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DOI: 10.1055/a-1463-8567
ackpa-Jahrestagung und Mitgliederversammlung am 12.03.2021
Aus Pandemie-Gründen fand die diesjährige ackpa-Jahrestagung und Mitgliederversammlung als Zoom-Meeting statt, dankenswerterweise ge“host“et von Michael Berner, Karlsruhe. Christian Kieser, Potsdam, Sprecher von ackpa, eröffnete die Tagung und berichtete kurz über den enttäuschenden Richtlinienentwurf zur strukturierten, koordinierten Versorgung insbesondere für schwer psychisch kranke Versicherte mit einem komplexen Behandlungsbedarf (G-BA-Richtlinie § 92 Abs. 6). Es folgte der Vortrag „Regionale Verantwortung – soziale Gerechtigkeit, Sozialromantik oder wertebasierte Versorgungsgrundsätze“ von Arno Deister, Itzehoe: In gewohnt differenziertem Duktus skizzierte A.
Deister zahlreiche aktuelle versorgungspolitische Themenfelder. Er spannte einen weiten Bogen vom Genfer Gelöbnis des Weltärztebunds über die Enquete hin zur Positionierung des Deutschen Ethikrats. Er griff hierbei insbesondere den Aspekt der Gerechtigkeit auf und plädierte für eine wertebasierte Psychiatrie: Zeit für Beziehung, Multiprofessionalität, Sicherstellung von gesellschaftlicher Teilhabe, Vermeidung von Zwang, störungsadäquate Psychotherapie und settingübergreifende Qualität. Er mahnte ein Streben nach (noch) mehr Attraktivität einer Berufstätigkeit in unserer Fachdisziplin an. Weiterhin forderte A. Deister einen Paradigmenwechsel weg von ökonomischen Fehlanreizen hin zu einer „Populationsorientierung“ anstelle einer Anbieterorientierung. Das Prinzip der regionalen Verantwortung verstand er als Verantwortung für Menschen, finanzielle Ressourcen und die Versorgungsqualität gleichermaßen – inklusive intelligenter intra- und intersektoraler Steuerung.
Im zweiten Vortrag berichtete Martin Lambert, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, über das Projekt der gestuften strukturierten und koordinierten Versorgung „RECOVER“. Er erläuterte, dass der Hauptanteil der Gesamtausgaben für psychische Erkrankungen in Deutschland (derzeit insgesamt 4,8 % des BIP) den weniger schwer Erkrankten zuteil werde, bspw. erhielten Menschen mit sogenannten SMI bis dato nur selten eine Antragspsychotherapie. Diese Patientengruppe macht hingegen einen hohen Anteil in der stationären psychiatrischen Versorgung aus. An „RECOVER“ sind 19 Krankenkassen beteiligt. Es handelt sich um ein sektorenübergreifendes Netzwerk aus Hausärzten, Fachärzten, Psychotherapeuten und Pflegekräften. Eine Leitstelle koordiniert die Angebote und vermittelt die Patienten gestuft in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung in unterschiedliche Therapieintensitäten. Die therapeutischen Angebote reichen von rein digitalen Unterstützungsformen bei leichteren Ausprägungen über Kurzzeit-/Gruppenpsychotherapie und Case-Management inklusive mittelfristiger Psychotherapie bis hin zum evidenzbasierten Assertive Community Treatment (ACT) für Menschen, die unter schweren psychischen Erkrankungen leiden.
Es folgte der Vortrag von Bettina Wilms, Querfurt, zum Prozess des oben erwähnten G-BA-Richtlinienentwurfs: B. Wilms benannte insbesondere eine Erleichterung der Übergänge stationär/ambulant und einen verbundartigen vertraglichen Zusammenschluss der Leistungserbringer (Ärzte und Psychotherapeuten, Ergo- und Soziotherapeuten, Pflege) als notwendige Kriterien. Noch nicht konsentiert sind die Eintrittskriterien, Kompetenzen der steuernden Akteure, Kontakthäufigkeit und inwieweit aufsuchende Angebote Bestandteile der Richtlinie sein werden. Nicht Teil dieser Richtlinie sind die Übergänge in andere Rechtskreise der Sozialgesetzgebung. Die Diskussion machte deutlich, dass eine Beteiligung der Kliniken weiterhin zu fordern ist, um die Zielgruppe in einem regionalen Kontext angemessen versorgen zu können. ackpa hat eine Stellungnahme eingereicht, in der diese Position deutlich gemacht wird.
Den letzten Vortrag des ersten Teils der ackpa-Jahrestagung gestaltete ein weiterer prominenter Referent, Nils Greve, u. a. Vorstandsvorsitzender des Dachverbands Gemeindepsychiatrie. N. Greve ging pointiert auf einige Kernelemente eines effizienten Gemeindepsychiatrischen Verbundes ein: niederschwellig, regional, aus einer Hand, aufsuchend, Einbeziehung des sozialen Netzwerks, bedarfs- und bedürfnisgerecht, Förderung von Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Teilhabe, nicht „kettenförmig“ im Sinne eines gestuften Vorgehens, da es dadurch unweigerlich zu ungünstigen Beziehungsabbrüchen kommt. Als Probleme benannte N. Greve ähnlich wie zuvor B. Wilms mangelnde verbindliche Steuerung, unzureichende Koordination, fehlende Verbindlichkeit sowie unüberwindbare Sektorengrenzen. Positiv hob N. Greve die Verankerung der Gemeindepsychiatrischen Verbünde im baden-württembergischen PsychKHG hervor. Zudem ging er auf einige lokale erfolgreiche Projekte wie die Modellprojekte nach § 64b SGB V und einige Projekte der integrierten Versorgung nach § 140 SGB V ein. Beispielhaft stellte N. Greve das Projekt unter seiner Federführung vor: „GBV – Gemeindepsychiatrische Basisversorgung schwerer psychischer Erkrankungen“ – bis dato einziges § 64b SGB V-Projekt außerhalb des Krankenhausbereichs in Deutschland, das auch durch den Innovationsfonds gefördert wird. Es handelt sich um ein regionales Netzwerk, das 500 Patienten aufnimmt und mit 500 Patienten der Regelversorgung im Sinne einer RCT (Reinhold Kilian et al., BKH Günzburg/Uni Ulm) vergleicht. Ziel ist, dass dieses wie auch vergleichbare Projekte bei positiver Evaluation Eingang in die Regelversorgung finden sollten.
Der zweite Teil der Online-Tagung war der Mitgliederversammlung gewidmet.
Zu Beginn der MV richtete Sylvia Claus, Klingenmünster, in ihrer Funktion als Vorsitzende der BDK ein Grußwort an ackpa. S. Claus hob die gute Zusammenarbeit zwischen den beiden Krankenhausverbänden hervor, unter anderem in Form von gemeinsamen Stellungnahmen und Tagungen, Symposien bei den DGPPN-Kongressen und gemeinsamen Vorstandssitzungen. Mittlerweile existiere mehr Verbindendes als Trennendes, so ihr erfreuliches Fazit. A. Deister informierte ausführlich über den aktuellen Diskussionsstand der Richtlinie Personalausstattung Psychiatrie und Psychotherapie (PPP-RL). Es wurde u. a. darauf hingewiesen, dass in dem komplizierten Prozess vielerlei Fallstricke lauern würden, wie etwa die bei Personalmangel eintretende Fallzahlreduktion, die eine Gefahr für die regionale Versorgungsverpflichtung darstellen würde. Nachweise über die IST-Personalbesetzung müssten kleinteilig und akribisch mit hohem Dokumentationsaufwand dargestellt werden, die Leistungsvergütung an Wochenenden und Feiertagen stünde zur Disposition. Kontroversen zwischen Vertretern mit unterschiedlichen auch berufspolitischen Interessen seien vorprogrammiert.
Das Plattformmodell ist ein Vorschlag für ein neues Instrument der Personalbemessung, an dem auch ackpa entscheidend mitgewirkt hat. Es wird durch ein Innovationsfondsprojekt unter Federführung von Thomas Becker und Markus Kösters von der Universität Ulm am BKH Günzburg wissenschaftlich evaluiert. Die diversen Redebeiträge hierzu spiegelten die Bedeutung des Themas für die Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern wider. Einigkeit bestand darüber, dass die Vertreter von ackpa in den entsprechenden Gremien die Leitlinienorientierung bei der Personalbemessung auch weiterhin als nicht verhandelbar einfordern werden.
Als neue Mitglieder bei ackpa haben sich Andreas Fellgiebel, Darmstadt, Dirk Schmoll, Görlitz und Nikolaus Michael, Düsseldorf, vorgestellt, sie wurden von Christian Kieser herzlich willkommen geheißen. Im Bericht des Geschäftsführenden Ausschusses (GA) berichtete der Sprecher über die aus ackpa-Sicht erfolgreichen Wahlen zum DGPPN-Vorstand. Er skizzierte die vielfältige Arbeit der Mitglieder des GA in den diversen Gremien (u. a. AG Plattformmodell, Bettina Wilms, BMG-Dialog, Andreas Bechdolf und AK PIA, Karel Frasch). Er wies u. a. auf eine Reihe von Stellungnahmen sowie auf die Mitwirkung von ackpa in mehreren Konsensusprozessen von Leitlinien hin.
Des Weiteren wurde über die Erlössituation der Krankenhäuser in der Coronakrise diskutiert. Es bestand Einigkeit, dass sich in Abhängigkeit der weiteren Entwicklung ackpa in die komplexe gesundheitspolitische Debatte einmischen wird. Abschließend informierte Andreas Bechdolf noch über die aktuelle Debatte zu komplexen, ambulanten Hilfen im Rahmen des BMG-Dialogs. ackpa wird zu diesem wichtigen Thema eine Stellungnahme vorbereiten und sich in den Dialogprozess einbringen.
Die ackpa-Mitglieder wurden über geplante Veranstaltungen informiert: Für den DGPPN-Kongress ist ein ackpa-Symposium mit C. Kieser, B. Wilms und A. Deister in Planung, zudem wird ein ackpa-BDK-Symposium vorbereitet. Die diesjährige Herbsttagung ist für den 20. September 2021 vorgesehen und als Präsenzveranstaltung geplant. Weiterhin wurde auf die StäB-Tagung Nord-Ost, die zeitgleich mit Süd-West am 4. Mai 2021 durchgeführt wird, und auf den Workshop des Netzwerks „Steuerungs- und Anreizsysteme für eine moderne psychiatrische Versorgung“ am 12. Mai 2021 hingewiesen. Die nächste ackpa-Jahrestagung wird vom 10. bis 12. März 2022 in Karlsruhe stattfinden.
Insgesamt erfreute sich die ackpa-Jahrestagung 2021 einer unerwartet hohen Teilnehmerzahl, am Vormittag nahmen 61, nachmittags 52 Kolleginnen und Kollegen teil.
Eine denkwürdige, weil erstmals virtuelle, gelungene und diskussionsfreudige Veranstaltung ging mit dem Dank von C. Kieser als Sprecher von ackpa für die engagierte Teilnahme zu Ende.
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Article published online:
06 May 2021
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