Schlüsselwörter Schwangerschaft - Komplikationen - Flüchtlinge - Deutschland - Neugeborene
Einleitung
Mit rund 1,3 Millionen geflüchteten Menschen, die zum Stichtag 30.09.2019 durch das Ausländerzentralregister (AZR) registriert wurden, stellt Deutschland weltweit das Land dar, das am zweitmeisten Geflüchtete im Jahr 2019 aufnahm [1 ]. 43,5% der Geflüchteten sind weiblich und davon ungefähr 44,5% im gebärfähigen Alter (zwischen 15 und 50 Jahre) [2 ]. Sowohl sozioökonomische Faktoren wie Bildung, Einkommen, als auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung und die Lebensbedingungen sind für die gesundheitliche Situation der Geflüchteten entscheidend [3 ]. Frauen stellen eine besonders vulnerable Gruppe dar, die zusätzlich zu den oben genannten Faktoren unter einem Mangel an reproduktiver Gesundheitsversorgung, Unterernährung oder ungewollten Schwangerschaften leiden [4 ]. Für Schwangere oder stillende Frauen ist die Exposition zu chemischen, biologischen und
nuklearen Waffen, die in Kriegsgebieten zum Einsatz kommen, besonders gefährlich [4 ].
Mehrere Studien konnten eine Assoziation zwischen Flucht, schlechten sozioökonomischen Verhältnissen und unzureichender perinataler Versorgung mit schlechterem prä- und postnatalem Outcome zeigen [3 ], [5 ], [6 ].
Bisherige Arbeiten zu schwangeren geflüchteten Frauen zeigen ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen, wie z. B. Gestationsdiabetes, HIV-Infektion, Oligohydramnion, Frühgeburt, Kaiserschnittgeburt und postpartale Anämie [3 ], [5 ], [6 ], [7 ], [8 ], [9 ]. Außerdem haben die Neugeborenen ein schlechteres neonatales Outcome, das durch niedrigere Apgar-Werte und ein geringeres Geburtsgewicht gekennzeichnet wird [5 ], [7 ], [9 ]. Auch Vorsorgeuntersuchungen werden seltener von Geflüchteten in Anspruch genommen [8 ].
Insgesamt liegen nur wenige Daten über den aktuellen Gesundheitszustand und den Versorgungsbedarf von geflüchteten schwangeren Frauen in Deutschland vor. Um die Strukturen für die Bedürfnisse der geflüchteten Frauen vorzubereiten, brauchen wir zunächst Übersichtsarbeiten über den Status quo.
Ziel dieser Arbeit war die Erhebung perinataler Daten von geflüchteten Frauen an der Berliner Charité und die Evaluation von möglichen Unterschieden bezüglich prä-, peri-, und postnataler Ausgänge im Vergleich zu den einheimischen Frauen.
Methoden
Datensammlung
Die Daten stammen aus der Klinik für Geburtsmedizin der Berliner Charité, Campus Virchow Klinikum und Campus Mitte, in der zum Jahr 2019 insgesamt 5526 Geburten regestriert wurden und die somit zu den größten Kliniken Deutschlands gehört [10 ]. Alle Schwangeren, die im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis 30. September 2017 geboren haben und mindestens einmal in der Klinik der Charité im KIS-System als „Flüchtling“ registriert worden sind, wurden in die Auswertung eingeschlossen.
Die Variablen zur Datenerhebung wurden nach Durchsicht vorheriger Literatur und anlehnend der geburtshilflichen Qualitätssicherung des Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) ausgewählt. Das Ziel dieser Qualitätssicherung dient zur Verbesserung der geburtshilflichen Versorgung in Deutschland. Anhand bestimmten Qualitätsindikatoren können deutschlandweit prä-, peri, und postnatale Daten analysiert und verglichen werden.
Gewählte Variablen sind wie folgt festgelegt worden.
Herkunftsregion und Herkunftsland, maternales Alter, BMI vor der Schwangerschaft, Allergien, Anzahl an Schwangerschaften (Gravida) und Geburten (Para), Gestationsrisiken, Gestationsalter, Geburtsmodus, primäre oder sekundäre Sectio, Indikation zur Sectio, Geburtseinleitung, Episiotomie, perinatale und peripartale Komplikationen, intrauteriner Fruchttod, kongenitale Fehlbildungen, Geburtsgewicht, Apgar-Score nach 5 min, neonatale Verlegung in die Kinderklinik.
Die Informationen über die Schwangeren basieren auf Mutterpasseingaben, klinikeigenen Untersuchungsergebnissen und Daten zum geburtshilflichen Outcome, die sowohl in der elektronischen Patientinnenakte als auch in den Geburtsberichten zu finden sind. Fehlende Daten wurden bei der Auswertung der jeweiligen Variable ausgeschlossen.
Die erhobenen Daten wurden mit der Bundesauswertung für Geburtshilfe zum Erfassungsjahr 2016, die vom Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) [11 ] erstellt wurde, verglichen. Der Datensatz der Bundesauswertung erfasst die Perinataldaten von allen in einem Krankenhaus stattgefundenen Geburten in der Bundesrepublik. Dieser umfasste im Jahr 2016 741 Krankenhäuser und 758 783 Geburten.
Statistische Analyse
Die erhobenen Daten wurden in anonymisierter Form in eine SPSS-Datenbank (IBM, PASW, Version 24.0) zusammengetragen. Wir verglichen die beobachteten Ergebnisse aus unserer Kohorte (Observed) mit den erwarteten Werten aus der Bundesstatistik von 2016 (Expected). Der Unterschied zwischen den erwarteten und den beobachteten Ergebnissen wurde mit dem χ2 -Test auf Signifikanzen hin überprüft. P-Werte < 0,05 wurden als signifikant betrachtet. Es wurde außerdem für alle Ergebnisse ein Risikoverhältnis (relatives Risiko, RR) mit 95%-Konfidenzintervallen (95%-KI) berechnet. Fehlende Daten (unter 5%) wurden aus der Auswertung ausgeschlossen.
Ergebnisse
Demografische und klinische maternale Charakteristika
In die Auswertung konnten 907 geflüchtete Frauen mit 928 Neugeborenen (21 Zwillingsschwangerschaften) eingeschlossen werden: 20,8% (189) der Geflüchteten stammten aus Syrien und weitere 8% (73) aus Serbien, gefolgt von einem Anteil von 7,2% (65) aus Vietnam und 6,5% (59) aus Afghanistan.
Die Hauptherkunftsländer der in die Studie eingeschlossenen Frauen sind in [Abb. 1 ] aufgelistet.
Abb. 1 Hauptherkunftsländer der Frauen. Die Abbildung demonstriert die 10 häufigsten Herkunftsländer der geflüchteten Schwangeren. Die Zahlen stellen den Prozentsatz des jeweiligen Landes dar.
Die geflüchteten Frauen wiesen ein signifikant jüngeres maternales Alter auf (66% waren unter 30 Jahre vs. 41% bei der Vergleichskohorte, p < 0,001). Außerdem war die Anzahl der sehr jungen Mütter (< 18 Jahre) bei Geflüchteten 3,6-fach höher als in der Bundesauswertung (19 vs. 5,3).
Die [Abb. 2 ] vergleicht die beiden Gruppen hinsichtlich des maternalen Alters.
Abb. 2 Maternales Alter der geflüchteten Frauen im Vergleich zur Bundesauswertung 2016. Die Abbildung stellt die Unterschiede bezüglich des maternalen Alters unter den geflüchteten Frauen und den Frauen aus der Bundesauswertung dar. Die X-Achse demonstriert das Alter der Frauen und die Y-Achse die Patientenanzahl (n).
Der Anteil an geflüchteten Frauen mit 3 und mehr Schwangerschaften war signifikant höher als der bei der Bundesauswertung (29,4 vs. 13,4%, p < 0,001). Geflüchtete Frauen hatten signifikant häufiger mehr als 2 Aborte in der Anamnese (9,7 vs. 5,9%, p < 0,001), waren anamnestisch häufiger psychisch belastet (11,1 vs. 4,1%, p < 0,001) und hatten einen höheren Anteil an Vielgebärenden (4,4 vs. 0,9%, p < 0,001). Darüber hinaus hatten sie mehr Sectiones in der Vorgeschichte (20 vs. 13,6%, p < 0,001). Die [Tab. 1 ] stellt die Perinataldaten der geflüchteten Frauen im Vergleich zur Bundesauswertung (IQIG) dar.
Tab. 1 Demografische und klinische maternale Charakteristika der geflüchteten Frauen im Vergleich zu den Perinataldaten der Bundesauswertung der Geburtshilfe aus dem Jahr 2016, die durch die IQTIG (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen) erhoben wurden.
maternale Charakteristika
Observed (beobachtet)
Expected (erwartet) (%)
RR
p-Wert*
n
%
95%-KI
* χ2 -Test
maternales Alter
19
2,1
1,3 – 3,3
0,6
3,57
p < 0,001
575
64
60,7 – 67,1
40,6
1,56
182
20,2
17,7 – 23
35
0,57
100
11,1
9,1 – 13,4
19,7
0,56
23
2,6
1,6 – 3,8
4,1
0,61
Parität
293
32,6
29,6 – 35,8
47,8
0,68
p < 0,001
605
67,4
64,2 – 70,4
52,28
1,29
Body-Mass-Index (BMI) vor Schwangerschaft
84
13,6
11 – 16,5
13,3
1,01
p = 0,001
277
44,7
40,7 – 48,7
48,3
0,92
183
29,6
26 – 33,3
23,2
1,27
76
12,3
9,8 – 15,1
15,2
0,80
Allergien
68
7,6
5,9 – 9,5
23
0,32
p < 0,001
Gestationsrisiko
585
64,5
61,3 – 67,6
34,6
1,86
p < 0,001
Aborten-Anamnese
88
9,7
7,9 – 11,8
5,9
1,64
p < 0,001
Nikotinabusus
18
2
1,2 – 3,1
5,5
0,36
p < 0,001
psychische Belastung
101
11,1
9,2 – 13,4
4,1
2,70
p < 0,001
Schwangere < 18 Jahre
18
2
1,2 – 3,1
0,7
2,95
p < 0,001
Schwangere > 35 Jahre
124
13,7
11,5 – 16
17,3
0,78
p = 0,004
Vielgebärende
40
4,4
3,2 – 6
0,9
5,0
p < 0,001
totes/geschädigtes Kind in der Anamnese
34
3,8
2,6 – 5,2
1,5
2,55
p < 0,001
Kaiserschnitt in der Anamnese
181
20
17,4 – 22,7
13,6
1,47
p < 0,001
diagnostizierte Anämie
3
0,3
0 – 1
1,6
0,21
p = 0,003
Harnwegsinfektion
3
0,3
0 – 1
0,4
0,89
p = 0,84
Gestationsdiabetes
59
6,5
5 – 8,3
5,4
1,20
p = 0,14
Geburtshilfliche und perinatale Daten
Signifikant erhöht war die Frühgeburtenrate bei den Geflüchteten im Vergleich zur Bundesauswertung (10,3 vs. 3,0%, p < 0,001). Auch Terminüberschreitungen traten deutlich häufiger bei den Geflüchteten auf (8,5 vs. 0,5%, p < 0,001). Die häufigste Indikation zur Sectio war bei den beiden Gruppen „Zustand nach Sectio“, allerdings war diese Indikation bei den Geflüchteten doppelt so hoch wie bei den Frauen in der Bundesauswertung (61,7 vs. 30,6%, p < 0,001). [Tab. 2 ] vergleicht die perinatalen Ergebnisse der geflüchteten Frauen mit der Bundesauswertung.
Tab. 2 Geburtshilfliche und perinatale Daten der geflüchteten Frauen im Vergleich zur den Perinataldaten der Bundesauswertung der Geburtshilfe aus dem Jahr 2016, die durch die IQTIG (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen) erhoben wurden.
maternale Charakteristika
Observed (beobachtet)
Expected (erwartet) (%)
RR
p-Wert*
n
%
95%-KI
* χ2 -Test
Gestationsalter
12
1,3
0,7 – 2,3
0,6
2,27
p < 0,001
15
1,7
0,9 – 2,8
0,9
1,85
65
7,3
5,6 – 9,2
7,2
1,01
728
81,3
78,5 – 83,8
90,8
0,89
76
8,5
6,7 – 10,5
0,6
15,41
Geburtsmodus
297
32,4
29,4 – 35,5
32
1,01
p = 0,56
549
59,9
56,6 – 63,1
61,1
0,98
71
7,7
6,1 – 9,7
6,9
1,12
Frühgeburt (< 37 SSW)
92
10,3
8,4 – 12,4
3,1
3,36
p < 0,001
Terminüberschreitung
76
8,5
6,7 – 10,5
0,6
15,4
p < 0,001
Episiotomie bei vaginaler Geburt
82
13,5
10,9 – 16,5
20,2
0,66
p < 0,001
vorzeitiger Blasensprung
237
26,1
23,3 – 29,1
24,4
1,07
p = 0,21
perinatale Komplikationen
3
0,3
0,7 – 1
1,5
0,22
p = 0,004
6
0,7
0,2 – 1,4
0,3
2
p = 0,08
1
0,1
0 – 0,6
0,9
0,12
p = 0,02
3
0,3
0,7 – 1
2,5
0,15
p < 0,001
10
1,1
0,5 – 2
1,4
0,79
p = 0,47
2
0,2
0 – 2,7
2,1
0,10
p < 0,001
Komplikationen post partum
11
1,2
0,6 – 2,2
1,5
0,81
p = 0,49
2
0,2
0 – 2,7
0,1
2,2
p = 0,27
1
0,1
0 – 0,6
0,1
1
p = 0,98
2
0,2
0 – 2,7
0,1
3,14
p = 0,08
1
0,1
0 – 0,6
0
2,5
p = 0,39
9
1
0,5 – 1,9
0,2
4,28
p = 0,006
260
28,7
25,7 – 31,7
22
1,30
p < 0,001
Unter den postpartalen Komplikationen war Endometritis puerperalis bei den geflüchteten Frauen 4,3-fach höher (1 vs. 0,2%, p = 0,006) und sie waren häufiger anämisch als die Mütter aus der Bundesauswertung (28,7 vs. 22,0%, p < 0,001).
Neonatales Outcome
Die Neugeborenen der geflüchteten Frauen hatten eine signifikant höhere Rate an niedrigem Geburtsgewicht (11 vs. 7%, p < 0,001). Die Neugeborenen der geflüchteten Frauen wiesen deutlich häufiger kongenitale Fehlbildungen auf als die Neugeborenen in der Bundesauswertung (2,8 vs. 0,4%, p < 0,001). Die Rate der Totgeburten (0,7 vs. 0,2%, p = 0,006) und die Verlegung der Neugeborenen in eine Kinderklinik (13,3 vs. 11%, p = 0,028) waren häufiger bei den Geflüchteten. Ein Vergleich der neonatalen Ausgänge der Geflüchteten und der Gruppe der Bundesauswertung ist in der [Tab. 3 ] dargestellt.
Tab. 3 Neonataler Ausgang bei geflüchteten Frauen im Vergleich zu den Perinataldaten der Bundesauswertung der Geburtshilfe aus dem Jahr 2016, die durch die IQTIG (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen) erhoben wurden.
Charakteristika
Observed (beobachtet)
Expected (erwartet) (%)
RR
p-Wert*
n
%
95%-KI
* χ2 -Test
Geburtsgewicht
101
11
9,1 – 13,2
7
1,57
p = 0,002
Apgar nach 5 Minuten
22
2,4
1,5 – 3,6
1,2
2
p = 0,053
Verlegung in die Neonatologie
119
13,3
11,2 – 15,7
11
1,20
p = 0,028
Fehlbildungen
25
2,8
1,8 – 4
0,4
7,57
p < 0,001
Fruchttod
6
0,7
0,2 – 1,4
0,2
3
p = 0,006
Diskussion
Nach unserer Kenntnis analysiert die hier vorliegende Arbeit erstmals in diesem Umfang peri- und postpartale Daten geflüchteter Frauen in Deutschland. Wir untersuchten sowohl maternale als auch neonatale Charakteristika von geflüchteten Frauen und verglichen diese mit der Bundesauswertung der Geburtshilfe zum Erfassungsjahr 2016. Unsere Ergebnisse zeigen relevante Unterschiede der Perinataldaten bei geflüchteten Frauen gegenüber der Bundesauswertung. Geflüchtete Schwangere waren signifikant jünger, hatten sowohl mehr Schwangerschaften als auch häufiger Aborte in der Anamnese und litten anamnestisch häufiger unter psychischer Belastung. Es zeigten sich außerdem erhöhte Raten an Frühgeburten und Terminüberschreitungen. Postpartal konnte bei geflüchteten Frauen gehäuft eine Endometritis puerperalis und eine Anämie nachgewiesen werden. Das neonatale Outcome wies vermehrt niedrigere Geburtsgewichte, häufiger Totgeburten und vermehrte kongenitale Fehlbildungen auf.
Unsere Daten zeigen zudem ein deutliches jüngeres maternales Alter bei geflüchteten Frauen, darunter mehr minderjährige Schwangere. Eine retrospektive Studie aus der Türkei (Istanbul) verglich 300 syrische Schwangere mit einer gleich großen Kontrollgruppe türkischer Schwangerer und zeigte ebenso ein signifikant jüngeres maternales Alter unter den Geflüchteten [8 ]. Zwei andere retrospektive Studien aus Jordanien [5 ] und Toronto [3 ] lieferten ähnliche Ergebnisse. Eine andere Studie unserer Arbeitsgruppe hat zudem gezeigt, dass nur 53% der geflüchteten Frauen, die sich keine Schwangerschaft wünschten, kontrazeptive Methoden verwendeten. 34% davon verhüteten mit der unsicheren Methode des Coitus interruptus [12 ]. Das könnte ein Erklärungsansatz für das jüngere maternale Alter sowie für die häufigen Schwangerschaften sein.
In der Anamnese gaben geflüchtete Frauen mit 11% häufiger psychische Belastung während der Schwangerschaft an als bei den Frauen in der Bundesauswertung (4%). Wie es aus einem Review über perinatale Gesundheitsergebnisse von geflüchteten Frauen hervorgeht, stellen fehlende familiäre und soziale Unterstützung und belastende Lebensereignisse die häufigsten Gründe für perinatale psychische Gesundheitsstörungen dar [13 ], [14 ]. Diese belastenden Faktoren können wiederum mit der erhöhten Abortrate unter den Geflüchteten in Zusammenhang stehen. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2017 zeigt, dass psychischer Stress vor und während der Schwangerschaft das Risiko für eine Fehlgeburt um etwa 42% erhöhen kann [15 ].
Außerdem weist unsere Arbeit eine deutlich erhöhte Rate an Frühgeburten unter den geflüchteten Frauen auf. Ein systematisches Review aus dem Jahr 2009 hat die Perinataldaten unter Immigrantinnen und nativen Einwohnerinnen westlicher Industrieländer verglichen und zeigte, dass Migrantinnen aus Asien und Subsahara-Afrika ein höheres Risiko für Frühgeburten haben [16 ]. Die Tatsache, dass 20,8% der geflüchteten Frauen in unserer Kohorte aus einem aktuellen Kriegsgebiet kommen (Syrien), bestätigt die Studienergebnisse von einer retrospektiven Analyse aus dem Jahr 2008, die eine erhöhte Rate von Frühgeburten während des Krieges in Bosnien und Herzegowina feststellt haben [17 ]. Weitere Faktoren, die vermutlich eine Rolle bei der Frühgeburtlichkeit spielen, sind Stress, Fehlernährung und mangelnde Integration in das Gesundheitssystem [18 ]. Eine im Jahr 2014 publizierte Kohortenstudie aus
Schweden unterstützt die Hypothese, dass kriegs- und migrationsbedingter Stress kurzfristig ein Risiko für Frühgeburten darstellt. Die Ergebnisse zeigten eine höhere Frühgeburtenrate in dem 1. Jahr nach Migration gegenüber den nachfolgenden Jahren [18 ].
Bezüglich der Terminüberschreitungen widersprechen unsere Ergebnisse der oben genannten Fallkontrollstudie aus Istanbul, denn diese Überschreitungen sind in unserer Auswertung deutlich häufiger bei den geflüchteten Schwangeren aufgetreten als bei den einheimischen Schwangeren [8 ]. Eine Studie aus Washington, in der die Perinataldaten von somalischen Migrantinnen mit denen von in den USA geborenen Frauen verglichen wurden, zeigte eine ähnliche Tendenz mit 9-mal häufigerer Terminüberschreitung bei den Migrantinnen [9 ]. Ein Grund könnte die Ungenauigkeit bei der Festlegung des Entbindungstermins durch die spät erfolgte Ultraschallroutineuntersuchung sein [9 ].
Die postpartalen Daten mit einer deutlich erhöhten Rate an Endometritis puerperalis und postpartale Anämie stellen wichtige Informationen dar. Die Ergebnisse könnten auf die schlechten sozioökonomischen Verhältnisse, mangelnde hygienische Umgebung und die unzureichende perinatale Versorgung in den Unterkünften zurückgeführt werden. Eine Hebammenbegleitung im Wochenbett ist ein wichtiger Teil des postpartalen Versorgungsstruktur und sollte auch den geflüchteten Frauen zustehen. Zusammenhänge zwischen bakterieller Vaginosis in der Schwangerschaft, die bei geflüchteten Frauen häufiger vorkommt, und postpartaler Endometritis sind nachgewiesen, was wiederum auch mit mangelnder Hygiene in den Unterkünften in Verbindung gebracht werden könnte [19 ], [20 ], [21 ].
Das niedrigere Geburtsgewicht (Low Birth Weight) war, wie bereits zuvor in vielen Studien gezeigt, unter den Neugeborenen der geflüchteten Frauen bzw. Migrantinnen signifikant höher [3 ], [5 ], [22 ], [23 ]. Das niedrigere Geburtsgewicht ist ein wichtiger Indikator für die Säuglingsmortalität und -morbidität [24 ]. Es sind verschiedene Risikofaktoren bekannt, die einen Einfluss auf das Geburtsgewicht der Neugeborenen haben können. So stellen ein junges maternales Alter (15 – 19 Jahre) [24 ], [25 ], psychosozialer Stress [24 ], [26 ], niedriges sozioökonomische Status [24 ], [27 ], mütterliche Malnutrition, fehlende oder mangelnde pränatale
Versorgung und rasche Schwangerschaftsfolge [24 ] einige der bei den geflüchteten Müttern vorhandenen Risikofaktoren dar.
Unsere Auswertung zeigt eine 3-fach höhere Rate an Totgeburten unter den Geflüchteten im Vergleich zu den Geburten in der Bundesauswertung. Hier ist zu erwähnen, dass diese Rate mit einer besser differenzierten Kontrollgruppe genauer untersucht werden könnte, denn die Bundesauswertung enthält alle Geburten inklusive der von Migrantinnen, bei denen in der Literatur auch eine erhöhte Totgeburtenrate gezeigt werden konnte [28 ], [29 ]. Unsere Arbeit deutet allerdings darauf hin, dass diese Rate unter den Geflüchteten gegenüber allen anderen Gesellschaftsgruppen höher ist. Somit unterstützen unsere Ergebnisse die Schlussfolgerung des systematischen Reviews von Gissler et al. aus dem Jahr 2010, dass Flüchtlinge die vulnerabelste Gruppe bezüglich Totgeburten darstellen [29 ]. Die Ursachen hierfür sind vielfältig; darunter niedriges Geburtsgewicht der Neugeborenen sowie die erhöhte
kongenitale Malformationsrate in Kombination mit verzögertem bzw. fehlendem pränatalem Screening gepaart mit unterschiedlichen religiösen und kulturellen Einstellungen zu einem eventuell indizierten Schwangerschaftsabbruch [29 ].
Die erhöhte Rate an kongenitalen Malformationen in unserer Kohorte konnte auch in anderen Studien widergespiegelt werden [22 ], [23 ], [30 ]. Nybo Andersen et al. haben 3 mögliche Ursachen dafür diskutiert:
die sozioökonomische Benachteiligung der meisten Migrantinnen,
die Konsanguinität bei vielen Migrantinnengruppen und
die mangelnde Inanspruchnahme und Qualität der Betreuung während der Schwangerschaft [31 ].
Auch die Sprachbarriere führt möglicherweise zu geringerer Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen. Gelegentlich werden Fehlbildungen frühzeitig diagnostiziert, die aber keinen Schwangerschaftsabbruch zur Folge haben aufgrund kultureller und religiöser Einstellungen.
Verschiedene Maßnahmen wie das Einsetzen von Dolmetschern und das Vermitteln dieser Ergebnisse an die Fachkräfte des Gesundheitssystems sowie an die zuständigen Behörden bzw. sozialengagierten Einrichtungen könnten den negativen Einfluss von Flucht auf die maternalen und kindlichen Outcomes verringern. J. Spallek et al aus Berlin verglich die Perinataldaten von türkischstämmigen und deutschen Frauen in 2 Zeiträumen (1993 – 1997 und 2003 – 2007). Die Unterschiede zwischen beiden Gruppen bezüglich der Perinataldaten haben sich verringert. Nach 10 Jahren konnten keine Unterschiede mehr in der Rate der Totgeburten, der Rate an Frühgeburten und den fetalen Malformationen gezeigt werden [32 ].
Unsere Arbeit weist aufgrund unserer gewählten Methodik einige Limitationen auf. So handelt es sich um eine retrospektive Auswertung, die von Natur aus zu Bias führen könnte. Nichtsdestotrotz gelang es uns, eine umfassende Analyse zahlreicher Parameter des mütterlichen und kindlichen Ausgangs unter geflüchteten Frauen durchzuführen und wichtige Ergebnisse zu liefern. Eine weitere Limitation unserer Arbeit ist die fehlende eigene Kontrollgruppe. Der Vergleich erfolgte mit der Bundesauswertung aus dem Jahr 2016 mit einer heterogenen Gruppe. Die Stärke dieser Darstellung ist wiederum die hohe Fallzahl an geflüchteten Frauen im Vergleich zu den aktuellen Studien aus anderen Ländern [3 ], [5 ], [6 ], [8 ]. Darüber hinaus ist diese Arbeit eine der ersten in Deutschland, die sich mit perinataler Gesundheit von geflüchteten Frauen befasst hat. Diese Ergebnisse
liefern erste Informationen über die geburtshilfliche Versorgung von geflüchteten Frauen und können als Grundlage weiterer Studien dienen.
Schlussfolgerung
Sowohl geflüchtete Frauen als auch ihre Neugeborenen wiesen signifikante Unterschiede auf. Trotz des durchschnittlich jüngeren Alters der geflüchteten Gebärenden waren die Raten der Früh- und Totgeburten und die angeborenen Fehlbildungen signifikant häufiger. Eine intensivere Schwangerenvorsorge mit differenzierter Organdiagnostik des Feten inklusiver psychosomatischer Betreuung könnte zur Früherkennung und frühzeitiger Diagnosestellung dienen. Hinsichtlich der postpartalen Anämie und der Endometritis puerperalis, die häufiger bei geflüchteten Frauen auftreten, könnte der Hebammeneinsatz sowie Verbesserung der Wohnsituationen in Heimen und Unterkünften von großer Bedeutung sein. Diese Erkenntnisse sollten in der klinischen Praxis und im Gesundheitswesen berücksichtigt werden. Die Aufklärung der geflüchteten Frauen über die verschiedenen Risikofaktoren mit entsprechender Sprachkompetenz als auch die Vermittlung dieser Ergebnisse an die medizinischen Fachkräfte und die
Einbettung weiterer Ansätze der interkulturellen Kompetenz kann potenziell die Versorgung von geflüchteten Frauen in Deutschland nachhaltig verbessern.