Reindl-Schwaighofer R.
et al.
Angiotensin-Converting Enzyme 2 (ACE2) Elevation in Severe COVID-19.
Am J Respir Crit Care Med 2021;
DOI:
10.1164/rccm.202101-0142LE
Die Forscherinnen und Forscher untersuchten die Plasma-ACE2-Konzentration bei Patienten mit COVID-19 unterschiedlichen Schweregrades über den Zeitverlauf der Erkrankung hinweg im Vergleich zu einer retrospektiven Kohorte von Influenza-Patienten. ACE2 gleicht als Schlüsselenzym des alternativen Renin-Angiotensin-Systems (RAS) die Aktivität von Angiotensin II aus, indem es enzymatisch Angiotensin II in Angiotensin 1-7 umwandelt. In der Membran von Typ-II-Alveolar- und Lungenepithelzellen verankert, kann ACE2 durch die Metalloproteinase ADAM17 gespalten werden. Eine Infektion von Mäusen mit SARS-CoV-1, dem Coronavirus, das den SARS-Ausbruch 2002–2004 verursachte, führte in einer früheren Studie zu einer Lungenschädigung. Diese schien offenbar durch eine ACE2-Downregulation und gestörten Abbau von Angiotensin II vermittelt zu sein. Dementsprechend führte die Gendeletion von ACE2 bei Mäusen zu einem schwereren Krankheitsverlauf in einem Influenza-Modell. Beim Menschen deuten jedoch Genexpressionsdaten bronchoalveolärer Lavageflüssigkeitszellen darauf hin, dass ACE2 während einer SARS-CoV-2-Infektion durch Interferon hochreguliert wird.
Die Autorinnen und Autoren haben in ihrer aktuellen Studie die enzymatisch aktive Plasma-ACE2-Konzentration und wichtige RAS-Metaboliten in 532 Blutproben gemessen, die von 126 Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion gewonnen wurden. Untersucht wurden Patienten, die zwischen März und Juni 2020 in die primären COVID-19-Versorgungseinrichtungen im Großraum Wien aufgenommen wurden. Ihre Erkrankungsschwere wurde anhand des maximalen Bedarfs an Atemunterstützung in „schwer erkrankt“ und „nicht-schwer erkrankt“ eingeteilt. Als Vergleichsgruppe wurden 27 Patienten eingeschlossen, die mit einer Influenza-Pneumonie kritisch erkrankt waren und alle invasiv beatmet werden mussten. Der Startpunkt für alle Analysen war der Tag der Hospitalisierung oder Verlegung in eine spezielle COVID-19-Pflegeeinrichtung nach positivem Test auf SARS-CoV-2 in einem anderen Krankenhaus (Tag 0). Mehrere Messungen pro Individuum wurden über vorgegebene Zeitintervalle gemittelt (alle Zeitpunkte; Tag 0–3 [früh]; Tag 9–11 [spät]).
Hauptergebnisse und Interpretation
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Es zeigte sich ein 7-facher Anstieg von ACE2 bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten, von früh bis spät im Krankheitsverlauf.
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ACE2 war mit lnterleukin-6 assoziiert, was einen Zusammenhang mit Entzündungen nahelegt. Eine Behandlung mit Kortikosteroiden oder Tocilizumab hatte jedoch keinen Einfluss auf die ACE2-Werte.
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Der beobachtete Anstieg von ACE2 bei schwerer COVID-19-Erkrankung ging einher mit einem Anstieg des alternativen RAS-Metaboliten Angiotensin 1-7 und einem Anstieg des Angiotensin-1-7- zu Angiotensin-11-Verhältnis. Dies weist auf eine Verschiebung in Richtung des potenziell schützenden alternativen RAS hin.
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ACE2 bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten war signifikant höher als bei Influenza-Patienten mit ähnlichem Krankheitsschweregrad, basierend auf dem Sepsis-related Organ Failure Assessment (SOFA)-Score und der Notwendigkeit der mechanischen Beatmung in beiden Gruppen.
Das systemische ACE2 stieg bei schwerer COVID-19 auf Werte an, die sich direkt auf die systemischen Angiotensinspiegel auswirken und das RAS in Richtung der alternativen Achse ausbalancieren würden. Der beobachtete Anstieg der Plasma-ACE2-Aktivität bei schwerem COVID-19 könne daher einen entzündungsbedingten pathophysiologischen Mechanismus widerspiegeln, der darauf abzielt, einen Überschuss an Angiotensin II auszugleichen.
Die Plasma-ACE2-Aktivität stieg in der untersuchten Kohorte bei schwer an COVID-19 erkrankten Patienten über die Zeit an. Eine immunmodulatorische Behandlung, antivirale Medikamente oder RAS-Medikamente hatten keinen Einfluss auf die ACE2-Werte. Die untersuchte Stichprobe und Vergleichsgruppe sind jedoch nach Ansicht der Autoren klein.
Annkatrin Wagner, Stuttgart