Bedock D.
et al.
Prevalence and severity of malnutrition in hospitalized COVID-19 patients.
Clin Nutr ESPEN 2020;
Aus Zeiten der Grippe-Epidemie im Jahre 1918 ist bekannt, dass Mangelernährung ein Risikofaktor für den Schweregrad und die Mortalität einer viralen Pneumonie sein kann. Da auch andere Viruserkrankungen, wie aktuell COVID-19, mit Symptomen einhergehen, die eine suffiziente Nahrungsaufnahme verhindern können, scheinen auch diese Patienten von Mangelzuständen betroffen zu sein. Obgleich die Ergebnisse erster Beobachtungsstudien aus asiatischen Ländern auf eine hohe Rate von Unterernährung bei COVID-19-Patienten hindeuten, gibt es aktuell nur wenige Daten über entsprechende Prävalenzen.
Bedock et al. wollten hier eine Lücke schließen und haben im Rahmen einer Beobachtungsstudie im Längsschnittdesign die entsprechenden Zahlen bei einer Gruppe hospitalisierter COVID-19-Patienten genauer untersucht. Die Studie fand zwischen dem 21. März und dem 24. April 2020 in einem Institut des Pitié Salpétrière Krankenhauses in Paris statt. Die Forschergruppe verfolgte 3 Ziele:
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Die Feststellung von Mangelernährung bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19,
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Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Mangelernährung und Krankheitsschwere zu Behandlungsbeginn sowie
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die Prüfung eines möglichen Zusammenhangs zwischen Mangelernährung und klinischen Endpunkten wie einer Verlegung auf die ICU oder den Tod.
Für jeden erwachsenen Patienten mit klinisch eindeutig nachgewiesener Infektion registrierten die Autoren folgende Parameter:
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Demografische Charakteristika wie Alter, Geschlecht, Körpergewicht, Raucherstatus und Komorbiditäten,
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Körpergröße und das letzte Körpergewicht innerhalb von 6 Monaten vor der Erkrankung,
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das Vorhandensein von Mangelernährung in Anlehnung an die sog. GLIM-Kriterien unter Berücksichtigung von ätiologischen und phänotypischen Kriterien,
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ein breites Spektrum an Laborparametern einschließlich Albumin und CRP sowie
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Marker für den Schweregrad der Erkrankung wie u. a. Körpertemperatur bei Aufnahme, Art und Schwere klinischer Symptome, Notwendigkeit einer Verlegung auf die Intensivstation und Versterben.
Um neben der Prävalenz von Unterernährung auch etwaige Zusammenhänge zwischen den o. g. Parametern feststellen zu können, griffen die Forscher auf methodischer Ebene auf ein lineares Regressionsmodell zurück.
Verlegte Patienten stark betroffen
Insgesamt konnten 160 Patienten in die Studie eingeschlossen werden, die Daten von 114 von ihnen gingen schließlich in die finale Auswertung mit ein. Sie waren im Durchschnitt 59,5 Jahre alt mit einer Standardabweichung von 15,9 Jahren, 60,5 % von ihnen waren männlich. Die häufigsten Vorerkrankungen waren mit 52,6 % und 38,6 % Hypertonus und Diabetes mellitus. Der durchschnittliche BMI konnte auf 26,6 kg/m2 beziffert werden, 25 % aller Probanden waren übergewichtig.
In Hinblick auf die Studienziele stellten Bedock und Team fest, dass 41,1 % aller Patienten nach den GLIM-Kriterien unterernährt waren: 23,7 % moderat und 18,4 % sogar schwer. Bei Patienten, die vor der Untersuchung kürzlich von ICU auf Normalstation verlegt worden sind, lag die Rate sogar bei 66,7 % im Vergleich zu 37,5 % bei Patienten ohne intensivmedizinische Vorbehandlung. Der Gruppenunterschied war dabei hochsignifikant.
Was einen möglichen Zusammenhang zwischen Unterernährung einerseits und Behandlungsergebnis andererseits betrifft, konnten die Autoren belegen, dass ein niedriger Albumin-Spiegel zum Zeitpunkt der Aufnahme mit einem größeren Risiko für die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung einherging. Allerdings gab es keinen harten signifikanten Zusammenhang zwischen Ernährungsstatus und ICU-Behandlung oder Versterben.
In ihrem Diskussionsteil betonen die Autoren die alarmierend hohe Prävalenz von Unterernährung bei hospitalisierten COVID-19-Patienten. Sie wünschen sich daher für die Zukunft neben weiteren Untersuchungen zum Thema mit längeren Beobachtungszeiträumen eine breitere Anwendung von Ernährungs-Assessments, Screenings auf Mangelernährung und die frühzeitige Initiierung entsprechender Therapieansätze.
In dieser Beobachtungsstudie mit 114 hospitalisierten COVID-19-Patienten stellten die Forscher bei 42,1 % eine Unterernährung fest. Da die Rate mit 66,7 % bei Patienten, die von ICU auf Normalstation verlegt worden sind, besonders hoch ausfiel und ein niedriger Albumin-Spiegel mit schlechtem Outcome einherging, halten die Autorinnen/Autoren bei COVID-19 ein entsprechendes Screening und eine angepasste Ernährungstherapie für einen wichtigen Bestandteil des Behandlungskonzepts.
Dipl.-Psych. Annika Simon, Hannover