Schlüsselwörter
Schlafstörungen - zirkadianer Rhythmus - Polysomnografie - langsamwelliger Schlaf - Melatonin - kognitive Verhaltenstherapie - Echtlicht - Hypnotika
Key words
Sleep disorders - circadian rhythm - polysomnography - slow wave sleep - melatonin - cognitive behavioral therapy - bright light - hypnotics
Einleitung
Ca. 25 %-50 % aller Patienten mit Alzheimer-Demenz oder anderen Demenzformen leiden unter Schlafstörungen. Die Schlafforschung konnte zeigen, dass Schlafstörungen das Risiko eine Demenz zu entwickeln erhöhen, den Verlauf einer Demenz verschlimmern können, einige ähnliche Symptome haben und ein früher Demenzmarker sein können. Es ist daher wichtig, bei Schlafstörungen frühzeitig nach Anzeichen von Demenzen zu fragen und andererseits bei Demenzen und milden kognitiven Störungen nach Schlafstörungen zu fragen. Die frühe Diagnose von Schlafstörungen bei Risikopatienten kann zu einer frühen Prävention und kausalen Therapie beitragen und den Krankheitsverlauf entscheidend beeinflussen. Der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt in der Diagnostik und Therapie von Insomnien bei Demenzen.
Insomnien werden gemäß der Internationalen Klassifikation der Schlafstörungen (American Academy of Sleep Medicine ICSD3 2014) [1] in akute (< 3 Monate Dauer) und chronische (> 3Monate Dauer) Formen eingeteilt. Bei älteren Menschen ändert sich das Schlafbedürfnis im Vergleich zu jüngeren Menschen nur wenig, allerdings ist die Fähigkeit, ausreichende Mengen einzelner Schlafstadien zu bekommen, gegenüber Jüngeren vermindert und die zirkadiane Verteilung ist verändert [26]. Die häufigsten komorbiden Schlafstörungen sind die Schlafapnoen, Restless-legs-Syndrom und REM-Schlafverhaltensstörung. Schlafstörungen können die Entstehung von Demenzen begünstigen und Demenzen ihrerseits Schlafstörungen verursachen. Insomnien erhöhen das Risiko einer kognitiven Verschlechterung um 27 % [35]. Über 50–65 Jahre alte Patienten mit einer lang bestehenden Insomnie haben ein höheres Demenzrisiko als über 65-Jährige ohne Insomnie. Gebrauch von hochdosierten Hypnotika mit einer langen Halbwertzeit erhöhen ebenfalls das Demenzrisiko [7]. 29 % von über 55-jährigen mit Mild Cognitive Impairment (MCI) haben in prospektiven Studien eine Alzheimer-Demenz (AD) entwickelt. Das Risiko hierfür vermindert sich durch komorbide affektive Störungen [28]. Insomnische Symptome sind bei Alzheimer-Demenz-Patienten mit Störungen der frontalen exekutiv- und visuospatiale Funktionen assoziiert [31].
Pathophysiologie der Insomnie bei Demenzen
Pathophysiologie der Insomnie bei Demenzen
Schlafstörungen können neurodegenerative Prozesse durch vermehrte Produktion oder Ablagerung und verminderte glymphatische Clearance von ß-Amyloid, Tau-Protein und alpha-Synuclein fördern. Störungen des zirkadianen Rhythmus (intrinsisch und verhaltensbedingt), Schlaffragmentierung, entzündliche ZNS-Prozesse und oxidativer Stress können zu synaptischen Störungen und Neurodegeneration beitragen. Die neuronalen Schädigungen können unabhängig vom Schädigungstyp unterschiedliche Schlafstörungen hervorrufen, weshalb mehrere Formen von Schlafstörungen bei einer Person auftreten können und im Verlauf des neurodegenerativen Prozesses entstehen können. Das Risiko eine Demenz zu entwickeln ist abhängig von genetischen Faktoren (apo-E4) und vom individuellen Lebensstil [17]. Insomnien tragen durch die Schlaffragmentierung in besonderer Weise zur Entstehung der Alzheimer-Demenz bei. Das glymphatische System scheidet im Schlaf „Abfallprodukte“ wie z. B. fehlgefaltete Proteine, die sich im Wachen im Gehirn ansammeln, aus. Durch Insomnien verringert sich die Dauer der Aß-Ausscheidung über das glymphatische System und führt zu einer Akkumulation im Gehirn. Die Aggregation von Beta-Amyloid (Aß) kann schon 20 Jahre vor Manifestation einer Demenz auftreten und eine Verminderung von REM- und Tiefschlaf sind schon vorhanden [18]. Schlafbezogene Atmungsstörungen zeigen ein erhöhtes t-tau/Aβ42-Verhältnis und können durch apnoebedingte Schlaffragmentierung und repetitive apnoeassoziierte Hypoxämien in der Nacht zusätzlich hirnschädigend wirken. Diese Veränderungen verstärken altersbedingte degenerative Veränderungen von Neurotransmittern und zirkadianen Rhythmen. Im Alter werden der zirkadiane Rhythmus in der Amplitude und die nächtliche Melatoninkonzentration [32] gedämpft. Durch Veränderung externer Faktoren (Zeitgeber) wie z. B. mangelnde Blaulichtexposition, Verlust von melanopsinhaltigen retinalen Ganglionzellen durch Amyloidablagerungen in der Retina und verminderter körperlicher Aktivität werden die zirkadianen Rhythmen weiter vermindert.
Schlafstörungen bei unterschiedlichen Demenzformen
Schlafstörungen bei unterschiedlichen Demenzformen
Alzheimer-Demenz (AD): Die Häufigkeit von Schlafstörungen liegt zwischen 30 %-60 %. Der Schlaf ist fragmentiert, die Schlafeffizienz in der Nacht verkürzt, das Schlafstadium N2 zeigt vermindertes Auftreten von Schlafspindeln und K-Komplexen, die für die Kognition von Bedeutung sind, der Tiefschlafanteil in der Nacht ist vermindert.
Vaskuläre Demenz: 80 % aller Patienten leiden unter Schlafstörungen, bei 70 % bestehen eine Schlafapnoe, Insomnie bei 67 %, REM-Schlafverhaltensstörung bei 25 % und RLS bei 5 % [11].
Frontotemporale Demenz (FTD): Ca. 70 % aller Patienten mit früher FTD haben Schlafstörungen. Die Patienten haben oft einen vorverschobenen zirkadianen Rhythmus, Schlafapnoe tritt bei etwa 68 %, exzessive Tagesschläfrigkeit bei 64 %, Insomnie bei 48 % und Restless-legs-Syndrom bei 8 % auf [11].
Demenz vom Lewy-Körper-Typ (LBD): Die Prävalenz von Schlafstörungen liegt bei fast 90 % aller Patienten mit LBD. Schlafbezogene Atmungsstörungen sind mit 76 % am häufigsten, gefolgt von exzessiver Tagesschläfigkeit (71 %), Insomnie (67 %), REM-Schlafverhaltensstörung (48 %). Die REM-Schlafstörung und die Tagesschläfrigkeit sind gemäß den „Revised criteria for the clinical diagnosis of probable and possible LBD” [23] klinische Kernsymptome.
Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung: Zahlen zur Prävalenz von den häufig auftretenden Schlafstörungen sind nicht vorhanden. Der Verlauf kann von der Behandlung der komorbiden Schlafstörungen profitieren [13].
Diagnostik
Die Erhebung der Anamnese ist abhängig von den kognitiven Möglichkeiten der Betroffenen bzw. ihrer Fähigkeit, ausreichend Auskunft über ihre Krankengeschichte zu erteilen. Im Falle einer eingeschränkten Verständigung muss eine Anamnese durch die Familienangehörigen oder Betreuer erfolgen. Diese sollte die Schlafgewohnheiten und -probleme, Verhaltensprobleme, die medizinische Anamnese, die derzeitige Medikation und ggfs. Substanzen einschließen. Die tageszeitliche Gabe der Medikation ist detailliert zu erheben, um z. B. die abendliche Gabe eines Diuretikums, das zu Nykturie führen kann, zu ändern. Lebens- und Wohnsituation, Art und Häufigkeit körperlicher Aktivitäten, Lichtexposition am Tag und in der Nacht, Tagesstruktur und weitere kontribuierende Faktoren wie das Vorhandensein von Depressionen und Angststörungen müssen berücksichtigt werden.
Schlaftagebücher – geführt von den Patienten oder Versorgern – können helfen die Ursachen der Schlafprobleme zu erfassen. Schlafstörungen bei dementen Patienten können mittels Fragebögen [5] erfasst werden, Insomnien durch den Pittsburgh Sleep Quality Index [6], deren Schweregrad durch die Insomnia Severity Scale, Tagesschläfrigkeit durch die Epworth Sleepiness Scale (ESS) [12]. Spezifische, validierte Insomniefragebögen für demente Patienten gibt es nicht. Mittels Aktigrafie können Schlaf-Wach-Zeiten, nächtliches Erwachen, Tagschlafepisoden und motorische Aktivität, ggfs. auch bei integriertem Photometer die tägliche Lichtmenge gespeichert werden [2]. Das Steering Committee of the American Academy of Sleep Medicine hat Schlaftagebücher zur Diagnostik von irregulären Schlaf-Wach-Mustern bei Demenzen und Restless legs empfohlen [25]. Eine Untersuchung im Schlaflabor ist nur bei komplexer Fragestellung erforderlich (z. B. Abgrenzung einer REM-Schlafverhaltensstörung von einer nächtlichen Epilepsie), wenn die aus den Ergebnissen resultierenden Konsequenzen umsetzbar erscheinen.
Therapien
Zur Übersicht von Therapien sei auf Übersichten verwiesen [19]. Eine optimale Schlafhygiene sollte immer umgesetzt werden, auch wenn hierzu kaum evidenzbasierte Daten vorliegen [21]. Bei milden Formen der Demenz kann eine kognitive Verhaltenstherapie der Insomnie erprobt werden. Eine Kombination von Laufen und Echtlichtexposition (2500 Lux) von > 4 Tagen/Woche über 6 Monate verbesserte bei Patienten mit AD ihre aktigrafisch gemessene Schlafdauer [22]. Melatonin (bis 10 mg unretardiert und 2,5 mg retardiert) hatte keinen Effekt auf Schlafstörungen bei Alzheimer-Demenz [20]. Die Leitlinie der Amerikanischen Akademie für Schlafstörungen [1], [3] empfiehlt die Behandlung von Melatonin bei Demenzen unter Berücksichtigung des positiven Effekts auf die Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen. Bei komorbider REM-Schlafverhaltensstörung ist 2,5 mg Melatonin in retardierter Form immer zum gleichen Zeitpunkt gegeben indiziert [15].
Trazodon 50 mg zeigte eine Verlängerung der Schlafdauer und Schlafeffizienz, aber keinerlei Effekt auf die nächtliche Wachzeit und die Häufigkeit des Erwachens. Eine placebokontrollierte Studie mit 15 mg Mirtazapin über 2 Wochen um 21 Uhr verabreicht, zeigte bei aktigrafischer Schlafüberprüfung keinen schlaffördernden Effekt, allerdings war die Studie mit 8 behandelten Patienten und 18 Kontrollen sehr klein [33]. Orexinagonisten können in der Zukunft eine Rolle bei der Behandlung der Insomnien spielen, sie sind jedoch noch nicht bei Demenzpatienten eingesetzt worden [30]. Bei komorbider behandlungsbedürftiger Schlafapnoe kann eine CPAP-Therapie erprobt werden, deren Erfolg von der Toleranz und Adhärenz abhängig ist [8].
Demenzpatienten werden häufig mit Neuroleptika behandelt. Eine Demenz-Leitlinie empfiehlt, bei Erwachsenen mit primärer Insomnie und bei sekundären Insomnien mit behandelten Komorbiditäten Neuroleptika abzusetzen [4], allerdings zeigt eine Cochrane-Metaanalyse wenig oder keine Evidenz für einen Effekt von Neuroleptika auf die insomnischen Symptome [9]. Für die in der gängigen Praxis verordneten Hypnotika wie Benzodiazepine, Benzodiazepinrezeptoragonisten und Phytotherapeutika konnten keine Studien mit positivem Nutzen für Demenzkranke mit Insomnie gefunden werden. Diese Medikamente sollten primär nicht zur Insomniebehandlung verabreicht werden, da sie zu kognitiven Verschlechterungen, Stürzen und Tagesschläfrigkeit führen können, Depressionen und Angst verstärken können und den Schlaf nicht bessern [10]. Leider existiert keine Literatur über die Behandlung mit Cholinesteraseinhibitoren. Aus einer Studie bei älteren Patienten ist lediglich bekannt, dass sie durch das Auftreten von luziden Träumen irritierend wirken können [16]. Eine morgendliche Gabe könnte deren Auftreten vermutlich verhindern.