Demoralisierung und Suizidalität bei Clusterkopfschmerz-Patienten
***Koo BB, Bayoumi A, Albanna A, et al. Demoralization predicts suicidality in patients
with cluster headache. The Journal of Headache and Pain 2021; 22 (1): 28
Hintergrund
Clusterkopfschmerz-Patienten zeigen oftmals deutliche Beeinträchtigungen ihrer psychischen
Gesundheit, wie vermehrte depressive Episoden und Suizidalität [1], [2]. Unklar ist, ob Suizidgedanken eher die Folge einer Depression oder Ausdruck des
Wunsches, die Schmerzen zu beenden, sind. In der hier vorliegenden Studie untersuchten
die Autoren zunächst das Auftreten von Suizidgedanken und Suiziden in Clusterkopfschmerz-Patienten
im Vergleich zu gematchten Kontrollprobanden, um in einem weiteren Schritt mögliche
Ursachen hierfür bestimmen zu können.
Zusammenfassung
Die Patienten wurden zwischen Oktober 2019 und Januar 2021 rekrutiert, die Teilnahme
erfolgte anonym mittels eines online-basierten Fragebogens. Kontrollprobanden wurden
aus einem Register identifiziert und zur Teilnahme eingeladen. Zunächst wurden die
ICHD-3-Kriterien für Clusterkopfschmerz und die Lebensqualität der Patienten mittels
dem CH-QOL (CH Quality of Life Questionnaire) erhoben. Eine Depression, Panikstörung
oder bipolare Erkrankung wurde nach eigener Angabe der Patienten festgestellt. Schwere
Depressionen in der Vorgeschichte wurden mittels der Brief Lifetime Depression Scale
(BLDS) untersucht. Eine „Demoralisierung“ wurde mittels Diagnostic Criteria for use
in Psychosomatic Research – Demoralization (DCPR-D) und der Kissane Demoralization
Scale (KDS) [3] untersucht. Der DCPR-D umfasst Fragen hinsichtlich eigenen oder Erwartungen von
anderen nicht gerecht zu werden, fehlenden Copingstrategien und einer Hilf- oder Hoffnungslosigkeit
[4]. Suizidalität sowie passive und aktive Suizidgedanken wurden mittels dem Suicidal
Behavior Questionnaire-revised (SBQ-R) und dem Columbia Suicide Severity Rating Scale
(C-SSRS) evaluiert.
100 Clusterkopfschmerz-Patienten (53,0 % männlich) und 135 Kontrollprobanden (57,0
% männlich) wurden eingeschlossen. Die Gruppen waren vergleichbar hinsichtlich Alter,
Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Familienstand, Beruf und Einkommen. Nach eigenen
Angaben hatten Clusterkopfschmerz-Patienten häufiger eine Panikstörung (12,0 % vs.
3,0 %; p = 0,007) oder bipolare Störung (15,0 % vs. 3,0 %; p = 0,0008). Hinsichtlich
einer bestehenden Depression oder der Einnahme von Antidepressiva zeigten sich keine
Unterschiede. Allerdings berichteten deutlich mehr Clusterkopfschmerz-Patienten von
einer depressiven Episode in der Vorgeschichte (67,0 % vs. 32,6 %; p < 0,00001).
Bisherige Suizidversuche waren in beiden Gruppen ähnlich, allerdings zeigte die Clusterkopfschmerz-Gruppe
ein höheres Selbstmordrisiko im SBQ-R (38,0 % vs. 18,5 %; p = 0,0009). Passive und
aktive Selbstmordgedanken waren ebenfalls in der Clusterkopfschmerz-Gruppe deutlich
häufiger (passive Suizidgedanken: 59,0 % vs. 34,8 %; p = 0,0002, aktive Suizidgedanken:
47,0 % vs. 26,7 %, p = 0,001) und Clusterkopfschmerz-Patienten hatten ein 2-fach höheres
Risiko für Suizidgedanken als Kontrollprobanden. Demoralisierung war in Clusterkopfschmerz-Patienten
häufiger als in der Kontrollgruppe (28,0 % vs. 15,6 %; p = 0,02) und mit einem ca.
3-fach höheren Risiko für Suizidgedanken in Clusterkopfschmerz-Patienten assoziiert.
In der Clusterkopfschmerz-Gruppe waren 56 Patienten mit einem episodischen und 44
Patienten mit einem chronischen Clusterkopfschmerz. Die beiden Gruppen waren ähnlich
hinsichtlich der Lebensqualität (CH-QOL p = 0,18) sowie dem Auftreten einer Depression
in der Vorgeschichte (p = 0,13). Demoralisierung war allerdings häufiger in chronischen
Clusterkopfschmerz-Patienten (40,9 vs. 17,9 %; p = 0,01). Auch Suizidgedanken (36,4
% vs. 16,1 %; p = 0,02) und Suizidversuche (13,6 % vs. 3,6 %; p = 0,07) traten signifikant
häufiger in chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten auf.
Kommentar
Wie zu erwarten, zeigen Clusterkopfschmerz-Patienten eine erhöhte Beeinträchtigung
der psychischen Gesundheit, so z. B. in Bezug auf Depressionen in der Vorgeschichte,
aber auch hinsichtlich suizidaler Gedanken und Suizidversuchen. Die Belastung ist
in chronischen Patienten nochmals höher als in episodischen Patienten. Die Autoren
schlussfolgerten, dass eine Ursache für Suizidalität in Clusterkopfschmerz-Patienten
in einer Demoralisierung liegt. Demoralisierung ist ein Begriff aus der Psychologie,
der die Hoffnungslosigkeit aufgrund der Unkontrollierbarkeit und des zermürbenden
Charakters einer Erkrankung und den Verlust des persönlichen Lebenssinns in den Vordergrund
stellt [4]. Demoralisierung und Depression teilen gemeinsame Charakteristika wie Hoffnungslosigkeit
und Schuldgefühle. Demoralisierung kann keinen Teilaspekt der Depression darstellen,
aber auch unabhängig davon auftreten.
Die Untersuchung von psychischen Belastungsfaktoren von Clusterkopfschmerz-Patienten
wurde in den letzten Jahren mehr fokussiert und die tatsächliche Beeinträchtigung
wird immer deutlicher. Insofern reihen sich die Ergebnisse in die bisherigen Untersuchungsergebnisse
ein und tragen sicherlich zu einem besseren Verständnis bei. Einschränkend muss aber
erwähnt werden, dass die Studie nur eine kleine Probandenzahl untersucht hat. Auch
die Online-Befragung und Selbstauskunft bezüglich einiger Diagnosen könnte zu einer
Verzerrung beitragen. Für eine bessere Interpretation hätte zusätzlich zumindest die
aktuelle Attackenfrequenz, die Wirksamkeit der Akutmedikation und die Häufigkeit der
Episoden erfragt werden sollen. Trotz dieser Einschränkungen macht die Studie die
Beeinträchtigung der Clusterkopfschmerz-Patienten deutlich, und es kann geschlussfolgert
werden, dass zum einen eine wirksame Behandlung unbedingt angestrebt werden sollte.
Zum anderen sollten Patienten aktiv nach Depressionen und Suizidalität befragt werden
und ggf. eine entsprechende Therapie begonnen werden.
Katharina Kamm, München, mit Unterstützung von Thomas Dresler, Tübingen
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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete
Übersicht bietet
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Gute experimentelle oder klinische Studie
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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter
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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen
Mängeln
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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln
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Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und
Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377
München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de
Sie wird dabei unterstützt von Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und
Kopfschmerz), PD Dr. Gudrun Goßrau, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen)
und Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Clusterkopfschmerz).
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Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.