Mit großem Interesse haben wir die Empfehlungen von Grannemann und Röper [1] zur höhenmedizinischen Beratung nach stattgehabter COVID-19-Infektion gelesen.
Auch in Europa ist es möglich, sehr schnell große Höhen zu erreichen, so benötigt der Zug von Grindelwald (1034 m) zum Jungfraujoch (3454 m) ab nächstem Jahr nicht mehr als eine Stunde. Jedes Jahr ereignen sich in alpinen Höhenlagen lebensbedrohliche und tödliche Zwischenfälle aufgrund ungenügender Planung und mangelnder Kenntnisse, daher sind höhenmedizinische Empfehlungen wichtig. Aus unserer Sicht fehlen im Artikel jedoch einige spezifische Aspekte, die wir im Folgenden gerne konkretisieren möchten. Wenngleich kein Testverfahren existiert, durch das eine individuelle Höhentauglichkeit festgestellt werden kann, so können doch anhand spezifischer pneumologischer Untersuchungen Risiken der Höhenexposition für respiratorisch vorerkrankte Patienten sehr gut eingeschätzt werden. Für die Beratung des Patienten sollten zunächst die Fragen: Dauer des Höhenaufenthalts, Höhe der Zielregion ggf. Äquivalenzhöhe, Belastungsart und -dauer in der Höhe sowie Vorerkrankungen geklärt werden. Bezüglich der Dauer des Aufenthalts können nicht- oder kurzzeitakklimatisierte von langzeitakklimatisierten Personen unterschieden werden. Aufgrund der globalen Bevölkerungsverteilung bezogen auf die Höhe [2] dürften Beratungsanfragen in Mitteleuropa meist von nicht-akklimatisierten Personen, die extreme Kurzaufenthalte oder Kurzaufenthalte planen (z. B. Skifahrer und Flugreisende), gestellt werden. Fragen der Langzeitakklimatisation sollen hier nicht betrachtet werden. Eine Spirometrie mit Bodyplethysmografie und Blutgasanalyse sowie Messung der DLCO sollte zunächst Aufschluss über die Lungenfunktion geben. Anhand der Alveolargasgleichung PAO2 = FiO2(Patm–PH2O)–PaCO2/RQ und der alveolo-arteriellen Sauerstoffdruckdifferenz AaDO2 = PAO2–PaO2 (normalerweise 10–15 mmHg) können die in verschiedenen Höhenlagen zu erwartenden Blutgaswerte abgeschätzt werden (der respiratorische Quotient [RQ] beträgt bei europäischer Mischkost etwa 0,85 und fällt mit zunehmender Höhe auf etwa 0,8 auf dem Mt. Everest ab) [3]
[4]. Aus der Alveolargasgleichung wird ersichtlich, dass der PaCO2 auch bedeutsam für den alveolären Sauerstoffpartialdruck ist. Der arterielle CO2-Partialdruck entspricht nahezu dem alveolären CO2-Wert. Daher ist es mit zunehmender Höhe von immenser Bedeutung, den arteriellen CO2-Wert zu senken (ventilatorische Akklimatisation). Dies ist nur durch eine Steigerung der alveolären Ventilation möglich. Ist dies erkrankungsbedingt nicht oder nur eingeschränkt möglich, bspw. da eine Post-ARDS-Fibrose mit Einschränkung der Diffusionskapazität vorliegt, so muss ein Höhenaufenthalt, sofern dieser als sinnhaft durchführbar erachtet wird, sehr sorgfältig geplant und die Gabe von Supplementärsauerstoff kalkuliert werden. Praktisch können Patienten nach durchgemachter COVID-19-Infektion, die in Meereshöhe über eine Vitalkapazität (VK) ≥ 3 L, eine FEV1 ≥ 70 %, SaO2 ≥ 92 % und paO2 ≥ 70 mmHg ohne CO2-Retention verfügen, problemlos in Höhen bis etwa 2500 m aufsteigen (entsprechend der Fähigkeit, zwei Stockwerke ohne Beeinträchtigung zu gehen). Die überwiegende Mehrzahl der kommerziellen Flugzeugtypen verwendet Druckkabinen mit einem Druck auf Flughöhe (30 000–40 000 ft) entsprechend etwa 2500 m (8000 ft) über Meereshöhe. Für Patienten mit obstruktiver Lungenerkrankung kann der prädiktive PaO2 auf etwa 2500 m anhand der Formel PaO2(2500 m) = [0,238 × PaO2aktuell]+[20,089×(FEV1/FVC)]+22,258 mmHg abgeschätzt werden [5]. Liegt der prädiktive PaO2 unter 55 mmHg, sollte die Gabe von zusätzlichem Sauerstoff erwogen werden. Die genannte Gleichung stellt eine Annäherung an den echten PaO2 bei Höhenaufenthalt dar. In der Praxis tolerieren gerade COPD-Patienten Hypoxie gut, sodass hier durchaus auch prädiktive Werte bis 50 mmHg akzeptiert werden können.
Für eine genauere Diagnostik und Post-COVID-19-Patienten, die einen Aufenthalt in größerer Höhe planen, ist eine Spiroergometrie mit Ruhe- und Belastungsblutgasen die wichtigste Untersuchung [6]. Zusätzlich wäre eine Echokardiografie möglichst mit Bestimmung des Global Longitudinal Strain des linken und rechten Ventrikels sinnvoll [7]. Die maximale Sauerstoffaufnahme, das Hauptkriterium der Dauerleistungsfähigkeit, nimmt ab 1500 m pro 1000 Höhenmeter um etwa 10 % ab [8]. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der VO2max in Meereshöhe und in Höhenlagen. Um bspw. in 8000 m Höhe noch kontinuierlich ohne supplementären Sauerstoff ansteigen zu können, ist eine VO2max von > 60 mL/kg/min hilfreich. Die erforderliche Sauerstoffaufnahme variiert mit der körperlichen Aktivität ([Tab. 1]). Möchte ein Post-COVID-19-Patient im nepalesischen Himalaya mit ~5 kg Last wandern und bis maximal etwa 5400 m aufsteigen, so sollte seine VO2max auf Meereshöhe mindestens etwa 38 mL/kg/min betragen und somit einer Leistung von mindestens etwa 3,0 W/kg KG (PWC170) entsprechen. Soll eine ähnliche Wandertour zur Fiderepasshütte (2067 m) im Allgäu führen, so ist eine VO2max von etwa 28 mL/kg/min oder 2,0 W/kg KG (PWC170) ausreichend. Eine Leistungsreserve stellt einen zusätzlichen Sicherheitsaspekt dar [9]. So lag die VO2max von Bergsteigern, die den Gipfel des Cho Oyu (8188 m) erreichten (59,0–67,3 mL/kg/min), deutlich über der VO2max von Bergsteigern, die am Gipfel scheiterten (51,0–57,8 mL/kg/min) [9]. Möglicherweise entscheidend sind auch schwer fassbare Aspekte, wie z. B. die Bewegungsökonomie, also wieviel Sauerstoff bei einer spezifischen Tätigkeit verbraucht wird. Gewöhnung und Training sind wichtige Einflussfaktoren auf die Bewegungsökonomie, aber auch Beschaffenheit der Strecke, Ausrüstung, Witterungsbedingungen und Gepäck tragen wesentlich zur Bewegungsökonomie und damit zum aeroben Energiebedarf bei. Es ist daher sinnvoll, vorab zusätzlich eine gewisse Leistungsreserve (z. B. 10 %) einzurechnen. Ein High-Altitude-Simulation-Test (HAST), bei dem Ruhe- und Belastungsblutgase bei normobarer Hypoxie ([Tab. 2]) bestimmt werden können, kann ebenfalls hilfreich sein, um einen Aufenthalt in der Höhe zu planen.
Tab. 1
Sauerstoffaufnahme bei verschiedenen körperlichen Aktivitäten, mod. nach [12].
Disziplin
|
Sauerstoffaufnahme [mL/kg/min]
|
Metabolische Äquivalente [1 Met = 3,5 L VO2 /kg/min]
|
Bergwandern ohne Last
|
24,5
|
7
|
Bergwandern mit 5 kg Last
|
26,25
|
7,5
|
Moderates Bergsteigen
|
28
|
8
|
Intensives Bergsteigen
|
30–35
|
8,5–10
|
Extrembergsteigen > 7000 m
|
60–62
|
17–18
|
Ski alpin
|
21–24,5
|
6–7
|
Moderater Skilanglauf
|
25–30
|
7– 8,5
|
Intensiver Skilanglauf
|
30–35
|
8,5–10
|
Tab. 2
Angaben zu Höhe und korrespondierender Sauerstoffkonzentration unter Druckverhältnissen die Meereshöhe entsprechen [13].
Höhe (m)
|
Luftdruck [mmHg]
|
Alveolärer PO2 [mmHg]
|
Entsprechende O2-Konzentration in Meereshöhe [%]
|
0
|
760
|
149
|
20,95
|
1000
|
674
|
131
|
18,3
|
2000
|
596
|
115
|
16,4
|
3000
|
526
|
100
|
14,5
|
4000
|
462
|
87
|
12,7
|
5000
|
405
|
75
|
11,2
|
6000
|
354
|
64
|
9,8
|
7000
|
308
|
54
|
8,5
|
8000
|
267
|
46
|
7,4
|
Wenngleich wir in einem Kollektiv kritisch-kranker COVID-19-Patienten keine für ARDS-Patienten ungewöhnliche Druckerhöhung in der pulmonal-arteriellen Strombahn feststellen konnten [10], waren die gemessenen Drucke dennoch im Bereich der Drucke von Probanden mit erhöhtem Risiko für die Entwicklung eines Höhenlungenödems (HAPE) auf 4559 m [11]. Dies macht eine Echokardiografie mit Messung des rechtsventrikulären systolischen Druckes (RVSP) bei Post-COVID-19-Patienten mit restriktiver Lungenfunktion und eingeschränkter Diffusionskapazität erforderlich. Patienten mit interstitieller Lungenerkrankung entwickeln oft eine pulmonale Hypertonie, die wiederum auf ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines HAPE schließen lässt, da bereits Gesunde eine pulmonal-arterielle Drucksteigerung um etwa 30–50 % in 4000 m Höhe aufweisen [11]. Patienten mit erhöhtem RVSP sollten an einem Zentrum auf das Vorliegen einer pulmonal-arteriellen Hypertonie untersucht werden. Unter dem Aspekt „better safe than sorry“ ist Patienten mit pulmonaler Hypertonie von einem Aufenthalt in großen Höhen (> 4000 m) abzuraten.
Zahlreiche Patienten mit schwerem Verlauf bei COVID-19 sind adipös. Diese Patienten sollten mittels Polysomnografie und nächtlicher Pulsoxymetrie auf das Vorliegen eines Schlafapnoesyndroms gescreent werden. Patienten mit bestehender CPAP-Therapie sollten das eigene Gerät in der Höhe nutzen, um nächtliche Entsättigungen zu limitieren. Bei niedriger nächtlicher basaler SaO2 muss im Einzelfall über eine Azetazolamidprophylaxe mit 250 mg zur Steigerung des Atemantriebs in der Nacht entschieden werden.
Wir gehen davon aus, dass u. a. mit diesen relativ einfachen diagnostischen Maßnahmen und Empfehlungen präzise Aussagen über geplante Höhenaufenthalte bei Post-COVID-19-Patienten getroffen werden können.