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DOI: 10.1055/a-1441-1159
Tocilizumab könnte Sterblichkeit bei schwerer COVID-19 senken
Die Letalität von COVID-19 liegt zwischen 35 und 62 %, sodass die Suche nach wirksamen Therapien ungebrochen ist. Zusätzlich zu direkt antiviral wirkenden Medikamenten wie Remdesivir werden dabei auch Substanzen verwendet, die am Immunsystem der Patienten ansetzen. Sie sollen u. a. die oft fatale übermäßige Freisetzung proinflammatorischer Zytokine („Zytokinsturm“) verhindern.
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Eines der in diesem Rahmen eingesetzten Medikamente ist Tocilizumab, ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen den Interleukin-6-Rezeptor. Die US-amerikanische Arbeitsgruppe um Shruti Gupta hat fast 4000 Patienten (Durchschnittsalter 62 Jahre, knapp zwei Drittel Männer) mit im Labor gesicherter COVID-19 in eine retrospektive Studie eingeschlossen. Alle Erkrankten waren zwischen März und Mai 2020 auf einer Intensivstation (ITS) behandelt worden.
Die Wissenschaftler verglichen nun die Ergebnisse von Patienten mit Tocilizumabgabe innerhalb von 2 Tagen nach Aufnahme auf die ITS mit der von Kranken ohne diese Behandlung. Als primären Endpunkt beurteilten sie die Sterberaten im Krankenhaus, sekundäre Endpunkte umfassten Komplikationen wie weitere, neu aufgetretene Infektionen innerhalb der ersten 14 Tage, Leber- sowie Herz-Kreislauf-Komplikationen. Neben der Gesamtpopulation werteten die Forscher außerdem eine Reihe von Subgruppen aus, eingeteilt nach Alter (< 60 vs. ≥ 60 Jahre), Zeitraum zwischen Symptombeginn und Aufnahme auf die ITS (≤ 3 vs. > 3 Tage), Grad der Hypoxämie bei Aufnahme (Oxygenierungsindex < 200 mmHg vs. ≥ 200 mmHg vs. keine maschinelle Beatmung), Anzahl der Vasopressoren bei Aufnahme (≥ 1 vs. 0) und Glukokortikoidgabe (ja/nein).
Bei der Auswertung zeigte sich zunächst, dass nur eine geringe Minderheit der Patienten überhaupt Tocilizumab erhalten hatte (n = 433, 11 %) – die Gabe lag im Ermessen der behandelnden Ärzte. Insgesamt waren die mit dem Antikörper behandelten Patienten jünger (58 vs. 63 Jahre) und wiesen weniger Vorerkrankungen auf. Dagegen bestanden bei ihnen häufiger eine schwere Hypoxämie (Oxygenierungsindex < 200 mmHg: 47,3 % vs. 37,9 %) und erhöhte Konzentrationen der Entzündungsmarker (85,7 % vs. 65,6 %). Und schließlich wurden sie öfter mit Kortikosteroiden behandelt (18,7 % vs. 12,6 %).
Nach einem Inverse Probability Weighting, in das insgesamt 28 Faktoren eingingen (u. a. Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index, Begleiterkrankungen und Begleitmedikation) ergab die Auswertung
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eine Gesamtsterblichkeit von 39,3 % (n = 1544), mit
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einer geschätzten 30-Tage-Sterblichkeit von 37,1 % bei Patienten ohne Tocilizumab gegenüber
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27,5 % bei Patienten unter Tocilizumab (Hazard Ratio [HR] 0,71).
Diese Assoziation war für fast alle o. g. Subgruppen ähnlich. Allerdings schienen Patienten mit kürzerer Beschwerdedauer vor ITS-Aufnahme stärker zu profitieren als solche, die später verlegt wurden (HR 0,41 vs. 0,85).
Unerwünschte Ereignisse umfassten vor allem sekundäre Infektionen (unter Tocilizumab 32,3 % vs. 31,1 %), einen Transaminasenanstieg (unter Tocilizumab 16,6 % mit AST- oder ALT-Konzentrationen > 250 IU/l vs. 12,9 %), Arrhythmien (14,5 % vs. 17,2 %) und Thrombosen (10,6 % vs. 9,8 %).
Bei Schwerkranken mit COVID-19 könnte die zügige Gabe von Tocilizumab die Sterblichkeit senken, fassen die Autoren zusammen. Allerdings war für ihre Auswertung eine Reihe von Faktoren nicht verfügbar, etwa die Dosis und das Schema der Tocilizumabgabe, die Dauer von Begleittherapien etwa mit Kortikosteroiden und die Interleukin-6-Konzentrationen im Serum. Zukünftige und dann möglichst randomisierte Studien sollten das Medikament weiter untersuchen und dabei auch diese Variablen berücksichtigen.
Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim
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Publication History
Article published online:
03 May 2021
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