nase, hypoplastischer Oberkiefer, enger Gaumen
-
flache Orbitae mit geringen Volumina
-
supraorbital betonter Exophthalmus, Strabismus,
Motilitätsstörungen, Nystagmus,
Expositionskeratopathie, milder Hypertelorismus
-
Papillenödem, Optikusatrophie
-
retinale vaskuläre Stase, Tortuositas vasorum
-
Lidödeme
-
seltene Assoziationen: Katarakt, Hornhautdystrophien,
Lidkolobom, orbitale Enzephalozele
-
oftmals leichte Intelligenzminderung (Cave: die
Intelligenzminderung kann häufig Folge der
psychosozialen Stigmatisierung sein und ist nicht organisch
bedingt!)
-
klassisches Syndrom: Apert-Syndrom
(Akrozephalo-Syndaktylie)
-
Oxyzephalie mit Exophthalmus, Expositionskeratopathie,
Ophthalmoplegie, Papillenödem, Optikusatrophie
-
Syndaktylie (2. bis 4. Finger/Zehe); Synarthrosen
(Schulter, Ellenbogen)
4.4.4.4.3 Skaphozephalie (Sphenozephalie) [44]
[45]
[46]
[47]
[48]
-
Synostose der Sutura sagittalis
-
lange, schmale Schädelform
-
geringe Breite des Schädels mit Hypotelorismus
-
sagittale Synostose
4.4.4.4.4 Brachyzephalie [44]
[45]
[46]
[47]
[48]
4.4.4.4.5 Dolichozephalie [44]
[45]
[46]
[47]
[48]
-
prominenter frontaler Schädel
-
coronale, sagittale und/oder lambdoide Synostosen
-
koronare Vertreter: Crouzon-Syndrom
-
prominente Stirn, typische Nasenform (Papageienschnabel)
-
hypoplastische Maxilla, Prognathie, Zahnfehlstellungen, hoher
Gaumen, zum Teil mit Spaltbildung
-
divergenter Strabismus, Tränenwegsstenose,
Papillenödem, Optikusatrophie,
Expositionskeratopathie, okuläre Kolobome, Glaukom,
Linsenektopie
-
Ohranomalien (Gehörgangsatresie,
Ohrmuschelanomalie)
4.4.4.4.6 Plagiozephalie [44]
[45]
[46]
[47]
[48]
-
einseitige Synostose der Sutura coronalis
-
ipsilaterale Orbita hypoplastisch
-
Orbitadach mit nach temporal abfallender Achse
-
Verschluss der Sutura lambdoidea
-
differenzialdiagnostisch gegenüber einem erworbenen,
lagerungsbedingten Plagiocephalus abzugrenzen
4.4.4.4.7 Hemikraniose [44]
[45]
[46]
[47]
[48]
4.4.4.4.8 Trigonozephalie [44]
[45]
[46]
[47]
[48]
-
frontale Schädelunterentwicklung (Synostose der
Sutura metopica) mit okzipitaler Kompensation
-
auch bei koronarer Synostose
-
Hypotelorismus
-
Optikusatrophie
-
schmale vordere Schädelgrube
-
hypoplastischer Sinus ethmoidalis
4.4.4.4.9 Platyzephalie (Klinozephalie) [44]
[45]
[46]
[47]
[48]
-
konservativ über Änderung der
Schädellagerung, mittels Physiotherapie bis hin
zur Helmtherapie
-
Korrektur oder Prävention eines erhöhten
Hirndrucks
-
Behandlung der Kopfdeformität
(funktionelle/psychosoziale Indikation)
-
Operationstechniken:
-
offene oder minimal-invasive Suturektomie
-
Suturektomie und Entfernung bzw. Modellierung einzelner
Knochenfragmente, ggf. als Frontoorbitales
Advancement
-
kraniale Distraktion
4.4.4.5 Hypertelorismus [37]
[44]
[45]
-
Interorbitalabstand > 30 mm
-
Assoziation mit Kraniosynostose oder Spaltbildungen im Kiefer-
und Gesichtsbereich, aber auch isoliert auftretend
-
selten Vorkommen von frontalen bzw. frontobasalen
Enzephalozelen
-
Einteilung in:
-
morphogenetisch (habituell) durch dysproportionales Wachstum
-
embryonal durch Entwicklungsfehler (z. B. Apert- und
Crouzon-Syndrom) mit Spaltbildung der Nase (selten doppelt
angelegtes Septum nasi, Dermoid)
Störung der Entwicklung durch Umgebungsfaktoren (Trauma,
Enzephalozelen, Erkrankungen des Knorpels oder der Knochen)
4.4.4.6 Mittellinienverschlussstörungen [50]
1 : 16.000 Lebendgeborenen
-
komplexe zerebrale Fehlbildung mit ausbleibender
Hemisphärentrennung
-
Zyklopie ist Folge eines gestörten
Determinationsprozesses, der aus fördernden und
hemmenden Abläufen besteht und die gesamte Kopfanlage
betrifft
-
teilweise Vorliegen eines rüsselartigen Anhangs
(Proboscis) als Rudiment des Nasenapparates
-
Fehlbildungen wie komplettes Fehlen der Augen (Anops) oder Fehlen
des Gesichtes (Aprosposus – Augen-, Geruchs- und
Geschmacksorgan fehlen) sowie Vorliegen von einer (Zyklopie bzw.
Synophthalmie) über drei (Diprosopus triophthalmus,
Zephalothoracopagus) bis zu vier getrennten Augenanlagen
(Tetrophthalmus) möglich
-
beginnend vom Sehnerv getrennte Darstellung beider Augen und
Orbitae von posterior nach anterior in zunehmendem Maße
möglich (zum Beispiel mit einfacher Kornea bei ansonsten
doppelt angelegten übrigen Geweben)
-
viele klinische Variationen mit fließenden
Übergängen, z. B. mediane
Gesichtsspalten, Mikrophthalmus, Anophthalmus, Zyklopie,
Hypotelorismus (faziale Dysmorphie korreliert mit zerebraler
Anomalie)
-
isoliert oder im Rahmen von Syndromen vorkommend (u. a.
CHARGE, Smith-Lemli-Opitz-Syndrom, Rubinstein-Taybi-Syndrom,
Meckel-Syndrom, Lambotte-Syndrom, Steinfeld-Syndrom)
-
Komplikationen:
-
neurologisch: Epilepsie, Hydrozephalus, mentale
Entwicklungsverzögerungen, Hypotonie,
Spastiken
-
kraniofazial: Mikrozephalie, Hpo- und Hypertelorismus,
mediane und laterale Spalten (Lippen, Kiefer und Gaumen
betreffend), Arhinie, Hypoplasie der Apertura
piriformis
-
endokrinologisch: Diabetes insipidus,
Wachstumshormonmangel, Nebennierenrindenhypoplasie,
Hypogonadismus
-
oromotorische Dysfunktion: Sprech-,
Schluckstörungen, gastroösophagealer
Reflux, Notwendigkeit einer Gastrostomie
-
vegetative Dysfunktionen: Temperaturregulation, Herz- und
Atemfrequenzsteuerung
-
Lebenserwartung:
Prognose ungünstig, in früher Kindheit bereits letal
(mittleres Sterbealter bei 4 Jahren; 15 % zwischen 10 und 19
Jahren)
4.4.5 Entwicklungsstörungen der Knochen
4.4.5.1 Fibröse Dysplasie [51]
-
Befall nur eines Knochens (monoostotisch)
-
Befall mehrerer Knochen (polyostotisch)
-
McCune-Albright-Syndrom (schwerste Form mit Kleinwuchs,
endokrinen Störungen und Pigmentstörungen der
Haut)
-
Affektion aller Schädelknochen möglich
-
bei kranialer Lokalisation orbitale Beteiligung in > 40
% der Fälle
-
atypischer Gesichts- und Kopfschmerz
-
Sinusitis
-
Hörstörungen
-
Exophthalmus
-
Gesichtsasymmetrie
-
chirurgische Dekompression (Optikuskanal, Orbita) bei klinischen
Beschwerden wie Optikusneuropathie
-
chirurgische Exzision betroffener Bereiche unter
Berücksichtigung funktioneller Gesichtspunkte (kurative
Chirurgie nicht möglich, prinzipiell gutartige
Erkrankung)
-
Cave:
Radiatio aufgrund des Risikos einer malignen Entartung
kontraindiziert
4.4.5.2 Osteopetrose [52]
-
Makrozephalie, kraniofaziale Dysmorphie
-
Frakturen, Kleinwuchs
-
Nervenkompressionen (Blindheit, Taubheit, Fazialisparese)
-
Osteomyelitiden
-
Hydrozephalus, Hypophysenhypoplasie, zerebrale
Demyelinisierung
-
Choanalatresie
-
Zahnanomalien, doppelte Zahnreihen, Gaumenspalte, Karies
-
Störung des Kalziumhaushalts, sekundärer
Hyperparathyreoidismus
-
Retinaatrophie, Katarakt
-
Störung der Hämatopoese mit Gefahr der
Panzytopenie, Hepatosplenomegalie
-
Ausprägungen, Formen:
-
autosomal-rezessive Osteopetrose (ARO) (maligne Form)
-
neuropathische Form der ARO
-
Assoziation mit renal-tubulärer Azidose (RTA)
-
„X-linked Osteopetrosis“ mit
Lymphödem, anhidrotisch-ektodermaler Dystrophie
und Immundefizienz (OLEDAID)
-
„Common variable immune deficiency“
(CVID)
-
„Leukocyte adhesion deficiency syndrome“
(LAD-III)
-
autosomal-dominante Form
(Albers-Schönberg-Krankheit)
-
Pyknodysostose
-
Dysosteosklerose
-
Osteopoikilose (bei Vorkommen von Bindegewebsnävi
als Buschke-Ollendorf-Syndrom)
-
Osteopathia striata (mit oder ohne kraniale Sklerose)
4.4.5.3 Cherubismus [53]
-
unterschiedliche Erbmodi, wahrscheinlich vor allem dominant mit
hoher Penetration
-
zystische Proliferation der Mandibula und Maxilla
-
Krankheitsbeginn im Kindesalter (2. bis 5. Lebensjahr)
-
unterschiedliche Verläufe, zum Teil klinisch nahezu
inapparent
-
hervorstehendes Kinn und prominente Wangen, Störungen der
Zahnstellung
-
Augen nach oben verdrängt, Proptosis, Diplopie
-
derbe Knochenschwellungen
-
bisweilen Assoziation mit regionaler Lymphadenopathie
-
spontane Involution nach Abschluss des Knochenwachstums (etwa um
das 30. Lebensjahr)
-
Cave: Dysarthrie, Dysphagie und Dyspnoe
möglich
-
Assoziation mit Ramon-Syndrom, Neurofibromatose 1 und
Fragilem-X-Syndrom
-
Krankheitsaktivierung durch Chirurgie möglich
-
Radiotherapie kontraindiziert (Osteoradionekrose,
Malignominduktion)
Spaltbildungen und andere kraniofaziale Fehlbildungen zeigen eine
sehr große Variationsbreite. Sie können isoliert und
syndromal in Erscheinung treten. Klinisch kann es dabei zum Teil
komplizierte Verläufe mit vitaler Bedrohung geben. Die
frühzeitige Erkennung und Behandlung dieser
komplikationsträchtigen Situationen stellen die
Hauptherausforderung in dieser Krankheitsgruppe dar. Die
interdisziplinäre Betreuung ist multimodal, häufig
sind mehrere chirurgische Eingriffe erforderlich.
4.3 Konklusion
Bei den strukturellen Anomalien der Orbita sind knöcherne Fehlbildungen
der Orbita von okulären Pathologien abzugrenzen. Erstere umfassen vor
allem die Kraniosynostosen, welche isoliert und im Rahmen von Syndromen
vorkommen können. Okuläre Fehlbildungen können mit
orbitalen Läsionen assoziiert sein (z. B. Goldenhar-Syndrom)
oder sekundär zu diesen führen. Die Entwicklung der Orbita kann
jedoch vollkommen unbeeinflusst von der okulären Organogenese ablaufen.
Dermoide sind die häufigsten konnatalen Läsionen der Orbita. Die
wesentliche Herausforderung stellen Komplikationen des neurologischen bzw.
neurochirurgischen Fachgebietes dar (z. B. Enzephalozelen,
Hydrozephalus, etc.).
Zu den erworbenen strukturellen Anomalien gehören in erster Linie
postraumatische Veränderungen oder Folgen von Operationen bzw.
Bestrahlungen. Diese Veränderungen sind zwar variabel, aber nicht
selten.
Die Kenntnis der möglichen strukturellen Veränderungen ist
essenziell für eine erfolgreiche Therapie. Die Beachtung der engen
Lagebeziehung der Orbita zum Hirnschädel ist hierbei extrem wichtig.
Diagnostisch sind entsprechende bildgebende Verfahren zur weiteren
topografischen Zuordnung unabdingbar. Für die Therapie ist dabei
häufig der interdisziplinäre Austausch mit Neuro- und
Ophthalmochirurgen seitens der primär behandelnden Klinik
(HNO/Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie) zu suchen.
5. Entzündliche Läsionen der Orbita
5. Entzündliche Läsionen der Orbita
Es existiert eine Vielzahl unterschiedlicher entzündlicher Läsionen
der Orbita. Für eine übersichtliche Darstellung wurde die Einteilung
in infektiöse und nicht infektiöse Entzündungen
gewählt.
5.1 Infektiöse orbitale Entzündungen
Die infektiöse Zellulitis ist der häufigste Grund für
orbitale Entzündungen. Sie entwickeln sich zumeist aus
entzündlichen Prozessen der Nasennebenhöhlen, des Gesichts, des
Oropharynx sowie der okuläre Adnexstrukturen, zum Teil jedoch auch durch
Fremdkörper oder septische Streuung. Die Ursachen umfassen eine
große Bandbreite bakterieller und viraler Erreger, Pilze und
Parasiten.
5.1.1 Bakterielle Entzündungen (orbitale Zellulitis)
Die häufigsten Ursachen einer infektiösen orbitalen
Entzündung sind orbitale Komplikationen einer purulenten Sinusitis,
welche in diesem Referat über seltene Erkrankungen der Orbita nicht
mit abgehandelt werden. Zur Stadieneinteilung, Pathogenese, Diagnostik und
Management möchten die Autoren auf einige wichtige
Übersichtsarbeiten zu diesen Krankheitsbildern verweisen [54]
[55]
[56]
[57].
Die Identifizierung seltener Erreger kann eine Herausforderung sein, ist aber
für betroffene Patienten von entscheidender Bedeutung, da sie,
unabhängig von ihrer Rarität, eine hohe lokale und
systemische Morbidität haben können. Opportunistische
Infektionen müssen vor allem bei immunsupprimierten und
vorgeschädigten Patienten berücksichtigt werden [58]. Der Schlüssel für ein
erfolgreiches Management ist ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, eine
zügige Diagnosestellung sowie die adäquate Therapie der
Grunderkrankung.
5.1.1.1 Tuberkulose
Die Häufigkeit der Tuberkulose nimmt in den letzten Jahren durch
resistente Stämme und durch die Verbreitung immunsuppressiver
Agenzien zu.
Die Beteiligung der Orbita kann bei der Tuberkulose auf zwei
unterschiedlichen Wegen erfolgen [59]:
-
Periostitis (häufigere Form): schleichender Verlauf mit
kaltem Abszess, Sequestern und Fisteln; meist junge Patienten
betroffen; Lokalisation meist im Jochbein
-
Tuberkulom (seltenere Form): infiltrative orbitale Raumforderung,
zum Teil mit neurosensorischem Defizit
-
Klinik:
-
schmerzhafte Bewegungseinschränkung, keine
intraokulären Läsionen, eher
unspezifische Symptome, dadurch oft verspätete
Diagnose
-
sehr selten auch atypische Mykobakterien (Mycobacterium
hominis; Mycobacterium avium)
-
Cave: v. a. bei „kaltem
Abszess“, nässenden Höhlen oder
(sehr selten) bei durch Optikusneuropathie komplizierter
Keilbeinosteomyelitis: klinischer Verdacht zur
Diagnosefindung oft wichtiger als positive Blutkultur
[58]
-
Diagnostik:
-
Biopsie mit verkäsenden Granulomen, kulturelle
Anzüchtung säurefester Stäbchen
(Goldstandard) schwierig [61]
-
zusätzliche Diagnostik: Hauttests
(Tuberkulintest) und Serologie
(Interferon-γ-Release-Assay [IGRA] sowie
molekularpathologische PCR-Diagnostik aus Biopsien)
[60]
-
Therapie:
-
zeitnahe tuberkulostatische Tripeltherapie (Isoniazid,
Rifampicin, Etambutol) durch Spezialisten (nicht erst
beim Vorliegen einer positiven Kultur, entscheidend ist
die passende Konstellation des klinischen und
(molekular-)pathologischen Befundes!)
-
Indikation zur chirurgischen Intervention u. a.
zur Symptomlinderung, z. B. bei Visusminderung
[58]
-
bei Interaktion zwischen HIV und TBC teilweise
kompliziertes Management [60]
5.1.1.2 Lues
Die durch Treponema pallidum hervorgerufene Geschlechtskrankheit kann
gelegentlich (v. a. bei immunsupprimierten und homosexuellen
Männern) infolge einer postprimären hämatogenen
Aussaat die Orbita befallen und sich dort nach einer Latenzzeit als
schmerzhafte Periostitis oder Weichteilläsion (Gummen)
manifestieren [61].
vollständige Abheilung unter antibiotischer Therapie mit
Penicillin G [61]
5.1.1.3 Nekrotisierende Fasziitis (NF)
Die nekrotisierende Fasziitis der Orbita ist ein ophthalmologischer
Notfall, welcher aufgrund der guten Durchblutung zwar selten auftritt,
aber durch sein rasches Fortschreiten bei verzögerter
Diagnosestellung zum Tode führen kann [58].
Abb. 7
a-d: Nekrotisierende Fasziitis der linken Orbita bei
einer 83-jährigen Patientin. keine Risikofaktoren,
Mischinfektion mit Streptococcus pyogenes, MRSA, Aspergillus
fumigatus: a: klinischer Befund bei Aufnahme, b:
koronare NNH-CT:(Weichteilfenster) mit Imibierung des orbitalen
Fettgewebes, entzündlich veränderten M. obliquus
superior, prä- und postseptale Zellulitis(mit
freundlicher Genehmigung der Klinik für Diagnostische
Radiologie, Universitätsklinikum Halle (Saale),
Direktor: Prof .Wohlgemuth). c: intraop. Situs nach
Debridement. d: durch wiederholtes Debridement und
antibiotische/antimykotische Therapie unkomplizierte Wundheilung
per secundam intentionem. Abb. 7 a, c und d
entstammen dem Fotoarchiv der Universitätsaugenklinik
Halle
-
Auslöser zumeist penetrierende Traumata (35%),
Operationen sowie akute Infektionen der NNH, der ableitenden
Tränenwege oder der Haut, außerdem
Immunsuppression durch Medikamente oder Malignome
-
in 25% der Fälle Trigger unbekannt [64]
-
hohes Patientenalter, Alkohol- und Drogenabusus, Diabetes
mellitus, Kollagenosen und kardiovaskuläre
Vorerkrankungen
-
in 50% der Fälle keine Risikofaktoren vorliegend
[64]
-
aufgrund der dünnen Haut am Auge früh
erkennbar
-
noch vor den Hautveränderungen starke Schmerzen
möglich („pain out of proportion“) [62]
-
weiterhin Fieber und Schweißausbrüche
-
Entwicklung einer Gangrän innerhalb von Stunden mit
livider, blasenbildender Hautverfärbung
-
drohende Erblindung bei Zentralarterienverschluss [58]
-
Toxic-Shock-Syndrom in 30% der Fälle
-
anhand klinischer Symptome
-
Scores, z. B. LRINEC [65],
sowie Bildgebung zur schnelleren Diagnose und Abgrenzung
gegenüber anderen Infektionen wie Mukormykosen
hilfreich
-
ausgiebiges Debridement (am Auge hauptsächlich subkutan,
zum Teil wiederholt [66] bis hin zur
Exenteratio als ultima ratio [67]) in
Kombination mit einer Breitbandantibiose (meist
Breitspektrumpenicilline oder Cephalosporine plus
Clindamycin/Vancomycin; siehe Konsensupapier der dt.
HNO-Gesellschaft von 2009 [68])
-
ausschließlich additiver Effekt der hyperbaren
Sauerstofftherapie und von Immunglobulinen [63]
-
Mortalität schwankend zwischen 8–14 %,
insbesondere hoch bei systemischen Komplikationen wie
Toxic-Shock-Syndrom mit Multiorganbeteiligung, bei periorbitaler
NF mit Erblindung oder Involvierung der Gesichtsweichteile [64]
[66]
-
Reduktion der Mortalität durch besondere Aufmerksamkeit
und zeitnahe Therapie [58]
5.1.1.4 Nicht infektiöse (abakterielle) Osteomyelitis im
Kindesalter
-
sehr seltene, nicht infektiöse Entzündung mit
mulifokalen knöchernen Läsionen und periodischen
Exazerbationen schmerzhafter Schwellungen
-
Synonym: chronische rekurrierende multifokale Osteomyelitis
(CRMO)
-
pädiatrisches Äquivalent des SAPHO-Syndroms
(Synovitis, Akne, Pustulosis, Hyperostosis, Osteitis)
-
Prävalenz: 1–2/1.000.000
-
Altersgipfel 10. Lebensjahr [69]
-
multifokale knöcherne Läsionen
-
häufig Assoziation mit anderen
chronisch-entzündlichen Erkrankungen, z. B.
rheumatoider Arthritis, Morbus Crohn, Sacroiliitis, Psoriasis
oder Pyoderma gangraenosum [70]
-
Cephalgien
-
hyperäme Schwellung
-
CT: osteolytische Auftreibungen
-
Szintigraphie: Focus mit erhöhtem Uptake
-
Histologie: Läsionen mit
osteoblastischem/-klastischem Remodeling,
granulomatöse Entzündungsinfiltrate mit
Riesenzellen
-
Biopsie des beteiligten Knochens zur Absicherung der Diagnose und
Ausschluss von Differenzialdiagnosen (z.B.
Langerhanszell-Histiozytose, Osteoblastom, Osteosarkom)
notwendig
infektiöse Osteomyelitis der Orbita
-
ebenfalls seltenes Krankheitsbild im Bereich der Orbita
-
Ätiologie: meist nach vorangegangenen Traumata,
Entzündungen (NNH, dentogen oder sekundär
infolge einer Bakteriämie bei i.v.-Drogenabusus oder
Leukämie) [72]
-
Klinik: bei akutem Verlauf Fieber und Schwellungen, bei
chronischen Verläufen Sequester und Fisteln
-
vielfältige Differenzialdiagnosen: von der bakteriellen
Zellulitis, atypischen Erregern (Tuberkulose) bis hin zu
Neoplasien wie dem Ewing-Sarkom
5.1.2 Orbitale Pilzinfektionen
Pilzinfektionen sind als Ursache für orbitale Entzündungen
selten, sollten aber bei immunsupprimierten Patienten immer
berücksichtigt werden. Die häufigsten Infektionen erfolgen
durch Phytomyzeten (Mucor und Rhizopus spp.) und Ascomyzeten (Aspergillus
spp.).
5.1.2.1 Rhino-orbitale Mukormykose
Die Mukormykose ist eine seltene Infektionskrankheit mit hoher
Mortalität. Die Diagnose wird häufig verzögert
gestellt, die Erkrankung ist durch einen raschen Verfall gekennzeichnet,
die zügige chirurgische und medikamentöse Behandlung
kann lebensrettend sein [73].
-
ubiquitär vorkommender Keim, der über
Angioinvasion zu Endothelschädigung, Ischämien
und dem typischen nekrotischen Schorf (Eschar, fehlt allerdings
in frühen Stadien) führt
-
Ätiologie:
fast immer Assoziation mit einer Grunderkrankung:
unkontrollierter Diabetes mellitus (v. a. bei
Ketoazidose), Malignome, Verbrennungen, Hämochromatose,
Z. n. Nierentransplantation oder
Stammzelltransplantation, Einnahme des Chelatbildners
Deferoxamin, AIDS
-
Klinik:
-
rhinoorbitale Symptome: akute Pansinusitis mit purulenter
Rhinorrhoe, Schmerzen und massiver Verborkung (schwarze
Verschorfung an Nase und Gaumen), in der Folge
Apex-orbitae-Syndrom mit plötzlicher Visusminderung und
Ophthalmoplegie, Stupor bei intrakranieller Ausdehnung mit
Sinus-cavernosus-Thrombose [58]
Verdacht auf Mukormykose und rasche bioptische Abklärung bei
unklaren Gesichtsbeschwerden, Parästhesien, Schwellungen und
rapid-progressiver Sinusitis bei entsprechend vorgeschädigten
Patienten [74]
-
medikamentöse Behandlung der ersten Wahl: liposomales
Amphotericin B
-
weitere medikamentöse Therapie: Isavuconazol und
Posaconazol insbesondere zur Salvage-Therapie [73]
[75]
-
wiederholtes und ausgedehntes Debridement fast immer
notwendig
-
Exenteratio bei Befall Richtung Orbitaspitze erforderlich, bei
Befall der vorderen Orbitaabschnitte nicht zwingend notwendig
[76]
-
früher fast immer infaust, seit Einführung von
Amphotericin B Überlebensrate bei 70%
[58]
-
in den letzten Jahren Auftreten tödlicher
Verläufe auch bei immungesunden Patienten –
insbesondere nach Verletzungen oder Insektenstichen in warmen
Klimazonen – infolge von Mucorinfektionen durch einen
neuen Erregerstamm (Apophysomyces elegans) [58]
5.1.2.2 Aspergillose der Orbita
Aspergillus spp. kommen ubiquitär vor und besiedeln in der Regel
als harmlose Saprophyten die Schleimhaut der oberen Atemwege. Als
opportunistischer Keim haben sie bei immunsupprimierten Patienten
(z. B. nach Nierentransplantation) eine große
Bedeutung.
Abb. 8
a–d: Aspergillose im Bereich der Orbitaspitze und
Fossa pterygopalatina: 60-jährige Patientin, monatelange
ausgeprägte Schmerzen der linken Gesichtshälfte
mit starken Dysästhesien im Gaumenbereich sowie
trigeminal, anamnestisch chronische Sinusitis mit zweimaliger
Kieferhöhlen-OP, Immunsuppression durch chronisches
Erschöpfungssyndrom, Vorstellung wegen zunehmender
äußerer Okulomotoriusparese mit Ptosis, Diplopie
sowie Visusminderung (zwischenzeitliche bis < 0,05
links), durch mehrfache systemische Prednisolontherapie sowie
Orbitadekompression links nur kurzfristige Besserung von Visus
und Beschwerden. a: im MRT (t1 TSE + KM) im
Bereich der Orbitaspitze sowie der Fossa pterygoplatina
Signalanreicherung(mit freundlicher Genehmigung der Klinik
für Diagnostische Radiologie,
Universitätsklinikum Halle (Saale), Direktor: Prof.
Wohlgemuth). Nach molekularpathologischer Aufarbeitung der
Biopsie der Fossa pterygopalatina links (siehe Abb. 8 b und Abb.
8 c) Nachweis einer Infektion mir Aspergillus fumigatus. Unter
Therapie mit Voricoazol p.o. für 6 Wochen sowie
suffizienter Schmerzeinstellung mit Gabapentin und Amitryptilin
subjektiv vollständige Beschwerderegredienz, im MRT 6
Monate später nur geringe Regredienz erkennbar (siehe
Abb. 8 d). Abb 8a und d mit freundlicher
Genehmigung Prof. Dr. Dr. Wohlgemuth, Klinik für
Diagnostische Radiologie, Universitätsklinikum Halle
(Saale).
Bei Infektionen im Kopf-Hals-Bereich unterscheidet man zwei
Verlaufsformen:
-
durch eine vorbestehende Läsion der Schleimhaut (meist im
Rahmen einer chronischen Sinusitis) Kolonisierung mit Ausbildung
sogenannter Fungus Balls oder chronisch-allergische
Rhinosinusitis
-
Auftreten auch bei gesunden Patienten
-
Befall der Orbita selten [77]
-
bei eingeschränkter Immunabwehr (z. B. durch
Leukämie oder AIDS) schnelle Ausbreitung durch
Gefäßinvasion mit Gewebsnekrosen, über
Ethmoid und Keilbeinhöhle in die Orbitaspitze, den Sinus
cavernosus und bis nach intracerebral; Auftreten von Thrombosen
und Aneurysmen mit hoher Mortalität [78]
[79]
[80]
-
hämatogene Streuung aus pulmonalem Infektionsherd oder
durch infizierte Nadel bei Heroinabusus möglich[ 61]
-
invasive Form: ähnlich fulminantes Bild wie bei der
Mukormykose
-
non-invasive Form: meist langsam progrediente, indolente
Raumforderung aus den Nasennebenhöhlen mit Ausbreitung
Richtung Orbita, häufig vorbestehende Sinusitis
-
isolierter Befall der Keilbeinhöhle mit Optikusneuritis
ohne Involvierung der Orbita möglich [81]
[82]
-
Sensitivität und Spezifität der einzelnen
Testverfahren zu gering, daher Nachweis durch Kombination aus
Bildgebung (CT, MRT), mikrobiologischen Untersuchungen (direkte
Mikroskopie, Kultur, PCR, Biomarker) und Histopathologie
(astartig septierte Hyphen, chronisch-fibrosierende
granulomatöse Entzündung) [83]
-
aufgrund von häufig unspezifischer Symptomatik
(geringfügige Sinusitis, retrobulbäre, zum Teil
neuropathische Schmerzen, apikale orbitale Entzündung in
Bildgebung nur schwer erkennbar) hohes Maß an
Aufmerksamkeit bei Diagnosestellung erforderlich [59]
-
bakterielle Zellulitis, Sinus-Cavernosus-Thombose,
Tolosa-Hunt-Syndrom
-
Tumoren der Orbitaspitze oder der Keilbeinhöhle
-
antifungale Therapie mit lipsomalem Amphotericin B bis zum
Ausschluss einer Mukormykose, dann Umstellung auf das
effektivere Voriconazol [84]
-
extensives Debridement des infizierten Gewebes, v. a. bei
invasiver Form
-
bei immunkompetenten Personen und lokalisierter, nicht invasiver
Form bei adäquater Therapie gut [85] ([Abb. 8a–d])
-
bei invasiver Form schlecht
-
bei intrakranieller Ausdehnung immunsupprimierter Patienten fast
immer infaust [86].
5.1.2.3 weitere Mykosen
Außerhalb Europas können weitere Erreger für
Pilzinfektionen im Bereich der Orbita verantwortlich sein [58]
[59]. Diese sind:
5.1.3 Virale Infektionen
Orbitale Affektionen durch Viren sind selten, trotzdem können sie
durch Infektion oder sekundäre Immunphänomene Krankheiten
verursachen. Beispiele dafür sind:
-
Varizella-Zoster-Virus (VZV): akute Myositis, Neuritis Nervus
optici
-
Mumpsvirus: akute Dacryoadenitis
-
Epstein-Barr-Virus (EBV): akute Dacryoadenitis, Assoziation mit
T-Zell-Lymphomen der Orbita und Nasennebenhöhlen bekannt
[61]
5.1.4 Parasitosen
Eine Infestation der Orbita ist auch durch Larven verschiedener
Würmer möglich, wobei in Deutschland vor allem die
Echinokokkose relevant ist und zu den seltenen Erkrankungen der Orbita
gezählt werden kann.
5.1.4.1 zystische Echinokokkose
-
weltweit auftretend, v. a. bei engem Zusammenleben von
Mensch und Tier
-
meist Patienten zwischen 1. und 4. Lebensdekade [59]
-
endemische Verbreitung in Zentral- und Südamerika,
mittlerem Osten, Nordafrika, China und Russland
-
in Deutschland selten (78 Fälle im Jahre 2019 [87])
-
Ausscheiden von Eiern adulter Bandwürmer aus dem Darm von
Carnivoren (z. B. Hunden) mit dem Faeces
-
Aufnahme der Eier durch grasende Herbivoren (z. B.
Schafe, Kühe) als Zwischenwirt bzw. vom Menschen selbst
durch Verzehr von kontaminiertem Gemüse
-
Verteilung der Eier im Zwischenwirt über den
Blutkreislauf ins Gewebe und Aufnahme durch den Endwirt mit der
Nahrung
-
Heranwachsen im Endwirt bis zum finalen Larvenstadium
-
Befall von Lunge und Leber am häufigsten, in 1%
der Fälle auch Befall der Orbita [88]
[89]
-
langsam progrediente, indolente, intrakonale Raumforderung
-
zunehmende Proptosis und Motilitätsstörung [88]
[89]
-
intrakranielle Ausbreitung durch Druckarrosion
möglich
-
durch Ruptur der Zystenwand (spontan oder im Rahmen der
chirurgischen Exzision) fulminante entzündliche oder
anaphylaktische Reaktion möglich [61]
-
sonografisch und im CT gut abgrenzbare zystische Struktur mit
KM-aufnehmendem Randsaum [90]
-
Hämagglutinations- und ELISA-AK-Test möglich, bei
isoliertem orbitalem Befall aber nur zu 50% sensitiv
[61]
-
alleinige Therapie mit Albendazol für 3 Monate, bei
Begleitentzündung zusätzlich systemisch
Kortikosteroide
-
Kombination aus Albendazol, Praziquantel und chirurgischer
Exzision
5.1.4.2 Zystizerkose
endemisches Vorkommen in Ländern mit schlechten sanitären
Bedingungen (Lateinamerika, Teile von Asien sowie südlich der
Sahara)
-
durch den Parasiten Taenia solium (Schweinebandwurm)
hervorgerufen
-
Aufnahme der Eier durch ungares Schweinefleisch und
hämatogene Verteilung
-
Ausbilden zystisch abgekapselter Larven mit bevorzugter
Ansiedlung in Auge und Gehirn (Neurozystizerkose,
lebensbedrohlich) [61]
-
am Auge oft subkonjunktivaler, intravitrealer und retinaler
Befall
-
im Bereich der Orbita vor allem extraokuläre Muskulatur
betroffen [93]
[94]
5.1.4.3 Trichinose
-
Aufnahme der abgekapselten Larven durch Ingestion von ungarem
Schweinefleisch
-
im Darm Entwicklung der Larven zu Rundwürmern, Ausbildung
neuer Larven und hämatogene Streuung
-
Ausbildung von Zysten in der quergestreiften Muskulatur
-
Erstmanifestation häufig in der extraokulären
Muskulatur
-
präseptales Ödem, Chemosis und schmerzhafte
Myopathie
medikamentös mit Thiabendazol [59]
[61]
5.1.4.4 Ophthalmomyiasis
durch Larven der Dasselfliege in tropischen Regionen hervorgerufen
5.1.4.5 Weitere Parasitosen und Fliegenlarven mit möglicher
Augenbeteiligung [96]
-
Dirofilarien
-
Loa Loa
-
Onchocerva volv.
-
Oxyuren
-
Plasmodien
-
Porocephalus armillatus
-
Schistosoma
-
Thelazia
-
Wuchereria bancrofti
5.2 Nicht infektiöse orbitale Entzündungen
5.2.1 Einleitung
Orbitale Entzündungen stellen streng genommen keine Diagnose im
engeren Sinne dar [97]. Die Entzündung
entspricht der adaptiven Antwort des Immunsystems auf eine erkennbare
Ursache, beispielsweise auf eine Infektion oder Verletzung, aber auch auf
Autoimmunerkrankungen. Bei 20% der raumfordernden Läsionen
der Orbita besteht eine Assoziation mit einer Entzündung [98]. Das Auffinden der ursächlichen
Erkrankung stellt dabei oft eine große Herausforderung dar.
Gemeinsame Merkmale sind die klinischen Entzündungszeichen sowie das
histologische Bild einer polymorphen Entzündungszellinfiltration
[59]. Bezüglich des Auftretens sowie
der Intensität besteht eine ausgeprägte Variabilität
[99]. Auf die endokrine Orbitopathie als
häufigste nicht infektiöse entzündliche
Veränderung der Orbita soll in diesem Referat über seltene
Erkrankungen nicht näher eingegangen werden.
5.2.2 Idiopathische Orbitaentzündung (IOE)
Die idiopathische Orbitaentzündung, früher unter dem Begriff
„Pseudotumor orbitae“ bekannt, umfasst eine heterogene
Gruppe von Erkrankungen, die durch eine orbitale Inflammation ohne
identifizierbare lokale oder systemische Ursache gekennzeichnet sind. Es
handelt sich dabei um eine seltene Entität sowie um eine
Ausschlussdiagnose [100]. Sie ist charakterisiert
durch eine Größenzunahme oder Raumforderung orbitaler
Strukturen, welche durch unspezifische entzündliche, zum Teil
fibrosierende, selten auch destruktive Läsionen hervorgerufen werden
kann [61]. Die Pathophysiologie ist nicht
vollständig geklärt, diskutiert wird eine autoimmune Genese,
welche durch Infektionen getriggert werden kann [99]. Es wurden diverse Einteilungen vorgeschlagen, aufgrund der
sehr variablen klinischen und pathologischen Merkmale hat sich bislang keine
davon durchsetzen können [101]
[102]
[103].
Die IOE kann jede Struktur der Orbita befallen, die Erstmanifestation
variiert von einem akuten Beginn bis zu einem schleichenden Verlauf.
Nach der Lokalisation werden unterschieden [61]:
-
idiopathische orbitale Myositis: begrenzt auf einen oder mehrere
extraokuläre Muskeln
-
diffuse IOE mit Befall verschiedener orbitaler Strukturen
(seltener)
-
idiopathische Perineuritis des Nervus opticus (sehr selten): Befall
der Optikusnervenscheide
-
anteriore IOE: von einigen Autoren als eigenständige
Entität aufgeführt [103]
Die Liste der Differenzialdiagnosen ist lang und umfasst nahezu alle Formen
infektiöser und nicht infektiöser orbitaler
Entzündungen sowie eine Vielzahl neoplastischer sowie
vaskulärer Läsionen [99]. Die
Diagnose kann nur histologisch gestellt werden, sodass Biopsien eine
wichtige Rolle spielen, insbesondere bei fortgeschrittenen Fällen
und Rezidiven, um relevante Differenzialdiagnosen auszuschließen.
Ausnahmen sind die idiopathische Myositis mit ihrem charakteristischen
klinischen und radiologischen Bild sowie Läsionen im Bereich der
Orbitaspitze, wo die Risiken durch iatrogene Verletzungen höher sein
können als der erwartete Benefit. Ein gutes Ansprechen auf
Kortikosteroide findet man bei einer Vielzahl unterschiedlicher orbitaler
Läsionen inklusive der endokrinen Orbitopathie und der Malignome,
sodass dies allein nicht zur Diagnosestellung genutzt werden sollte.
-
breites inflammatorisches Substrat von lymphozytären,
granulozytären und gelegentlich histiozytären
Infiltraten, organisiert in Lymphfollikeln mit Keimzentren
-
erhöhter Bindegewebsanteil mit Ödem und Fibrose
-
frühzeitig erkennbare Zerstörung der
Tränendrüsen-Azini bzw. der Muskelfasern
-
Abgrenzung zu lymphoproliferativen Erkrankungen wichtig
-
Gewebssklerose und Hyalinisierung dominierend
-
Mangel an entzündlichem Infiltrat, Ähnlichkeiten mit
retroperitonealer Fibrose
-
Ausrichtung der Diagnostik auf IgG4-assoziierte Erkrankung [104]
-
Seltener granulomatöse (histiozytäre
Riesenzellinfiltration) und vaskulitische (Vaskulitis der kleinen
Gefäße) Entzündungsreaktionen
-
Übergänge vom klassischen orbitalen Pseudotumor zum
sklerosierenden Subtyp im Verlauf möglich [100]
-
sehr variabel, typischerweise unilateral mit einer Anamnese von Tagen
bis Wochen, von leichten Anzeichen einer Entzündung bis zu
schwersten Schmerzen und orbitalen Drucksteigerungen mit der Gefahr
der Optikuskompression, häufig Rezidive beim klassischen
Pseudotumor sowie der sklerosierenden Form [100]
-
je nach Lokalisation schmerzhafte (schwellungsbedingte) Pseudoptosis,
Chemosis, Exophthalmus sowie (meist schmerzbedingt)
eingeschränkte Bulbusmotilität
-
sklerosierende Form: häufig Schmerzen, eher dezente
Lidschwellung, okuläre Bewegungseinschränkung,
Visusminderung bis zum Visusverlust ([Abb. 9a, b])
bildgebende und serologische Diagnostik:
Abb. 9
a–d: Sklerosierende Variante der idiopathischen
orbitalen Entzündung: a, b: 62-jährige
Patientin, initial foudroyanter Verlauf mit massiven Schmerzen,
Diplopie, Exophthalmus, c, d: Orbita-MRT (mit freundlicher
Genehmigung der Klinik für Diagnostische Radiologie,
Universitätsklinikum Halle (Saale), Direktor: Prof
.Wohlgemuth): diffuse unscharf begrenzte Gewebsvermehrung, welche
nahezu den gesamten Intrakonalraum infiltriert, extraokuläre
Muskulatur kaum abgrenzbar, rascher Visusabfall und letztlich
Erblindung trotz mehrfacher maximaler systemischer
Kortikosteroidtherapie und chirurgischer Orbitadekompression rechts,
Biopsie ohne Hinweis auf Malignität, klinisch und
serologisch kein Hinweis auf sonstige Autoimmunerkrankung,
insbesondere keine Granulomatose mit Polyangiitis oder
IgG4-assoziierte Erkrankung, seit 5 Jahren Erhaltungstherapie mit
Methotrexat, hierunter trotzdem immer wieder Exazerbationen der
Schmerzsymtomatik. Abb. 9a und b entstammen dem
Fotoarchiv der Universitätsaugenklinik Halle (Saale).
-
idiopathische Dakryoadenitis / idiopathische
Myositis: Vergrößerung der betroffenen Strukturen
bei unveränderter Differenzierung
-
sklerosierende Form: homogen anreichernde, unscharf begrenzte
Infiltrate verschiedener orbitaler Strukturen (initial zumeist
lateral mit Befall der Tränendrüse), im weiteren
Verlauf Ausbreitung Richtung Sinus cavernosus und Fossa
pterygopalatina möglich, außerdem evtl. multifokale
Fibrosklerose (insbesondere retroperitoneal) ([Abb. 9c, d])
-
breite laborchemische und serologische Diagnostik zur
differenzialdiagnostischen Abgrenzung und Einschätzung der
Entzündungsaktivität sinnvoll (u. a. Nieren-
und Schilddrüsenwerte, ANCA, ACE, Rheumafaktoren und
IgG4-Serumspiegel)
-
bei hohem Leidensdruck der Patienten meist zeitnahe Therapie
erforderlich
-
verschiedene Stufen der antiinflammatorischen Therapie von alleiniger
Observatio über Antibiotika, NSAID, Steroide bis hin zu
weiteren Immunsuppressiva [100]
-
zumeist gutes Ansprechen auf eine systemische Hochdosistherapie mit
Kortikosteroiden, bei der sklerosierenden Form schlechtes Ansprechen
auf Kortikosteroide und Bestrahlung, durch rasche Diagnosestellung
und schnellen Beginn einer Kombinationstherapie aus Kortikosteroiden
und Immunsuppressiva (gemeinsam mit Rheumatologen) zumindest
Verzögerung der Progression auch beim sklerosierenden Subtyp
möglich [59]
-
bei therapierefraktären und chronischen Verläufen
systemische Gabe von Immunsuppressiva (z. B. Methotrexat und
Azathioprin), Biologika wie Rituximab sowie eine Kombination mit
Bestrahlung der Orbita
-
Chirurgie als Debulking bei der lacrimalen Form, Dekompression der
Orbita bei Kompression des Nervus opticus, Exenteratio orbitae als
ultima ratio bei persistierenden massiven Schmerzen [99]
5.2.2.1 Tolosa-Hunt-Syndrom
-
einseitige Ophthalmoplegie und (z. T. migrierende)
Paresen der entlang des Sinus cavernosus und der Fissura
orbitalis superior verlaufenden Hirnnerven (Nervus oculomotorius
am häufigsten betroffen)
-
häufig assoziiert mit konstanten retrobulbären
Gesichtsschmerzen
-
Diagnose:
Diagnosesicherung mittels MRT oder Biopsie, um
Differenzialdiagnosen (Sarkoidose, Malignome,
Sinus-cavernosus-Thrombose, Karotis-Cavernosus-Fistel)
auszuschließen [106]
-
Therapie:
-
initial Hochdosis-Glukokortikoid-Stoßtherapie, dann
mindestens über 4–6 Wochen ausschleichen (ggf.
auch länger)
-
weitere Optionen: Radiotherapie und Immunsuppressiva
(z. B. Infliximab) [107]
[108]
-
rasche Linderung der Schmerzen durch Kortikosteroide
-
Cave: auch bei Malignomen kann es nach hochdosierter Anwendung von
Kortikosteroiden zu temporärer Beschwerdebesserung
kommen, siehe Fallbeispiel zu [Abb.
10a–f].
-
Regredienz der Neuropathien häufig erst nach Monaten,
z.T. persistierend
-
Rezidive möglich [109]
[110]
Abb. 10
a–f: Fallbeispiel 1: Fehldiagnose eines
Tolosa-Hunt-Syndroms. a–c: MRT der Orbita
(T1-Sequenzen) in koronarer Schnittführung (a: auf
Höhe des Bulbus, b: retrobulbär) bzw. axialer
Schnittführung (c). Der Pfeil markiert die
strangförmige, deutlich KM-anreichernde Struktur im
Extrakonalraum am Orbitadach (a. e. verdickter N.
supraorbitalis), bis in die Fissura orbitalis superior zu
verfolgen, wo ebenfalls eine fokale KM-Anreicherung vorliegt,
die sich in den Orbitatrichter und in den Sinus cavernosus
erstreckt; Beurteilung: keine hinreichende Einordnung
möglich (mit freundlicher Genehmigung der Klinik
für Diagnostische Radiologie,
Universitätsklinikum Halle/S.). d–f:
Schnittführung der anterioren Orbitotomie (d),
intraoperativer Situs (e) und tumoröse Raumforderung am
Orbitadach (f, Pfeil) die den M. obliquus superior infiltriert
und entlang des Nervus supraorbitalis wächst. Abb.
10
d–f mit freundlicher Genehmigung Prof. Dr. S.
Plontke, HNO-Universitätsklinik Halle (Saale).
Fallbeispiel 1
-
79-jähriger männlicher Patient mit seit Monaten
progredienten, periorbitalen Kopfschmerzen rechts:
intermittierend, neuralgischer Charakter im Bereich Nervus
ophthalmicus, Berührungsempfindlichkeit
-
seit Wochen Trochlearis- und Abduzensparese rechts
(Doppelbilder)
-
MRT der Orbita: KM-anreichernde Struktur im Extrakonalraum am
Orbitadach (a. e. verdickter Nervus supraorbitalis), bis
in die Fissura orbitalis superior zu verfolgen, fokale
KM-Anreicherung im Orbitatrichter bis in den Sinus cavernosus
([Abb. 10a–c])
-
PET-CT: keine malignomtypische Glukosekonsumption, insbesondere
im Bereich der Orbita
-
Lumbalpunktion: kein Hinweis auf eine floride
Entzündungsreaktion des ZNS, keine autochtone
Immunglobulinsynthese, keine oligoklonalen Banden, serologisch
keine Hinweise auf eine akute Infektion mit neurotropen
Erregern.
-
Interdisziplinäre Fallberatung: Therapieversuch mit
systemischer Glukokortikoidgabe (auch wegen nicht unerheblichem
periprozeduralem Risiko im Falle einer Biopsie) und
Analgetika
-
zunächst Beschwerdebesserung, (v.a. der
Bulbusmotilität) und regredienter MRT-Befund, DD
autoimmune Genese, Malignom nicht sicher
auszuschließen
-
Fortführung der Glukokortikoidtherapie
-
bei vorgeschädigter Lunge (Fibrose) unter
immunsuppressiver Therapie wiederholt Pneumonie bzw.
Influenza-Pneumonitis
-
nach 3 Monaten trotz regredientem MRT-Befund Indikation zur
Biopsie wegen persistierender Beschwerden histologische
Diagnose: schlecht differenziertes Adenokarzinom weitere
Stagingdiagnostik ohne wegweisende Befunde, somit a.e.
Primärtumorlokalisation
Strahlentherapie (unter Berücksichtigung von Komorbidität
und Patientenwunsch)
Auch bei entzündlich imponierenden Prozessen der Orbita muss ein
malignes Geschehen in Betracht gezogen werden. Eine regrediente
Beschwerdesymptomatik unter Glukokortikoidtherapie schließt eine
maligne Erkrankung nicht aus.
5.2.2.2 IgG4-assoziierte Orbitopathie
Abb. 11
a, b: Fallbeispiel 2: IgG4-assoziierte Orbitopathie.
a, b: MRT in koronarer Schichtung (T1-Sequenz):
extrakonale Raumforderung am Orbitaboden, die nicht sicher vom
M. rectus inferior zu trennen ist (a) und Kontrastmittel
anreichert (b, axiale Schnittführung
(T1-Sequenz): mit Kontrastmittel) (mit freundlicher Genehmigung
der Klinik für Diagnostische Radiologie,
Universitätsklinikum Halle (Saale), Direktor: Prof
.Wohlgemuth)
-
häufigste Manifestationen sind die autoimmune
Pankreatitis, sklerosierende Cholangitis, Nephritis und renale
Fibrose, Befall von Tränendrüsen,
Speicheldrüsen und Lymphknoten [111]
-
Manifestationen im Bereich der Orbita typisch, nahezu jede
Struktur kann betroffen sein, insbesondere jedoch
-
Tränendrüse: „IgG4-assoziierte
Dacryoadenitis“ mit meist schmerzloser Schwellung, meist
bilaterale Ausprägung und mit Sicca-Symptomatik [112]
-
orbitale Nerven und Muskulatur: vorrangig Nervus infraorbitalis;
meist schmerzlos, mit Diplopie und vergrößerter
Tränendrüse
-
orbitales Fettgewebe: mit vergrößerten
Tränendrüsen einhergehend [112]
[113]
-
selten auch destruierende Läsion mit Enophthalmus [113]
[114], Befall okulärer
Strukturen oder der knöchernen Begrenzung
-
bei mehr als 70% der Patienten auch extraokuläre
Manifestationen [111]
-
Sehstörungen als führendes Symptom [111]
-
diffus vergrößerte Tränendrüse,
Muskulatur (vor allem lateral), Nervus infraorbitalis,
z. T. mit Auftreibung des knöchernen Kanals
([Abb. 11a, b])
-
häufig ipsilaterale Affektion der
Nasennebenhöhlen [112]
-
lymphoplasmazelluläre Infiltration mit obliterierender
Phlebitis und eosinophiler Entzündung
-
Anteil an IgG4-positiven Plasmazellen > 40 %
(auslösender Stimulus für Differenzierung von
B-Lymphozyten in IgG4-produzierende Plasmazellen bislang
unklar)
-
Fibrosierung im weiteren Verlauf
-
histologische Diagnosekriterien: IgG4/IgG-Ratio >
50% sowie > 30 IgG4-positive Zellen pro
Hochvergrößerungsfeld (High Power field, HPF)
[115]
-
erhöhter IgG4-Serum-Spiegel, allerdings unspezifisch
(Erhöhung auch bei Churg-Strauss-Syndrom, Sarkoidose,
allergischen Erkrankungen) und insbesondere bei limitiertem
orbitalen Befall nicht nachweisbar
-
ansonsten keine systemischen Entzündungszeichen [99]
-
Empfehlung aus neueren Studien: Einsatz von Rituximab nicht nur
bei Rezidiven, sondern auch in der Erstlinientherapie; darunter
deutlich bessere Erfolgsraten als sonstige disease modifying
anti rheumatic drugs (DMARD) wie Methotrexat, Mykophenolat und
Azathioprin [116]
-
chirurgisches Debulking und Strahlentherapie nur noch selten
indiziert [116]
[117]
Fallbeispiel 2
-
75-jähriger Patient, Z. n. funktioneller
endonasaler endoskopischer Nasennebenhöhlenoperation
(FESS) 2007
-
vor sechs Monaten Augenschwellung rechts und Doppelbilder seit 6
Monaten, auswärts Re-FESS bei klinischem Befund eines
„Orbitaabszesses“
-
drei Monate später Re-FESS bei polypöser
Pansinusitis mit orbitaler Beteiligung ebenfalls
auswärtig
-
bei Erstvorstellung persistierende Doppelbilder, Visusminderung,
Lidödem, Sensibilitätsstörungen
-
MRT: extrakonale Raumforderung am Orbitaboden, die nicht sicher
vom Musculus rectus inferior zu trennen ist und Kontrastmittel
anreichert (
[Abb. 11a, b]
)
-
nach Biopsie über transkonjunktivalen Zugang Diagnose
einer IgG4-assoziierten orbitalen Entzündung
5.2.3 Vaskulitiden im Bereich der Orbita
Vaskulitiden haben unter den orbitalen Entzündungen eine besondere
Bedeutung. Sie sind häufig Teil einer Systemerkrankung und initial
nicht immer erkennbar, haben für den Patienten aber mitunter
weitreichende Konsequenzen. Histopathologisches Hauptmerkmal sind
angiodestruktive Prozesse mit deutlicher Begleitentzündung. Die
Vaskulitiden umfassen eine Vielzahl von Erkrankungen. Für die Orbita
sind vor allem die orbitale Granulomatose mit Polyangiitis (GPA,
früher Morbus Wegener), die allergische Granulomatose
(Churg-Strauss-Vaskulitis) sowie die Polyarteriitis nodosa von Bedeutung,
weitere Vaskulitiden sind mit ihren Hauptmerkmalen kurz
aufgeführt.
5.2.3.1 Vaskulitiden der kleinen und mittleren
Gefäße
5.2.3.1.1 Orbitale Granulomatose mit Polyangiitis (GPA)
nekrotisierende granulomatöse Entzündung des
Respirationstraktes und nekrotisierende Vaskulitis kleiner und
mittlerer Gefäße der Atemwege und der Niere
-
seltene Erkrankung, Inzidenz 3/100.000 [118]
-
Beteiligung der Orbita in ca. 50% aller Fälle
[111] (nahezu jede Struktur
kann betroffen sein)
-
Befall von Atemwegen, Nieren, weiteren Organen
-
häufig Assosziation mit c-ANCA- (90%) und
p-ANCA-Erhöhung (20%) [111]
-
früher hohe Mortalität, durch
frühzeitige Kombinationstherapie aktuell bis zu
90% Remissionen [120]
-
Proptosis als Schlüsselmerkmal (im Zusammenhang mit
pulmonalen und renalen Symptomen wegweisend für
korrekte Diagnosestellung)
-
schmerzhafte Ophthalmoplegie durch Ausbreitung der orbitalen
Raumforderung in benachbarte Strukturen (z. B. Sinus
cavernosus)
-
Epiphora durch Obstruktion der ableitenden Tränenwege
bei NNH-Befall, Diplopie durch Vaskulitis der
Gefäße der extraokulären Muskulatur
(EOM), Inflammation der Glandula lacrimalis,
Bulbusperforation durch nekrotisierende Skleritis,
Xanthelasmen-ähnliche Verfärbung der
Augenlider („yellow lid sign“)
-
visusbedrohende Kompression des Nervus opticus bei
Infiltration benachbarter Strukturen
-
meist subakuter Beginn, meist bilateraler Befall im Verlauf,
Episoden mit deutlicher Befundprogression im Rahmen des
chronischen Erkrankungsverlaufs typisch
-
im Verlauf erhebliche Destruktion durch Fibrosierung und
orbitale Atrophie mit Enophthalmus,
Motilitätsstörungen und chronischen
Schmerzen möglich [118]
[121]
-
extrakonale Infiltrate, vorrangig inferomedial in enger
Nachbarschaft zu den betroffenen Nasennebenhöhlen
mit knöcherner Destruktion und Septumperforation
-
isolierter Befall der Orbitaspitze möglich
(z. T. mit intrakranieller Ausbreitung) oder
isolierter Befall der Glandula lacrimalis (diffuse
Vergrößerung der Drüse)
-
diffuse Ausbreitung intra- und extrakonal
(„wall-to-wall“-Tumor) als pathognomonisches
Zeichen für fortgeschrittenen Befall
-
MRT zur Identifizierung einer granulomatösen
Entzündungsreaktion geeignet
-
klassische histologische Trias aus Vaskulitis, Nekrose und
granulomatöser Entzündung in der Orbita nur
bei 50% der Patienten
-
weitere Merkmale: polymorphe entzündliche Infiltrate,
degenerativ veränderte Granula/Kollagen
sowie in vielen Fällen erhöhte Anzahl
IgG4-positiver Plasmazellen [123]
-
auch bei ANCA-negativer GPA: immunhistochemische
Zusatzuntersuchungen auf IL-17 und IL-23 für
Differenzierung zur Sarkoidose [111]
-
Management der orbitalen GPA analog zur systemischen GPA
-
aktueller Standard: Kombination von Kortikosteroiden mit
Cyclophoshamid, Methotrexat oder Azathioprin; durch
frühzeitigen Therapiebeginn Vermeidung fataler
lokaler oder systemischer Verläufe [118]
-
bei therapierefraktären Fällen: Rituximab
[124] (besseres
Nebenwirkungsprofil bei vergleichbarer Wirksamkeit)
-
chirurgisches Debulking bei persistierender Proptosis,
unkontrollierbaren Schmerzen oder kompressiver Neuropathie
des Nervus opticus [121]
5.2.3.1.2 Allergische Granulomatose
(Churg-Strauss-Syndrom)
-
allergische Systemerkrankung; initial Manifestation mit
Asthma und Rhinosinusitis, im Verlauf nekrotisierende
Vaskulitis kleiner und mittlerer Gefäße und
eosinophile granulomatöse Entzündung [118]
-
orbitaler Befall sehr selten
-
zum einen als ischämische Vaskulitis, zum anderen als
orbitaler entzündlicher Pseudotumor mit
Dacryoadentis, Myositis, Periskleritis, Perineuritis
-
kann Erstmanifestation des Syndroms sein [125] ([Abb. 12a–c])
-
im Verlauf Proptosis, Diplopie, Ophthalmoplegie,
Visusminderung durch Optikuskompression
-
im vaskulitischen Stadium lebensbedrohliche Komplikationen
möglich (Peritonitis durch Darmperforation,
eosinophile Myokarditis mit Myokardinfarkt)
Abb. 12
a–d: Churg-Strauss-Syndrom;
68-jährige Patientin mit seit vielen Jahren
bekannten Asthma bronchiale und chronischer Rhinosinusitis,
Bluteosiophilie, ansonsten kein Hinweis auf systemische
Vaskulitis, unter Therapie mit Prednisolon und Azathioprin
vollständige Beschwerderegredienz.
a+b: entzündlich imponierender
Raumforderung im Bereich der rechten vorderen Orbita
entstammen dem Fotoarchiv der
Universitätsaugenklinik Halle (Saale) c:
Hyperdense Signalanreicherung laterokranial als Korrelat des
entzündlichen Infiltrats (mit freundlicher
Genehmigung der Klinik für Diagnostische Radiologie,
Universitätsklinikum Halle (Saale), Direktor: Prof.
Wohlgemuth) d: Biopsie mit Nachweis eines
eosinophil-granulomatösen Infiltrats (mit
freundlicher Genehmigung des Instituts für
Pathologie, Universitätsklinikum Halle (Saale),
Direktorin : Fr. Prof. Wickenhauser)
Diagnostik:
-
Biopsie aus den betroffenen Strukturen
-
histologisches Hauptmerkmal: nekrotisierende Vaskulitis mit
extravaskulären eosinophilen Infiltraten ([Abb. 12d])
-
serologisch positive p-ANCA in 70% der Fälle
[126]
-
Bildgebung (CT, MRT): unspezifische Veränderungen mit
Größenzunahme des Retrobulbärraums,
Schwellung von Tränendrüse und
extraokulärer Muskulatur (EOM)
-
Diagnosekriterien des American College of Rheumatology (1990;
4 von 6 müssen zutreffen): Asthma,
Abnormalitäten der Nasennebenhöhlen,
pulmonale Infiltrate, Bluteosinophilie
(> 10% der Leukozyten),
Gewebseosinophilie, Mono-/Polyneuropathie [127]
-
Erstlinientherapie: systemische Kortikosteroide (oral,
intravenös), Methotrexat und Cyclophosphamid additiv
als Steroidsparer bei kritischer Organbeteiligung
-
Biologika bei Rezidiven oder refraktären
Fällen: Rituximab, Infliximab, Mepolizumab oder
Omalizumab [118]
[128], in der Regel
medikamentöse Dauertherapie notwenig
vor der Ära der Biologika: Mortalität von bis zu
50% bei Befall von zwei oder mehr Organen [129]
5.2.3.1.3 Polyarteriitis nodosa
-
nekrotisierende Vaskulitis der mittleren und kleinen Arterien
sowie gelegentlich der Begleitvenen
-
segmentaler Befall charakteristisch (Bifurkationen
bevorzugt)
-
typischerweise Thrombosen und noduläre Aneurysmen
[59]
-
histologisches Merkmal: fibrinoide Nekrose der Media sowie
das gleichzeitige Vorliegen mehrerer Stadien der
Entzündung
-
meist männliche Patienten in der 4. bis 5.
Lebensdekade
-
Assoziation zu Hepatitis B
-
Orbita bei ca. 10% der Patienten befallen [118], gelegentlich
Erstmanifestation der Erkrankung
-
Lokalisation:
Prädilektionsstellen: Niere, Herz, Leber,
Gastrointestinaltrakt, periphere Nerven und ZNS, aber auch
Knochen und Gelenke
-
Klinik:
-
typische ophthalmologische Läsionen: retinale
Vaskulitis, choroidale Infarkte mit Exsudationen,
ischämische Optikusneuropathie
-
Sekundärphänomene der Vaskulitis:
Ischämie der extraokulären Muskulatur (EOM)
mit Ophthalmoplegie, diffuse orbitale Inflammation mit
Exophthalmus, Motilitätseinschränkung,
Chemosis
-
Diagnosestellung anhand der Kombination aus orbitaler
Entzündung mit anderen Symptomen der Erkrankung,
unspezifischen Entzündungszeichen im Labor, Biopsie
und Bildgebung (ggf. angiografischer NAchweis von
Aneurysmen)
-
systemische Kortikosteroide und Cyclophosphamid
-
Einsatz anderer DMARD wie Methotrexat, Azathioprin und
Rituximab ebenfalls beschrieben [118]
5-Jahres-Überlebensrate bei 80% [118]
5.2.3.2 Vaskulitiden der großen
Gefäße
5.2.3.2.1 Riesenzellarteriitis (Arteriitis temporalis)
-
idiopathische Vaskulitis mittlerer und großer
Arterien der Kopf-Hals-Region
-
histologisch segmentale Entzündung mit Riesenzellen,
Lymphozyten, Plasmazellen und Eosinophilen [118]
-
Altersgipfel 7. bis 8. Lebensdekade
-
meist Frauen betroffen [111]
-
orbitale Beteiligung selten
-
Ätiologie:
Kombination aus genetischer Prädisposition
(kaukasische Rasse) und Umweltfaktoren (Assoziation mit
Virusinfektionen, z. B. VZV, CMV, Parvovirus 19)
[130]
-
Klinik:
-
Kopfschmerzen, Schmerzen beim Kauen („jaw
claudication“)
-
B-Symptome wie Fieber, Müdigkeit,
Gewichtsverlust
-
Polymyalgia rheumatica, Empfindlichkeit der Kopfhaut [111]
-
Visusminderung durch Ischämie des Nervus opticus
(anteriore ischämische Optikusneuropathie [A-AION]:
dringliche Behandlungsindikation)
-
weiterhin Diplopie, chorioidale und retinale
Ischämiezeichen [111]
Ophthalmoplegie und Diplopie (durch Ischämie und
Inflammation) [131]
-
Diagnostik:
Diagnosestellung durch Kombination aus typischen Symptomen
(Kopfschmerzen, Empfindlichkeit der Kopfhaut),
Laborparametern (erhöhte BSG), radiologischen
Befunden (KM-Enhancement der Orbita im MRT) und Biopsie der
Arteria temporalis (Biopsie der orbitalen Läsion
selten notwendig) [118]
-
Therapie:
5.2.3.2.2 Takayasu-Arteriitis
-
Erstbeschreibung bei japanischen Frauen mittleren Alters
-
aktuelle Untersuchungen: alle ethnischen Gruppen betroffen,
Prävalenz zunehmend [133]
-
vaskulitische Destruktion der Arteria carotis mit
kollateraler Blutversorgung zum Auge
-
Visusverlust durch ischämische okuläre
Komplikationen möglich
-
initial Amaurosis fugax oder progressiver permanenter
Visusverlust möglich [134]
5.2.3.3 Vaskulitiden von Gefäßen variabler
Größe
5.2.3.3.1 Cogan’s Syndrom
-
autoimmune Genese mit Ursprung im Innenohr
-
Triggerung durch initiale Virusinfektion
-
Identifikation verschiedener Autoantigene (CD 148, Connexin
26) [137]
-
verschiedene okuläre Symptome wie Konjunktivitis,
Episkleritis, Glaukom, Uveitis; Labyrinthaffektion zwei
Jahre nach Erstmanifestation
-
Hörverlust teilweise sehr ausgeprägt,
beidseitige Taubheit bei 60% der Patienten [138]
-
durch nekrotisierende Vaskulitis in ca. 70% der
Fälle Systembeteiligung mit Manifestation an
Blutgefäßen (Aorta, Nieren- und
Koronargefäße), neurologischen und
gastrointestinalen Symptomen; schwerer, z. T.
lebensbedrohlicher Verlauf möglich
-
bei orbitaler Beteiligung (nur Fallberichte):
Hörverlust, Vertigo, Enophthalmus und orbitale
Inflammation (jedoch ohne bioptischen Nachweis der Genese)
[118]
neurootologische, ophthalmologische und angiologische Diangostik zum
Ausschluss von Differenzialdiagnosen
-
kongenitale Syphilis, Susac-Syndrom,
Vogt-Koyanagi-Harada-Syndrom
-
sonstige Vaskulitiden, z. B. Granulomatose mit
Polyangiitis [136]
-
First-Line-Therapie: systemische Hochdosis-Glukokortikoide,
hierdurch häufig Verbesserung der
vestibulocochleären und okulären Symptomatik
[139]
-
Rezidivprophylaxe: Biologika wie Infliximab (Einsatz auch als
First-Line-Medikament gemeinsam mit Glukokortikoiden zu
einem frühen Zeitpunkt der Erkrankung zur Vermeidung
irreversibler Schäden propagiert) [140]
5.2.3.3.2 Morbus Behçet
idiopathische systemische Vaskulitis von Blutgefäßen
variabler Größe mit episodischem Verlauf [141]
-
höchste Prävalenz im mittleren Osten und
Asien
-
Geschlechterverhältnis: M : F
= 3,5 : 1
-
orbitale Beteiligung extrem selten
-
aphthöse Läsionen der Mundschleimhaut und
Genitalien
-
Hautläsionen und intraokuläre
Inflammation
-
weitere Organmanifestationen in Gastrointestinaltrakt, Lunge,
Muskeln, Gelenken und ZNS [111]
-
meist Uveitis mit Hypopyon, retinale Vaskulitis
-
selten anteriore ischämische Optikusneuropathie
(AION)
-
Cave: okuläre Beteiligung erfordert aufgrund
der hohen Morbidität besondere Beachtung
Befall der extraokulären Muskulatur (EOM) bzw. der
Tränendrüse (jedoch ohne bioptische Sicherung) [142]
-
Bestimmung von HLA-B51, CRP und BSG [118]
-
Diagnose eines orbitalen Befalls anhand der Kombination von
klinischen Symptomen und Laborparametern, passend zum Morbus
Behçet und der orbitalen Entzündung [118]
-
First-Line-Therapie: Kortikosteroide
-
Second-Line-Therapie: Azathioprin, Ciclosprorin, Infliximab
oder Adalimumab; in schweren Fällen mit
visusbedrohender Retinitis auch Kombinationstherapie
möglich [143]
-
aktuelle Studienergebnisse: Einsatz von IL-1-Inhibitoren
(Anakinra, Canakinumab) vielversprechend [144]
5.2.3.3.3 Kawasaki-Syndrom
systemische Autoimmunvaskulitis mit bevorzugtem Befall
mittelgroßer Gefäße, insbesondere der
Koronargefäße
histopathologisch sechs typische Läsionen:
Endotheldegeneration, nekrotisierende Arteriitis,
granulomatöse Entzündung, Mediadegeneration,
Narbenbildung, Ausbildung von Aneurysmen [118]
-
Kardinalsymptome: Fieber (> 5 Tage), Palmar-
und Plantarerythem, polymorphes Exanthem, bilaterale
konjunktivale Injektion und Chemosis,
Mundschleimhauterythem, cervikale Lymphadenitis, Aneurysmen
der Koronargefäße
-
ophtalmologische Symptome:
-
typische klinische Konstellation
-
wichtig: kardiologische Diagnostik mit Herz-ECHO, ggf.
Koronarangiografie
-
Labor: unspezifische Erhöhung von BSG, CRP,
alpha-1-Antitrypsin, Thrombozyten
-
Standard: hochdosierte i.v.-Gabe von Immunglobulinen plus
Aspirin zur Symptomreduktion und Prävention von
Aneurysmen der Koronararterien [118]
-
therapierefraktäre Fälle: Infliximab [149]
-
Einsatz von Kortikosteroiden kontrovers diskutiert (Einsatz
nur bei therapierefraktären Fällen) [147]
5.2.3.3.4 Kollagenosen-assoziierte Vaskulitiden bei Systemischem
Lupus erythematodes, Rheumatoider Arthritis (RA), Dermatomyositis
(DM)
-
Vaskulitis als typisches Merkmal bei Patienten mit
Kollagenosen
-
zumeist Affektion kleinerer Gefäße in Form
einer leukozytoklastischen Vaskulitis (perivaskuläre
Infiltration mit apoptotisch zerfallenden neutrophilen
Granulozyten) [59]
[118]
-
Vorkommen bei ca. 30–40% der SLE-Patienten
und 5–15% der RA-Patienten [59]
[118]
-
okuläre Beteiligung bei 20% der Patienten mit
SLE
-
orbitale Beteiligung wesentlich seltener [150]
immunkomplexvermittelte Pathogenese
-
häufig: kutane Läsionen, Befall der
Mesenterial-, Koronar- und Pulmonalarterien, der Arterien
der unteren Extremitäten und des ZNS
-
okuläre Beteiligung: zumeist Retinopathie,
Keratokonjunktivitis sicca, Uveitis
-
vereinzelt Publikationen mit Symptomen einer orbitalen
Entzündung (Infarzierung, Myositis,
Exophthalmus)
-
orbitale Entzündungssymptome zusammen mit
entsprechenden Allgemeinsymptomen und typischen
serologischen Befunden bei SLE und RA (erhöhte ANA
und ds-DNS-AK) [151]
[152]
[153]
-
sehr selten orbitale Beteiligung bei Dermatomyositis:
Fallbericht einer verzögerten, bilateralen orbitalen
Beteiligung mit Exophthalmus durch
Vergrößerung der EOM, assoziiert mit
Muskelschwäche und typischen
EMG-Veränderungen (ohne bioptischen Nachweis) [154]
-
SLE und RA: Glukokortikoide i. v. oder p. o.;
alternativ Azathioprin und Biologika (Rituximab, Infliximab,
Belimumab)
-
DM: Glukokortikoide i. v.; auch Immunglobuline als
First-Line-Therapie sowie Methotrexat und Azathioprin
beschrieben [118]
5.2.4 Granulomatöse Entzündungen im Bereich der
Orbita
5.2.4.1 Sarkoidose
Die Sarkoidose ist eine chronisch entzündliche Systemerkrankung.
Der Begriff „sarkoid“ wurde durch Caeser W. Boeck
eingeführt, da die Läsionen histologisch Sarkomen
ähneln, jedoch benigne sind. Klassisch sind ein Befall der
Lungen und eine bihiläre Lymphadenopathie sowie Haut- und
Augenlidläsionen [155]
[156]
[157].
-
gesteigerte Entzündungsreaktion auf bislang nicht genauer
identifizierte Pathogene mit gesteigerter zellulärer
Immunantwort und Ausbildung nicht verkäsender
Granulome
-
genetische Komponente (familiäre Häufung)
-
Häufung zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr
-
Frauen sind häufiger betroffen
-
in ca. 30% der Fälle limitierte orbitale
Sarkoidose mit isoliertem Befall orbitaler Strukturen [102]
[158]
-
okuläre Beteiligung (umfasst die häufigsten
extrapulmonalen Symptome): Konjunktivitis, Uveitis,
chorioretinale Läsionen,
Glaskörperveränderungen
-
orbitale Beteiligung als Erstmanifestation möglich:
zumeist Tränendrüse (oft bilateral), weiterhin
orbitales Fettgewebe, Sehnervenscheide (als Teil einer
Neurosarkoidose), ableitende Tränenwege oder
Augenmuskeln [155]
[156]
[159]
[160]
[161]
-
je nach betroffener Struktur palpable Tumormasse, Lidschwellung,
Ptosis, Diplopie, Exophthalmus, Epiphora, Sicca-Symptome oder
schmerzhafte Ophthalmoplegie [156]
[161]
-
bei entsprechender Größe und Lokalisation:
Zentralarterienverschluss und Visusverlust möglich [159]
[161]
-
Biopsie zur Diagnosestellung essentiell; durch histologische
Ähnlichkeit mit anderen Läsionen wie
idiopathischer orbitaler Entzündung oder
lymphoproliferativen Erkrankungen Diagnosestellung schwierig
-
Serologie: ACE- und Leberwerte; unauffällige serologische
Befunde möglich
-
Bildgebung:
-
MRT: Tränendrüse bei Befall diffus
vergrößert mit homogenem Enhancement, weitere
Manifestationen als schlecht abgrenzbare Raumforderung,
Verdickung der Optikusscheide oder diffus
vergrößerte Muskulatur
-
Röntgen-Thorax zur pulmonalen Mitbeurteilung
Abklärung
-
Kortikosteroide i. v. zur Verbesserung der funktionellen
Prognose (von zentraler Bedeutung)
-
interdisziplinäre Betreuung mit Rheumatologen wichtig
-
chirurgische Exzision oder Debulking evtl. erforderlich,
allerdings nur in Kombination mit vorheriger Systemtherapie
[159]
[161]
-
bei therapierefraktären Fällen oder Rezidiven:
immunsuppressive Kombinationstherapie, z. B. mit
Methotrexat, Azathioprin oder Biologika wie Infliximab oder
Adalimumab [156]
[161]
5.2.4.2 Melkersson-Rosenthal-Syndrom
neuromukokutane granulomatöse Dermatose
autosomal-dominanter Erbgang mit variabler Expression [163]
-
häufig diffus-ödematöse
Gesichtsschwellungen, selten isoliert im Bereich der Augenlider
(hierdurch Diagnosestellung schwierig, besonders beim Fehlen
weiterer Charakteristika, Bildgebung und Biopsie können
Abgrenzung erleichtern)
-
selten Beteiligung weiterer Hirnnerven [162]
[163]
[164]
[165] (zum Beispiel Diplopie durch
Okulomotoriusparese [162]
[166])
-
intraläsional und systemisch Glukokortikoide
-
Exzision und plastisch-rekonstruktive Gesichtschirurgie bei
funktionellen sowie ästhetischen Problemen [59]
-
systemische Therapieansätze mit Immunsuppressiva
(z. B. Azathioprin), Hydroxychloroquin und Thalidomid
[162]
[163]
[167]
schwankender chronischer Krankheitsverlauf mit spontanen Remissionen und
Rezidiven
5.2.4.3 Fremdkörpergranulom und Idiopathisches
Lipogranulom
durch Fremdkörper hervorgerufene granulomatöse
Entzündungsreaktion
Einteilung nach der Art des Fremdkörpers:
Abb. 13
a–e: rupturierte Dermoidzyste a: seit 2 Monaten
Schwellung im Bereich des linken Oberlids sowie progrediente
Diplopie, Abb. 13 b: im MRT Verdacht auf rupturierte
Dermoidzyste, (mit freundlicher Genehmigung der Klinik
für diagnostische Radiologie,
Universitätsklinikum Halle (Saale), Direktor: Prof.
Wohlgemuth b–d: intraoperativ und histologische
Bestätigung der Diagnose Biopsie mit Nachweis eines
eosinophil-granulomatösen Infiltrats (Abb. 13
b und c mit freundlicher Genehmigung von Prof.
Plontke, Universitäts-HNO-Klinik Halle (Saale), Abb.
13
d mit freundlicher Genehmigung des Instituts für
Pathologie, Universitätsklinikum Halle (Saale),
Direktorin: Fr. Prof. Wickenhauser.
-
häufigste intrinsische Ursache für
Fremdkörpergranulome (zum Teil mit entzündlicher
Begleitreaktion)
-
im CT zumeist inhomogene Läsion mit
unregelmäßiger Begrenzung
-
Therapie durch Exzision (möglichst komplette Entfernung
ohne Verletzung von Nachbarstrukturen; bei verbliebenen kleinen
fibrotischen Anteilen Behandlung mit intraläsionaler
Kortikosteroidgabe
-
weitere Quelle für granulomatöse
Entzündungsreaktion, genaue Anamnese wichtig
-
schleichender Verlauf und Fistulation möglich
-
zumeist Folge von Applikation fettender Nasensalbe bei
endoskopischen NNH-Eingriffen (mit intraoperativer Verletzung
der Lamina papyracea) [168]
[169]
-
akzidentelles Austreten von intraokularem Silikonöl im
Rahmen ophthalmologischer Eingriffe
-
nach Eigenfettinjektion in der plastischen Chirurgie
-
bei Fehlen eines auslösenden Ereignisses
-
nur Einzelfälle in der aktuellen Literatur beschrieben,
Äthiologie unklar
-
histologisch orbitale Fettgewebsnekrose [170]
-
klassische Entzündungszeichen durch begleitende
Vaskulitis [168]
[171]
[172]
-
CT oder/und MRT: teilweise unscharf begrenzte, teils
diffus konfigurierte Läsion [171]
sowohl spontane Remission als auch Rezidive möglich [171]
[172]
[173]
[174]
5.2.5 Sjögren-Syndrom (SS)
-
chronische Autoimmunerkrankung, charakterisiert durch eine
Entzündung der Tränen- und Speicheldrüsen
sowie der Epithelien
-
Keratokonjunktivitis sicca als eines der führenden
diagnostischen Kriterien (Inflammation der akzessorischen
konjunktivalen Tränendrüsen) [61]
-
primäres SS: eigenständiges Krankheitsbild mit
okulären und oralen Symptomen (Sicca-Syndrom)
-
sekundäres SS (häufiger): im Rahmen anderer
Autoimmunerkrankungen (rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus
erythematodes, systemische Sklerose)
-
Umwelt- und hormonelle Faktoren sowie genetische
Prädisposition
-
lymphozytäre Infiltration und Sklerose der Tränen-
und Speicheldrüsen durch T-Zellen und
Autoantikörper; B-Zellen vermutlich ebenfalls von
pathogenetischer Bedeutung [175]
-
langsam progrediente, schmerzlose Schwellung der
Tränendrüse (und evtl. der
Speicheldrüsen)
-
im weiteren Verlauf Drüsenatrophie, häufig bilateral,
Xerostomie und Xerophthalmie (eher im atrophen Stadium)
-
weitere okuläre und orbitale Symptome: Uveitis,
Episkleritis/Skleritis, Optikusneuropathie[155]
[176], Myositiden der EOM [177]
-
extraglanduläre Symptome: Müdigkeit, Schmerzen,
Polyneuropathie, vaskulitische Hautläsionen, pulmonale
Veränderungen, muskuloskelettale, renale und
gastrointestinale Manifestationen [175]
-
CT/MRT: orbital vergrößerte
Tränendrüsen mit Enhancement, Abgrenzung zu
lymphoproliferativen Erkrankungen schwierig [178]
-
Labor: Erhöhung spezifischer antinukleärer
Antikörper (SS-A und SS-B, letzterer hochspezifisch
für das SS)
-
Biopsie: Sicherung der Diagnose und Ausschluss eines Lymphoms
(SS-Patienten haben 20-fach erhöhtes Risiko für
Lymphome, insbesondere im Kopf-Hals-Bereich [175]
[179]
[180])
-
interdisziplinäres Therapiekonzept notwendig, da SS relativ
resistent gegen die medikamentöse Behandlung mit
Kortikosteroiden und weiteren Antirheumatika ist
-
symptomatische Therapie der Sicca-Symptomatik durch Ophthalmologen
und systemische rheumatologische Basismedikation aus Steroiden und
Immunsuppressiva, Einsatz von Biologika, z. B. Rituximab,
v. a. bei SS mit extraglandulärer Manifestation
empfohlen [181]
5.2.6 Kimura-Syndrom
-
benigne chronisch-inflammatorische Erkrankung des Subkutangewebes
unklarer Genese, auch als angiolymphoide Hyperplasie mit
Eosinophilie bezeichnet
-
Erstbeschreibung 1948 durch Kimura [182]
-
inflammatorische Angiome im Kopf-Hals-Bereich mit regionaler
Lymphadenitis
-
Befall von Speicheldrüsen sowie Mund- und Nasenschleimhaut
möglich
-
Orbita (selten): gut abgrenzbare Raumforderung der Augenlider,
Tränendrüse oder anterioren Orbita [184]
[186], Exophthalmus,
Visuseinschränkung und Doppelbilder
-
Glukokortikoide systemisch und topisch (darunter Tumormassenreduktion
und Spontanremissionen möglich)
-
lokale Exzision bei gut abgrenzbarer unifokaler Läsion
Therapie der Wahl
-
bei inkompletter Exzision: adjuvante Radiotherapie zur lokalen
Kontrolle [184]
[186]
[187].
5.2.7 Histozytäre Erkrankungen
Orbitale xanthogranulomatöse Erkrankungen sind durch Proliferation
von Histiozyten charakterisiert und werden als
Non-Langerhans-Zell-Histiozytosen zusammengefasst. Demgegenüber hat
die Langerhans-Zell-Histiozytose ihren Ursprung in dendritischen Zellen, das
Rosai-Dorfman-Syndrom in Monozyten/Makrophagen, sie werden im
Folgenden gesondert aufgeführt.
5.2.7.1 Non-Langerhans-Zell-Histiozytosen
5.2.7.1.1 Juveniles Xanthogranulom
Abb. 14
a, b: Adult-onset Asthma mit periokulären
Xanthogranulom. 50-jährige Patientin mit
ausgeprägter Verdickung der Oberlidhaut mit
subkutanen xanthomatösen Veränderungen vor
(Abb. 14 a) und nach (Abb. 14 b) initialer
Prednisolonstoßtherapie, bei guter Kortisonresponse
wurde die Therapie auf Methotrexat als off label-Therapie
bei positiver Studienlage umgestellt. Abb. 14
a und b entstammen dem Fotoarchiv der
Universitätsaugenklinik Halle (Saale).
-
benigne proliferative kutane Erkrankung,
hauptsächlich mit Befall von Augen und Haut
-
primärer Befall der Orbita mit Proptosis sehr
selten
5.2.7.1.2 Adult-onset Xanthogranulom (AOX) und Adult-onset Asthma
mit periokulären Xanthogranulom (AAPOX)
-
unklar, vermutlich autoimmune Genese mit Ablagerung von
Immunkomplexen und nachfolgender Fremdkörperreaktion
im Gewebe
-
Grund der Affinität für orbitale
Adnexstrukturen bisher unklar [188]
-
Bestätigung der Diagnose durch Biopsie: histologisch
lipidbeladene Makrophagen (Xanthoma-Zellen) in der Dermis
und den tieferen Gewebsschichten, weiterhin
Fremdkörperriesenzellen und Touton-Riesenzellen
-
Assoziation mit hämatologischen Erkrankungen
(lymphoproliferative Läsionen, Hepatosplenomegalie)
möglich, daher gründliche
körperliche Evaluation
-
Orbitale Ausdehnungsbestimmung mittels CT: Infiltration des
orbitalen Fetts, der EOM und der
Tränendrüse
-
bei Assoziation mit Asthma Benutzung des Terminus
„Adult-onset Asthma mit
periokulärem Xanthogranulom (AAPOX)“ [189]
-
chirurgisches Debulking und plastische Rekonstruktion
-
Bestrahlung
-
systemische Kortikosteroide und weitere Immunsuppressiva
([Abb. 14a, b])
-
intraläsionales Triamcinolon sehr effektiv [190]
-
progressive Erkrankung
-
ohne Therapie Erblindung
5.2.7.1.3 Nekrobiotisches Xanthogranulom
-
Fremdkörperriesenzell-Reaktionen durch Ablagerung von
Lipid-Serum-Immunglobulin-Komplexen in der Haut[188]
-
Nekrobiosis als histopathologisches Hauptmerkmal: eosinophile
Degeneration von Kollagen in einer granulomatösen
Entzündungsreaktion mit Schaumzellen,
Fremdkörperriesenzellen, Touton-Riesenzellen und
Lymphozyten
-
viele unterschiedliche Therapiealternativen in Anwendung,
inklusive Chirurgie, Radiatio, Plasmapherese,
intraläsionale und systemische Steroidgabe sowie
Zytostatika
-
Fallberichte zum erfolgreichen Einsatz von Thalidomid in
Kombination mit Dexamethason [191]
-
insgesamt Überlegenheit der medikamentösen
Therapie gegenüber der Radiatio und dem
chirurgischen Debulking
5.2.7.1.4 Erdheim-Chester-Krankheit
-
seltene Form der Non-Langerhans-Zellhistiozytose mit
progressivem Verlauf, gekennzeichnet durch Knochenschmerzen,
retroperitoneale Fibrose und Infiltrationen im
Gesichtsbereich
-
pathologisch charakteristisch: weitverbreitete Infiltration
von schaumigen, (lipidbeladenen)
Non-Langerhans-Zell-Histiozyten
-
nicht vollständig geklärt
-
Assoziation mit verschiedenen immunologischen Erkrankungen
als Hinweis auf abnorme Interaktion zwischen T-Zellen und
Makrophagen (unkontrollierte Aktivierung der Makrophagen
durch Funktionsstörung von NK-T-Zellen oder
zytotoxischen T-Zellen)
-
charakteristisch: Knochenschmerzen, v. a. in der
distalen unteren Extremität durch eine Osteosklerose
der langen Röhrenknochen
-
häufig bilateraler Befall der Orbita: Xanthogranulome
mit teilweise tiefer retrobulbärer Infiltration,
dadurch neben Exophthalmus auch Ophthalmoplegie und
kompressive Optikusneuropathie möglich
-
Allgemeinsymptome wie Fieber und Gewichtsverlust
-
schwere Störungen wie Diabetes insipidus, Kleinhirn-
und Pyramidenbahnzeichen, Hirnnervenlähmungen,
Nebenniereninsuffizienz, pulmonale Fibrosierung und kardiale
Dekompensation möglich [192]
[193]
[194]
-
variabler Verlauf bis hin zum fulminanten Organversagen
-
interdisziplinäre Behandlung bei orbitaler
Beteiligung essenziell
-
systemische Therapie mit u. a. Interferon,
Glukokortikoiden, Cladribin, Imatinib, Anakinra
-
seit 2012 auch Infliximab und Vemurafenib
-
orbitale Dekompression bei kompressiver Neuropathie des
Nervus opticus [192]
[194]
[195]
schlechteste unter allen Non-Langerhans-Zell-Histiozytosen mit
Mortalitätsraten > 60% innerhalb von drei
Jahren [196]
5.2.7.1.5 Xanthogranuloma disseminatum
-
Definition:
sehr seltene, nicht familiäre, histiozytäre,
infiltrative Erkrankung mit primärem Befall von
Haut, Schleimhaut sowie Hypothalamus
-
Epidemiologie:
-
etwa 100 berichtete Fälle
-
Erkrankung meist im jungen Erwachsenenalter [197]
-
Gechlechterverhältnis: M : F
= 2 : 1
-
keine Ursachen oder Risikofaktoren bekannt
-
charakteristisch: Ansammlung von Histiozyten am gesamten
Integument und im ZNS mit Akkumulation von Cholesterol und
Lipiden, dadurch histologisch schaumiges Aussehen (wie es
für xanthomatöse Läsionen typisch
ist)
-
rötliche kutane Knoten, vor allem an den
Oberflächen der Flexoren
-
Befall von Cornea, Konjunktiva und Augenlidern
(20%)
-
Dysphagie oder Dyspnoe, bedingt durch Involvierung der oberen
Atemwege (40%)
-
Diabetes insipidus, bedingt durch meningealen Befall
(40%)
-
kausale Therapie aktuell nicht bekannt
-
Therapieversuche mit zahlreichen verschiedenen Medikamenten,
u. a. Kortikosteroiden, Lipidsenkern und vielen
Immunsuppressiva; aktuell am vielversprechendsten:
Cladribine (Purin-Nukleosid-Analogon) [199]
lokale Kontrolle durch chirurgische Exzision oder
CO2-Laserablation möglich
5.2.7.2 Langerhans-Zell-Histiozytose
-
unklar, vermutlich klonale Proliferation phänotypisch
abnormaler Langerhans-Zellen
-
Expression untypischer Oberflächenproteine und Ablagerung
im Gewebe, in dem sonst keine Langerhans-Zellen vorliegen
(z. B. Knochen)
-
unifokale Manifestation: eosinophiles Granulom (häufigste
Form)
-
multifokale Manifestation:
Hand-Schüller-Christian-Erkrankung mit der Trias aus
Exophthalmus, Diabetes insipidus und Osteolysen, sehr selten
Letterer-Siwe-Syndrom mit progressivem Befall von Knochenmark
und weiteren Organen [202]
-
typische orbitale Befunde: Proptosis, Ptosis und
Papillenödem, knöcherne Destruktionen der
temporalen Orbitaspange
-
zusätzlich entzündliche Begleitreaktion
-
CT zur Detektion knöcherner Läsionen
-
MRT zur Erfassung der intrakraniellen Ausbreitung [203]
-
Diagnosestellung bei typischer klinischer Läsion,
immunhistochemischen Nachweis der Oberflächenmarker CD1a
und CD207 sowie elektronenmikroskopischem Nachweis der typischen
Birbeck-Granula
-
Differenzialdiagnosen im Kindesalter:
akutes Infektionsgeschehen (Lidödem),
entzündlicher Pseudotumor, Dermoidzyste,
Rhabdomyosarkom, Ewing-Sarkom, Osteosarkom oder Neuroblastom,
Erdheim-Chester-Erkrankung
-
Prognose:
-
besser mit zunehmendem Alter bei Erstdiagnose
-
deutlich schlechter bei multifokalem Befall
-
5-Jahres-Überlebensrate beim Letterer-Siwe-Syndrom trotz
moderner Chemotherapeutika max. 50%
-
Therapie der Wahl bei isoliertem orbitalen Befall: lokale
Exzision
-
intraläsionale Injektion von Kortikosteroiden (rasche
Auflösung beschrieben)
-
Low-dose Radiatio bei chirurgisch schwer erreichbaren
Läsionen
-
bei inkompletter Entfernung oder Rezidiven: Systemtherapie
5.2.7.3 Sinus-Histiozytose mit massiver Lymphadenopathie
(Rosai-Dorfman-Syndrom)
-
möglicherweise virale Genese und genetische
Komponente
-
histopathologisch charakteristisch: Emperipolesis mit Phagozytose
von Lymphozyten, Erythrozyten und neutrophilen Granulozyten
durch große S-100-positive Histiozyten
-
Erstmanifestation meist durch indolente zervikale
Lymphknotenschwellungen mit begleitendem Fieber, Gewichtsverlust
und Nachtschweiß
-
extranodalen Manifestationen bei > 40% der
Patienten: Auge, Speicheldrüsen, Nase, Knochen, Haut
oder ZNS [204]
[207], daher systemische Untersuchung
notwendig
-
bei massiver Lymphknotenschwellung Kompression der oberen
Atemwege mit vital bedrohlichem Zustand möglich [208]
-
bei orbitaler Manifestation: Proptosis, Schwellung von
Augenlidern oder Tränendrüse
-
bei intra- oder extrakonalem Befall: kompressive Neuropathie des
Nervus opticus und Uveitis möglich [208]
-
Erkrankung in der Regel selbstlimitierend; Indikation zur
Behandlung v. a. bei drohender Atemwegsverlegung durch
plötzliche Größenprogredienz der
massiven zervikalen Lymphknotenschwellungen
-
medikamentöse First-Line-Therapie: systemische
Hochdosistherapie mit Kortikosteroiden
-
operative Intervention (Exzision oder Debulking) je nach
Ausprägungsgrad der orbitalen Manifestation, weitere
funktionelle und kosmetische Korrekturen möglich
-
bei idiopathischen Lidödemen systemische Kortikosteroide
oder andere Immunsuppressiva
-
bei vital bedrohlicher Verlegung der Atemwege: chirurgische
Therapie oder notfallmäßige Radiatio
unumgänglich
-
evtl. Chemotherapie bei schwerem orbitalem Befall mit
Optikusneuropathie [204]
[209]
5.2.8 Morbus Castleman
-
bei multizentrischer Variante: interdisziplinäre Behandlung
anstreben
-
monoklonale Antikörper, ggf. in Kombination mit Zytostatika
[211]
[213]
[214]
5.3 Konklusion
Die große Bandbreite der möglichen Diagnosen und die
häufig überlappende klinische und radiologische
Präsentation orbitaler Entzündungszeichen unterstreichen die
entscheidende Bedeutung von Biopsien, um die Ursachen der Läsionen zu
identifizieren. Neben den mannigfaltigen infektiösen
Entzündungen, welche seit jeher aufgrund der Akuität des
Krankheitsbildes und den potenziellen schwerwiegenden Komplikationen
große Bedeutung haben, präsentieren sich auch autoimmune
Erkrankungen oft initial in der Orbita und müssen serologisch und
systemisch sehr genau abgeklärt werden. Von den nicht
infektiösen inflammatorischen Läsionen ist die idiopathische
orbitale Entzündung am häufigsten. IgG4-assoziierte Erkankungen
haben in den letzten Jahren als Ursache orbitaler Entzündungen an
Bedeutung gewonnen. Wegen ihrer Ähnlichkeit zu lymphoproliferativen
Erkrankungen sollte man bei der Beurteilung nicht infektiöser
Entzündungen der Orbita besonders achtsam sein. Histiozytäre
Erkrankungen bleiben wichtige, wenn auch seltene Erkrankungen, welche
Entzündungen und Fibrosierungen der Orbita hervorrufen, aber auch zu
schwerem Organversagen führen können.
6. Degenerative Erkrankungen
6. Degenerative Erkrankungen
6.1 Orbitale Amyloidose
Die Amyloidose beschreibt eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, bei denen es
zur extrazellulären Akkumulation von unlöslichen Proteinen in
β-Faltblattstruktur kommt. Dabei kann die Organfunktion durch
Kompression oder direkte Zytotoxizität deutlich gestört werden.
Eine Amyloidose kann primär vorliegen oder sekundär als Folge
einer anderen Erkrankung. Eine genetische Disposition ist beschrieben [215]. Es handelt sich um eine seltene, systemisch oder
lokalisiert auftretende Erkrankung.
-
in allen Strukturen der Orbita und des okulären Gewebes
Ablagerung des Amyloids möglich [216]
[217]
[218]
-
Fälle mit Beteiligung von Tränendrüse, Lidern,
Konjunktiva und Augenmuskeln, einschließlich des Musculus
levator palpebrae, beschrieben (siehe [Abb. 15a
+ b])
Abb 15
a: Prominente Amyloidmassen entlang der oberen Zirkumferenz, Abb.
15 b: Magnetresonanztomografie der Orbita, axiales Schnittbild,
mit linksseitig erkennbarer „Ummauerung“ des Augapfels
durch Amyloid (aus Kesper C, Viestenz A et al.: Vergleich zweier
unterschiedlicher klinischer Verläufe, Klin Monatsbl Augenh
2020, 237, 35–40).
Abb 15
c: Darstellung der Amyloidablagerungen in der Polarisationsmikroskopie,
welche die typische apfelgrüne Färbung zeigt Mit
freundl. Genehmigung des Georg-Thieme-Verlags. (aus (Kesper C,
Viestenz A et al.: Vergleich zweier unterschiedlicher klinischer Verläufe,
Klin Monatsbl Augenh 2020, 237, 35–40).
-
Klinik:
Ptosis, Exophthalmus, Motilitätseinschränkungen mit
Doppelbildern, Bulbusdeviation, Ek- oder Entropium, palpabler Tumor
[218]
-
Differenzialdiagnosen:
-
chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Tuberkulose, Multiples
Myelom
-
Untersuchungen von Herz, Nieren, Gastrointestinaltrakt und ZNS notwendig
[215]
-
MRT: Ablagerungen inhomogen und KM-anreichernd
-
CT: Kalzifikationen
-
Histopathologie: Amyloid-typische apfelgrün leuchtende
Anfärbbarkeit sowie polarisationsmikroskopisch doppelt
lichtbrechende Eigenschaften
-
bei lokalisiertem Befall muss die systemische Variante sicher
ausgeschlossen werden
-
in Abhängigkeit von der jeweiligen Form von systemischer
Chemotherapie mit Kortisongabe bis hin zur Transplantation der
betroffenen Organe
-
bei lokalisierter orbitaler Amyloidose: operative Entfernung als Therapie
der Wahl, evtl. korrigierende Eingriffe z.B. bei Lidfehlstellungen [215]
[216]
[218]
[219].
-
Strahlentherapie zur Rezidivprophylaxe von einigen Autoren empfohlen
[216]
[220]
sehr variabler klinischer Verlauf bei orbitaler Beteiligung, von
komplikationslosen lokalisierten Befunden bis zu schwerer
Organschädigung mit Visusverlust [215]
6.2 Speicherkrankheiten [221]
[222]
[223]
[224]
[225]
Auch Patienten mit Speicherkrankheiten wie dem Morbus Pompe oder Morbus Gaucher
haben, insbesondere beim klassischen infantilen Auftreten, eine hohe
Prävalenz klinisch signifikanter ophthalmologischer Symptome wie Ptosis,
Bulbusmotilitätsstörungen, Strabismus, Myopie und Astigmatismus.
Diese ergeben sich unter anderem aus der Akkumulation von Glykogen (Morbus
Pompe) bzw. Glukozerebrosid (Morbus Gaucher) insbesondere in der
extraokulären Muskulatur und können weitere okuläre
Adnexstrukturen befallen.
6.3 Mitochondriale Erkrankungen
6.3.1 Chronisch progressive externe Ophthalmoplegie (CPEO)
-
neben der Leberschen hereditären Optikusatrophie die
häufigste mitochondriale Erkrankung des Erwachsenenalters
mit Augenbeteiligung
-
Prävalenz: etwa 12/100.000 [226]
-
Beginn meist zwischen 20. und 50. Lebensjahr
-
andere mitochondriale Erkrankungen, beispielsweise das
Kearns-Sayre-Syndrom (ebenfalls Ptosis und externe Ophthalmoplegie,
Beginn meist vor dem 20. Lebensjahr, zusätzlich
Reizleitungsstörungen am Herzen, zerebelläre Ataxie
und/oder Liquoreiweißerhöhung)
-
MELAS-Syndrom, (okuläre) Myasthenia gravis, okulopharyngeale
Muskeldystrophie
6.3.2 Leigh-Syndrom
-
häufigste pädiatrische Präsentation einer
Mitochondriopathie
-
Auftreten zumeist im 2. Lebensjahr
-
Prävalenz: ca. 1/40.000 [229]
-
in seltenen Fällen auch Auftreten im Erwachsenenalter
möglich [230]
-
sehr variable Symptomatik
-
im Rahmen eines Infekts zunächst Entwicklung von
neurologischen Symptomen wie Ataxie und Dystonie, aber auch
ophthalmologischen Symptomen, v. a. Strabismus,
Pigmentretinopathie, Optikusatrophie, Ptosis und Nystagmus [232]
-
später Symptome an weiteren Organen wie Herz, Leber, Nieren
oder Gastrointestinaltrakt
schubartiger Progress, meist mit Tod im 3. Lebensjahr
7. Tumoren der Orbita [2]
[201]
[233]
7. Tumoren der Orbita [2]
[201]
[233]
7.1 Allgemeiner Teil
Orbitale Neoplasien sind mit einer Inzidenz von 6 bis 10 pro 1 Million Einwohner
selten, umfassen aber eine Vielzahl verschiedener Entitäten, was bereits
im Rahmen der Diagnostik zu Schwierigkeiten führen kann. Etwa
60% sind gutartig, 40% bösartig (Erwachsene).
Abzugrenzen sind „echte“ orbitale Neoplasien von
entzündlichen orbitalen Raumforderungen ohne erkennbare Ursache
(idiopathische orbitale Entzündung, früher sogenannte
Pseudotumoren). Diese machen etwa 5–7% aller orbitalen
Raumforderungen aus und sprechen gut auf Steroide und Immunsuppressiva an. Im
Rahmen der Anamnese und Diagnostik sollten die genaue Lokalisation, die
Invasivität sowie die Dignität abgeklärt werden.
Diagnostik und Therapie erfolgen häufig interdisziplinär.
7.1.1 Symptome
Aufgrund der anatomischen Gegebenheiten kommt es, in absteigender
Häufigkeit, typischerweise zu folgenden Symptomen [201]:
Intrakonale Raumforderungen führen eher zu einem axialen
Exophthalmus, extrakonale Raumforderungen eher zu einer Bulbusdislokation
zur dem Tumor entgegengesetzten Seite (z. B. führt ein Tumor der
Tränendrüse zur Dislokation nach nasal unten).
7.1.2 Einteilung und Überblick [2]
[201]
Neoplasien der Orbita lassen sich wie folgt unterteilen:
-
Neoplasien epithelialen Ursprungs
-
Neoplasien nicht epithelialen Ursprungs
-
Neoplasien des lymphatischen Gewebes
In jeder Kategorie findet man gutartige und bösartige
Vertreter. Einzige epitheliale Struktur in der Orbita ist die
Tränendrüse, somit sind primäre
epitheliale Neoplasien nur dort zu finden. Vaskuläre
Raumforderungen werden teilweise nicht als Neoplasie, sondern als
Malformation erachtet und nehmen eine Sonderstellung ein. Sie können
sich klinisch dennoch wie „echte“ Neoplasien verhalten.
7.1.3 Allgemeine Therapieprinzipien bei gutartigen Neoplasien der Orbita
[2]
[201]
Folgende Therapieoptionen bestehen im Allgemeinen:
-
„Watch and wait“ bei asymptomatischen benignen
Neoplasien, bei denen keine diagnostische Unsicherheit besteht (z.
B. beim zufällig entdeckten Hämangiom)
-
chirurgische Resektion als häufigste Therapieform bei
symptomatischer benigner Neoplasie
-
andere Therapiestrategien wie Strahlentherapie oder Chemotherapie bei
speziellen Entitäten
Bei symptomatischen, gutartigen Prozessen ist eine gründliche
Abwägung zwischen dem zu erwartenden therapeutischen Benefit und dem
Risiko eines funktionellen Schadens erforderlich. So ist beispielsweise die
Resektion eines Optikusscheidenmeningeoms mit einem hohen Risiko für
eine Optikusatrophie assoziiert.
7.2 Spezieller Teil
7.2.1 Neoplasien der Tränendrüse
-
Inzidenz: 0,6–1/1.000.000 Einwohner pro Jahr; etwa 80
Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland
-
Tumoren der Tränendrüse machen etwa 25 % der
orbitalen Raumforderungen aus
-
Die Häufigkeitsverteilung von Tumoren der verschiedenen
Gewebetypen in der Tränendrüse stellt sich wie folgt
dar [237]:
-
epithelialer Ursprung: > 50–65 %
-
lymphatischer Ursprung (Sonderform mesenchymaler Neoplasien): circa
30–35 %
-
mesenchymaler Ursprung oder Metastasen: 10–15%
-
akute Dakryozystitis
-
chronische Dakryozystitis
-
idiopathische orbitale Entzündung (IOE, früher
„Pseudotumor orbitae“, dakryoadenitische Form, die
ca. 20–40% aller IOE ausmacht)
-
strukturelle Veränderungen (z. B.
Tränendrüsenzyste)
-
sekundäre Tumoren (nicht vom Drüsengewebe ausgehend,
z. B. Metastasen, Schwannome)
-
Allgemeine Therapiestrategien [235]
[236]:
-
Bei Verdacht auf einen epithelialen Tumor der
Tränendrüse sollte keine Inzisionsbiopsie erfolgen,
da dies die Prognose sowohl bei gutartigen wie auch
bösartigen Tumoren signifikant verschlechtert (pleomorphes
Adenom: 5-Jahres-Rezidivrate von 32% nach Biopsie vs.
3% ohne Biopsie vor der Tumorresektion, zudem können
die lokal rezidivierten pleomorphen Adenome entarten;
Tränendrüsenmalignom:
5-Jahres-Überlebensrate von 29% nach Biopsie vs.
70% bei initial vollständiger Resektion).
-
Eine möglichst genaue präoperative diagnostische
Einordnung, unter anderem anhand der Symptomdauer, des
Vorhandenseins bzw. Fehlens von Schmerz und anhand radiologischer
Merkmale, ist daher sehr wünschenswert
-
Effektivste und sicherste Therapie bei epithelialen Tumoren ist die
vollständige Resektion während der ersten
chirurgischen Maßnahme.
-
Bekapselte und gut umschriebene Prozesse sollten ohne vorherige
Inzisionsbiopsie vollständig reseziert werden.
-
Der operative Zugang erfolgt über eine laterale Orbitotomie,
selten in Kombination mit einem Bügelschnitt.
7.2.1.1 Gutartige Neoplasien der Tränendrüse
[Tab. 3] fasst die wichtigsten gutartigen
Neoplasien der Tränendrüse zusammen. Lymphoide
Neoplasien werden, auch im Kapitel über bösartige
Erkrankungen, aufgrund ihrer speziellen Eigenschaften gesondert
aufgeführt, obwohl sie streng genommen zu den Neoplasien
mesenchymalen Ursprungs gehören.
Tab. 3 Gutartige Neoplasien der
Tränendrüse
|
Art des Gewebes
|
Neoplasie
|
|
epithelial
|
pleomorphes Adenom
|
|
Warthin-Tumor
|
|
Onkozytom
|
|
Myoepitheliom
|
|
Zystadenom
|
|
sklerosierende polyzystische Adenose
|
|
|
|
mesenchymal
|
solitärer fibröser Tumor
|
|
Myxom
|
|
fibröses Histiozytom
|
|
lymphoid
|
reaktive lymphoide Hyperplasie
|
7.2.1.1.1 Gutartige epitheliale Neoplasien der
Tränendrüse
7.2.1.1.1.1 Pleomorphes Adenom [233]
[234]
[236]
[238]
[239]
[240]
[241]
[242]
[243]
[244]
-
Epidemiologie:
-
häufigster epithelialer Tumor der
Tränendrüse (> 50
%)
-
ca. 20% aller
Tränendrüsentumoren [237]
-
Manifestation in 4.–5. Lebensdekade
-
m : w =
1 : 1
-
typische Klinik:
Tab. 4 Score nach Rose und Wright [242]
|
Eigenschaft
|
Punktwert −1
|
Punktwert +1
|
|
Dauer der Symptome
|
< 10 Monate
|
> 10 Monate
|
|
persistierender Schmerz
|
+
|
–
|
|
Sensibilitätsstörung
|
+
|
–
|
|
gut abgrenzbar, rund-oval (CT)
|
–
|
+
|
|
Wachstum entlang orbitaler Strukturen (CT)
|
+
|
–
|
|
Verkalkungen (CT)
|
+
|
–
|
|
knöcherne Destruktionen (CT)
|
+
|
–
|
|
Verhältnis von Symptomdauer zu
Tumorgröße
|
großer Tumor mit kurzer Symptomdauer
|
kleiner Tumor mit langer Symptomdauer
|
−8 bis +2 Punkte → eher
karzinomverdächtig → Inzisionsbiopsie
+3 bis +8 Punkte → Verdacht auf
pleomorphes Adenom → Tumorentfernung in toto
(Inzisionsbiopsie kontraindiziert)
bei unvollständiger Resektion und Inzisionsbiopsien oder bei
Nichtbehandlung Risiko von Rezidiven (32% innerhalb von 5
Jahren nach Inzisionsbiopsie vs. 3% nach
vollständiger kapselerhaltender Resektion) bzw. maligner
Entartung (20% innerhalb von 30 Jahren)
7.2.1.1.1.2 Warthin-Tumor (Cystadenolymphom) [245]
[246]
-
Gehört zu den monomorphen Adenomen
-
Synonyme: Adenolymphom, Zystadenolymphom, papilläres
Cystadenoma lymphomatosum (um eine Verwechslung mit malignen
Lymphomen oder dem Lymphadenom zu vermeiden, sollte jedoch
die Bezeichnung Warthin-Tumor verwendet werden)
-
Epidemiologie:
-
zweithäufigster gutartiger Tumor der Glandula
parotidea, gelegentlich auch in den periparotidealen
Lymphknoten
-
selten in anderen Speicheldrüsen
-
extrem selten in der Tränendrüse (bisher nur
< 10 Fälle weltweit beschrieben)
vollständige chirurgische Resektion über laterale
Orbitotomie
7.2.1.1.1.3 Onkozytom [247]
[248]
[249]
[250]
[251]
[252]
[253]
[254]
-
Synonyme: oxyphiles Adenom, onkozytäres Adenom,
Hürthle-Zelladenom
-
Epidemiologie:
-
extrem selten in der Tränendrüse
(MEDLINE-Analyse der Weltliteratur von 1959 bis 2004
ergab nur fünf gut dokumentierte
Fälle [248])
-
häufiger in Speicheldrüsen, Niere,
Adenohypophyse, (Neben-)Schilddrüse,
Karunkel und Konjunktiva des Auges
-
v. a. ältere Frauen betroffen
-
Ätiologie:
Entstehung vermutlich durch eine Mutation der mitochondrialen
DNA
-
Histologie:
-
gutartiger, langsam wachsender, von den Epithelien der
Drüsenausführungsgänge ausgehender
Tumor; Entartung höchst selten
-
aufgebaut aus feingranulierten, großen, eosinophilen,
mitochondrienreichen Tumorzellen, den sogenannten Onkozyten
(„Hürthle-Zellen“)
vollständige chirurgische Resektion
7.2.1.1.1.4 Myoepitheliom [241]
[255]
[256]
[257]
[258]
[259]
vollständige und intakte Resektion über laterale
Orbitotomie, ggf. kombiniert mit Bügelschnitt [255]
Lokalrezidivrate: 20%
7.2.1.1.1.5 Zystadenom [260]
[261]
[262]
[263]
-
Epidemiologie:
-
Rarität in der
Tränendrüse
-
vor allem in Gallengängen Pankreas, Ovarien,
Nebenhoden und Nieren
-
selten in den Speicheldrüsen (<
1% der Speicheldrüsentumoren)
-
Pathologie:
-
Differenzialdiagnose:
papilläres Zystadenom ähnelt histologisch dem
papillären Cystadenoma lymphomatosum (=
Warthin-Tumor)
7.2.1.1.1.6 Sklerosierende polyzystische Adenose (SPA) [264]
[265]
-
Definition:
-
neue Entität in der aktuellen
WHO-Klassifikation der epithelialen
Speicheldrüsentumoren
-
früher als
entzündliche/reaktive
Veränderung erachtet, aktuell Bezeichnung
als Neoplasie zwar umstritten, jedoch von den
meisten Autoren favorisiert
-
Synonym: sklerosierendes polyzystisches Adenom
-
Epidemiologie:
-
erster Fallbericht einer SPA der
Tränendrüse im Jahr 2013 [264]
-
bisher nur etwa 60 Fälle in der Literatur
beschrieben (Befall meist der Glandula parotidea,
gelegentlich der kleineren
Spreicheldrüsen)
-
Differenzialdiagnosen:
pleomorphes Adenom, adenoidzystisches Karzinom,
Mucoepidermoidkarzinom, Azinuszellkarzinom (häufig
histopathologische Missinterpretation und Verwechslung)
-
Prognose:
7.2.1.1.2 Gutartige nicht epitheliale Neoplasien der
Tränendrüse
7.2.1.1.2.1 Tumoren mesenchymalen Ursprungs
Solitärer fibröser Tumor [266]
[267]
[268]
[269]
[270]
[271]
7.2.1.1.2.1.1 Myxom [272]
[273]
[274]
[275]
[276]
-
Definition:
Neoplasie mesenchymalen/bindegewebigen Ursprungs
-
Epidemiologie:
-
1 Fallbericht in der Tränendrüse
-
sonstige Lokalisationen am Auge: Konjunktiva, Kornea,
Orbita
-
andere Lokalisationen: vor allem Herz, daneben
Knochen, Haut, Skelettmuskel, Urogenitaltrakt
-
Pathologie:
histologisch zellarm und gefäßarm mit
reichlich myxoider (schleimähnlicher)
hyaluronsäurereicher Matrix
-
Diagnostik:
im CT gut umschriebene, ovaläre isodense
Raumforderung
-
Therapie:
7.2.1.1.2.1.2 Fibröses Histiozytom [261]
[277]
-
Epidemiologie:
-
Pathologie:
Unterscheidung zwischen gutartigen, lokal aggressiven und
bösartigen Formen
7.2.1.1.2.2 Gutartige Tumoren lymphoiden Ursprungs – Reaktive
lymphoide Hyperplasie [278]
-
Definition:
-
gutartige lymphoproliferative Erkrankung
-
keine „echte“ Neoplasie, da nicht
monoklonal und nicht autonom
-
polyklonale, lymphozytäre Proliferation
-
früher als Pseudolymphom bezeichnet
-
„Atypische lymphoide
Hyperplasie“ als Sonderform
(Borderline-Läsion zwischen reaktiver
lymphoider Hyperplasie und Lymphom, heutzutage meist
den Low-grade-B-Zell-Lymphomen zugerechnet)
-
Epidemiologie:
-
ca. 6% aller Läsionen der
Tränendrüse [279]
-
kommt in ähnlicher Häufigkeit in
Konjunktiven, Tränendrüse und
sonstigen Lokalisationen der Orbita vor (dort meist
extrakonal), selten im Augenlid
-
selten bilateral oder zusätzlich
außerhalb der Augenregion (z. B.
Parotis, Lunge)
-
Klinik:
-
langsam wachsende Raumforderung mit geringer
funktioneller Beeinträchtigung, nur selten
Rötung oder Schmerzen
-
in der Tränendrüse eventuell palpabel
als eher feste, gummiartige Raumforderung mit
glatter oder knotiger Oberfläche
-
Therapie [237]:
-
Hochdosis-Glukokortikoide und/oder
-
Strahlentherapie (circa 25 Gy)
-
Rituximab bei therapieresistenten Fällen
-
Prognose:
maligne Entartung möglich
7.2.1.2 Bösartige Neoplasien der
Tränendrüse
[Tab. 5] fasst die bösartigen
Neoplasien der Tränendrüse zusammen.
Tab. 5 Übersicht der im Text näher
beschriebenen bösartigen Neoplasien der
Tränendrüse
|
Art des Gewebes
|
Neoplasie
|
|
epithelial
|
adenoidzystisches Karzinom
|
|
Karzinom im pleomorphen Adenom
|
|
Adenokarzinom (NOS)
|
|
Mukoepidermoidkarzinom
|
|
duktales Karzinom
|
|
Azinuszellkarzinom
|
|
Talgdrüsenkarzinom
|
|
myoepitheliales Karzinom
|
|
Plattenepithelkarzinom
|
|
onkozytisches Karzinom
|
|
polymorphes Adenokarzinom
|
|
sekretorisches Adenokarzinom
|
|
nicht epithelial
|
Synovialsarkom
|
|
granulozytisches Sarkom
|
|
maligner peripherer Nervenscheidentumor
|
|
maligner rhabdoider Tumor
|
|
lymphoid
|
extranodales Marginalzonen-B-Zell-Lymphom
|
|
follikuläres Lymphom
|
|
diffus-großzelliges B-Zell-Lymphom
|
|
Mantelzelllymphom
|
7.2.1.2.1.Bösartige Tumoren der
Tränendrüse epithelialen Ursprungs
Vergleicht man alle Formen von Karzinomen der
Tränendrüsen und der großen
Speicheldrüsen, so scheinen Tumore mit ähnlicher
Histologie eine ungünstigere Prognose zu haben, wenn sie in
der Tränendrüse auftreten. Für die Karzinome
der Tränendrüse existiert eine
TNM-Klassifikation in der aktuellen Auflage der
„TNM-Klassifikation maligner Tumoren“ der UICC. Als
regionäre Lymphknoten gelten demnach die
präaurikulären, submandibulären und
zervikalen Lymphknoten. Die Zuordnung zu den T-Kategorien
T1–3 basiert auf der Tumorgröße, wobei je
nach Beteiligung von Periost und/oder Knochen weiter in die
Unterkategorien a–c unterteilt wird. Eine Beteiligung von
Nachbarstrukturen, z. B. Nasennebenhöhlen, Sinus
cavernosus oder Gehirn, führt zur Einteilung in die
Kategorie T4 [280].
Eine eigene histopathologische Klassifikation für
Tränendrüsentumoren existiert nicht. Stattdessen
wird die Tränendrüse von vielen Autoren wie eine
kleine Speicheldrüse betrachtet und die Tumoren der
Tränendrüse werden entsprechend denen der
Speicheldrüsen klassifiziert.
[Tab. 6] zeigt einen Vorschlag zur
Klassifikation der bösartigen epithelialen
Tränendrüsentumoren modifiziert nach Weis et
al. in Anlehnung an die WHO-Klassifikation der
Speicheldrüsentumoren und mit Aktualisierungen entsprechend
deren aktueller Version [237]
[261]
[265]
[285]
[286]. Erwähnenswert ist, dass bis
vor einigen Jahren primäre Adenokarzinome der
Tränen-, aber auch der Speicheldrüsen nicht weiter
unterteilt wurden. Inzwischen weiß man, dass es sich um eine
Gruppe von Tumoren mit unterschiedlicher Morphologie,
unterschiedlichem biologischem Verhalten und damit auch
unterschiedlicher Prognose handelt.
Tab. 6 Klassifikation bösartiger
epithelialer Tränendrüsentumoren
|
Klassifikation
|
Neoplasie
|
|
low-grade
|
Karzinom im pleomorphen Adenom (bei
minimal-invasivem Karzinom [≤
1,5 mm])
|
|
polymorphes Adenokarzinom
|
|
Mukoepidermoidkarzinom Grad 1/2
|
|
epithelial-myoepitheliales Karzinom
|
|
Azinuszellkarzinom
|
|
Basalzell(adeno)karzinom
|
|
muzinöses Adenokarzinom
|
|
Klarzellkarzinom
|
|
Zystadenokarzinom[ 281]
|
|
sekretorisches Karzinom
|
|
high-grade
|
Karzinom (Adenokarzinom oder adenoidzystisches
Karzinom) im pleomorphen Adenom (bei
minimal-invasivem Karzinom [>
1,5 mm]), „malignant mixed
tumor“
|
|
adenoidzystisches Karzinom (not otherwise
specified)
|
|
Adenokarzinom (not otherwise specified)
|
|
Mukoepidermoidkarzinom Grad 3
|
|
duktales Adenokarzinom
|
|
Plattenepithelkarzinom
|
|
Talgdrüsenkarzinom
|
|
myoepitheliales Karzinom
|
|
onkozytisches Karzinom
|
|
lymphoepitheliales Karzinom
|
|
Karzinosarkom (im pleomorphen Adenom,
“true malignant mixed tumor”)
[282]
|
|
neuroendokrines Karzinom[
283]
|
|
Merkelzell-Karzinom[
284]
|
|
andere seltene und nicht klassifizierbare
Karzinome
|
|
Entdifferenzierung in einem der oben genannten
Karzinome
|
7.2.1.2.1.1 Adenoidzystisches Karzinom (ACC) [279]
[287]
[288]
[289]
[290]
[291]
[292]
[293]
[294]
[295]
-
Epidemiologie:
-
zweithäufigster epithelialer
Tränendrüsentumor [296]
-
häufigster bösartiger Tumor der
Tränendrüse (20–30%)
[237]
-
medianes Erkrankungsalter: ca. 40 Jahre
-
m : w =
1 : 1
-
Pathologie:
-
perineurale Invasion des Tumors als typisches
Zeichen
-
häufig hämatogene Metastasierung
(typischer als die regionäre
Lymphknotenmetastasierung!) – auch noch nach
vielen Jahren (v. a. in Lunge, daneben
Knochen, Leber und Gehirn)
-
Klinik:
-
Bulbusdislokation, Proptosis, S-förmige
Ptosis, Doppelbilder, Epiphora
-
Schmerzen (in 38–79% der
Fälle) und Hypästhesie im
frontotemporalen Bereich (Hinweis auf Vorliegen
eines aggressiven Tumors)
-
Symptomdauer bei Erstvorstellung typischerweise
< 6 Monate
-
Diagnostik:
-
hochauflösende CT: Knochenarrosion,
irreguläre Berandung der Raumforderung,
eventuell fokale Verkalkungen innerhalb des
Tumors
-
MRT: beste Möglichkeit zur Beurteilung einer
Beteiligung von Sinus cavernosus, Hirn und
Knochenmark
-
Therapie:
-
hohe Lokalrezidivrate
-
schlechte Langzeitprognose: mediane Überlebensdauer:
5 Jahre, 10-Jahres-Überleben: 20%
-
ACC der Tränendrüse mehrheitlich vom
High-grade-Phänotyp mit aggressiverem Verhalten und
kürzerem medianem Überleben (2,5 Jahre)
[297]
-
häufig Tod durch intrakranielles Tumorwachstum oder
Lungenmetastasen
7.2.1.2.1.2 Karzinom im pleomorphen Adenom [252]
[261]
-
Definition:
gemäß WHO-Klassifikation der
Speicheldrüsentumoren von 2017 Verwendung des
Begriffs „Karzinom im pleomorphen Adenom“
nur noch zusammen mit dem histologischen Subtyp [265]
-
Synonyme:
Pleomorphes (Adeno-)Karzinom, maligner Mischtumor
(irreführend, da nur der epitheliale (Karzinom),
nicht aber der mesenchymale Anteil entartet ist; anders ist
dies beim Karzinosarkom („echter“ maligner
Mischtumor) welches in der Tränendrüse
ebenfalls beschrieben ist [282])
-
Epidemiologie:
-
zweithäufigster bösartiger epithelialer
Tränendrüsentumor (4–18%)
[279]
[291]
[307]
[308]
[309]
-
Auftreten typischerweise in der 6./7. Lebensdekade
(etwa 10 Jahre später als das pleomorphe Adenom)
-
Adenokarzinome häufiger bei Männern,
adenoidzystische Karzinome häufiger bei Frauen [287]
-
nicht invasiv (intrakapsulär bezogen auf pleomorphes
Adenom)
-
minimalinvasiv (< 4–6 mm über
die Kapsel)
-
invasiv (> 4–6 mm über die Kapsel)
[265]
-
zumeist gering differenziertes Adenokarzinom oder
undifferenziertes Karzinom, seltener adenoidzystisches
Karzinom
-
auch plattenepithelial differenzierte Karzinome und
Spindelzellsarkome möglich [235]
[261]
[308]
[310]
-
Tumorresektion (gegebenenfalls radikale Orbitektomie
einschließlich knöcherner Anteile, je nach
Ausdehnung) mit Entfernung regionaler (Parotis) und
zervikaler Lymphknoten (Adenokarzinome können
frühzeitig lymphatisch metastasieren)
-
Adjuvante Strahlentherapie im Anschluss als sinnvolle
Ergänzung möglich [296]
[311]
-
nicht invasive und minimalinvasive Formen: sehr gute Prognose
nach vollständiger chirurgischer Resektion (ohne
adjuvante Therapie)
-
invasive Formen: sehr aggressive Tumoren mit schlechter
Prognose, aber günstigem prognostischem Effekt der
adjuvanten Therapie [312]
[313]
-
Todesursachen: intrakranielle Ausbreitung, Fernmetastasen
(Lunge, Thoraxwand, Knochen)
7.2.1.2.1.3 Adenokarzinom (not otherwise specified, NOS) [233]
Anmerkung: In der aktuellen Klassifikation der
Speicheldrüsentumoren der WHO wurde die Anzahl der
Entitäten von 39 in der vorangegangenen Ausgabe auf 33
gesenkt, um die Komplexität zu reduzieren und die
Klassifikation übersichtlicher zu gestalten. Dies
führte unter anderem dazu, dass mehrere, teils extrem
seltene Entitäten zu den „Adenokarzinomen
NOS“ zusammengefasst wurden [285]
-
hochmaligne
-
metastasiert im Vergleich zum adenoidzystischen Karzinom
früher
-
frühzeitige lymphatische und hämatogene
Metastasierung v. a. in Lunge, Gehirn und
Mediastinum [314]
-
häufig bei Erstvorstellung so fortgeschritten, dass
eine adäquate chirurgische Resektion erschwert bis
unmöglich ist
-
Operative Therapie, gegebenenfalls mit Exenteratio orbitae
oder kraniofazialer Orbitektomie und regionaler
Lymphknotendissektion [291]
[315]
-
adjuvante Radiotherapie [306]
[315]
[316]
-
Her-2-Überexpression in Adenokarzinomen der
Tränendrüse beobachtet – Medikamente
wie Lapatinib als mögliche therapeutische Option
[317]
-
vierthäufigster bösartiger epithelialer
Tränendrüsentumor (2–3%)
[237]
[279]
-
bis zum Jahr 2000 weniger als 30 Fallberichte in der
Literatur [318]
-
durchschnittliches Erkrankungsalter: 49 Jahre
-
Männer etwas häufiger betroffen [291]
[319]
[320]
-
Klink:
typischerweise schmerzlose, langsam wachsende
Raumforderung
-
Differenzialdiagnose:
nicht selten Verwechslung mit pleomorphem Adenom [296]
[319]
[320]
-
Therapie:
-
High-grade-Tumoren: Exenteratio (mit Resektion betroffener
Knochen) / Orbitektomie und
adjuvante Radiatio
-
Low-grade-Tumoren: Tumorexstirpation
(+/− Radiatio)[296]
[319]
-
regionale Lymphknotendissektion (Parotidektomie und Neck
Dissection), v. a. bei höherem Grading
und/oder entsprechender
Tumorgröße
-
tumorfreies Überleben und Gesamtprognose
maßgeblich abhängig vom Grading (Einteilung
in Grad I–III anhand histopathologischer
Eigenschaften)
-
Thorvaldsson et al. (1970): medianes Follow-up von 12 Jahren
bei Mukoepidermoidkarzinomen der großen
Speicheldrüsen: Überlebensraten von
100% bzw. 97% bei Patienten mit Grad-1- bzw.
Grad-2-Tumoren, aber nur 43% bei Grad-3-Tumoren
(high grade) [314]
[321]
7.2.1.2.1.5 Duktales Adenokarzinom
7.2.1.2.1.6 Azinuszellkarzinom [328]
[329]
[330]
[331]
-
Epidemiologie:
-
sehr selten im Bereich der Speicheldrüsen
(2–4% der Parotistumoren)
-
noch deutlich seltener im Bereich der
Tränendrüse, einzelne Fallberichte
in der Literatur
-
Frauen scheinen häufiger betroffen zu
sein
-
Manifestationsalter: 6. Lebensdekade
-
Diagnostik/Differenzialdiagnose:
uncharakteristisch in der CT-/MRT-Bildgebung, daher
hohe Verwechslungsgefahr mit einem pleomorphen Adenom
-
Therapie:
chirurgische Resektion, je nach Ausmaß der Läsion
augenerhaltend, ggf. mit Exenteratio oder erweiterter Exenteratio
(bei Knocheninfiltration)
7.2.1.2.1.7 Primäres Talgdrüsenkarzinom (engl.
Sebaceous Carcinoma) [332]
[333]
[334]
[335]
-
Epidemiologie:
extrem selten, nur einzelne Fallberichte
-
Hypothesen zur Pathogenese:
-
ausgehend von heterotopem Gewebe
-
maligne Transformation und talgdrüsenartige
Differenzierung anderer epithelialer Tumoren der
Tränendrüse
-
ausgehend von entarteten pluripotenten Zellen
-
Pathologie:
hochmaligner Tumor, der oft sehr spät erkannt wird
(high-grade)
-
Differenzialdiagnosen:
-
abzugrenzen von sekundärer Invasion
(z. B. ausgehend von Oberlidkarzinom) und
metastatischer Absiedelung
-
histologisch teilweise schwer abzugrenzen von anderen
Entitäten wie Plattenepithelkarzinomen oder
Basalzellkarzinomen (40–75% der
Talgdrüsenkarzinome der
Tränendrüse wurden initial
für Plattenepithelkarzinome gehalten,
spezielle Anfärbung für Fett kann
diese Verwechslung vermeiden)
-
Therapie:
-
operative Therapie, ggf. Exenteratio orbitae oder
erweiterte Exenteratio
-
Parotidektomie / Neck
Dissection abhängig von Ausdehnung
(Infiltration der Umgebungsstrukturen, z. B.
des Oberlids)
-
adjuvante Strahlentherapie (Lokalrezidivrate nach
Resektion 9–36%)
-
alleinige Strahlentherapie im Falle inoperabler
Tumoren
-
Partikeltherapie (z. B. Schwerionen, C12)
[336]
7.2.1.2.1.8 Myoepitheliales Karzinom [337]
[338]
[339]
[340]
[341]
7.2.1.2.1.9 Plattenepithelkarzinom
-
Epidemiologie:
nach Review-Artikel von Weis et al. (2009) bis zu diesem
Zeitpunkt nur acht Fallberichte in der Literatur [286]
-
Ätiologie/Pathogenese:
Entstehung mehrerer der wenigen Fälle auf dem Boden
einer epithelial ausgekleideten Zyste der
Tränendrüse (Dacryops) [346]
[347]
-
Therapie:
chirurgische Resektion (ggf. Exenteratio orbitae) und adjuvante
Strahlen(chemo)therapie [346]
[347]
[348]
7.2.1.2.1.10 Onkozytisches Karzinom [349]
[350]
-
Epidemiologie:
nach Kalantzis et al. (2013) bis zu diesem Zeitpunkt nur vier
Fälle mit Befall der Tränendrüse in
der Literatur [350]
-
Pathologie:
High-grade-Tumor mit infiltrativem Wachstumsmuster, Neigung
zu Lokalrezidiven und Fernmetastasen
-
Therapie:
radikale Resektion (ggf. Exenteratio orbitae) gefolgt von adjuvanter
Radio(chemo)therapie
7.2.1.2.1.11 Polymorphes Adenokarzinom [265]
[351]
-
frühere Bezeichnung (bis 2017):
Polymorphes Low-grade-Adenokarzinom
-
Epidemiologie:
-
nach Selva et. al (2004) bis zu diesem Zeitpunkt nur
vier Fälle mit Befall der
Tränendrüse in der Literatur [351]
-
Kommt fast ausschließlich in kleinen
Speicheldrüsen vor, vor allem am Gaumen
(w : m =
2 : 1)
-
Differenzialdiagnose:
nicht selten Verwechslung mit Adenoidzystischem Karzinom
-
Pathologie:
-
neben infiltrativem Wachstum auch perineurale
Invasion
-
Metastasen in regionalen Lymphknoten relativ selten
(6,5–10%), Fernmetastasen extrem
selten
-
Therapie:
-
chirurgische Resektion (ggf. Exenteratio orbitae);
aufgrund der relativ günstigen Prognose
gemäß Selva et al. (2004)
möglichst augenerhaltende Resektion
erwägen
-
Notwendigkeit einer adjuvanten Radiatio fraglich
[351]
-
Prognose:
-
deutlich besser als bei anderen Adenokarzinomen der
Speicheldrüse („overall
survival“ ≥ 95%)
-
bei Befall der Speicheldrüsen Lokalrezidive
in 5–33% der Fälle (in der
Regel durch erneute Resektion gut beherrschbar)
7.2.1.2.1.12 Sekretorisches Karzinom[265]
[352]
[353]
-
neue Entität, erstmals 2010 im Kopf-Hals-Bereich als
mammary analogue secretory carcinoma beschrieben,
von der WHO kurz „Sekretorisches Karzinom“
genannt
-
davor Zuordnung zu anderen Entitäten trotz nicht
immer typischer histopathologischer Eigenschaften
(z. B. „granule poor acinic cell
carcinoma“)
-
erstmals 2018 in der Tränendrüse beschrieben
[352]
[353]
-
dem sekretorischen Karzinom der Brust ähnlich,
ebenfalls Nachweis des spezifischen
ETV6-NTRAK3-Fusionsgens
-
Vorkommen im Kopf-Hals-Bereich, v. a. in der Glandula
parotidea (70%), daneben in Wangen-, Lippen- und
Gaumenschleimhaut, selten in den Glandulae submandibularis
oder sublingualis
-
regionale Lymphknotenmetastasen in bis zu 25% der
Fälle
insgesamt wenig aggressiver Tumor mit relativ günstiger
Prognose („survival exceeding: 95%“)
7.2.1.2.2 Bösartige Tumoren der
Tränendrüse nicht epithelialen Ursprungs
Bösartige Tumoren der Tränendrüse nicht
epithelialen Ursprungs werden in [Tab. 7]
zusammengefasst. Lymphome der Tränendrüse werden in
Kapitel 7.2.1.2.3 gesondert behandelt.
Tab. 7 Bösartige Tumoren der
Tränendrüse nicht epithelialen Ursprungs
(ohne Lymphome)
|
Neoplasie
|
Charakteristika
|
|
Synovialsarkom [354]
|
▪ Epidemiologie:
-
eine der häufigeren Formen des Sarkoms
des Jugendlichen und jungen Erwachsenen
-
in 1–10% der Fälle
Kopf-Hals-Bereich betroffen, extrem selten in der
Orbita
-
bis 2015: vier Fallberichte mit Befall der
Orbita und ein Fallbericht mit Befall der
Tränendrüse
▪ Pathologie:
-
– ausgehend von primitiven
mesenchymalen Zellen des Bindegewebes, nicht aus
der Synovialmembran (Name stammt lediglich von
mikroskopischer Ähnlichkeit)
-
– v. a. untere
Extremitäten betroffen (ca.
75%)
|
|
granulozytisches Sarkom (myeloides Sarkom) [355]
[356]
|
▪ Ätiologie:
▪ Therapie:
|
|
maligner peripherer Nervenscheidentumor [357]
[358] (Vermeidung der
synomym verwendeten Begriffe „neurogenes
Sarkom“,
„Neurofibrosarkom“ und
„malignes Schwannom“)
|
▪ Epidemiologie:
▪ Risikofaktoren:
▪ Pathogenese:
▪ Pathologie:
▪ Diagnostik:
▪ Therapie:
▪ Prognose:
|
|
maligner rhabdoider Tumor [359]
[360]
[361]
[363]
[363]
|
▪ Definition:
-
– aggressives Weichteilsarkom des
Kindesalters
-
– entsteht v. a. in Niere, Leber,
peripheren Nerven
▪ Epidemiologie:
-
– äußerst selten in der
Orbita vorkommend (fünf Fallberichte bis
zum Jahre 1998)[393]
-
– Lokalisation in der
Tränendrüse in nur einem dieser
fünf Fälle (50-jähriger
Mann)
-
– Manifestationsalter in der Regel
vorgeburtlich, in der Neugeborenenzeit, im
Kleinkind- oder Kindesalter, selten
später
▪ Ätiologie/Pathogenese:
▪ Therapie:
-
– keine Standardtherapie-Empfehlung
verfügbar
-
– Resektion, Chemotherapie und
Radiotherapie bisher eingesetzt [394]
|
7.2.1.2.3 Maligne lymphoproliferative Erkrankungen –
Lymphome der Tränendrüse [233]
[237]
[365]
[366]
-
Lymphome stellen die häufigsten orbitalen Malignome
dar [365]
-
37% aller malignen Tumoren der
Tränendrüse sind Lymphome [366]
-
vorwiegend ältere Menschen betroffen; Altersmedian:
60(+) Jahre
-
w : m = 2,4 : 1
-
Extranodales Marginalzonenlymphom (EMZL)
-
Follikuläres Lymphom (FL)
-
Diffus-großzelliges B-Zell-Lymphom (DLBCL)
-
Hauptsymptome: Raumforderung, Bulbusdislokation,
Doppelbilder
-
Schmerzen nur selten (im Rahmen knöcherner
Infiltration bei hochmalignen Formen)
-
eventuell lachsfarbener Tumor im Bereich der angrenzenden
Konjuktiva [233]
-
In 20–25% der Fälle bilateraler
Befall [365]
[367]
[368]
-
typischerweise Befall des orbitalen und palpebralen Anteils
der Drüse [233]
-
CT oder MRT: glatte und homogene Raumforderung meist ohne
Infiltration des umgebenden Gewebes (aber knöcherne
Arrosion bei hochaggressiven Formen möglich [365])
-
sichere Unterscheidung zwischen reaktiver lymphatischer
Hyperplasie, Lymphom und unspezifischer Entzündung
der Tränendrüse klinisch und
bildmorphologisch nicht möglich → Biopsie
erforderlich (inzisionale Biopsie ist der Feinnadelbiopsie
vorzuziehen!) [233]
-
Knochenmarkbiopsie, Ganzkörper-CT/-MRT oder
PET
-
Ann-Arbor-Klassifikation und TNM-Staging werden verwendet
-
Polychemotherapie, insbesondere bei systemischer Ausbreitung
(Stadien IIE–IVE), bei DLBCL auch im
Frühstadium [369]
-
Antikörpertherapie, z. B.
Anti-CD-20-Antikörper Rituximab
-
gegebenenfalls Stammzelltransplantation
-
chirurgische Therapie: alleinige chirurgische Therapie in der
Regel nicht gerechtfertigt [233]
-
etwa 80% befinden sich zum Zeitpunkt der Erstdiagnose
in einem lokalisierten Stadium (IE), etwa 20% zeigen
im Rahmen des Stagings eine systemische Beteiligung (Stadium
IIE–IVE) [233]
-
Patienten mit Stadium IE bei Erstdiagnose: sekundäre
Generalisierung im Verlauf in 22–42% der
Fälle [233]
-
Rasmussen et al. (2011): 5-Jahres-Überlebensrate von
70% bei 27 Patienten mit Lymphom der
Tränendrüse [366]
7.2.1.2.3.1 Extranodales Marginalzonen-B-Zell-Lymphom
-
Epidemiologie:
mit 40% aller Lymphome häufigster Subtyp in
der Tränendrüse [366]
-
Therapie:
-
Early Stage (Stadium IE/IIE, kein
systemischer Befall): Strahlentherapie (ca.
30–40 Gy) [370]
-
bei systemischem Befall oder hoher Tumorlast:
medikamentöse Kombinationstherapie,
z. B. Rituximab+
Cyclophosphamid+
Hydroxydaunorubicin+ Vincristin+
Prednison (R-CHOP) →
3-Jahres-progressionsfreies Überleben in
70–80%
-
Rituximab wird zwei Jahre als Erhaltungsdosis
weitergegeben
-
Prognose:
Low-grade-Lymphom; 5-Jahres-Überlebensrate von
75% [366], bei
Speicheldrüsen wohl besser
(95–100%)
7.2.1.2.3.2 Follikuläres Lymphom
-
Epidemiologie:
mit etwa 28% aller Lymphome zweithäufigster
Subtyp in der Tränendrüse [365]
[366]
-
Therapie:
-
Early Stage (Stadium IE/IIE):
Strahlentherapie →
5-Jahres-Überlebensrate bei 100%
[366]
-
bei systemischem Befall oder hoher Tumorlast:
medikamentöse Kombinationstherapie,
z. B. Rituximab+
Cyclophosphamid+
Hydroxydaunorubicin+ Vincristin+
Prednison (R-CHOP) →
3-Jahres-progressionsfreies Überleben in
70–80%
-
Rituximab wird zwei Jahre als Erhaltungsdosis
weitergegeben
-
Prognose:
Low-grade-Lymphom mit günstiger Prognose
(5-Jahres-Überlebensrate bei
80–90%)
7.2.1.2.3.3 Diffus-großzelliges B-Zell-Lymphom
-
Epidemiologie:
mit 15% aller Lymphome dritthäufigster Subtyp
in der Tränendrüse [365]
[366]
-
Pathologie:
destruktives Wachstum in benachbarte Strukturen (Ethmoid,
intrakraniell…) bei 6 von 27 Patienten beobachtet
(Ferry et al. (2007) [365])
-
Therapie:
-
bereits bei Stadium I (Befall nur der
Tränendrüse): Rituximab+
Cyclophosphamid+
Hydroxydaunorubicin+ Vincristin+
Prednison (R-CHOP)
-
bei Patienten <60 Jahren mit hohem
Risikoprofil (IPI-Score ≥2 oder
erhöhte LDH) zusätzlich Etoposid
(R-CHOEP)
-
bei Stadium IE und Fehlen von B-Symptomen
zusätzlich Strahlentherapie
-
Prognose:
High-grade-Lymphom; 5-Jahres-Überlebensrate:
55 –73%
7.2.1.2.3.4 Mantelzelllymphom
-
Therapie:
-
Prognose: ungünstig
Anmerkung: Die WHO-Klassifikation lymphoider Neoplasien
umfasst mehr als 80 Lymphomklassen. Diese werden in drei Gruppen
unterteilt: B-Zell-Neoplasien, T-Zell- und NK-Zell-Neoplasien sowie
Hodgkin-Lymphome. Sowohl Lymphome als auch lymphoide
Leukämien sind enthalten. An dieser Stelle seien nur die
wichtigsten Vertreter genannt [371]. Die
Häufigkeitsverteilung der Subtypen in der
Tränendrüse entspricht der in den
Speicheldrüsen [366].
7.2.1.3 Metastasen in der Tränendrüse
Epidemiologie:
-
in 80% der Fälle ist bei Erstdiagnose der
orbitalen Raumforderung eine maligne Grunderkrankung bekannt
[233]
-
Vorliegen orbitaler Metastasen (meist einseitig) bei
geschätzt 2–3% aller Patienten mit
Malignomen[233]
-
Lokalisation in der Tränendrüse sehr selten [233]
[372]
7.2.2 Neoplasien der Orbita (ohne Neoplasien der
Tränendrüse)
7.2.2.1 Gutartige Neoplasien
7.2.2.1.1 Gutartige Neoplasien epithelialen Ursprungs
Siehe Kapitel 6.2.1.1.1 „Gutartige epitheliale Neoplasien der
Tränendrüse“
7.2.2.1.2 Gutartige Neoplasien nicht epithelialen
Ursprungs
Vielfältiger als die Tumoren epithelialen Ursprungs der
Orbita sind die Tumoren nicht epithelialen Ursprungs.
7.2.2.1.2.1 Fibro-ossäre Prozesse der Orbita
Es existieren eine Reihe von fibro-ossären Läsionen,
beispielsweise die aneurysmatische Knochenzyste, das
Riesenzellgranulom oder Cholesterolgranulome, die in der
periorbitalen Region auftreten und sekundär auch zu einer
Affektion der orbitalen Weichteile führen können. In
der Literatur werden sie jedoch eher als reaktive knöcherne
Läsionen bezeichnet und zumeist zu den knöchernen
Tumoren der Orbita gezählt.
7.2.2.1.2.1.1 Fibrom, ossifizierendes Fibrom, Fibromatose [201]
[373]
Fibrome
-
Pathologie:
meist ausgehend von der kranialen Periorbita oder dem
Muskelkonus
Ossifizierende Fibrome
[376]
-
Epidemiologie:
Auftreten v. a. bei jüngeren Patienten
-
Pathologie:
-
langsam wachsende, gutartige Tumoren, destruktives Wachstum
und Rezidive nach unzureichender Resektion aber
möglich
-
Lokalisation auch in den Nasennebenhöhlen oder
Kieferknochen
in der Regel chirurgische Resektion
7.2.2.1.2.1.2 Aneurysmatische Knochenzyste (AKZ)
-
Definition:
lokal expansive, osteolytische Läsion, bestehend aus
blutgefüllten Hohlräumen mit umgebendem
reaktivem, fibro-ossärem Gewebe
-
Lokalisation:
-
Prädilektionsstellen: Metaphysen langer
Röhrenknochen und Wirbelsäule
-
das Auftreten im Schädelbereich ist selten
[377]
-
orbitales Auftreten in weniger als 1% der
Fälle [378]
[379], dann zumeist im
Orbitadach [380]
-
Epidemiologie:
bevorzugtes Auftreten im Kindes- und Jugendalter bis zum 20.
Lebensjahr [381]
-
Ätiologie und Pathogenese:
-
Assoziation zu anderen knöchernen Läsionen
(fibröse Dysplasie, Chondroblastom, Osteoblastom,
Riesenzelltumoren), die dem Auftreten von AKZ vorausgehen
und für ihre Entwicklung als reaktives
Phänomen prädisponierend sein können
[382]
[383]
-
als kausale Ursache lange Zeit in der Diskussion: fokale
hämodynamische Veränderungen mit
sekundärer venöser Hypertonie bzw.
vorbestehende Traumata [381]
-
aktuelle onkogenetische Studienergebnisse: klonale
neoplastische Läsion mit spezifischem genetischem
Rearrangement (USP6-Gen-Hochregulation in Spindelzellen)
[384] → dadurch
zukünftig Differenzierung zu ähnlichen
Läsionen ohne USP-Rearrangement (z. B.
Osteosarkome, Chondroblastome, Riesenzelltumore)
möglich
-
initial indolente Schwellung oder Protrusio bulbi
-
häufig langsames Wachstum über Wochen bis
Monate, dann Episoden mit sehr raschem Wachstum und
schmerzhaftem Exophthalmus, Ptosis, Diplopie und weiteren
ophthalmologischen Symptomen [378]
-
CT und MRT (charakteristische Veränderungen; [Abb. 16a+b]):
polylobulierte Raumforderung mit multiplen zystischen
Arealen, durch Bindegewebssepten unterteilt; weiterhin
solide Anteile, Ausdünnung der umgebenden
Kortikalis, Flüssigkeitsspiegel in den zystischen
Arealen, bedingt durch nicht koaguliertes Blut; deutliche
KM-Aufnahme; Dura wird bei intrakranieller Ausbreitung
respektiert [378]
[385]
-
Histologie: von endothelähnlichen Zellen
ausgekleidete zystische Hohlräume; solider Anteil,
bestehend aus spindelförmigen Fibroblasten mit
vereinzelten vielkernigen Riesenzellen,
hämosiderinbeladenen Makrophagen, Granulationsgewebe
und extravasalen Erythrozyten; Septen häufig mit neu
gebildeten Knochen; keine atypischen Mitosen oder andere
histologische Malignitätskriterien
Abb. 16
a, b:: CT und MRT-Darstellung einer aneurysmatischen
Knochenzyste bei einem 2-jährigen Kind: 4 cm durchmessender
zystischer Tumor mit Einblutung und inhomogener Kontrastmittelaufnahme.
Ethmoid und Orbitadach sind knöchern arrodiert und
aufgetrieben, deutliche Expansion nach intrakraniell mit Respektierung
der Dura (mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Dr. W.
Wohlgemuth, Direktor der Klinik für Diagnostische Radiologie,
Universitätsklinikum Halle (Saale))
-
andere Knochentumoren (z. B. Osteoblastome,
Osteoklastome, braune Tumoren)
-
reparatives Riesenzellgranulom und Riesenzelltumoren
-
Abklärung durch pathologische Referenzzentren
erforderlich [378]
-
erste Wahl: chirurgische Exzision und (je nach Ausdehnung und
lokaler Destruktion) Rekonstruktion des knöchernen
Defekts
-
in ausgedehnten Fällen: intraläsionale
Kürettage und partielle Entfernung mit adjuvanter
Strahlentherapie
-
bei hohem intraoperativem Blutungsrisiko:
präoperative Embolisation oder stereotaktische
Radiochirurgie sinnvoll
7.2.2.1.2.1.3 Riesenzellgranulom [387]
[388]
[389]
[390]
[391]
-
Definition:
seltene, reaktive, benigne Raumforderung mit lokal
aggressivem Wachstum
-
Epidemiologie:
meist bei Frauen in der 1.–3. Lebensdekade [392]
-
Lokalisation:
-
Epiphysen der Röhrenknochen (> 90%
der Fälle)
-
Schädel (ca. 2% der Fälle): meist
Mandibula und Maxilla, seltener Sphenoid und Felsenbein,
ethmoidal oder orbital [387]
[391]
-
noch unklar
-
Inflammation, Trauma und intraossäre
Hämorrhagien als Ursache möglich
-
aufgrund Assoziation mit anderen Syndromen wie
Noonan-Syndrom, Neurofibromatose Typ I und
Cherubismus auch bislang unentdeckte Chromosomenanomalie
denkbar [393]
-
Symptome meist durch raumfordernden Effekt: Schwellung,
Deformität, gelegentlich Schmerzen
-
Exophthalmus, Visuseinschränkungen, Diplopie als
klinische Erstsymptome
-
CT: meist scharf begrenzter, osteolytischer Prozess mit
expansivem Charakter, jedoch sehr variabel und
unspezifisch
-
Histopathologie: charakteristische Ansammlung mehrkerniger,
großer, Osteoklasten-ähnlicher Riesenzellen
mit einer Tendenz zur Clusterbildung um
hämorrhagische Foci
-
Osteoklastom, Osteosarkom, eosinophiles Granulom,
aneursmatische Knochenzyste, „braune
Tumoren“ bei Hyperparathyreoidismus, nicht
ossifizierendes Fibrom, Langerhans-Zell-Histiozytose
(radiologische Abgrenzung teilweise schwierig)
-
Abgrenzung zu Riesenzelltumoren in der Literatur kontrovers
diskutiert [394]:
endgültige Diagnosestellung des Riesenzellgranuloms
der Orbita in den beschriebenen Fällen erst durch
Biopsie oder chirurgische Exzision möglich
-
erste Wahl: vollständige Resektion
-
im Bereich der Schädelknochen nicht immer radikal
durchführbar
-
Radiatio: bei Strahlenresistenz und möglicher
maligner Zellentartung kontrovers diskutiert, jedoch in
einigen Quellen nach partieller Resektion empfohlen
-
Medikamente zur adjuvanten Therapie: Kortikosteroide,
Calcitonin, Bisphosphonate, Imatinib und
Interferon-α
[393]
[395]
-
Denosumab (monoklonaler Antikörper): Neutralisierung
durch Bindung an den von den Tumorzellen produzierten
RANK-Liganden bei inoperablen oder lokal fortgeschrittenen
Fällen [391]
-
Prognose:
Rezidive in 10–50% der Fälle
7.2.2.1.2.1.4 Cholesteringranulom
-
Definition:
seltene, gutartige Läsion, durch
Fremdkörperreaktion auf Cholesterinkristalle
entstehend
-
Epidemiologie:
Auftreten typischerweise bei Männern mittleren Alters [396]
-
meist im Schläfenbein
-
auch im Bereich des Gesichtsschädels
möglich
-
selten orbitale Lokalisation, dann typischerweise im Bereich
des Stirnbeins oberhalb der Fossa glandulae lacrimalis
(superotemporal oder superior), da hier schwächste
Verankerung der Periorbita am Knochen mit häufigem
Auftreten von Traumata [399]
[400]
[401]
→ bei unklarer Läsion der Orbita in
Zusammenschau von Bildgebung, Lokalisation und
häufig positiver Traumaanamnese auch
Cholesteringranulom in Erwägung ziehen! [400]
-
intrakonale Lokalisation und Auftreten am Orbitaboden in
einigen Fällen beschrieben [401]
-
Exophthalmus, Diplopie, Visuseinschränkungen
-
seltener periorbitale Schmerzen oder Ptosis
-
CT: osteolytische Läsionen der Diploe des Stirnbeins
mit Arrosion der angrenzenden Kortikalis und ggf. Expansion
in den Extraduralraum
-
MRT: Unterscheidung zu anderen Weichteiltumoren
möglich: typischerweise hohe
Signalintensitäten in T1- UND T2-gewichteten
Sequenzen aufgrund des Lipidgehalts [402]
-
Histologie: Cholesterolkristalle, umgeben von vielkernigen
Riesenzellen; Unterscheidung von Epidermoiden und
Dermoidzysten durch Abwesenheit von epithelialen Elementen;
Abgrenzung von der aneurysmatischen Knochenzyste oder von
Riesenzelltumoren durch die prominente xanthomatöse
Komponente
-
klinisch und CT-morphologisch Abgrenzung zu einer Dermoid-
oder Epidermoidzyste erschwert
-
weitere: Neoplasien der Tränendrüse,
Metastasen, aneurysmatische Knochenzysten oder Chondrome
[61]
-
erste Wahl: Drainage des Inhalts der Läsion und
metikulöse Entfernung der Zystenwand sowie des
umgebenden Knochens → Minimierung des
Rezidivrisikos
-
verschiedene Techniken, abhängig von
Größe und Lokalisation der Läsion
[400]
[401]
[403]
7.2.2.1.2.1.5 Osteom [201]
-
Epidemiologie:
häufigster vom Orbitaknochen ausgehender Tumor
(häufig auch ausgehend von den
Nasennebenhöhlen)
-
Diagnostik:
im CT knochendichte, gut begrenzte Raumforderung
(häufig Zufallsbefund)
-
Therapie:
chirurgische Resektion, nur bei symptomatischen/progredienten
Prozessen
7.2.2.1.2.1.6 Chondrom [201]
[404]
Anmerkung: Trochlea ist einzige kartilaginäre
Struktur der Orbita, Keilbeinknochen hat knorpelige
Vorläuferstrukturen.
-
Epidemiologie:
-
Garrity und Henderson (2007) [405] bzw. Shields et al. (2004)
[279]
: nur je ein Fall unter 1373 bzw. 627
mesenchymalen Orbitatumoren
-
Rootman et al. (2004): ein Fall unter 62
primären Tumoren des Orbitaknochens in einem
Zeitraum von 24 Jahren [405]
[406]
[407]
-
im Bereich des Gesichtsschädelknochens vor
allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen
-
Klinik:
nasaler oberer Quadrant
-
Pathologie:
-
histopathologische Abgrenzung von
Low-grade-Chondrosarkomen schwierig
-
teilweise aggressives Verhalten chondrogener Tumoren
des Gesichtsskeletts (Diskrepanz zwischen
histologischem Bild und biologischem Verhalten)
-
Therapie:
7.2.2.1.2.2 Neurinom [201]
[408]
chirurgische Resektion, insbesondere bei symptomatischen
Prozessen
7.2.2.1.2.3 Neurofibrom [201]
[409]
Plexiformes Neurofibrom
-
häufigster Subtyp in der Orbita
-
oft kongenital oder im frühen Kindesalter
-
Neurofibromatose Typ I sehr häufig zugrunde
liegend
-
multinoduläre Raumforderungen mit infiltrativem
Verhalten (Lid, Schädelbasis, Periorbita) und
relativ starker Vaskularisation
-
Entartungsrate (zum malignen peripheren Nervenscheidentumor):
2–4%
Lokalisiertes Neurofibrom
[409]
,
[ 410]
-
Lokalisation und Pathologie:
typischerweise kranial in der Orbita liegend (Nervus
frontalis), weniger vaskularisiert, besser bekapselt
-
Therapie:
chirurgische Resektion
im Unterschied zum Schwannom zusätzlich Fibroblasten und
perineurale Zellen, höherer Gehalt an bindegewebiger
Substanz, nicht (gut) bekapselt, operativ nicht vom Nerven trennbar
(dieser muss daher geopfert werden)
7.2.2.1.2.4 Meningeom [201]
[411]
-
Epidemiologie:
-
nach Schätzungen etwa 4–8%
aller orbitalen Neoplasien
-
Manifestationsalter: typischerweise etwa um das 45.
Lebensjahr, Optikusscheidenmeningeome bei
jüngeren Patienten
-
Frauen deutlich häufiger betroffen als
Männer
-
Risikofaktoren:
-
typische Lokalisationen:
-
laterale Orbitawand, Orbitadach
(„primäre ektope
Meningeome“, nur Einzelfälle)
-
Optikusscheidenmeningeom (häufigster
Optikusscheidentumor), in 90% bei
Diagnosestellung bereits Wachstum durch den
Optikuskanal Richtung Chiasma [412]
-
Einwachsen von Meningeomen des Sinus cavernosus oder
des medialen Keilbeinflügels
(Optikuskompression!)
-
Pathologie:
orbitale Meningeome in der Regel Grad-1-Meningeome
gemäß WHO-Grading für Meningeome
(Grad 1: benigne, Grad 2: anaplastisch, Grad 3: maligne)
[413]
-
Klinik:
führende Symptome sind
-
allmähliche, schmerzlose Visusminderung
(Leitsymptom)
-
Gesichtsfeldausfälle
-
transiente Obskurationen
-
Protrusio oder Motilitätsstörungen
(mit Doppelbildern) oft erst im fortgeschrittenen
Stadium
-
Therapie [411]
[412]
[414]
[415]:
-
bei kleinen und/oder wenig
beeinträchtigenden Befunden „watch
and wait“ mit zunächst
halbjährlichen MRT-Kontrollen
-
Therapieindikationen [412]:
progrediente Visusminderung, Visusabfall auf
< 0,4, Zunahme der
Gesichtsfeldausfälle, Bedrohung des
Chiasma
-
Optikusscheidenmeningeom:
-
Therapie der ersten Wahl: fraktionierte Strahlentherapie
(50–55 Gy) wohl mit bestem funktionellem
Outcome (Visus)
-
chirurgische Therapie v. a. bei Ausdehnung nach
intrakraniell oder bei Erblindung des Auges und
entstellender Protrusion
-
bei Wachstum im Canalis opticus gegebenenfalls
Optikus-Dekompression
7.2.2.1.2.5 Optikusgliom [201]
[412]
-
Definition:
Sonderform des pilozytischen Astrozytoms (juveniles
pilozytisches Astrozytom, WHO Grad I) [412]
-
Epidemiologie:
-
Manifestation in 90% der Fälle vor
dem 20. Lebensjahr, in 50% der
Fälle vor dem 5. Lebensjahr [412]
-
Neurofibromatose Typ I kann zu Grunde liegen und
sollte ausgeschlossen werden
-
Differenzialdiagnose:
Optikusschwannom [416] (kommt, wenn
auch extrem selten (< 10 Fälle beschrieben),
vor, obwohl Myelinscheide des Nervus opticus keine
Schwannzellen enthält, geht am ehesten von kleinen
Sympathikusfasern aus)
-
Klinik:
-
bilaterale Lokalisation möglich
(v. a. bei Neurofibromatose)
-
langsames Wachstum
-
Exophthalmus
-
Schielstellung des betroffenen Auges
-
Visusminderung und
Gesichtsfeldeinschränkungen
-
schubweise Zunahme der Beschwerden bei Einblutung
-
Nystagmus
-
endokrinologische Begleiterscheinungen
möglich (Diabetes insipidus, Adipositas,
Pubertas präcox u. a.)
-
Therapie [417]
[418]
[419]:
-
kontroverse Meinungen, da Spontanverlauf nicht
vorhersehbar, spontane Remissionen möglich
und alle Verfahren mit teils erheblichen
NebenwirkungenNähe zum Canalis opticus
entscheidend für den
VerlaufVerlaufskontrollen mittels MRT und
Visus-/Gesichtsfeldprüfungen
(entscheidender für Therapieindikation als
radiologische Größenzunahme) bei neu
diagnostizierten Gliomen(Teil)resektion v.a. bei
großen, fortschreitenden intraorbitalen
Gliomen mit Erblindung, Wachstum Richtung Chiasma
oder mit entstellendem Exophthalmuseventuell
Durchtrennung des Nervus opticus vor dem Chiasma, um
eine Ausbreitung auf die Gegenseite zu
verhindernfraktionierte Strahlentherapie
früher Therapie der Wahl, aber im
Kindesalter, v.a. bei unter 7-jährigen, mit
Risiko für neurologisch-kognitive Defizite
und für spätere sekundäre
Tumoren verbunden (insbesondere bei
Neurofibromatose-Patienten), daher heutzutage v.a.
bei fortschreitenden, chiasmanahen Tumoren
älterer Kinder oder Erwachsener
indiziertChemotherapie zur Verkleinerung des Tumors,
Wachstumsverlangsamung und zum Hinauszögern
anderer Therapien möglich.
Erstlinientherapie bei Sehverlust / Tumoren
mit Handlungsbedarf besonders bei kleinen Kindern.
Substanzen z. B. Carboplatin kombiniert mit
Vincristin.
-
Fallbeispiel 3
-
Visus: rechts 1,25, links 0,6
-
Hertel-Exophthalmometrie: rechts 20, links 24 mm
-
Stauungspapille links
Abb. 16
MRT (T2, axial) mit intrakonal gelegenem, retrobulbärem,
28 x 17 mm großem Tumor (Pfeil) (mit freundlicher Genehmigung
von Prof. Dr. Dr. W. Wohlgemuth, Direktor der Klinik für
Diagnostische
Radiologie, Universitätsklinikum Halle (Saale))
-
transnasale, endoskopische mediale Orbitadekompression mit
Biopsie
-
Histopathologie: Optikusgliom
-
Definitive fraktionierte stereotaktische Strahlentherapie
(50,4 Gy)
-
zunächst schwankender, aber noch guter Visus (um
0,8–0,9)
-
etwa sechs Monate nach Bestrahlung ophthalmologisch
beginnende Optikusatrophie, Visus links deutlich
verschlechtert (0,25), zunehmendes Papillenödem,
sekundärer Strabismus divergens, kosmetisch
subjektiv störender progredienter Exophthalmus
([Abb. 18]) und
Lidschlussinsuffizienz
-
weitere Verschlechterung in den kommenden drei Monaten (Visus
0,1, Hertel-Exophthalmometrie links 27 mm,
zunehmender Leidensdruck, Funduskopie-Befund ([Abb. 19])
-
Enukleatio bulbi und Tumorresektion, Implantation
Guthoff-Plombe, später Prothese
-
humangenetische Abklärung zum Ausschluss
Neurofibromatose
Abb. 18 Progredienter Exophthalmus und Strabismus divergens
links nach stattgehabter Strahlentherapie. Bildmaterial entstammt
dem Fotoarchiv der Universitätsaugenklinik Halle (Saale)
Abb. 19 Funduskopie des linken Auges mit
impressionsbedingtem Fundusreflex (rote Pfeile). Schwarze
Pfeile: Aderhautfalten. Bildmaterial entstammt dem
Fotoarchiv der Universitätsaugenklinik Halle
(Saale)
7.2.2.1.2.6 Myxom [272]
[273]
[274]
[275]
[276]
Weitere Beispiele für gutartige orbitale Neoplasien nicht
epithelialen Ursprungs bietet [Tab.
8].
Tab. 8 Gutartige Neoplasien der Orbita nicht
epithelialen Ursprungs
|
Neoplasie
|
Charakteristika
|
|
Granularzelltumor [420]
(Abrikossoff-Tumor)
|
▪ Definition:
▪ Epidemiologie:
▪ Pathologie:
▪ Therapie der Wahl:
|
|
Paragangliom [421]
[422]
|
▪ Pathologie:
-
– ausgehend vom Ganglion ciliare
-
93% intrakonal gelegen, knapp ⅓
mit Kontakt zum Nervus opticus
-
ca. 50% lokal invasiv (v. a.
äußere Augenmuskeln)
-
Metastasierung möglich
▪ Therapie:
-
– Resektion (ggf. mit vorheriger
Embolisation)
-
Exenteration bei sehr großen und
schnell wachsenden Tumoren, fortgeschrittener
Visusminderung, invasivem Wachstum mit
Hirnnervenausfällen, Lokalrezidiv
-
ggf. adjuvante Radiatio, primäre
Radiatio nicht als erste Wahl
▪ Prognose:
-
– Funktionseinbußen am Auge
durch Erkrankung oder Therapie nicht selten (ca.
40 %)
-
Lokalrezidive in ⅓ der
Fälle
-
auch krankheitsbedingte Todesfälle
beschrieben
|
|
Ganglioneurom [423]
[424] (gutartige Form
der neuroblastischen Tumoren)
|
▪ Epidemiologie:
▪ Pathologie:
-
– gutartiger Tumor neuroblastischen
Ursprungs, von sympathischen Nerven ausgehend
-
endokrine Aktivität (Katecholamine,
Vanillinmandelsäure) in ca.
40%
▪ Pathogenese:
▪ Therapie:
|
|
Ganglioneuroblastom [423] (intermediäre Form der
neuroblastischen Tumoren)
|
▪ Pathologie:
|
|
Rhabdomyom [425]
[401]
[427]
|
▪ Epidemiologie:
▪ Therapie:
▪ Prognose:
|
|
Leiomyom [428]
[429]
|
▪ Lokalisation:
▪ Therapie:
|
|
Lipom[ [279]
[, 430]
|
▪ Epidemiologie:
▪ Therapie:
|
|
pigmentierter neuroektodermaler Tumor [431]
[432]
[433] (engl. melanotic
neuroectodermal tumor of infancy (MNTI), veraltete
Synonyme: pigmentiertes Ameloblastom,
Retinalanlagetumor, melanotisches Progonom,
melanotisches Adamantinom)
|
▪ Epidemiologie:
-
– Lokalisation meist im Oberkiefer, nur
einzelne Fälle in der Orbita
-
seit der Erstbeschreibung 1918 etwa 500
Fälle bekannt
-
fast alle Patienten <1 Jahr alt, meist
< 6 Monate
▪ Pathologie:
-
– schnell wachsende Raumforderung
-
makroskopisch oft
bläulich-schwärzlich, da
Farbpigmente (Melanin) enthalten
-
in der Regel zwar gutartig, aber lokal
aggressiv, Entartung in ca. 3% der
Fälle
▪ Therapie:
▪ Prognose:
|
7.2.2.2 Bösartige Neoplasien
7.2.2.2.1 Bösartige Neoplasien epithelialen
Ursprungs
Siehe Kapitel 7.2.2.2.3 „Bösartige Tumoren der
Tränendrüse epithelialen Ursprungs“
7.2.2.2.2 Bösartige Neoplasien nicht epithelialen
Ursprungs
Anmerkung: Lymphome der Orbita werden in Kapitel 6.2.2.2.3
gesondert behandelt.
7.2.2.2.2.1 Rhabdomyosarkom [434]
Biopsie
-
Therapie:
-
Standard: Chemotherapie + Radiotherapie
-
Exenteratio sollte nicht primär erfolgen,
erst bei Nachweis eines Residuums/Rezidivs
in der Biopsie nach Chemotherapie +
Radiotherapie erwägen
7.2.2.2.2.2 Fibrosarkom [435]
[436]
[437]
-
Epidemiologie:
-
medianes Manifestationsalter: 50 Jahre
-
Männer bevorzugt betroffen
(unabhängig von Lokalisation)
-
bei Befall der Orbita mehrere Fallberichte von
Kindern
-
Ätiologie/Pathogenese:
-
Pathologie:
-
aggressive Tumoren (in über 80% Grad
2/3 nach FNCLCC)
-
Metastasen hauptsächlich in Lunge, Knochen
und regionären Lymphknoten
-
bei Anwendung moderner Diagnostikverfahren nur
einzelne Fallberichte über Fibrosarkome der
Orbita
-
durch verbesserte histopathologische
Diagnoseverfahren und Klassifikationssysteme
für Sarkome in den letzten Jahren
Fibrosarkom sehr selten gestellte Ausschlussdiagnose
(< 1% aller adulten
Weichteilsarkome)
-
Therapie:
-
Resektion mit weiten Sicherheitsabständen bis
zur Exenteratio
-
Exenteratio vor allem im Falle eines
Lokalrezidivs
-
Stellenwert der postoperativen Strahlen- oder
Chemotherapie unklar, insbesondere bei der seltenen
Lokalisation in der Orbita
5-Jahres-Überlebensrate ca. 55%
7.2.2.2.2.3 Retinoblastom [438]
[439]
[440]
bösartiger Tumor in der Netzhaut des Auges, für
dessen Entstehung Mutationen in beiden Allelen des
Retinoblastom-Gens (lokalisiert auf Chromosom 13, Bande q14)
Grundvoraussetzung sind
-
Epidemiologie:
-
Häufigkeit: ca. 1/20.000
Lebendgeburten
-
häufigstes intraokuläres Malignom bei
Kindern
-
m : w+=+1 : 1
-
in der Regel Auftreten vor dem 5. Lebensjahr
-
Formen:
-
heterozygot für Mutation im Retinoblastom-Gen, hinzu
kommt die Mutation im zweiten Gen
-
meist beide Augen betroffen
-
durchschnittliches Alter bei Diagnosestellung: 12 Monate
-
beide Mutationen müssen in derselben
Körperzelle auftreten
-
meist einseitiger Befall
-
durchschnittliches Alter bei Diagnosestellung: 23 Monate
-
Klinik:
Leukokorie, Strabismus, seltener: schmerzhafte Rötung
des Auges, Glaukom, Visusstörung
-
Diagnostik:
-
ophthalmologische Untersuchung: unifokale oder
multifokale weißliche, vaskularisierte
retinale Raumforderung, ggf. mit Tumoraussaat
-
Sonografie
-
MRT (zur Evaluierung der Beteiligung des Nervus
opticus und einer eventuellen extraokulären
Ausbreitung)
-
Gendiagnostik (Differenzierung zwischen
hereditärer und nicht hereditärer
Form)
-
in der Regel keine Biopsie
-
Lumbalpunktion bei Ausbreitung Richtung ZNS
-
ggf. Skelettszintigraphie/Knochenmarkpunktion
bei Verdacht auf Knochenmetastasierung
-
Therapie:
-
Laser-/Kryokoagulation,
transpupilläre Thermotherapie (v. a.
bei kleinen Tumoren)
-
Chemotherapie als eine der wichtigsten Optionen:
ermöglicht in einem beträchtlichen
Teil der Fälle die Vermeidung von
Strahlentherapie oder Enukleation
-
Enukleation einschließlich Resektion des
Nervus opticus (v. a. bei fortgeschrittenem,
unilateralem Tumor)
-
Strahlentherapie (früher Standardtherapie bei
hoher Strahlensensibilität, aber
signifikantes Risiko für postradiogene
Zweittumoren – Risiko etwa 36%
innerhalb von 50 Jahren bei hereditärer Form
– daher bestimmten Indikationen vorbehalten,
z. B. bei Metastasierung oder fehlendem
Ansprechen auf Chemotherapie)
-
Brachytherapie: Primärtherapieoption bei
solitären Tumoren ventral des
Äquators (in ⅔ mit guter
Sehfunktion) oder nach Versagen anderer
Therapiestrategien, adjuvante Therapieoption
-
Adjuvante Chemotherapie, v. a. nach
Enukleation, wenn bestimmte Risikofaktoren vorliegen
(z. B. Aderhautinvasion, Sehnerveninvasion,
Ausbreitung in die Orbita, Aussaat in die
Vorderkammer)
7.2.2.2.2.4 Malignes Gliom des Sehnervs [412]
[441]
[442]
-
Definition:
entspricht dem anaplastischen Astrozytom, WHO Grad III, oder
dem Glioblastom, WHO Grad IV; keine Assoziation zur
Neurofibromatose
-
Epidemiologie:
-
Symptome:
-
ähnelt zunächst einer akuten Neuritis
nervi optici
-
retroorbitaler Schmerz
-
bei Diagnosestellung in 75 % bereits
Beteiligung des Chiasmas, frühzeitige
ZNS-Infiltration
-
rasch progredienter Visusverlust bis zur
Erblindung
-
eventuell andere neurologische Symptome,
z. B. Krampfanfälle
-
Therapie [442]
[443]:
-
keine wirkungsvolle Therapie
-
kombinierte Strahlenchemotherapie mit Temzolomid
-
chirurgische Resektion nur in Einzelfällen,
z. B. bei streng einseitigem Befall ohne
Chiasmabeteiligung
-
Prognose:
Tod in der Regel innerhalb eines Jahres
Weitere Beispiele für bösartige orbitale Neoplasien
nicht epithelialen Ursprungs sind in [Tab.
9] in knapper Form dargestellt.
Tab. 9 Weitere Beispiele bösartiger
orbitaler Neoplasien nicht epithelialen Ursprungs
|
Neoplasie
|
Charakteristika
|
|
Medulloepitheliom [444]
[445]
|
▪ Epidemiologie:
▪ Pathologie:
-
okuläre Form meist vom Epithel des
Ziliarkörpers ausgehend
-
intermediäre/variable
Dignität, Übergang von benignen zu
malignen Formen möglich
-
Metastasierung selten, aber beschrieben
▪ Klinik:
– Differenzialdiagnose:
|
|
alveoläres Weichteilsarkom [446]
[447]
[448]
|
▪ Epidemiologie:
▪ Lokalisation:
▪ Therapie:
|
-
Ewing-Sarkom [449, 450]
-
(früher: Tumoren der
Ewing-Sarkom-Familie [Ewing sarcoma of the bone
(ESB),
-
extraosseous Ewing sarcoma (EES),
peripheral
-
primitive neuroectodermal tumor (pPNET) of
-
the bone, and Askin’s tumor of the
chest wall])
|
▪ Epidemiologie:
▪ Pathologie:
▪ Therapie:
▪ Prognose:
-
– hochmaligne
-
sehr schlechte Prognose
|
|
Leiomyosarkom [451]
[452]
[453]
|
▪ Epidemiologie:
|
|
Liposarkom [454]
[455]
|
▪ Epidemiologie:
▪ Pathologie:
▪ Therapie:
▪ Prognose:
|
|
Epitheloidsarkom[ 456]
|
▪ Epidemiologie:
▪ Pathologie:
▪ Prognose:
-
ungünstig
-
hohe Lokalrezidivrate
|
|
Neuroblastom [423]
[457]
[458]
[459] (bösartige
Form der neuroblastischen Tumoren)
|
▪ Definition:
-
– undifferenziertes Malignom primitiver
Neuroblasten
-
meist Metastasen (dann nicht selten
beidseitig), extrem selten primäre
orbitale Neuroblastome (ausgehend vom Ganglion
ciliare)
▪ Klinik:
-
– typisches Zeichen bei Kindern unter
zwei Jahren:
„Waschbärenaugen“
(„racoon eye[s]“ =
hämatomartige Einblutungen des Oberlids
und der Sklera, die ein Trauma
vortäuschen)
-
endokrine Aktivität (Katecholamine,
Vanillinmandelsäure)
▪ Therapie:
-
– Therapie mit Chemotherapie,
chirurgischer Resektion, Strahlentherapie,
myeloablativer Therapie inkl.
Stammzelltransplantation, Immunotherapie
|
|
maligner peripherer Nervenscheidentumor [412]
[]
|
-
siehe auch „7.2.1.2.2.Maligne Tumoren
der Tränendrüse
nicht-epithelialenen Ursprungs“
-
Therapie
-
– radikalchirurgisches Vorgehen,
Exenteratio orbitae
-
– ggf. adjuvante
Radio(chemo)therapie
|
|
orbitales Melanom [460]
|
▪ Pathologie:
-
– Ursprung in Aderhaut oder
Konjunktiva, seltener in der übrigen
Orbita
-
– primäre orbitale Melanome extrem
selten, orbitale Melanommetastasen oder aus den
Nasennebenhöhlen eingewachsene
Schleimhautmelanome deutlich häufiger
▪ Klinik:
▪ Diagnostik:
▪ Therapie:
|
|
endodermaler Sinuszelltumor [461]
[462] (Synonym:
Dottersacktumor)
|
Epidemiologie:
-
– häufigster maligner
Keimzelltumor
-
betrifft Kleinkinder
-
tritt meist in kindlichen Gonaden auf, selten
extragonadal (z. B. Mediastinum,
Leber)
-
extrem selten in der Orbita (ca. 20
Fallberichte in der Literatur)
▪ Pathologie:
▪ Klinik:
-
extrem schnelles Wachstum und akuter Beginn von
Symptomen
-
Diagnostik:
-
typischer pathohistologischer Befund
-
α-Fetoprotein als Tumormarker
▪ Therapie:
|
7.2.2.2.3 Lymphoproliferative Erkrankungen der Orbita
7.2.2.2.3.1 Lymphome der Orbita [365]
[463]
[464]
[465]
Anmerkung: siehe auch Kapitel 7.2.1.2.3 „Lymphome der
Tränendrüse“
-
Lymphome stellen die häufigsten malignen orbitalen
Raumforderungen dar (etwa 50–55% aller
orbitalen Malignome sind Non-Hodgkin-Lymphome)
-
Lymphome stellen bei älteren Patienten
(> 60 Jahre) die häufigsten
primären Orbitatumoren dar
-
lymphoide Tumoren machen etwa 10–20% der
orbitalen Raumforderungen aus
-
1–2% aller Lymphome und etwa 8% aller
extranodalen Lymphome betreffen die okulären Adnexe
(Bindehaut, Augenlider, Tränendrüse,
orbitales Weichgewebe)
-
geschätzt 5% aller
Non-Hodgkin-Lymphom-Patienten haben im Verlauf der
Erkrankung eine sekundäre orbitale Beteiligung
-
v. a. ältere Menschen betroffen
-
Lokalisationen:
-
Klinik:
-
Lymphome der Konjunktiva: typischerweise glatt und
lachsfarben
-
bildmorphologisch manchmal schwer von der
idiopathischen orbitalen Entzündung
abgrenzbar (IOE, früher sog.
„Pseudotumor orbitae“) →
Biopsie
-
meist lokale Begrenzung okulärer
Adnexlymphome bei Diagnosestellung (Ausnahme
Mantelzelllymphom)
-
Therapie:
-
bei lokalisierter Manifestation: Strahlentherapie
→ gute lokale Kontrolle und gute
Heilungsrate
-
bei bilateraler oder systemischer Erkrankung und
aggressiven Subtypen (z. B.
diffus-großzelligem B-Zell-Lymphom):
Chemotherapie
-
Immuntherapie mit Anti-CD-20-Antiköpern
-
Prognose:
-
Low-grade-Lymphome (Marginalzonenlymphom,
follikuläres Lymphom): gut
-
High-grade-Lymphome (diffus-großzelliges
B-Zell-Lymphom, Mantelzelllymphom): schlecht
Fallbeispiel 4
Abb. 20
a, b (präoperativ): Auffällig sind
vor allem Exophthalmus, Bindehautinjektion, Achsfehlstellung
(a) beziehungsweise eine Adduktionsschwäche des
linken Auges (b). Bildmaterial entstammt dem Fotoarchiv der
Universitätsaugenklinik Halle (Saale).
-
Anamnese:
-
Erstvorstellung eines 58-jährigen,
männlichen Patienten in der Augenklinik des
Universitätsklinikums Halle/S.
-
Beschwerden seit zwei Jahren
-
Symptomatik:
-
linkes Auge vorgewölbt und gerötet
-
aktuell Visusverschlechterung
-
Den präoperativen Befund zeigt ([Abb. 20a, b])
-
umfangreiche Diagnostik (einschließlich
MRT-Untersuchungen) und Therapie durch niedergelassene
Augenärztin in Zusammenarbeit mit einer
großen städtischen Klinik
-
auswärtig durchgeführte transkonjunktivale
Biopsie aus der Orbita: histopathologisch
lymphoplasmazelluläres Infiltrat ohne
auffällige IgG4-Ratio
-
therapierefraktärer Verlauf unter hochdosierten
Glukokortikoiden seit etwa eineinhalb Jahren (80 mg
Prednisolon zum Zeitpunkt der Erstvorstellung!),
offensichtliche Cushing-Symptomatik, steroidinduzierter
Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Herzinsuffizienz
NYHA III, Steatosis hepatis
Abb. 21
a, b: Computertomographie der Orbita, koronare
Schicht (a) und sagittale Schicht (b): Teils intra- teils
extrakonal gelegene Raumforderungen (rote Pfeile). Die
Biopsie wurde aus der dorsal gelegenen Raumforderung
(großer roter Pfeil) entnommen (mit freundlicher
Genehmigung von Prof. Dr. Dr. W. Wohlgemuth, Direktor der
Klinik für Diagnostische Radiologie,
Universitätsklinikum Halle (Saale))
Abb. 22 Intraoperativer Situs (laterale Orbitotomie): kranial der Musculus rectus
lateralis (blauer Pfeil), kaudal angrenzend eine der intraorbitalen Neubildungen
(weißer Pfeil), kaudal davon orbitales Fettgewebe.
7.2.2.2.3.2 Leukämien
-
orbitale Manifestation im Vergleich zu Lymphomen deutlich
seltener
-
Anteil der Leukämien an den malignen lymphoiden
orbitalen Adnexerkrankungen: ca. 4% [365]
-
Auftreten meist während der ersten Lebensdekade
-
häufigster Subtyp: akute myeloische Leukämie
[466]
[467]
[468]
-
meist sekundäre Orbitabeteiligung (z. B. als
Rezidiv), orbitale Manifestation kann aber auch Erstsymptom
sein
-
kann beidseits auftreten
-
Orbitabeteiligung meist Anzeichen für
fortgeschrittenes Erkrankungsstadium
Chemotherapie und Strahlentherapie des betroffenen Auges (besseres
Outcome als bei alleiniger Chemotherapie) [469]
7.2.2.2.4 Metastasen [59]
[470]
[471]
-
Differenzialdiagnosen:
klinisch und bildmorphologisch Verwechslung mit anderen
Erkrankungen, z. B. Abszessen oder Parasitosen
möglich [471]
-
Lokalisation des Primarius:
-
bei Erwachsenen vor allem in Mamma, Lunge, GI-Trakt,
Prostata, Niere, Haut
-
bei Erwachsenen mit Befall der
äußeren Augenmuskeln in Mamma, Haut
(Melanom) [471]
-
bei Kindern v. a. Neuroblastom,
Ewing-Sarkom
-
Therapie und Management:
-
Anamnese:
-
62-jähriger männlicher Patient
-
Seit vier Tagen wässrige Rhinorrhoe,
Epiphopra, zunehmende periorbitale Schwellung und
Rötung, zunehmende Schmerzen des linken
Auges
-
Kein Infekt der oberen Atemwege
-
Befund:
-
Rötung und Schwellung des linken Ober- und
Unterlids mit Ausläufern auf die Wange
-
Exophthalmus
-
Chemosis mit Bindehauthyperämie
-
Motilitätseinschränkung des
Bulbus
-
Visus reduziert (0,6)
-
Augeninnendruck rechts 14, links 20 mmHg
-
Leukozyten und CRP im Blut leicht erhöht
-
CT (mit Kontrastmittel; [Abb. 23
a, b]
-
12 x 11 x 10 mm große, wandbetont
kräftig KM-aufnehmende Läsion im
Bereich des Musculus rectus inferior, den Nervus
opticus leicht auslenkend
-
Nasennebenhöhlen regelrecht
belüftet
-
Verlauf:
-
Bei Verdacht auf intraorbitalen Abszess transnasale,
transethmoidale endoskopische Orbitotomie mit
Eröffnung der Läsion, dabei nur
wenig trübes Sekret entleert, Abstrich und
Biopsie entnommen
-
Histologie: Neurodenokriner Tumor
-
Diagnose nach Primariussuche und Staging (u. a.
DOTATOC-PET-CT): Neuroendokriner Tumor (G2) des
Ileums mit hepatischer, orbitaler und lymphnodaler
Metastasierung
7.2.2.2.5 Fortgeleitete (sekundäre) Orbitatumoren [59]
[472]
Ursprungsort:
-
Einteilung: Grad I (Infiltration Orbitaknochen), Grad II
(Infiltration Periorbita) und Grad III (Infiltration des
orbitalen Weichgewebes durch Überschreiten der
Periorbita)
-
Therapie: multimodaler Ansatz erforderlich (u. a.
R0-Resektion prognoseentscheidend)
-
Prognose: bei Grad III Verbesserung der
Überlebenschancen durch Exenteratio orbitae im
Vergleich zum Organerhalt
7.2.3 Vaskuläre Anomalien
(Gefäßanomalien)
Sie nehmen eine Sonderstellung ein und lassen sich weiter in
Gefäßtumoren und
Gefäßmalformationen (vaskuläre
Malformationen) unterteilen.
7.2.3.1 Gefäßtumoren
Gefäßtumoren besitzen folgende Eigenschaften:
-
„echte“ Neoplasien mit endothelialer
Proliferation und Angiogenese
-
Fähigkeit zur Regression (zumindest teilweise) mit
zunehmendem Alter der Patienten
-
Unterscheidung in benigne, lokal aggressive (borderline) und
maligne Unterformen
7.2.3.1.1 Infantiles Hämangiom [2]
[473]
[474]
[475]
-
Spontane Rückbildung typischerweise ab dem 6.
Lebensmonat bis zum 9. Lebensjahr (im Alter von 7 Jahren in
75 – 90 % zurückgebildet [476]), selten erst in der
Pubertät
-
in der Regel harmlos, bei ungünstiger Lokalisation
(z. B. Orbita, Mundhöhle) aber funktionelle
Beeinträchtigung und dauerhafte Deformationen
möglich (z. B. irreversible Amblyopie,
Astigmatismus)
-
Lokalisation und Erscheinungsbild ([Abb.
24a, b]):
-
Vorkommen als klein und umschrieben bis hin zu
groß und multifokal
-
am häufigsten extrakonal gelegen, meist
ventral des Bulbus im Bereich der Augenlider,
extraokuläre Muskeln und
Tränendrüse können
mitbetroffen sein
-
seltener intrakonal gelegen, z. B. im Bereich
des orbitalen Fettkörpers [477]
-
bei retrobulbärer Lage mit Gefahr der
Kompression des Nervus opticus
(v. a. bei schnellem Wachstum)
-
Klinik:
Abb. 23
a, b: Kontrastmittelaufnehmende intraorbitale
Läsion (innerhalb des Musculus rectus inferior,
breiter Pfeil) mit Kontakt zum Nervus opticus (schmaler
Pfeil). a Koronare, b sagittale Ansicht mit freundlicher
Genehmigung von Prof. Dr. Dr. W. Wohlgemuth, Direktor der
Klinik für Diagnostische Radiologie,
Universitätsklinikum Halle (Saale)
-
himbeerartiges Aussehen, v. a. bei
oberflächlicher Lage
-
in der Regel harmlos, bei ungünstiger Lokalisation
(z. B. Orbita, Mundhöhle) aber funktionelle
Beeinträchtigung und dauerhafte Deformationen
möglich (z. B. irreversible Amblyopie,
Astigmatismus)
kongenitales Hämangiom
-
viel seltener, in der Orbita absolute Rarität
-
bereits bei Geburt vorhanden und vollständig
ausgebildet (kein Wachstum nach der Geburt)
-
Therapie [478]:
-
spontane Remission in 85–90% der
Fälle
-
Therapie nur bei symptomatischen Hämangiomen
notwendig; bei Kompression des Nervus opticus rasche
Therapie erforderlich
-
Propranolol
2–3 mg / kg
KG / Tag verteilt auf
2–4 Einzeldosen für 6 Monate
(Therapie der ersten Wahl bei komplizierten
infantilen Hämangiomen, Ansprechen: 98
%)
-
systemische Steroidgabe inzwischen
Ausnahmefällen vorbehalten (z. B.
bei Atemwegsverlegung, Nichtansprechen anderer
Therapieverfahren)
-
Zytostatika (Vincristin) und Interferon-alpha
obsolet
-
Laser-/Kryotherapie: bei kleinen, planen, gut
zugänglichen Hämangiomen (z. B.
Lid)
-
chirurgische Resektion: im Bereich der Orbita eher
selten indiziert, da Gefahr der Schädigung
umgebender Strukturen
7.2.3.1.2 Hämangioperizytom [479]
[480]
-
Pathologie:
-
histologisch gesamte Bandbreite benigner bis maligner
Eigenschaften → Einteilung in benigne,
borderline und maligne
-
Verhalten eher unberechenbar, auch scheinbar
gutartige Läsionen zeigen gelegentlich
malignes Verhalten
-
Metastasierung in ca. 15% der
Fälle
-
Hämangioperizytome und solitäre
fibröse Tumoren haben viele histologische
und immunhistochemische Überschneidungen und
stellen laut einiger Autoren möglicherweise
eine gemeinsame Entität dar [479]
-
Therapie:
-
Prognose:
Lokalrezidive in ca. 30% der Fälle
In [Tab. 10] sind Beispiele für
weitere orbitale Gefäßtumoren aufgeführt.
Die meisten davon sind absolute Raritäten in der Orbita und
es gibt oft nur einzelne Fallberichte [475]. Das Büschel-Angiom wird inzwischen von
vielen Experten zu den Borderline-Tumoren gezählt und bildet
mit dem kaposiformen Hämangioendotheliom eine gemeinsame
Entität – mit einem histopathologischen Spektrum,
das, je nach Einzelfall, mehr oder weniger aggressive Merkmale
aufweisen kann [494]
[495].
Tab. 10 Gefäßtumoren der
Orbita.
|
Dignität
|
Gefäßtumoren
|
|
gutartig
|
-
infantiles Hämangiom (90 %)
-
kongenitales Hämangiom (2 % der
Hämangiome) [481]
-
rapidly involuting hemangioma (RICH, typisch:
blasser Halo)
-
partly involuting hemangioma (PICH)
-
non-involuting hemangioma (NICH)
-
Spindelzell-Hämangiom [482]
-
Epitheloidzell-Hämangiom
[483–485]
-
lobulares kapilläres Hämangiom
(früher: pyogenes Granulom) [486]
-
Büschel-Angiom* (Tufted
Angioma, früher Angioblastom) [487]
|
|
lokal aggressiv / borderline
|
|
|
bösartig
|
|
*Das Büschel-Angiom erscheint in der
ISSVA-Klassifikation bei den gutartigen Tumoren, ist aber
als Borderline-Tumor zu erachten, der mit dem kaposiformen
Hämangioendotheliom eine gemeinsame Entität
bildet.
7.2.3.2 Gefäßmalformationen [2]
[473]
[474]
[475]
[495]
Vaskuläre Malformationen besitzen folgende Eigenschaften:
-
mesenchymale, vaskulogenetische Entwicklungsstörungen mit
geringer proliferativer Aktivität
-
stets bei Geburt vorhanden, aber oft erst später
auffallend (Wachstum z. B. hormonell oder mechanisch
getriggert)
-
Progress
-
keine Spontanremission
Eine Einteilung der Gefäßmalformationen und
Therapieoptionen sind in [Tab. 11]
dargestellt. Die prozentualen Häufigkeitsangaben sind allgemein
und nicht orbitaspezifisch [2]
[475].([Abb. 25a,
b])
Abb. 24
a, b: Infantiles Hämangiom mit orbitaler
Beteiligung. Das Oberlid weist eine
bläulich-rötliche Raumforderung auf (a), die MRT
zeigt eine über das äußerlich Sichtbare
hinausgehende Ausdehnung (b). Mit freundlicher Genehmigung von
Prof. Dr. Dr. W. Wohlgemuth, Direktor der Klinik für
Diagnostische Radiologie, Universitätsklinikum Halle
(Saale)
Tab. 11 Einteilung vaskulärer Malformationen
und Therapiemöglichkeiten
|
Einteilung
|
Therapie [474]
|
|
Einfache vaskuläre Malformationen
|
|
|
Slow-flow
|
|
|
▪ venöse Malformation (70 %)
|
Sklerotherapie, Lasertherapie, Resektion, ggf.
mTOR-Inhibitoren
|
|
▪ lymphatische Malformation (12
%)
-
– makrozystisch
-
mikrozystisch
-
gemischt
|
Sklerotherapie (makrozystische Form), Lasertherapie,
Resektion, mTOR-Inhibitoren (Sirolimus) [488]
|
|
▪ Kapilläre Malformation
|
Lasertherapie
|
|
Fast-flow
|
|
|
▪ arteriovenöse Malformation (8
%)
|
Embolisation (transarteriell, transvenös,
direkt), Resektion des okkludierten Nidus
(= Kern, der die
Shuntgefäße enthält)
|
|
▪ arteriovenöse Fistel
|
Embolisation
|
|
▪ kombinierte vaskuläre
Malformationen (6%)
|
|
|
|
|
7.2.3.2.1 Venöse Malformation [201]
[412]
„Orbitale Varizen“
-
Begriff „Orbitale Varizen“ inzwischen
veraltet, wird den venösen Malformationen
zugeordnet
-
Pathogenese: angeborene Schwäche der
Venenwände der klappenlosen Orbitalvene →
massive Erweiterung
-
Diagnostik: Exophthalmus während
Valsalva-Manöver
-
Klinik: bei Einblutung schnelle, schmerzhafte Zunahme des
Exophthalmus
-
Therapie: in der Regel keine erforderlich
7.2.3.2.2 Lymphatische Malformation [412]
[473]
7.2.3.2.3 Arteriovenöse Malformation (AVM) [473]
[475]
[495]
[496]
-
Lokalisation:
-
v. a. Kopf-Hals-Bereich, inklusive Gehirn
([Abb. 26])
-
Extremitäten
-
seltener innere Organe (Leber, Lunge …)
Abb. 25
a, b Venöse Malformation im Bereich der
linken Orbita mit deutlicher bläulicher
Verfärbung im Hautniveau (a) und Ausdehnung in die
Orbita in der MRT (b). Mit freundlicher Genehmigung von
Prof. Dr. Dr. W. Wohlgemuth, Direktor der Klinik für
Diagnostische Radiologie, Universitätsklinikum Halle
(Saale)
hohe Rezidivneigung bei inkompletter Therapie
Fallbeispiel 6
Abb. 26 Arteriovenöse Malformation im Bereich
der linken Orbita. Mit freundlicher Genehmigung von Prof.
Dr. Dr. W. Wohlgemuth (Halle/S.)
Abb. 27 Ausgeprägter Exophthalmus des rechten
Auges mit starker Bindehautinjektion und unmöglichem
Lidschluss.
Abb. 28
a, b: MRT des Kopfes mit einer den rechten Bulbus
verdrängenden intrakonalen Raumforderung (a: axiale
Schicht, T2; b: koronare Schicht, T1) mit freundlicher
Genehmigung von Prof. Dr. Dr. W. Wohlgemuth, Direktor der
Klinik für Diagnostische Radiologie,
Universitätsklinikum Halle (Saale)
-
Anamnese:
-
Diagnostik:
-
Inspektion: Exophthalmus rechts, vermehrte
Gefäßinjektion, Lidschluss
unvollständig ([Abb.
27])
-
Sonografie bei Erstvorstellung: Verdacht auf akut
eingeblutete, kavernöse venöse
Malformation retrobulbär, MRT zur weiteren
Abklärung empfohlen
-
MRT ([Abb. 28]):
retrobulbäre Einblutung bei V. a.
rupturiertes, teilthrombosiertes Aneurysma spurium
mit zusätzlichen venösen
Malformationsanteilen, DD AV-Malformation
-
Angiografie: High-flow arteriovenöse
Malformation in der Orbita rechts,
hauptsächlich gespeist aus der Arteria
ophthalmica rechts (…) dominanter
venöser Ausstrom über dilatierte
venöse Aneurysmen (Typ II nach
WHO-Klassifikation). Venöse Drainage
über Sinus cavernosus.
-
Verlauf:
-
progredienter Exophthalmus rechts
-
zunehmende Abwehrhaltung des Kindes
-
ausgeprägte Visusminderung rechts
-
Therapie:
-
Embolisation der arteriovenösen Malformation
mit Onyx18 (Interventionelle Radiologie) →
vollständiger Verschluss des Zuflusses
über die A. ophthalmica und eines weiteren
Feeders aus der A. maxillaris → AVM somit
operationsfähig.
-
bei progredientem Exophthalmus und nun
Hornhautulzeration des rechten Auges
interdisziplinäre Fallbesprechung und
Indikation zur operativen Therapie
-
Enucleatio bulbi, Resektion der intrakonalen AVM nach
Embolisation, Implantation einer Guthoffplombe (16
mm) mit Tenon- und Bindehautplastik
(interdisziplinär durch Augenheilkunde und
HNO; [Abb. 29])
-
spätere epithetische Versorgung
-
Histologie:
Abb. 29
a, b: Enukleation rechts, retrobulbäre, hauptsächlich intrakonale
Raumforderung (a, weißer Pfeil), Resektat arteriovenöse Malformation
(b).
7.3. Konklusion
Neoplasien der Orbita sind selten, aber sehr vielfältig und anhand der
Symptomatik allein kaum von strukturellen oder entzündlichen
Läsionen zu unterschieden. Hierfür ist eine differenzierte
ophthalmologische, radiologische und paraklinische Diagnostik wichtig –
wobei jedoch meist das histopathologische Untersuchungsergebnis der Probebiopsie
entscheidend ist. Eine Ausnahme besteht dabei für Tumoren epithelialen
Ursprungs der Tränendrüse, bei denen sich durch
Inzisionsbiopsien die Gesamtprognose signifikant verschlechtert. Die Einteilung
von Tumoren der Orbita erfolgt in Neoplasien epithelialen und nicht epithelialen
Ursprungs sowie Neoplasien des lymphatischen Gewebes, wobei die
Tränendrüse das einzige Organ der Orbita mit epithelialen
Strukturen darstellt. Eine Sonderstellung haben vaskuläre
Malformationen, welche ein sehr variables klinisches Verhalten aufweisen.
Therapeutisch kommt neben der Watch-and-wait-Strategie bei asymptomatischen,
benignen Prozessen vor allem die chirurgische Resektion bei symptomatischen,
benignen Neoplasien in Betracht, wobei gerade im Bereich der Orbita ganz
besonders zwischen dem zu erwartenden Benefit und möglichen
funktionellen Defiziten abgewogen werden muss. Die Zugangswege sind dabei vor
allem von der Lokalisation der Raumforderung abhängig. Die
Strahlentherapie sowie medikamentöse Systemtherapien mit
Chemotherapeutika und Biologika sind wesentliche therapeutische Säulen
und haben in den letzten Jahrzehnten die Morbidität von Patienten mit
orbitalen Tumoren reduzieren können. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass
bösartige Tumoren der Orbita zumeist mit einer schlechten Gesamtprognose
einhergehen.
Lymphoproliferative Läsionen der Orbita sind indolent, so dass Patienen
bei Remission häufig eine gute Lebensqualität haben, trotzdem
sollte man sich über die z. T. immer noch hohen
Mortalitätsraten, z. B. bei NK-/T-Zell-Lymphomen,
bewusst sein. Ein besseres Verständnis der molekulargenetischen
Zusammenhänge wird zukünftig zu einem präziseren Einsatz
von Targettherapeutika und damit zu einer besseren Prognose von Lymphomen der
Orbita führen. Grundvorraussetzung hierfür sind allerdings
Biopsien, die wirklich repräsenativ sind.
Knöcherne Tumoren der Orbita beinhalten sehr unterschiedliche
Entitäten, wobei die fibro-ossären Läsionen
faszinierende pathogenetische und pathologische Eigenschaften haben. Duch die
Bildgebung lässt sich die Liste der Differenzialdiagnosen eingrenzen,
zur Diagnosestellung ist aber eine Biopsie oft notwendig, deren Beurteilung
meist Referenzzentren vorbehalten bleibt. Man sollte sich bei der
Therapieentscheidung sowohl über systemische Auswirkungen der Erkrankung
als auch über neue Ansätze der Targettherapien bei diesen
Tumoren bewusst sein.
Tumoren der Tränendrüse bleiben aufgrund ihrer Seltenheit und
Diversität nicht nur für den Pathologen, sondern auch
für den Kliniker eine echte Herausforderung. Auch wenn die Anamnese und
das Erfassen der Symptome wichtig für die Diagnosestellung sind,
können diese doch stark variieren und auch die Bildgebung ist selten
pathognomonisch. Weiterhin gibt es Kontroversen über die geeigneten
Therapieansätze, insbesondere bei malignen epithelialen Tumoren, welche
generell im Vergleich zu Malignomen der Speicheldrüsen eine schlechtere
Prognose haben.
Primäre und sekundäre neurogene Tumoren sind häufig in
der Orbita lokalisiert, vermutlich durch die hohe Dichte an Nerven, welche in
dieser Region verlaufen. Diagnostik und Therapie stellen eine Herausforderung
dar, da weiterhin Unklarheiten bezüglich der Ätiologie,
Pathogenese und dem natürlichen Krankheitsverlauf bestehen.
Tumoren des orbitalen Fett- und Bindegewebes sowie der quergesteiften Muskulatur
sind zumeist seltene heterogene Neoplasien, welche jedoch in der klinischen
Symptomtik, histogenetisch, molekularbiologisch sowie prognostisch
Ähnlichkeiten untereinander aufweisen.
Metastasen der Orbita sind eine ebenso heterogene Gruppe von Neoplasien, deren
Präsentation je nach Ausdehnung der Erkrankung und Biologie des
Primärtumors variiert. Die meisten Metastasen kommen bei Patienten mit
bekanntem Primärtumor vor und machen sich durch Abweichung des Bulbus,
Strabismus und Schmerzen bemerkbar. Bei Verdacht sind Bildgebung und Biopsie zur
Planung einer multidisziplinären Behandlung notwendig, mit dem Ziel, den
Visus zu erhalten, Schmerzen zu reduzieren und die Lebensqualität zu
verbessern. In einigen Fällen ist hierbei ein kurativer Ansatz
möglich.
Vaskuläre Anomalien werden in Gefäßtumoren und
vaskuläre Malformationen unterteilt. Während es sich bei den
Erstgenannten um „echte“ Neoplasien mit endothelialer
Proliferation und Angiogenese handelt, sind Malformationen vaskulogenetische
Entwicklungsstörungen. Diese zeigen eine geringe proliferative
Aktivität, sind zwar bereits bei Geburt vorhanden, werden aber meist
erst später apparent und zeigen keine Spontanremission. Die heterogene
klinische Präsentation von Gefäßtumoren erfordert die
Abklärung verschiedener Differenzialdiagnosen. Es existiert ein
großes Spektrum an Therapiealternativen wie medikamentösen,
Laser- und klassisch-chirurgischen Interventionen, sodass die meisten Patienten
von einer der Optionen profitieren. Durale AV-Fisteln und
Carotis-cavernosus-Fisteln können variable orbitale Manifestationen
haben. Trotz der Unterschiedlichkeit der Läsionen kommen die gleichen
Untersuchungsmethoden zum Einsatz. Charakterisierung der Läsion und
Therapieplanung erfordern eine konventionelle Katheterangiographie. Bei benignen
Fällen ist die Therapiestrategie konservativ, bei rasch progredienten
und schweren Fällen ist ein neuroendovaskuläres Management zu
favorisieren.